Produktdetails
- Verlag: Rowohlt Taschenbuch
- ISBN-13: 9783499105616
- ISBN-10: 3499105616
- Artikelnr.: 23986015
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2012Hemdsärmelig
Neuauflage des Erfolgsromans
„Die Heiden von Kummerow“
Ehm Welks Die Heiden von Kummerow war schon beim Erscheinen vor 75 Jahren mehr Heimatliteratur als Kinderbuch und ist das bis heute geblieben. Auch wenn sich der Roman um den zehnjährigen Martin Grambauer rankt, um die Abenteuer und Erschütterungen eines Sommers um 1910. Kummerow ist ein Dorf in Pommern, wo ein strenger Pastor, ein milder Kantor und wohlhabende Bauern das Regiment führen, wo für Kinder Schule und Arbeit, Spielen und Streiten nahtlos ineinander übergehen, wo christliche Lehre und tradierte Bräuche, herabgesunken zu Kinderspielen, nebeneinander existieren. Erziehung bedeutet reichlich Schläge, aber der Nachwuchs tritt den Erwachsenen trotzdem forsch und selbstbewusst gegenüber. In dieser kleinen Gemeinschaft weiß jeder alles über jeden, und die Kinder reifen schnell. Kummerow ist kein reaktionäres Idyll und kein gemütliches Bild vom einfachen Leben – dieses Dorf steht für die totale Differenz zu allem, was hierzulande heute in Sachen Familie und Gesellschaft als verbindlich erachtet wird. Dargeboten mit hemdsärmeligem Humanismus, durchsetzt mit humorvoll gebrochenen Einsichten in eine grundsätzliche Ungerechtigkeit des Lebens.
Ehm Welk (1884 – 1966) hatte wechselvolle Jahre hinter sich, als ihm 1937 mit diesem „unpolitisch“ gedachten Buch ein Publikumserfolg gelang. Als aufmüpfiger junger Journalist in Braunschweig hatte er begonnen, war als Seemann in der Welt herumgekommen und hatte dann 1934 in der Grünen Post unter dem Pseudonym Thomas Trimm die Pressepolitik des Joseph Goebbels angeprangert. Dafür wurde er eine Woche lang im KZ Oranienburg interniert und auf Druck in Deutschland tätiger Auslandskorrespondenten wieder frei gelassen. Die Heiden von Kummerow konnte er nur veröffentlichen, weil auch das Schreibverbot teilweise wieder aufgehoben wurde. Nach 1945 verschlug es ihn als Heimatvertriebenen zunächst nach Schwerin und dann nach Bad Doberan. Er baute sozialistische Volkshochschulen auf, wurde in der DDR mit Ehrungen bedacht und in der BRD mit Misstrauen beäugt.
Dieses Schicksal ging an seinen Kummerower Heiden, die oft in der Tradition von Wilhelm Raabe und Fritz Reuter gesehen werden, nicht spurlos vorüber. In der BRD wurde der Roman zunächst gar nicht aufgelegt; in der DDR sah sich Ehm Welk offensichtlich genötigt, das Buch ein wenig zu überarbeiten. 1937 war Kummerow der Ort für einen „Erziehungsroman“, in dessen Verlauf dem jungen Martin Grambauer der Glaube an die Gerechtigkeit „in Erfahrung ertrinkt“ – im Gegeneinander von Reich und Arm, von Kirche und Laien oder bei den Rangeleien unter Altersgenossen. In der veränderten Fassung von 1948 sind zunächst alle, teils abschätzigen Anspielungen auf Polen getilgt; weiterhin haben die Streitigkeiten im Dorf durch kleinere und größere Einschübe einen zarten Überbau aus Klassenkampftheorie bekommen, und der wackere Pastor Breithaupt – ursprünglich ein mal gefürchteter, mal bespöttelter, immer aber respektierter Mann – wird in zwei neu eingefügten Kapiteln als fortschrittsfeindlich und engstirnig vorgeführt.
Derb-komisch, handfest und melancholisch ist das Buch trotzdem geblieben und politisch korrekt wurde es durch die Überarbeitung auch nicht. Noch immer hauen die moralisch standfesteren Kinder ihren zerstrittenen Eltern beim traurigen Ende gewissermaßen „kreuzweis aufs Maul“. Eigentlich wirken nur die Passagen, die 1948 für Modernität sorgen sollten, für den heutigen Lesers überlebt. Denn Kummerow taugt nicht als Ort kleinlicher ideologischer Debatten; Kummerow, so entrückt der Roman auf den ersten Blick auch scheinen mag, ist die Bühne für eine große Weltkomödie.
MICHAEL SCHMITT
Ehm Welk : Die Heiden von Kummerow. Mit Illustrationen von Egbert Herfurth. Hinstorff Verlag 2012. 448 Seiten, 24,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Neuauflage des Erfolgsromans
„Die Heiden von Kummerow“
Ehm Welks Die Heiden von Kummerow war schon beim Erscheinen vor 75 Jahren mehr Heimatliteratur als Kinderbuch und ist das bis heute geblieben. Auch wenn sich der Roman um den zehnjährigen Martin Grambauer rankt, um die Abenteuer und Erschütterungen eines Sommers um 1910. Kummerow ist ein Dorf in Pommern, wo ein strenger Pastor, ein milder Kantor und wohlhabende Bauern das Regiment führen, wo für Kinder Schule und Arbeit, Spielen und Streiten nahtlos ineinander übergehen, wo christliche Lehre und tradierte Bräuche, herabgesunken zu Kinderspielen, nebeneinander existieren. Erziehung bedeutet reichlich Schläge, aber der Nachwuchs tritt den Erwachsenen trotzdem forsch und selbstbewusst gegenüber. In dieser kleinen Gemeinschaft weiß jeder alles über jeden, und die Kinder reifen schnell. Kummerow ist kein reaktionäres Idyll und kein gemütliches Bild vom einfachen Leben – dieses Dorf steht für die totale Differenz zu allem, was hierzulande heute in Sachen Familie und Gesellschaft als verbindlich erachtet wird. Dargeboten mit hemdsärmeligem Humanismus, durchsetzt mit humorvoll gebrochenen Einsichten in eine grundsätzliche Ungerechtigkeit des Lebens.
Ehm Welk (1884 – 1966) hatte wechselvolle Jahre hinter sich, als ihm 1937 mit diesem „unpolitisch“ gedachten Buch ein Publikumserfolg gelang. Als aufmüpfiger junger Journalist in Braunschweig hatte er begonnen, war als Seemann in der Welt herumgekommen und hatte dann 1934 in der Grünen Post unter dem Pseudonym Thomas Trimm die Pressepolitik des Joseph Goebbels angeprangert. Dafür wurde er eine Woche lang im KZ Oranienburg interniert und auf Druck in Deutschland tätiger Auslandskorrespondenten wieder frei gelassen. Die Heiden von Kummerow konnte er nur veröffentlichen, weil auch das Schreibverbot teilweise wieder aufgehoben wurde. Nach 1945 verschlug es ihn als Heimatvertriebenen zunächst nach Schwerin und dann nach Bad Doberan. Er baute sozialistische Volkshochschulen auf, wurde in der DDR mit Ehrungen bedacht und in der BRD mit Misstrauen beäugt.
Dieses Schicksal ging an seinen Kummerower Heiden, die oft in der Tradition von Wilhelm Raabe und Fritz Reuter gesehen werden, nicht spurlos vorüber. In der BRD wurde der Roman zunächst gar nicht aufgelegt; in der DDR sah sich Ehm Welk offensichtlich genötigt, das Buch ein wenig zu überarbeiten. 1937 war Kummerow der Ort für einen „Erziehungsroman“, in dessen Verlauf dem jungen Martin Grambauer der Glaube an die Gerechtigkeit „in Erfahrung ertrinkt“ – im Gegeneinander von Reich und Arm, von Kirche und Laien oder bei den Rangeleien unter Altersgenossen. In der veränderten Fassung von 1948 sind zunächst alle, teils abschätzigen Anspielungen auf Polen getilgt; weiterhin haben die Streitigkeiten im Dorf durch kleinere und größere Einschübe einen zarten Überbau aus Klassenkampftheorie bekommen, und der wackere Pastor Breithaupt – ursprünglich ein mal gefürchteter, mal bespöttelter, immer aber respektierter Mann – wird in zwei neu eingefügten Kapiteln als fortschrittsfeindlich und engstirnig vorgeführt.
Derb-komisch, handfest und melancholisch ist das Buch trotzdem geblieben und politisch korrekt wurde es durch die Überarbeitung auch nicht. Noch immer hauen die moralisch standfesteren Kinder ihren zerstrittenen Eltern beim traurigen Ende gewissermaßen „kreuzweis aufs Maul“. Eigentlich wirken nur die Passagen, die 1948 für Modernität sorgen sollten, für den heutigen Lesers überlebt. Denn Kummerow taugt nicht als Ort kleinlicher ideologischer Debatten; Kummerow, so entrückt der Roman auf den ersten Blick auch scheinen mag, ist die Bühne für eine große Weltkomödie.
MICHAEL SCHMITT
Ehm Welk : Die Heiden von Kummerow. Mit Illustrationen von Egbert Herfurth. Hinstorff Verlag 2012. 448 Seiten, 24,90 Euro.
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