Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.1996Dichter unterm Glassturz
Am Runden Tisch der Romantik: Der Lyriker Hans Cibulka
Unter den Schriftstellern der DDR war der Lyriker und Tagebuchschreiber Hans Cibulka einer von den Stillen. Nicht daß er unbeachtet geblieben wäre, er saß im Vorstand des Schriftstellerverbandes und gehörte durchaus zum literarischen Establishment. Doch prangte sein Name weder auf den Ruhmessäulen der Staatspartei SED, noch fand er sich auf ihren Verfolgungslisten, womit zwei wesentliche Voraussetzungen für eine spektakuläre DDR-Existenz entfielen.
Unspektakulär war auch sein poetischer Gestus. Cibulka äußerte sich gern in reimloser Lyrik, was, als in den fünfziger Jahren seine ersten Gedichtbände erschienen, längst keinen revolutionären Hauch mehr besaß. Freilich kam es ihm, in den Gedichten wie später in seinen diversen Tagebuch-Editionen, wohl weniger auf Formen an als auf die Botschaften, die seine Schöpfungen transportierten. Da ging es zunächst um die historischen und moralischen Positionen erlebter Geschichte. Cibulka, Jahrgang 1920, während der gesamten sechs Jahre des Hitlerkrieges Soldat, mühte sich um Antworten auf die Fragen seiner Generation. Und als vertriebener Sohn des Sudetenlandes versuchte er, die Erinnerung an den Ursprung und die Loyalität zur neuen Heimat DDR miteinander zu versöhnen.
Mit der Zeit drängten aktuelle Probleme in den Vordergrund, vor allem solche ökologischer Art. Daß Cibulka sich zum Anwalt der in der DDR geschändeten Natur machte, dürften ihm die dortigen Apologeten industriellen Wachstums wenig gedankt haben - vorausgesetzt, sie registrierten, was ihnen der Dichter ins Stammbuch schrieb. Berücksichtigt man nämlich, wie die DDR üblicherweise mit eigenwilligen Schriftstellern verfuhr, so erstaunt die Ruhe an der Cibulka-Front. Andererseits paßt sie zu der Wortkargheit, mit der Cibulka das Thema DDR abhandelt. Man könnte meinen, jener Staat und sein Bürger hätten einander nie so recht wahrgenommen, weil jeder unter einem separaten Glassturz hockte.
Unter dem seinen hockt der Dichter anscheinend immer noch. Dafür sprechen 119 Seiten neuer Tagebuch-Notate, die leider undatiert blieben, doch deuten einige Textstellen darauf hin, daß die Aufzeichnungen das Jahr 1995 meinen. Das Büchlein porträtiert die Hügel Thüringens vom Frühling bis zum Herbst und kündet von des Autors Furcht, der Moloch Moderne werde die landschaftliche Pracht verschlingen. Das könnte ein Thema zum Hinhorchen sein - wenn nur nicht die Blumen, Bäume, Vogelschwärme so entsetzlich betulich abgehandelt würden. Man ist es rasch leid, diesem privaten Seelenleben das Publikum abzugeben, und so gerät der Appell in Gefahr, halb gehört zu verhallen.
Der Tagebuchschreiber neigt stark zur Romantik. Jedoch nutzt er aus jenem ehrwürdigen Erbe bloß das Sentiment, nicht auch das Ingenium. In seinen romantischsten Momenten schrammt er hart am Kitsch vorbei. Auch wenn er sich politisch äußert, schwimmt er in Emotionen. Die DDR, klagt Cibulka, habe "ihre Söhne verraten", ein Vorwurf, der eine realitätswidrige Heilserwartung voraussetzt. Die Bundesrepublik dagegen "vermarktet" ihre Söhne, liefert alles Wertvolle dem kapitalistischen Mammon aus. Was also tun, um das Vaterland, wenn nicht sogar das Abendland zu retten? Eindringlich predigt Cibulka, man müsse die "Basisdemokratie" der Wendemonate reaktivieren, die "Runden Tische" zum deutschen Verfassungsinstitut erheben.
Als Kommentar zur deutschen Zeitgeschichte ist das eine matte Leistung. Manchmal möchte man zu des Autors Gunsten argwöhnen, er habe bewußt die Attitüde des maulenden "Ossi" gewählt, auf daß die Leute sich absatzsteigernd über sein Büchlein erregen. Aber so war es wohl nicht. Er gehorchte einfach dem sentimentalen Bedürfnis, die Politik aus den Bereichen kühler Kalkulation zu befreien und sie auf dem Gemütsaltar zu postieren, gleichrangig neben der Natur. SABINE BRANDT
Hans Cibulka: "Die Heimkehr der verratenen Söhne". Reclam Verlag, Leipzig 1996. 119 S., br., 16,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Runden Tisch der Romantik: Der Lyriker Hans Cibulka
Unter den Schriftstellern der DDR war der Lyriker und Tagebuchschreiber Hans Cibulka einer von den Stillen. Nicht daß er unbeachtet geblieben wäre, er saß im Vorstand des Schriftstellerverbandes und gehörte durchaus zum literarischen Establishment. Doch prangte sein Name weder auf den Ruhmessäulen der Staatspartei SED, noch fand er sich auf ihren Verfolgungslisten, womit zwei wesentliche Voraussetzungen für eine spektakuläre DDR-Existenz entfielen.
Unspektakulär war auch sein poetischer Gestus. Cibulka äußerte sich gern in reimloser Lyrik, was, als in den fünfziger Jahren seine ersten Gedichtbände erschienen, längst keinen revolutionären Hauch mehr besaß. Freilich kam es ihm, in den Gedichten wie später in seinen diversen Tagebuch-Editionen, wohl weniger auf Formen an als auf die Botschaften, die seine Schöpfungen transportierten. Da ging es zunächst um die historischen und moralischen Positionen erlebter Geschichte. Cibulka, Jahrgang 1920, während der gesamten sechs Jahre des Hitlerkrieges Soldat, mühte sich um Antworten auf die Fragen seiner Generation. Und als vertriebener Sohn des Sudetenlandes versuchte er, die Erinnerung an den Ursprung und die Loyalität zur neuen Heimat DDR miteinander zu versöhnen.
Mit der Zeit drängten aktuelle Probleme in den Vordergrund, vor allem solche ökologischer Art. Daß Cibulka sich zum Anwalt der in der DDR geschändeten Natur machte, dürften ihm die dortigen Apologeten industriellen Wachstums wenig gedankt haben - vorausgesetzt, sie registrierten, was ihnen der Dichter ins Stammbuch schrieb. Berücksichtigt man nämlich, wie die DDR üblicherweise mit eigenwilligen Schriftstellern verfuhr, so erstaunt die Ruhe an der Cibulka-Front. Andererseits paßt sie zu der Wortkargheit, mit der Cibulka das Thema DDR abhandelt. Man könnte meinen, jener Staat und sein Bürger hätten einander nie so recht wahrgenommen, weil jeder unter einem separaten Glassturz hockte.
Unter dem seinen hockt der Dichter anscheinend immer noch. Dafür sprechen 119 Seiten neuer Tagebuch-Notate, die leider undatiert blieben, doch deuten einige Textstellen darauf hin, daß die Aufzeichnungen das Jahr 1995 meinen. Das Büchlein porträtiert die Hügel Thüringens vom Frühling bis zum Herbst und kündet von des Autors Furcht, der Moloch Moderne werde die landschaftliche Pracht verschlingen. Das könnte ein Thema zum Hinhorchen sein - wenn nur nicht die Blumen, Bäume, Vogelschwärme so entsetzlich betulich abgehandelt würden. Man ist es rasch leid, diesem privaten Seelenleben das Publikum abzugeben, und so gerät der Appell in Gefahr, halb gehört zu verhallen.
Der Tagebuchschreiber neigt stark zur Romantik. Jedoch nutzt er aus jenem ehrwürdigen Erbe bloß das Sentiment, nicht auch das Ingenium. In seinen romantischsten Momenten schrammt er hart am Kitsch vorbei. Auch wenn er sich politisch äußert, schwimmt er in Emotionen. Die DDR, klagt Cibulka, habe "ihre Söhne verraten", ein Vorwurf, der eine realitätswidrige Heilserwartung voraussetzt. Die Bundesrepublik dagegen "vermarktet" ihre Söhne, liefert alles Wertvolle dem kapitalistischen Mammon aus. Was also tun, um das Vaterland, wenn nicht sogar das Abendland zu retten? Eindringlich predigt Cibulka, man müsse die "Basisdemokratie" der Wendemonate reaktivieren, die "Runden Tische" zum deutschen Verfassungsinstitut erheben.
Als Kommentar zur deutschen Zeitgeschichte ist das eine matte Leistung. Manchmal möchte man zu des Autors Gunsten argwöhnen, er habe bewußt die Attitüde des maulenden "Ossi" gewählt, auf daß die Leute sich absatzsteigernd über sein Büchlein erregen. Aber so war es wohl nicht. Er gehorchte einfach dem sentimentalen Bedürfnis, die Politik aus den Bereichen kühler Kalkulation zu befreien und sie auf dem Gemütsaltar zu postieren, gleichrangig neben der Natur. SABINE BRANDT
Hans Cibulka: "Die Heimkehr der verratenen Söhne". Reclam Verlag, Leipzig 1996. 119 S., br., 16,- DM.
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Hanns Cibulka bemüht sich nicht, im Auge des Zeitgeistes zu agieren. Er ist demütig und gelassen zugleich, und er benennt Verluste: Die Träume antworten nicht mehr, wenn sie zu Trümmern werden. Aber dennoch vermittelt der 75jährige den Eindruck eines Menschen, der sich nicht quälen muß mit unaufgearbeiteten Resten. Geschunden wurde er durch Geschichte, ist aber auch gewachsen in Desillusionierung. Cibulka ist ein Philosoph der sorgenreichen Klarheit, fern der Marktplätze dem Tage dienend, um die Gnade des Lebens wissend. Die Trauer dieses Dichters ist gedankenhell. Neues Deutschland