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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2004

Aufstand der Löffelchen
Phantastisch albern: "Die Helden von Muddelerde"

Wenn Eltern sich darüber beklagen, daß ihre Kinder nicht gerne lesen, ist das nicht ungewöhnlich. Neuerdings hört man aber immer häufiger auch besorgte Stimmen darüber, daß die Kinder zwar lesen, aber ausschließlich Bücher des Fantasy-Genres. Zwar hat dieser Bereich der Kinderliteratur nicht erst mit "Harry Potter" zu boomen begonnen, aber seitdem folgt eine phantastische Heldengeschichte der nächsten. Riesenauflagen, dicke Wälzer, und immer geht es ums Ganze: Unter einem existentiellen Gerangel zwischen Gut und Böse über mindestens drei Bände hinweg machen es diese Bücher nicht.

Anstrengend, diese ständige Weltretterei, haben sich offenbar zwei Leute gedacht, die mit ihrer "Twig"-Serie auch schon kräftig zum Aufbau der Bücherstapel beitrugen: die beiden Briten Paul Stewart und Chris Riddell. Und schrieben zwischendrin ein Buch zum Ausruhen. So liest sich jedenfalls das Abenteuer von Joe, der versehentlich mit seinem Hund Henry nach Muddelerde gezaubert wird und dort ein Heldenkrieger sein soll. "Muddelerde"? Genau: Solcherart sind die Albernheiten der beiden Schöpfer, die sich hier über die ernsthafteren Werke der phantastischen Literatur wunderbar lustig machen. "Randalf" heißt etwa der theoretisch und praktisch kenntnisfreie dicke und selbstgefällige Zauberer, der Joe zwar hergeholt hat, ihn aber nicht wieder zurück in die normale Welt schicken kann.

Wie Alice ins Wunderland ist Joe zusammen mit Henry durch einen Busch hinab, hinab, hinab gefallen bis auf Randalfs Hausboot. Die Szene, in der Randalf und seine nicht weniger minderbemittelten Genossen den Hund für den ersehnten Heldenkrieger halten ("Er hat ,Rau' gesagt", flüstern sie ehrfürchtig, als das Tier bellt) und das Kind für dessen Leinenhalter, zeigt Joe und dem Leser, was an Dummheiten noch zu erwarten ist. Erwartungen, die nicht enttäuscht werden, speziell nicht, soweit sie Randalf betreffen. Sein Spruch "Vertrau mir, ich bin ein Zauberer" wird mehr und mehr zum running gag, den Joe irgendwann grimmig mit "Vertrau mir, ich bin ein Heldenkrieger" pariert.

Bis am Ende klar ist, daß Randalf allerhöchstens nur ein kleiner Zauberlehrling ist, Joe dagegen auf seine Art sehr wohl ein Held, ist ganz Muddelerde außer Rand und Band geraten. Alles läuft auf eine ausgesprochen alberne Version des großen Endkampfes zu, der zwar längst nicht so unterhaltsam und spannend ist wie der Weg dahin, aber - das ist hier wichtiger - immerhin noch genauso witzig. Paul Stewart und sein Mit-Erfinder und Illustrator Chris Riddell zeigen hier, wie auch schon bei der "Twig"-Serie, was sie am besten können: Sie haben eine tollkühne Phantasie für Kulissen und fremdartige Landschaften, ein Faible für Schwebendes (Randalfs Hausboot etwa schaukelt auf einem hoch in der Luft stehenden See) und für halsbrecherisch aufgetürmte Gebäude. Auch die Figuren sind bis ins kleinste Detail liebevoll ausgedacht, wobei diese Details oft von der Unappetitlichkeit sind, die Kinder nun einmal zum Kichern bringt.

Am schönsten - und ausnahmsweise nicht eklig - ist der Aufstand des Küchenbestecks einer gewissen Baronin mit Namen Ingrid, mit dem der Kampf eingeläutet oder besser: eingerasselt wird. Die Beschreibung der unaufhaltsamen Bewegung des silbernen Heeres durch die Ebenen von Muddelerde erinnert an Andersens Kunst, mit genauen Worten leblose Dinge lebendig zu erzählen. Hier war auch Übersetzerphantasie gefordert, und Joanna Schroeder hat saftige Worte gefunden. Unter den leider recht breit eingestreuten Flüchtigkeitsfehlern ist ihr auch einmal die Verwechslung eines "Männchens" mit einem "Mädchen" unterlaufen - und sie hat recht: Es gibt zuwenig weibliche Figuren. An Blödheit allerdings stehen beide Geschlechter sich in nichts nach.

Insgesamt ergibt "Die Helden von Muddelerde" eine prächtige Weihnachtslektüre: Man wird darüber nicht schwermütig, sinkt nicht zu tief ein, und vielleicht merkt der eine oder andere eingefleischte Fantasy-Fan unter großem Gekicher, wie unnötig dräuend manch andere Schwarte daherkommt. "Quatsch, reiner Quatsch!" ruft Randalf am Schluß. Recht hat er.

MONIKA OSBERGHAUS

Paul Stewart, Chris Riddell: "Die Helden von Muddelerde". Aus dem Englischen übersetzt von Joanna Schroeder. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2004. 456 S., geb., 18,- [Euro]. Ab 10 J.

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