Die Lagerkommandantin verkündet das Todesurteil. Da schneidet sich die Gefangene Mala Zimetbaum mit einer Rasierklinge in die Pulsadern. Ein SS-Mann packt sie am Arm. Mala reißt sich frei, schlägt ihm ins Gesicht und ruft: »Mörder, bald werdet ihr bezahlen müssen.« Und zu den Tausenden jüdischen Frauen, die im Lager Auschwitz-Birkenau gezwungen sind, Malas Ermordung mitanzusehen: »Habt keine Angst, das Ende ist nah ... gebt nicht auf, vergesst niemals.« - Es ist der 15. September 1944.
Mala Zimetbaum wird 1918 in Brzesko, östlich von Krakau, in eine jüdisch-polnische Familie geboren. Nach einem Aufenthalt in Mainz vor 1918 leben die Eltern mit ihren vier Kindern ab 1928 in Antwerpen. Eine wirtschaftlich florierende Stadt, wo Mala in einem Modegeschäft arbeitet. Im Juli 1942 wird Mala bei einer Razzia festgenommen und im September ins Frauenlager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort hat sie als Läuferin und Dolmetscherin Einblick in alle Vernichtungsaktionen. Klug und risikobereit nützt sie ihre Informationen und leistet erfolgreich Widerstand: Sie rettet weibliche Häftlinge vor der Selektion ins Gas, verschafft Kranken leichtere Arbeit, knüpft Kontakte zwischen Widerstandsgruppen. Dann verliebt sie sich in den polnischen Häftling Edward Galinski. Ihnen gelingt die Flucht aus dem Lager, doch nach dreizehn Tagen werden sie wieder gefasst.
Mala Zimetbaum wird 1918 in Brzesko, östlich von Krakau, in eine jüdisch-polnische Familie geboren. Nach einem Aufenthalt in Mainz vor 1918 leben die Eltern mit ihren vier Kindern ab 1928 in Antwerpen. Eine wirtschaftlich florierende Stadt, wo Mala in einem Modegeschäft arbeitet. Im Juli 1942 wird Mala bei einer Razzia festgenommen und im September ins Frauenlager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort hat sie als Läuferin und Dolmetscherin Einblick in alle Vernichtungsaktionen. Klug und risikobereit nützt sie ihre Informationen und leistet erfolgreich Widerstand: Sie rettet weibliche Häftlinge vor der Selektion ins Gas, verschafft Kranken leichtere Arbeit, knüpft Kontakte zwischen Widerstandsgruppen. Dann verliebt sie sich in den polnischen Häftling Edward Galinski. Ihnen gelingt die Flucht aus dem Lager, doch nach dreizehn Tagen werden sie wieder gefasst.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Von Mala Zimetbaum und ihren wahrhaftigen Heldinnentaten hat wohl jeder schon mal gehört, der sich zumindest ein wenig mit der Geschichte von Auschwitz-Birkenau befasst hat. Barbara Beuys hat nun eine umfassende Biografie über diese starke, junge Frau geschrieben, in der sie das Wissen um die Geschichte Zimetbaums ausweitet, und das auf äußerst eingängige und mitreißende Weise, lobt Rezensent Sascha Feuchert. Die bekannten Passagen aus Zimetbaums Leben, wie etwa ihre Flucht aus Auschwitz und ihr Tod, den sie als Akt des Widerstands prägte, kann die Autorin mit bisher unbekannten Details ergänzen, präzisieren und teilweise korrigieren. So zeige Beuys beispielsweise glaubhaft, dass sich Zimetbaum nicht nur aus Überlebenswillen zur Flucht entschied, sondern auch, um der Welt von dem zu berichten, was sie im Lager erlebt hatte. Dies alles macht ihr Buch zu einem wertvollen Beitrag der Auschwitz-Forschung, so Feuchert. Verwundert und enttäuscht ist der Rezensent allerdings über eine Reihe Fehler in Details, die dem Fachlektorat offenbar entgangen sind. Hier hätte sich ein genauerer Blick gelohnt!
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2024Eine Legende bereits im Lager
Sie fehlt in keiner Darstellung von Auschwitz-Birkenau: Barbara Beuys folgt den Lebensspuren Mala Zimetbaums
Es erfordert schon einen gewissen Mut, einer Biographie den Titel "Die Heldin von Auschwitz" zu geben. Sofort nämlich dürften sich beim Leser jene Vorbehalte einstellen, die der Soziologe Ulrich Bröckling so eingehend beschrieben hat: Vieles muss schließlich weggelassen werden, um einen "echten" Helden (oder deutlich seltener eine Heldin) zu konstruieren. Helfer dürfen beim heroischen Akt im Prinzip nicht vorkommen, moralische Ambiguitäten sind unerwünscht, Zweifel oder Angst beim Helden nur in geringen Dosen erträglich. Genau das aber macht die Geschichten um die starken Männer und Frauen zu jenen "narzisstischen Fantasien" (Bröckling), denen wir zunehmend mit Misstrauen begegnen.
Barbara Beuys, die Autorin der in Rede stehenden Biographie über Mala Zimetbaum (1918 - 1944), begeht zumindest keinen Etikettenschwindel, denn ihre Titelheldin ist tatsächlich eine solche. Das entspricht zumindest völlig der Quellenlage zu dieser mutigen jungen Frau, die aufgrund ihres Sprachtalents nach ihrer Deportation von Antwerpen nach Auschwitz rasch in eine privilegierte Position als Dolmetscherin und Läuferin kam. Und anders als andere Kapos, wie man die Funktionshäftlinge im Lagerjargon nannte, nutzte sie ihre Stellung nicht aus, wurde nicht zur Handlangerin der SS, nur um das eigene Überleben zu sichern. Immer wieder konnte sie besonders weiblichen Mitgefangenen helfen, beschaffte Essen und Medikamente, nutzte ihre Kenntnisse, um Menschen vor der Selektion ins Gas zu bewahren, und unterstützte den Lagerwiderstand.
Mala Zimetbaum, davon erzählt Barbara Beuys lebendig und mitreißend, verlor ihren inneren Kompass auch in der Hölle von Auschwitz-Birkenau nicht. Ihre Sicherheit wurzelte dabei vor allem in ihrem Judentum, das Beuys als orthodox und doch auch modern kennzeichnet. Vom Aufwachsen in einer jüdischen Familie in Antwerpen, wohin die aus Polen stammenden Zimetbaums wegen des dort zunehmenden Antisemitismus umgesiedelt waren, berichtet Beuys ausführlicher, als es in der bisherigen Literatur zu finden ist. In "der Stadt an der Schelde" (eine Lieblingsformulierung der Autorin) schließt sich die junge Mala auch der zionistischen Jugendorganisation Hanoar Hatzioni an und lernt dort viele jener Werte kennen, die sie später durch Auschwitz tragen werden.
Trotz seiner an und für sich toleranten Tradition erweist sich Antwerpen letztlich dennoch als schlechte Wahl für die Zimetbaums. Anders als etwa in Brüssel kooperieren die lokalen Behörden intensiv mit den deutschen Besatzern, was für Mala Zimetbaum am 15. September 1942 furchtbare Folgen hat: Sie wird zusammen mit 1047 anderen Menschen nach Auschwitz verschleppt. Nur drei Tage später wird aus ihr dort die Nummer 19880. Barbara Beuys bleibt nun wenig anderes übrig, als Malas weiteres Leben als typische Heldinnengeschichte zu verfassen: Dokumente gibt es über ihre Lagerzeit so gut wie keine; ein eigenes Zeugnis, das etwaige Zweifel, Ängste und Sorgen offenlegen könnte, hat sie nicht hinterlassen.
Beuys ist also auf die Berichte Dritter angewiesen, für die Mala allerdings nicht selten schon im Lager zur Legende geworden war: Am 24. Juni 1944 floh Mala Zimetbaum nämlich zusammen mit ihrem jüngeren Geliebten Edward (Edek) Galinski (1923 - 1944) aus Birkenau, und eine Zeit lang schien es so, als sei ihnen die Flucht ins Ausland gelungen. Doch am 6. Juli wurden sie gefasst, nach Auschwitz rücküberstellt und schließlich hingerichtet. Beide jedoch setzten ein letztes Zeichen und wehrten sich bei ihrer öffentlichen Ermordung gegen ihre Peiniger. Mala öffnete sich die Pulsadern und ohrfeigte noch einen SS-Mann, der ihren Selbstmord unbedingt verhindern wollte: Die Gefangene sollte nicht selbst über ihren Tod entscheiden.
Die Flucht und der Widerstand bei der Hinrichtung machten Mala Zimetbaum und Edek Galinski berühmt - keine Darstellung von Auschwitz-Birkenau kommt heute ohne ihre Geschichte aus. Barbara Beuys umfangreiche Biographie über Mala kann einige der bisherigen Annahmen über die junge Frau korrigieren. Sie rückt Zimetbaum deutlich näher an den Lagerwiderstand, als das bisher der Fall war. Und bei der Motivation für die Flucht kann sie viel plausibler machen, dass es nicht nur der Wille zum eigenen Überleben war, der Mala das riskante Unternehmen wagen ließ: Ganz offenbar wollte sie vor allem der Welt aus erster Hand berichten, was in dem Vernichtungslager vor sich ging, um zum sofortigen Eingreifen zu drängen.
All das ist verdienstvoll und macht die Biographie insgesamt zu einem wertvollen Teil der Auschwitz-Literatur. Was freilich verwundern muss, sind die zahlreichen Ungenauigkeiten und Fehler, die sich in sie eingeschlichen haben: Aus den "Duschen" in der "Entwesungsanlage" von Birkenau "strömte" das Giftgas Zyklon B eben nicht (es wurde gebunden als Granulat eingebracht); Adolf Hitler war 1919 nicht "innerhalb der Wehrmacht" als Ausbilder eingesetzt (die Wehrmacht gab es erst ab 1935); der berüchtigte Wilhelm Boger ("Bogerschaukel") war nicht "SS-Obersturmbannführer", sondern Oberscharführer (niedriger Rang bei den Unteroffizieren); Wieslaw Kielar, einer der wichtigsten Zeugen aus Auschwitz ("Anus Mundi"), heißt bei Beuys mal Kieslaw, mal Kieslar; über das Ende von Auschwitz schreibt sie: "Die, die zu schwach sind, um zur Evakuierung anzutreten, werden noch im Lager erschossen" - die über 7000 Menschen, die die Rote Armee dort noch vorfand, werden mit keinem Wort erwähnt. Bei diesen und ähnlichen Fehlern muss man auch fragen, warum sie dem Fachlektorat eines renommierten deutschen Verlags nicht auffielen. SASCHA FEUCHERT
Barbara Beuys: "Die Heldin von Auschwitz". Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum.
Insel Verlag, Berlin 2023. 333 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sie fehlt in keiner Darstellung von Auschwitz-Birkenau: Barbara Beuys folgt den Lebensspuren Mala Zimetbaums
Es erfordert schon einen gewissen Mut, einer Biographie den Titel "Die Heldin von Auschwitz" zu geben. Sofort nämlich dürften sich beim Leser jene Vorbehalte einstellen, die der Soziologe Ulrich Bröckling so eingehend beschrieben hat: Vieles muss schließlich weggelassen werden, um einen "echten" Helden (oder deutlich seltener eine Heldin) zu konstruieren. Helfer dürfen beim heroischen Akt im Prinzip nicht vorkommen, moralische Ambiguitäten sind unerwünscht, Zweifel oder Angst beim Helden nur in geringen Dosen erträglich. Genau das aber macht die Geschichten um die starken Männer und Frauen zu jenen "narzisstischen Fantasien" (Bröckling), denen wir zunehmend mit Misstrauen begegnen.
Barbara Beuys, die Autorin der in Rede stehenden Biographie über Mala Zimetbaum (1918 - 1944), begeht zumindest keinen Etikettenschwindel, denn ihre Titelheldin ist tatsächlich eine solche. Das entspricht zumindest völlig der Quellenlage zu dieser mutigen jungen Frau, die aufgrund ihres Sprachtalents nach ihrer Deportation von Antwerpen nach Auschwitz rasch in eine privilegierte Position als Dolmetscherin und Läuferin kam. Und anders als andere Kapos, wie man die Funktionshäftlinge im Lagerjargon nannte, nutzte sie ihre Stellung nicht aus, wurde nicht zur Handlangerin der SS, nur um das eigene Überleben zu sichern. Immer wieder konnte sie besonders weiblichen Mitgefangenen helfen, beschaffte Essen und Medikamente, nutzte ihre Kenntnisse, um Menschen vor der Selektion ins Gas zu bewahren, und unterstützte den Lagerwiderstand.
Mala Zimetbaum, davon erzählt Barbara Beuys lebendig und mitreißend, verlor ihren inneren Kompass auch in der Hölle von Auschwitz-Birkenau nicht. Ihre Sicherheit wurzelte dabei vor allem in ihrem Judentum, das Beuys als orthodox und doch auch modern kennzeichnet. Vom Aufwachsen in einer jüdischen Familie in Antwerpen, wohin die aus Polen stammenden Zimetbaums wegen des dort zunehmenden Antisemitismus umgesiedelt waren, berichtet Beuys ausführlicher, als es in der bisherigen Literatur zu finden ist. In "der Stadt an der Schelde" (eine Lieblingsformulierung der Autorin) schließt sich die junge Mala auch der zionistischen Jugendorganisation Hanoar Hatzioni an und lernt dort viele jener Werte kennen, die sie später durch Auschwitz tragen werden.
Trotz seiner an und für sich toleranten Tradition erweist sich Antwerpen letztlich dennoch als schlechte Wahl für die Zimetbaums. Anders als etwa in Brüssel kooperieren die lokalen Behörden intensiv mit den deutschen Besatzern, was für Mala Zimetbaum am 15. September 1942 furchtbare Folgen hat: Sie wird zusammen mit 1047 anderen Menschen nach Auschwitz verschleppt. Nur drei Tage später wird aus ihr dort die Nummer 19880. Barbara Beuys bleibt nun wenig anderes übrig, als Malas weiteres Leben als typische Heldinnengeschichte zu verfassen: Dokumente gibt es über ihre Lagerzeit so gut wie keine; ein eigenes Zeugnis, das etwaige Zweifel, Ängste und Sorgen offenlegen könnte, hat sie nicht hinterlassen.
Beuys ist also auf die Berichte Dritter angewiesen, für die Mala allerdings nicht selten schon im Lager zur Legende geworden war: Am 24. Juni 1944 floh Mala Zimetbaum nämlich zusammen mit ihrem jüngeren Geliebten Edward (Edek) Galinski (1923 - 1944) aus Birkenau, und eine Zeit lang schien es so, als sei ihnen die Flucht ins Ausland gelungen. Doch am 6. Juli wurden sie gefasst, nach Auschwitz rücküberstellt und schließlich hingerichtet. Beide jedoch setzten ein letztes Zeichen und wehrten sich bei ihrer öffentlichen Ermordung gegen ihre Peiniger. Mala öffnete sich die Pulsadern und ohrfeigte noch einen SS-Mann, der ihren Selbstmord unbedingt verhindern wollte: Die Gefangene sollte nicht selbst über ihren Tod entscheiden.
Die Flucht und der Widerstand bei der Hinrichtung machten Mala Zimetbaum und Edek Galinski berühmt - keine Darstellung von Auschwitz-Birkenau kommt heute ohne ihre Geschichte aus. Barbara Beuys umfangreiche Biographie über Mala kann einige der bisherigen Annahmen über die junge Frau korrigieren. Sie rückt Zimetbaum deutlich näher an den Lagerwiderstand, als das bisher der Fall war. Und bei der Motivation für die Flucht kann sie viel plausibler machen, dass es nicht nur der Wille zum eigenen Überleben war, der Mala das riskante Unternehmen wagen ließ: Ganz offenbar wollte sie vor allem der Welt aus erster Hand berichten, was in dem Vernichtungslager vor sich ging, um zum sofortigen Eingreifen zu drängen.
All das ist verdienstvoll und macht die Biographie insgesamt zu einem wertvollen Teil der Auschwitz-Literatur. Was freilich verwundern muss, sind die zahlreichen Ungenauigkeiten und Fehler, die sich in sie eingeschlichen haben: Aus den "Duschen" in der "Entwesungsanlage" von Birkenau "strömte" das Giftgas Zyklon B eben nicht (es wurde gebunden als Granulat eingebracht); Adolf Hitler war 1919 nicht "innerhalb der Wehrmacht" als Ausbilder eingesetzt (die Wehrmacht gab es erst ab 1935); der berüchtigte Wilhelm Boger ("Bogerschaukel") war nicht "SS-Obersturmbannführer", sondern Oberscharführer (niedriger Rang bei den Unteroffizieren); Wieslaw Kielar, einer der wichtigsten Zeugen aus Auschwitz ("Anus Mundi"), heißt bei Beuys mal Kieslaw, mal Kieslar; über das Ende von Auschwitz schreibt sie: "Die, die zu schwach sind, um zur Evakuierung anzutreten, werden noch im Lager erschossen" - die über 7000 Menschen, die die Rote Armee dort noch vorfand, werden mit keinem Wort erwähnt. Bei diesen und ähnlichen Fehlern muss man auch fragen, warum sie dem Fachlektorat eines renommierten deutschen Verlags nicht auffielen. SASCHA FEUCHERT
Barbara Beuys: "Die Heldin von Auschwitz". Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum.
Insel Verlag, Berlin 2023. 333 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Barbara Beuys ist ... ein eindrückliches und bewegendes Buch gelungen.« DIE WELT 20240201