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Am 1. Mai 1992 demonstrieren 4000 streikende Arbeiter an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze und errichten einen Zaun mit der Aufschrift: »Kein Kolonialgebiet«. Der Protest nimmt immer größere Dimensionen an, man marschiert gen Berlin, debattiert die Belagerung von Erfurt, kurz: es kommt zum großen Arbeiterkrieg. Der Fabulierkraft und -lust, dem Witz und dem Humor Volker Brauns ist es zu verdanken, wenn Die hellen Haufen konkret und einfühlsam, ironisch und bitterernst, von einem Aufstand berichten, der nicht stattgefunden hat. Zwar streift ein Heerhaufen Entlassener und Arbeitsloser durch…mehr

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Produktbeschreibung
Am 1. Mai 1992 demonstrieren 4000 streikende Arbeiter an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze und errichten einen Zaun mit der Aufschrift: »Kein Kolonialgebiet«. Der Protest nimmt immer größere Dimensionen an, man marschiert gen Berlin, debattiert die Belagerung von Erfurt, kurz: es kommt zum großen Arbeiterkrieg. Der Fabulierkraft und -lust, dem Witz und dem Humor Volker Brauns ist es zu verdanken, wenn Die hellen Haufen konkret und einfühlsam, ironisch und bitterernst, von einem Aufstand berichten, der nicht stattgefunden hat. Zwar streift ein Heerhaufen Entlassener und Arbeitsloser durch Mitteldeutschland - daß sie aber nicht kämpfen ist der bittere, süße Faden der Erzählung. Sie sammeln sich auf einem Schlackeberg, dem Schutt ihrer Existenz, die nicht zu verteidigen ist, eines Besitzes, den sie nicht besessen haben, eines Lebens, für das man das seine nicht in die Schanze schlägt. So wird eine Niederlage erfochten und ein Widerstand erdacht. Diese klare, einfache, harte Geschichte mußte geschrieben werden, einmal für allemal. »Was wir nicht zustande gebracht haben, müssen wir überliefern.« (Ernst Bloch)
Autorenporträt
Braun, VolkerVolker Braun, 1939 in Dresden geboren, arbeitete in einer Druckerei in Dresden, als Tiefbauarbeiter im Kombinat Schwarze Pumpe und absolvierte einen Facharbeiterlehrgang im Tagebau Burghammer. Nach seinem anschließenden Philosophiestudium in Leipzig wurde er Dramaturg am Berliner Ensemble. 1983 wurde Volker Braun Mitglied der Akademie der Künste der DDR, 1993 der (gesamtdeutschen) Akademie der Künste in Berlin. 1996 erfolgte die Aufnahme in die Sächsische Akademie der Künste und in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Im Wintersemester 1999/2000 erhielt er die Brüder-Grimm-Professur an der Universität Kassel. Von 2006 bis 2010 war Volker Braun Direktor der Sektion Literatur der Akademie der Künste. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. den Georg-Büchner-Preis im Jahr 2000. Volker Braun lebt heute in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2011

Abgelebte Weltsichten

Volker Braun hat einen Traum: In ihm ziehen schikanierte Arbeiter aus Salz- und Kohlegruben vor die Büros ihrer Chefs und proben den Aufstand - davon handelt auch seine neue Erzählung "Die hellen Haufen".

Volker Braun, 1939 in Dresden geboren, Schöpfer einer immensen Menge von Romanen, Erzählungen, Theaterstücken, zählte einst zu den angesehensten Schriftstellern der DDR. Zugleich war er einer ihrer treuesten Bürger - was das Ost-Regime jedoch nicht hinderte, ein wachsames Auge, also die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit, auch auf diesen Dichter zu richten. Denn dessen Treue war nicht identisch mit kritikloser Hingabe. Braun gewahrte durchaus, dass die Realität der DDR sich in vielem unterschied von den schönen Sprüchen, die den Alltag verzierten, und er nahm in seinen Publikationen immer wieder die Staatsführung beim Wort. Doch weil er sich dabei aufs eigene Wort beschränkte, niemals zu Taten überging oder dazu aufrief, gedieh die Stasi-Kontrolle nicht zu Stasi-Aktionen.

Seit mehr als zwanzig Jahren ist das alles Vergangenheit, der Schriftsteller Braun lebt nun in einer offenen Welt. Macht ihn das glücklich? Offenkundig nicht. Durch seine Schriften weht seither die Klage, dass es misslang, die sozialistische Realität umzuformen in den sozialistischen Traum der gutmeinenden DDR-Bürger. In Volker Brauns Seele lebt anscheinend nach wie vor das alte, nie realisierte Idealbild, und so sieht er den deutschen Einheitsstaat, den die Wende hervorbrachte, als Gegner, wenn nicht sogar Vernichter aller sozialistischen Hoffnungen. Darüber müsste man nicht streiten, schließlich hat Braun, wie jeder von uns, ein Recht auf eigene Meinung. Bei ihm jedoch kommt hinzu, dass er aus dem, was er denkt und fühlt, Literatur fertigt, und da erhebt sich die Frage, wie die Verstrickung in abgelebte Weltsichten seinen Kunstwerken bekommt.

Leider nicht gut. Das zeigt sich sehr deutlich an seiner jüngsten Veröffentlichung, der Erzählung "Die hellen Haufen". Sie führt uns zurück ins Jahr 1992, also in die Zeit unmittelbar nach der Wende, und beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten mitteldeutscher Arbeiter angesichts der neuen Realitäten. Im Vordergrund stehen Existenzangst und Wut auf die Vertreter des Kapitalismus, die keine Rücksicht auf das werktätige Volk nehmen, Umstrukturierungen von fragwürdiger Notwendigkeit erzwingen und sich daran bereichern. Also rotten die mitteldeutschen Proletarier, insbesondere die Belegschaften der Salz- und Kohlegruben, sich zusammen und ziehen in "hellen Haufen" vor die Niederlassungen ihrer neuen Unterdrücker.

Beim Zusammenrotten bleibt es, es passiert nirgendwo etwas, an dessen Ende Sieg oder Niederlage stünde. Wie sollte es auch - der Autor Braun weiß und spricht ungeniert aus, dass dergleichen Revolten niemals stattgefunden haben noch stattfinden werden, dass er nur einen Traum erzählt. Immerhin setzt er seine Traummittel ein, um uns zu lehren, dass seine Geschichte, wenn schon nicht real, so doch vorstellbar sei. Zu diesem Zweck mischt er seine Erfindungen mit historischen Vorgängen, mit Rückgriffen auf Volksaufstände bis zurück zu den deutschen Bauernkriegen des sechzehnten Jahrhunderts. Es sieht so aus, als erfülle er sich in dieser Erzählung einen langgehegten Wunsch, nämlich den nach seines Volkes Aufbegehren als einer notwendigen Botschaft an böse Regime aller Arten. Auch das verschwundene DDR-Regime bekommt sein Fett ab, allerdings nur eine kleine Portion, denn zum einen ist es ja vom Spielfeld geräumt, zum anderen bedienen sich die "hellen Haufen" immer wieder mal der seinerzeit erlernten Kampflosungen, und die passen nicht schlecht zu ihren neuen Unternehmungen.

Wie kommt der Leser mit dem üppigen Cocktail aus diversen Abschnitten deutscher Historie zurecht? Nur mit Mühe. Aber bevor ihn dieser Lektüreteil mutlos macht, hat der Autor ihn schon mit einer erheblichen Portion anderer Wirrnisse belastet, nämlich mit dem Übermaß an agierenden oder wenigstens vorhandenen Personen. Name auf Name wird genannt, in ungeheurer Menge und ohne Rücksicht darauf, dass allen Figuren ein bisschen mehr Persönlichkeit zuteilwerden müsste, damit wir sie auseinanderhalten und uns merken könnten, um wen es sich jeweils handelt, wofür dieser steht, wie wir jenen einzuordnen haben. Wer bis zur letzten Seite alles begreifen möchte, täte gut daran, sich von der ersten Seite an Notizen zu machen.

Doch bevor wir einknicken unter den Plagen, die der Autor uns aufbürdet, können wir Trost finden in der Gewissheit, dass alles nur erdacht ist. Der erfundenen Darstellung unseres Landes müssen wir nicht unbedingt Eingang in Hirn und Herz gewähren, wenn es uns zu schwerfällt, Zeile für Zeile mitzuträumen. Die Erzählung kommt zwar daher, als verkünde ein Prophet seine politischen Weisheiten allem Volk, das lesen gelernt hat. Aber eigentlich spricht Volker Braun nur zu sich selbst.

SABINE BRANDT

Volker Braun: "Die hellen Haufen". Erzählung.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 96 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Brandt tut sich schwer mit Volker Brauns jüngster Erzählung, die den Aufstand der Arbeiter in den ostdeutschen Salz- und Kohlegruben nach der Wende imaginiert und dafür in der Geschichte der Revolten bis ins 16. Jahrhundert zurückgreift. Nicht nur hat sie ihre liebe "Mühe" mit dem Gemisch deutscher Geschichte, mit dem die Leser hier konfrontiert sind. Es stört sie außerdem enorm, dass sie sich mit so vielen Personen auseinandersetzen muss, denen der Autor dann doch kaum Kontur verleiht, wie sie beklagt. Wer sich nicht von Anfang an Notizen macht, wird Schwierigkeiten haben, warnt sie. Und so will Brandt ihm zwar nicht das Recht auf eine eigene Meinung absprechen - Braun hält am Traum einer sozialistischen Gesellschaft fest und sieht in der Bundesrepublik die Gegnerin dieses Traum. Dieser im Prophetenton der "politischen Weisheiten" vorgetragenen Erzählung ist sie aber nicht bereit, "Hirn und Herz" zu öffnen, wie sie deutlich macht.

© Perlentaucher Medien GmbH