In den letzten Wochen des Wahlkampfs in einem der neuen Bundesländer dramatisiert sich die Situation für den aus dem Westen stammenden Spitzenpolitiker Hannes Müller. Als er mit seinem Adoptivsohn unterwegs ist, kommt es zu einer Konfrontation mit Jugendlichen. Müller ohrfeigt nach einer antisemitischen Provokation im Affekt den Wortführer.
Er wird erkannt, und in der Folge führen Medien und Öffentlichkeit eine Hetzkampagne gegen ihn. Auch Müllers Ehe verändert sich, ohne daß er die Fäden in der Hand behält. Christine, die viele Jahre in Kairo gelebt hat, war ihm mit ihrem halbarabischen Sohn in die ostdeutsche Provinz gefolgt. Und nun spürt er, wie die Frau, die ihn fasziniert und die er liebt, ihm entrinnt.
Er wird erkannt, und in der Folge führen Medien und Öffentlichkeit eine Hetzkampagne gegen ihn. Auch Müllers Ehe verändert sich, ohne daß er die Fäden in der Hand behält. Christine, die viele Jahre in Kairo gelebt hat, war ihm mit ihrem halbarabischen Sohn in die ostdeutsche Provinz gefolgt. Und nun spürt er, wie die Frau, die ihn fasziniert und die er liebt, ihm entrinnt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005Wessis in Dresden
Weltlos: Michael Schindhelms Politroman / Von Mark Siemons
Man hat den ersten beiden Büchern von Michael Schindhelm, dem designierten Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, angekreidet, daß sie einen rein autobiographischen Inhalt unnötig literarisierten. Diesen Vorwurf kann man dem neuen Roman nicht machen. Hier haben Herkunft, Milieu und Tätigkeit der Figuren rein gar nichts mit den Lebensumständen des Autors, sofern sie aus dessen Werken bekannt sind, gemein. Die Entfernung zwischen den einen und den anderen ist allerdings so gleichmäßig groß, daß man dahinter schon wieder eine Systematik, eine Absicht vermuten könnte. Während Schindhelm in der DDR aufwuchs, im russischen Woronesch Quantenchemie studierte und seit der Wende als Theaterintendant in Gera, Altenburg und Basel wirkte, stammt sein extrem charmanter Held Sebastian Müller aus dem Westen und arbeitete als Ethnologe in Kairo, unter anderem am dortigen Goethe-Institut, bevor er nun als Spitzenkandidat der SPD in den sächsischen Wahlkampf zieht.
Das ist nicht das einzig Gemeinsame in der Verschiedenheit. Beide, Autor und Held, verbindet außerdem die sorgfältige Camouflage eines biographischen Details, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte: Schindhelm verschwieg jahrelang die Verpflichtungserklärung, die er als junger Mann bei der Staatssicherheit der DDR unterschrieben hatte, bevor er damit unlängst selber an die Öffentlichkeit ging. Und Müller, die Romanfigur, verbarg vor sich und seiner Umgebung seine jüdischen Wurzeln, bis ihn eine Schlägerei mit antisemitischen Provokateuren wieder brutal darauf stößt und er der Öffentlichkeit eingestehen muß, daß er sie belogen hat.
Die Spekulation über solche Parallelen sollte in einer Besprechung eigentlich unnötig sein, doch leider ist der Roman "Die Herausforderung" so geschrieben, daß man an ihnen kaum vorbeikommt. Sonst müßte es nämlich ein undurchdringliches Rätsel bleiben, was den Autor überhaupt an seinem Stoff gereizt hat. Nichts von dem, was er schildert, scheint ihn wirklich zu interessieren: weder der Westen, aus dem der Held kommt, noch der Osten, in den er geht, nicht Ägypten und auch nicht die Wahlkampfmaschine der Parteien. Zwar werden aus den diversen Milieus allfällige Sprechblasen überliefert, etwa wenn ein resignierter Arbeiter im Weinberg des Kulturdialogs schwadroniert: "war ich in Shanghai und habe unser zartes Goethe-Instituts-Pflänzchen vor der Dürrepolitik dieser neoliberalen Barrikadenstürmer gerettet". Aber die meisten Schilderungen bleiben so äußerlich, als bezögen sie sich ihrerseits bloß auf Zitate und Zeitungsberichte und nicht auf eigene Erfahrung. Das Ganze wirkt so klang- und weltlos wie schon der Titel: "Die Herausforderung". Wozu dann der Aufwand?
Immer wieder landet man bei der reinen Konstellation, beim geometrisch berechneten Grundriß der Handlung: dem Thema also, wie man auch als Deutscher in Deutschland fremd sein kann, nicht in den Erwartungen und Gewohnheiten seiner Umgebung aufgeht, wie auch der professionellste Kommunikator an der Mediengesellschaft scheitert, bloß wenn er nicht auf den Luxus einer eigenen Identität verzichten will. Dies wäre in der Tat ein gutes Thema.
Doch leider unterhält sich der im Parteienbetrieb fremd bleibende Ethnologe sogar mit seinem halbarabischen Pflegesohn so, als läsen sie sich gegenseitig Leitartikel vor, und auch die Zeichnung der einsamen Ehefrau Christine bleibt im Plakativen stecken. Der Held selbst wird vor allem durch sein Arbeitszimmer charakterisiert, in dem Stapel englisch- und französischsprachiger Zeitungen auf dem Buchenholz-Schreibtisch liegen und an der Wand Fotos von Willy Brandt (Kniefall in Warschau), Camus und Foucault hängen sowie natürlich Reproduktionen von Rothko und Yves Klein. Gewagt ist in diesem risikoscheuen Buch nur das ein oder andere Bild. "Die marmorne Hand eines späten Septembernachmittags strich über den zitternden Nacken der Stadt", heißt es über London, und ein andermal "blutete" das Licht einer Ampel aufs Auto.
Nicht einmal der Plot selbst geht auf. Dem Spitzenkandidaten wird zum Verhängnis, daß er in der Straßenbahn einen jugendlichen, antisemitische Parolen brüllenden Rüpel arabischer Abstammung niederschlägt. Wegen seiner uneingestandenen jüdischen Identität fühlt sich der Politiker befangen und sagt öffentlich, der Junge sei bloß ein Taschendieb gewesen, worauf er allgemein als Vorbild für Zivilcourage gefeiert wird. Als später die Wahrheit herauskommt, muß er seinen Hut nehmen. Diese Geschichte ist durchaus unplausibel: Schon weshalb sich Müller bemüßigt fühlt, sein Judentum zu verdrängen, wird nicht verständlich, weshalb ihm aber die Öffentlichkeit ihren Beistand versagen soll, wenn das herauskommt und er sich gegen Antisemitismus zur Wehr setzt, bleibt im dunkeln.
Dicht wird die Schilderung nur dort, wo es um ethnische Spannungen im Dresdner Vorort oder Berliner Wedding geht. "Besser, sie hauen sich im Sport die Rübe ein als im Häuserkampf", sagt einmal einer beim Bier, während draußen Türken und Deutsche nach einem Fußballspiel aufeinander losgehen. Aber der Spitzenkandidat verbessert den Freund: "Beides, Günter, sie machen beides. Und irgendwie hängt man in diesem Kampf immer mit drin." Das ist das Thema, es geht um den einzelnen im globalen Kulturkampf, aber leider erfährt man darüber aus diesem Roman nichts Neues.
Michael Schindhelm: "Die Herausforderung". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 316 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Weltlos: Michael Schindhelms Politroman / Von Mark Siemons
Man hat den ersten beiden Büchern von Michael Schindhelm, dem designierten Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, angekreidet, daß sie einen rein autobiographischen Inhalt unnötig literarisierten. Diesen Vorwurf kann man dem neuen Roman nicht machen. Hier haben Herkunft, Milieu und Tätigkeit der Figuren rein gar nichts mit den Lebensumständen des Autors, sofern sie aus dessen Werken bekannt sind, gemein. Die Entfernung zwischen den einen und den anderen ist allerdings so gleichmäßig groß, daß man dahinter schon wieder eine Systematik, eine Absicht vermuten könnte. Während Schindhelm in der DDR aufwuchs, im russischen Woronesch Quantenchemie studierte und seit der Wende als Theaterintendant in Gera, Altenburg und Basel wirkte, stammt sein extrem charmanter Held Sebastian Müller aus dem Westen und arbeitete als Ethnologe in Kairo, unter anderem am dortigen Goethe-Institut, bevor er nun als Spitzenkandidat der SPD in den sächsischen Wahlkampf zieht.
Das ist nicht das einzig Gemeinsame in der Verschiedenheit. Beide, Autor und Held, verbindet außerdem die sorgfältige Camouflage eines biographischen Details, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte: Schindhelm verschwieg jahrelang die Verpflichtungserklärung, die er als junger Mann bei der Staatssicherheit der DDR unterschrieben hatte, bevor er damit unlängst selber an die Öffentlichkeit ging. Und Müller, die Romanfigur, verbarg vor sich und seiner Umgebung seine jüdischen Wurzeln, bis ihn eine Schlägerei mit antisemitischen Provokateuren wieder brutal darauf stößt und er der Öffentlichkeit eingestehen muß, daß er sie belogen hat.
Die Spekulation über solche Parallelen sollte in einer Besprechung eigentlich unnötig sein, doch leider ist der Roman "Die Herausforderung" so geschrieben, daß man an ihnen kaum vorbeikommt. Sonst müßte es nämlich ein undurchdringliches Rätsel bleiben, was den Autor überhaupt an seinem Stoff gereizt hat. Nichts von dem, was er schildert, scheint ihn wirklich zu interessieren: weder der Westen, aus dem der Held kommt, noch der Osten, in den er geht, nicht Ägypten und auch nicht die Wahlkampfmaschine der Parteien. Zwar werden aus den diversen Milieus allfällige Sprechblasen überliefert, etwa wenn ein resignierter Arbeiter im Weinberg des Kulturdialogs schwadroniert: "war ich in Shanghai und habe unser zartes Goethe-Instituts-Pflänzchen vor der Dürrepolitik dieser neoliberalen Barrikadenstürmer gerettet". Aber die meisten Schilderungen bleiben so äußerlich, als bezögen sie sich ihrerseits bloß auf Zitate und Zeitungsberichte und nicht auf eigene Erfahrung. Das Ganze wirkt so klang- und weltlos wie schon der Titel: "Die Herausforderung". Wozu dann der Aufwand?
Immer wieder landet man bei der reinen Konstellation, beim geometrisch berechneten Grundriß der Handlung: dem Thema also, wie man auch als Deutscher in Deutschland fremd sein kann, nicht in den Erwartungen und Gewohnheiten seiner Umgebung aufgeht, wie auch der professionellste Kommunikator an der Mediengesellschaft scheitert, bloß wenn er nicht auf den Luxus einer eigenen Identität verzichten will. Dies wäre in der Tat ein gutes Thema.
Doch leider unterhält sich der im Parteienbetrieb fremd bleibende Ethnologe sogar mit seinem halbarabischen Pflegesohn so, als läsen sie sich gegenseitig Leitartikel vor, und auch die Zeichnung der einsamen Ehefrau Christine bleibt im Plakativen stecken. Der Held selbst wird vor allem durch sein Arbeitszimmer charakterisiert, in dem Stapel englisch- und französischsprachiger Zeitungen auf dem Buchenholz-Schreibtisch liegen und an der Wand Fotos von Willy Brandt (Kniefall in Warschau), Camus und Foucault hängen sowie natürlich Reproduktionen von Rothko und Yves Klein. Gewagt ist in diesem risikoscheuen Buch nur das ein oder andere Bild. "Die marmorne Hand eines späten Septembernachmittags strich über den zitternden Nacken der Stadt", heißt es über London, und ein andermal "blutete" das Licht einer Ampel aufs Auto.
Nicht einmal der Plot selbst geht auf. Dem Spitzenkandidaten wird zum Verhängnis, daß er in der Straßenbahn einen jugendlichen, antisemitische Parolen brüllenden Rüpel arabischer Abstammung niederschlägt. Wegen seiner uneingestandenen jüdischen Identität fühlt sich der Politiker befangen und sagt öffentlich, der Junge sei bloß ein Taschendieb gewesen, worauf er allgemein als Vorbild für Zivilcourage gefeiert wird. Als später die Wahrheit herauskommt, muß er seinen Hut nehmen. Diese Geschichte ist durchaus unplausibel: Schon weshalb sich Müller bemüßigt fühlt, sein Judentum zu verdrängen, wird nicht verständlich, weshalb ihm aber die Öffentlichkeit ihren Beistand versagen soll, wenn das herauskommt und er sich gegen Antisemitismus zur Wehr setzt, bleibt im dunkeln.
Dicht wird die Schilderung nur dort, wo es um ethnische Spannungen im Dresdner Vorort oder Berliner Wedding geht. "Besser, sie hauen sich im Sport die Rübe ein als im Häuserkampf", sagt einmal einer beim Bier, während draußen Türken und Deutsche nach einem Fußballspiel aufeinander losgehen. Aber der Spitzenkandidat verbessert den Freund: "Beides, Günter, sie machen beides. Und irgendwie hängt man in diesem Kampf immer mit drin." Das ist das Thema, es geht um den einzelnen im globalen Kulturkampf, aber leider erfährt man darüber aus diesem Roman nichts Neues.
Michael Schindhelm: "Die Herausforderung". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 316 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gut, autobiografischer ist Michael Schindhelms Roman diesmal nicht, aber Rezensent Mark Siemons ist dennoch unzufrieden. Was genau interessiert den Autor eigentlich an seinem Helden, einem Ethnologen, der erst im Nahen Osten forscht und dann im deutschen Osten Parteikarriere macht, fragt sich der Kritiker. Aber nichts von alledem scheine Schindhelm wirklich zu interessieren, wundert sich Siemons, der das furchtbar hölzern geschildert findet. Eine Vermutung hat er dennoch, was Schindhelm gerade zu dieser Geschichte veranlasst haben könnte: sein Protagonist ist nämlich jüdischer Herkunft, was er vor seiner Umwelt geheim hält und ihn später in der Parteikarriere behindert. Wenig plausibel, findet Siemons. Die Tatsache, dass Schindhelm jahrelang seine Verpflichtungserklärung bei der Stasi verschwiegen hat, hätte mehr hergegeben, denkt sich der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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