Einen Zaun zu bauen ist eigentlich eine simple Angelegenheit: Man gräbt Löcher in die Erde, setzt einen Pfahl hinein und dann noch einen und noch einen, dann spannt man Drähte dazwischen usw. Hat man es allerdings mit Zaunbauern wie Tam und Richie zu tun, wortkargen Heavy-Metal-Fans, die immer im Doppelpack auftreten und sich nur widerwillig von Schottland nach England versetzen lassen, dann wird so ein Zaunbau zu einer bizarren Unternehmung. Die englische Landschaft ist gnadenlos trist, das Glück besteht in ereignislosen Kneipenbesuchen am Abend. Ungeschicklichkeiten führen zu Unfällen mit tödlichen Folgen für diverse Auftraggeber - aber aufs Vergraben sind die beiden ja spezialisiert. Lakonik ist der herrschende Tonfall bei Mills. Die merkwürdigen Geschäftspraktiken der Hall-Brüder, in deren Zaunbau-Territorium die beiden Schotten samt ihrem englischen Vorarbeiter nichts ahnend eingedrungen sind, schweben als immer düsterer werdende Bedrohung über der Sache. Magnus Mills hat einen Blick für das Skurrile, das im Alltäglichen steckt, und versteht es, den Umschlag ins Absurde nur allzu logisch erscheinen zu lassen: Dienen die besonders hohen Elektrozäune am Ende dazu, nicht Tiere, sondern Menschen einzupferchen? Werden Tam und Richie in der Wurstfabrik der Gebrüder Hall der gerechten Strafe für ihre vertuschten Morde überführt?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Weit hinaus
Magnus Mills erkennt die Welt beim Zäunebauen
Arbeit ist in Deutschland von jeher eine ernste Sache gewesen. Bei ihrer literarischen Darstellung gab es schon bei Arno Holz und Gerhart Hauptmann nichts zu lachen, geschweige denn im Wiederaufbau zwischen Dortmund und Bitterfeld. Anders in Großbritannien, wo die Arbeit bekanntlich nicht erfunden wurde, weshalb auch die Arbeiterliteratur eine Tradition des komischen Naturalismus herausgebildet hat. Seit den Umwälzungen der Thatcher-Ära wird solcher Humor zunehmend diabolisch instrumentiert. So hat zum Beispiel Jeff Torrington 1998 in "Blechinferno" den grotesken Abgesang auf die alte Bandarbeit intoniert. In dem Roman wird die Welt der entfremdeten Arbeit minutiös in ihrer eigentümlichen Durchtriebenheit und Würde beschrieben und erscheint doch zugleich in chaplinesker Komik, wenn alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Im elektronisch-gentechnischen Zeitalter werden solche Werke langsam zu Denkmälern einer vergangenen Produktionsweise.
Nun hat der ehemalige Zaunbauer Magnus Mills (geb. 1954) sein Metier dokumentiert. In seinem Romandebüt richtet er die Schauplätze so ein, wie es seit Alan Sillitoes "Saturday Night and Sunday Morning" (1958) charakteristisch für das Genre geworden ist: hier die Arbeitswelt und der tägliche Kampf mit der Tücke der Objekte und der Vorgesetzten, dort der Pub, wo man unter Gleichen ist, wenn sich nicht ein paar Mädchen einstellen. Über den Bau von Weidezäunen in ländlichen Gebieten gibt es an sich wenig zu sagen: "Einen Zaun zu bauen ist verhältnismäßig einfach. Zuerst grabt ihr eure Spannpfosten an jedem Ende ein und spannt einen Draht dazwischen. Damit erhaltet ihr eine gerade Linie, an der ihr die zugespitzten Pfosten einschlagen könnt (mit der Spitze nach unten). Danach macht ihr einen Draht nach dem anderen fest und spannt sie dann alle, und fertig ist der Zaun." Bei dieser einfachen Tätigkeit kann allerdings ebenfalls einiges schiefgehen, und das tut es für gewöhnlich auch. Zumal, wenn der Zaunbau-Trupp aus zwei langhaarigen schottischen Heavy-Metal-Fans und einem wenig autoritären englischen Vorarbeiter besteht.
Magnus Mills erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Engländers in einem staubtrockenen Beschreibungsstil, den Katharina Böhmer umstandslos ins Alltagsdeutsche gebracht hat. Passagenweise scheint es, daß dem Leser bei Hunderten von eingeschlagenen Pfosten und etlichen Meilen Draht die Zeit so lang werden soll wie den Zaunbauern in den Bowlands. Allfällige Verrichtungen werden ebenso lakonisch notiert wie die gröbsten Unwahrscheinlichkeiten. Fast unmerklich und ohne jeden Zeigefinger aber verwandelt sich die Geschichte zum Schluß in eine finstere Parabel. Erst dann erkennt man die Kunstfertigkeit des Autors. Die immer schneller und höher zu errichtenden Zäune verwandeln sich in Metaphern des Effizienz-Drucks, durch den der abhängigen Arbeit der ehrwürdige britische Pfusch und mit den zahlreichen Tee- und Zigarettenpausen der letzte Rest von Zeitsouveränität ausgetrieben werden soll. Angesichts des sich zum Zwangssystem formierenden neoliberalistischen Arbeitslebens werden schließlich sogar die Unterschiede zwischen Schotten und Engländern unwesentlich. Das ist der bitterste Kommentar zu Tony Blairs schöner neuer Welt, den das Buch zu bieten hat. (Magnus Mills: "Die Herren der Zäune". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Böhmer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 216 S., geb., 36,- DM.)
FRIEDMAR APEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Magnus Mills erkennt die Welt beim Zäunebauen
Arbeit ist in Deutschland von jeher eine ernste Sache gewesen. Bei ihrer literarischen Darstellung gab es schon bei Arno Holz und Gerhart Hauptmann nichts zu lachen, geschweige denn im Wiederaufbau zwischen Dortmund und Bitterfeld. Anders in Großbritannien, wo die Arbeit bekanntlich nicht erfunden wurde, weshalb auch die Arbeiterliteratur eine Tradition des komischen Naturalismus herausgebildet hat. Seit den Umwälzungen der Thatcher-Ära wird solcher Humor zunehmend diabolisch instrumentiert. So hat zum Beispiel Jeff Torrington 1998 in "Blechinferno" den grotesken Abgesang auf die alte Bandarbeit intoniert. In dem Roman wird die Welt der entfremdeten Arbeit minutiös in ihrer eigentümlichen Durchtriebenheit und Würde beschrieben und erscheint doch zugleich in chaplinesker Komik, wenn alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Im elektronisch-gentechnischen Zeitalter werden solche Werke langsam zu Denkmälern einer vergangenen Produktionsweise.
Nun hat der ehemalige Zaunbauer Magnus Mills (geb. 1954) sein Metier dokumentiert. In seinem Romandebüt richtet er die Schauplätze so ein, wie es seit Alan Sillitoes "Saturday Night and Sunday Morning" (1958) charakteristisch für das Genre geworden ist: hier die Arbeitswelt und der tägliche Kampf mit der Tücke der Objekte und der Vorgesetzten, dort der Pub, wo man unter Gleichen ist, wenn sich nicht ein paar Mädchen einstellen. Über den Bau von Weidezäunen in ländlichen Gebieten gibt es an sich wenig zu sagen: "Einen Zaun zu bauen ist verhältnismäßig einfach. Zuerst grabt ihr eure Spannpfosten an jedem Ende ein und spannt einen Draht dazwischen. Damit erhaltet ihr eine gerade Linie, an der ihr die zugespitzten Pfosten einschlagen könnt (mit der Spitze nach unten). Danach macht ihr einen Draht nach dem anderen fest und spannt sie dann alle, und fertig ist der Zaun." Bei dieser einfachen Tätigkeit kann allerdings ebenfalls einiges schiefgehen, und das tut es für gewöhnlich auch. Zumal, wenn der Zaunbau-Trupp aus zwei langhaarigen schottischen Heavy-Metal-Fans und einem wenig autoritären englischen Vorarbeiter besteht.
Magnus Mills erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Engländers in einem staubtrockenen Beschreibungsstil, den Katharina Böhmer umstandslos ins Alltagsdeutsche gebracht hat. Passagenweise scheint es, daß dem Leser bei Hunderten von eingeschlagenen Pfosten und etlichen Meilen Draht die Zeit so lang werden soll wie den Zaunbauern in den Bowlands. Allfällige Verrichtungen werden ebenso lakonisch notiert wie die gröbsten Unwahrscheinlichkeiten. Fast unmerklich und ohne jeden Zeigefinger aber verwandelt sich die Geschichte zum Schluß in eine finstere Parabel. Erst dann erkennt man die Kunstfertigkeit des Autors. Die immer schneller und höher zu errichtenden Zäune verwandeln sich in Metaphern des Effizienz-Drucks, durch den der abhängigen Arbeit der ehrwürdige britische Pfusch und mit den zahlreichen Tee- und Zigarettenpausen der letzte Rest von Zeitsouveränität ausgetrieben werden soll. Angesichts des sich zum Zwangssystem formierenden neoliberalistischen Arbeitslebens werden schließlich sogar die Unterschiede zwischen Schotten und Engländern unwesentlich. Das ist der bitterste Kommentar zu Tony Blairs schöner neuer Welt, den das Buch zu bieten hat. (Magnus Mills: "Die Herren der Zäune". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Böhmer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 216 S., geb., 36,- DM.)
FRIEDMAR APEL
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