Als die New Yorkerin Helene Hanff Anfang der siebziger Jahre nach London kommt, um ihr Buch 84, "Charing Cross Road" vorzustellen, geht für sie ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Die Schriftstellerin ist überwältigt von der Weltstadt, die sie nur aus Büchern und aus den Beschreibungen ihres langjährigen Brieffreundes, des Antiquars Frank Doel, kennt. Noch überwältigter ist sie jedoch von ihren englischen Fans. Für einige Wochen wird die unscheinbare, bescheidene New Yorkerin zum gefeierten Star. Zwar tritt sie zuweilen treffsicher in die unterschiedlichsten Fettnäpfe, macht mit ihrem unvergleichlichen Charme aber alles wieder wett. Im Land von Shakespeare, Dickens, John Donne und anderen ihrer geliebten Literaten wird sie - wenn auch nur vorübergehend - zur Herzogin geadelt. Hanffs scharfsinniges und selbstironsisches Tagebuch ist eine hinreißende Liebeserklärung an London und Englands brillante Köpfe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2003Goldstern auf der Stirn
Die Eroberin Englands: Helene Hanffs Londoner Tagebuch
Es mag Menschen geben, die bei ihrer ersten London-Reise außer sich sind vor Aufregung. Niemand aber wird wohl je von sich behaupten können, aufgeregter gewesen zu sein als Helene Hanff. In ihrem Fall waren natürlich Bücher schuld - die vielen, die sie gelesen, und das eine, das sie gerade veröffentlicht hatte. Denn die New Yorker Schriftstellerin, die bei ihrer Ankunft in Heathrow fünfundfünfzig Jahre alt ist, hatte schon nicht mehr damit gerechnet, England je zu Gesicht zu bekommen. Ihr fehlten das Geld und ein wenig auch der Mut. Was, wenn London, Hauptstadt ihres literarischen Arkadiens, sich als entzauberter, banaler Ort erwiese? Mit tausend praktischen Bedenken hält sie die uneingestandene Angst in Schach. Und sie legt sich für den Notfall einen unfehlbaren Plan zurecht: "Ich würde am Flughafen sitzen bleiben, bis das nächste Flugzeug nach New York ging, und wieder nach Hause fliegen."
Helene Hanff war sich nicht bewußt, daß sie die schwierigste Prüfung längst bestanden hatte: Im Jahr zuvor war ihr Buch "84, Charing Cross Road" herausgekommen. Und so, wie ihr im Laufe des jahrelangen Briefwechsels mit der Londoner Buchhandlung Marks & Co. die Herzen aller Mitarbeiter zugeflogen waren, eroberte sie mit der Veröffentlichung dieser Korrespondenz das Publikum. Der Band, seit seinem Erscheinen 1970 ein Klassiker der englischsprachigen Literatur, liegt seit dem vergangenen Jahr erstmals in deutscher Übersetzung vor und wurde jubelnd begrüßt (F.A.Z. vom 19. April 2002). Nun legt der Verlag nach und präsentiert "Die Herzogin der Bloomsbury Street", Helene Hanffs Tagebuch ihres sechswöchigen London-Aufenthalts im Sommer 1971.
Die Eintragungen bestechen durch ihren geistvollen, selbstironisch-schnoddrigen Tonfall, ihren geradezu britischen Sinn für Komik und den Blick für das Wesentliche. Helene Hanffs Schilderungen besitzen jene rare Qualität des Unmittelbaren, die den Leser trotz des Zeitsprungs von dreißig Jahren meinen läßt, er sei dabeigewesen. Doch eine gewisse Grundskepsis ist Voraussetzung, will man mit Haut und Haaren mitgerissen werden. Denn obwohl das Duschen im Hotel einem Zweikampf ähnelt, es draußen erst einmal obligatorisch regnet, sie gegen ihren Willen andauernd fotografiert und am Ende sogar gemalt wird, ist die Reise ein Triumph. Mit langatmigen Beschreibungen von Orten, die sie begeistern - Nash Crescent, Hampstead Heath, Russell Square -, hält sie sich nicht auf. Helene Hanff ist auf Liebe eingestellt, und grundsätzlich ist nichts zu gering, um ihr Interesse zu wecken: Verbotsschilder im Park, Busschaffner, Schaufensterauslagen. Aber erst unter Führung des Alt-Etonians Pat Buckley entdeckt sie jenes London, nach dem sie sich - mit einem Gefühl "wie Heimweh" - über all die Jahre gesehnt hatte. Er führt sie in Shakespeares Pub, in das Viertel von Dickens, nach St. Paul's Cathedral, Wirkungsort des von ihr verehrten John Donne. Ihre Termine absolviert sie mit amüsierter Grazie und ist gerührt von der Begeisterung, die sie überall empfängt: Es ist, "als hätte Gott sich aus dem Himmel heruntergebeugt und mir einen goldenen Stern auf die Stirn geklebt". Leser schreiben mit der Bitte, sie einladen zu dürfen - als der Verlag abwimmelt, ist sie empört: "Ich stehe als Essensgast jederzeit zur Verfügung. Bitte geben Sie meine Adresse freizügig weiter."
Die Briefe zwischen Helene Hanff und dem Antiquar Frank Doel leben von der Gegensätzlichkeit der beiden Korrespondenten, doch bleiben vor allem ihre temperamentvollen Zeilen im Gedächtnis. Gehörte schon "84, Charing Cross Road" zu jenen entzückenden Büchern, die man all seinen Freunden schenken möchte, so schließt sich nun "Die Herzogin der Bloomsbury Street" nahtlos an.
Helene Hanff: "Die Herzogin der Bloomsbury Street". Eine Amerikanerin in London. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Rainer Moritz. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2003. 208 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Eroberin Englands: Helene Hanffs Londoner Tagebuch
Es mag Menschen geben, die bei ihrer ersten London-Reise außer sich sind vor Aufregung. Niemand aber wird wohl je von sich behaupten können, aufgeregter gewesen zu sein als Helene Hanff. In ihrem Fall waren natürlich Bücher schuld - die vielen, die sie gelesen, und das eine, das sie gerade veröffentlicht hatte. Denn die New Yorker Schriftstellerin, die bei ihrer Ankunft in Heathrow fünfundfünfzig Jahre alt ist, hatte schon nicht mehr damit gerechnet, England je zu Gesicht zu bekommen. Ihr fehlten das Geld und ein wenig auch der Mut. Was, wenn London, Hauptstadt ihres literarischen Arkadiens, sich als entzauberter, banaler Ort erwiese? Mit tausend praktischen Bedenken hält sie die uneingestandene Angst in Schach. Und sie legt sich für den Notfall einen unfehlbaren Plan zurecht: "Ich würde am Flughafen sitzen bleiben, bis das nächste Flugzeug nach New York ging, und wieder nach Hause fliegen."
Helene Hanff war sich nicht bewußt, daß sie die schwierigste Prüfung längst bestanden hatte: Im Jahr zuvor war ihr Buch "84, Charing Cross Road" herausgekommen. Und so, wie ihr im Laufe des jahrelangen Briefwechsels mit der Londoner Buchhandlung Marks & Co. die Herzen aller Mitarbeiter zugeflogen waren, eroberte sie mit der Veröffentlichung dieser Korrespondenz das Publikum. Der Band, seit seinem Erscheinen 1970 ein Klassiker der englischsprachigen Literatur, liegt seit dem vergangenen Jahr erstmals in deutscher Übersetzung vor und wurde jubelnd begrüßt (F.A.Z. vom 19. April 2002). Nun legt der Verlag nach und präsentiert "Die Herzogin der Bloomsbury Street", Helene Hanffs Tagebuch ihres sechswöchigen London-Aufenthalts im Sommer 1971.
Die Eintragungen bestechen durch ihren geistvollen, selbstironisch-schnoddrigen Tonfall, ihren geradezu britischen Sinn für Komik und den Blick für das Wesentliche. Helene Hanffs Schilderungen besitzen jene rare Qualität des Unmittelbaren, die den Leser trotz des Zeitsprungs von dreißig Jahren meinen läßt, er sei dabeigewesen. Doch eine gewisse Grundskepsis ist Voraussetzung, will man mit Haut und Haaren mitgerissen werden. Denn obwohl das Duschen im Hotel einem Zweikampf ähnelt, es draußen erst einmal obligatorisch regnet, sie gegen ihren Willen andauernd fotografiert und am Ende sogar gemalt wird, ist die Reise ein Triumph. Mit langatmigen Beschreibungen von Orten, die sie begeistern - Nash Crescent, Hampstead Heath, Russell Square -, hält sie sich nicht auf. Helene Hanff ist auf Liebe eingestellt, und grundsätzlich ist nichts zu gering, um ihr Interesse zu wecken: Verbotsschilder im Park, Busschaffner, Schaufensterauslagen. Aber erst unter Führung des Alt-Etonians Pat Buckley entdeckt sie jenes London, nach dem sie sich - mit einem Gefühl "wie Heimweh" - über all die Jahre gesehnt hatte. Er führt sie in Shakespeares Pub, in das Viertel von Dickens, nach St. Paul's Cathedral, Wirkungsort des von ihr verehrten John Donne. Ihre Termine absolviert sie mit amüsierter Grazie und ist gerührt von der Begeisterung, die sie überall empfängt: Es ist, "als hätte Gott sich aus dem Himmel heruntergebeugt und mir einen goldenen Stern auf die Stirn geklebt". Leser schreiben mit der Bitte, sie einladen zu dürfen - als der Verlag abwimmelt, ist sie empört: "Ich stehe als Essensgast jederzeit zur Verfügung. Bitte geben Sie meine Adresse freizügig weiter."
Die Briefe zwischen Helene Hanff und dem Antiquar Frank Doel leben von der Gegensätzlichkeit der beiden Korrespondenten, doch bleiben vor allem ihre temperamentvollen Zeilen im Gedächtnis. Gehörte schon "84, Charing Cross Road" zu jenen entzückenden Büchern, die man all seinen Freunden schenken möchte, so schließt sich nun "Die Herzogin der Bloomsbury Street" nahtlos an.
Helene Hanff: "Die Herzogin der Bloomsbury Street". Eine Amerikanerin in London. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Rainer Moritz. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2003. 208 S., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Dieses Tagebuch hat Rezensentin Felicitas von Lovenberg durch seinen "geistvollen, selbstironisch-schnoddrigen Tonfall" begeistert, sowie den geradezu "britischen Sinn für Komik", mit dem die New Yorker Schriftstellerin einen sechswöchigen Londonaufenthalt im Sommer 1971 beschreibt. Bedeutsam ist an dieser Reise auch, lesen wir, dass London Helene Hanffs "literarisches Arkadien" und Schauplatz vieler ihrer Bücher war und die damals Fünfundfünfzigjährige hier erstmalig mit der realen Stadt in Berührung kam. Die Rezensentin freut sich an den kurzweiligen Darstellungen der Autorin, in denen beispielsweise das Duschen im Hotel einem Zweikampf ähnelt. Und sie freut sich mit ihr, dass die Reise am Ende "ein Triumph" wird, und sie unter der Führung eines "Alt-Etonians" jenes London entdeckt, nach dem sie sich schon immer sehnte.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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