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Mit Hilfe aktuellster Forschungsergebnisse zeigt Robin Briggs, einer der anerkanntesten englischen Historiker, wie stark soziales Umfeld und psychologische Phänomene für die Entstehung des Hexenwahns verantwortlich waren. Er überrascht nicht nur die Fachwelt mit einer oft völlig neuen Sicht der Zusammenhänge.

Produktbeschreibung
Mit Hilfe aktuellster Forschungsergebnisse zeigt Robin Briggs, einer der anerkanntesten englischen Historiker, wie stark soziales Umfeld und psychologische Phänomene für die Entstehung des Hexenwahns verantwortlich waren. Er überrascht nicht nur die Fachwelt mit einer oft völlig neuen Sicht der Zusammenhänge.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1999

Hexerei ist machbar, Frau Nachbar
Am Menschenjägerzaun: Die Hexenverfolgungen begannen auf dem Dorfe

Der Titel der deutschen Übersetzung verrätselt das Thema des Buches, welches im englischen Original präzise "Witches and Neighbours" hieß. Die "Hexenmacher" waren entgegen der überkommenen Meinung nicht die berühmten frauenfeindlichen Inquisitoren, geldgierigen Juristen und machthungrigen Fürsten, die es natürlich alle gegeben hat, waren nicht mächtige Institutionen wie Kirche und Staat, sondern es waren in der Regel die lieben Nachbarn, Männer wie Frauen. In Anlehnung an den berühmten Titel eines Buches, das sich mit den Greueln deutscher Einsatzkommandos in Osteuropa auseinandersetzt und zeigt, dass die Mörder meist nicht ideologisch fanatisierte Nationalsozialisten waren, sondern "ganz normale Männer", zu deren Verbrechen obrigkeitliche Protektion, Gruppendynamik und Abgestumpftheit beitrugen, könnte man hier sagen: Es waren ganz normale Nachbarn, die ihrem Hass und ihrer Angst in zeittypischer Form Luft machten. Gegenstand des Buches von Robin Briggs ist daher die Frage, woher sich die mörderischen Ängste und der tödliche Hass dieser Menschen speisten.

Der Autor, der vornehmlich über französische Geschichte arbeitet und momentan zu den interessantesten englischen Historikern gehört, hat in diesem Buch den Forschungstrend der vergangenen Jahre zusammengefasst. Ausgehend von der Sozialanthropologie Edgar Evan Evans-Pritchards, hatten Oxforder Historiker um Keith Thomas seit etwa 1970 festgestellt, dass sich die Mechanismen der Zuschreibung von Hexerei im frühneuzeitlichen England nicht allzu sehr von denen im zeitgenössischen Afrika unterschieden. Ihrer These, dass sich England damit vom verfolgungswütigen Kontinent unterschieden habe, wurde im Laufe der achtziger Jahre die Grundlage entzogen. Für alle europäischen Regionen zwischen Island und Sizilien konnte mit Hilfe von Mikro- und Regionalstudien nachgewiesen werden, dass der Anstoß zu Hexenverfolgungen "von unten" gekommen ist.

Die päpstliche Inquisition hat, wie auch die berüchtigte spanische Inquisition, Hexenverfolgungen von Anfang an be- und seit 1600 sogar ganz verhindert. Wo Hexerei nach dem weltlichen Strafrecht verfolgt wurde, hing das Schicksal der Betroffenen davon ab, ob die Gerichte den Pressionen der Straße ausgesetzt oder - wie in Frankreich, den Niederlanden, der Kurpfalz, Kursachsen oder Kurbayern - davor geschützt waren. Es waren die schwachen und kleineren Staaten, geistliche Territorien wie Kurköln, Kurmainz oder Kurtrier, in denen die Hexenverfolgungen exzessive Züge angenommen hatten. Speziell für das Herzogtum Lothringen, wo dies dem berüchtigten Verfasser der "Daemonolatria", Nicolas Rémy, zugeschrieben worden ist, zeigt Briggs als Kenner der Quellen, dass auch hier nicht der Procureur générale, sondern die Nachbarn die "Hexenmacher" waren.

Briggs gelingt dank zahlloser Beispiele aus Lothringen, anderen europäischen Ländern und den englischen Kolonien eine alltagsgeschichtliche Rekonstruktion des Hexenglaubens und der Hexenprozesse aus der Sicht der Zeitgenossen. Der Hexenglaube wird richtig als Bestandteil eines religiösen Glaubenssystems charakterisiert, das ständig mit dem Eingreifen personaler metaphysischer Mächte in den Ablauf des materiellen Lebens rechnete. Umweltveränderungen, wie sie im Zusammenhang mit der "Kleinen Eiszeit" auftraten, aber auch anders motivierte Krisen sozialer, wirtschaftlicher oder demographischer Natur konnten stets auf das Wirken böser Geister zurückgeführt werden. Solange Kirche oder Staat (inklusive Justizsystem) Hexenverfolgungen ablehnten, blieben die Hexereiverdächtigungen - wie etwa in den meisten heutigen Gesellschaften - im privaten Bereich verborgen und wurden durch Verhandlungen, kirchlichen Trost oder Gegenzauber bewältigt. Es ist das größte Verdienst des Buches, dass es diese Mechanismen plausibel erklärt. Eine "Geschichte der Hexenverfolgung in Europa und der Neuen Welt", so der Untertitel der deutschen Übersetzung, also eine in chronologischer Ordnung erzählte Geschichte mit einem Anfang und einem Ende, ergibt sich daraus aber noch nicht. Auch hat Briggs leider von einer gründlichen Auswertung der nichtenglischen und -französischen Literatur abgesehen, gerade im letzten Jahrzehnt ist ein Großteil der wichtigen Studien in deutscher Sprache erschienen. Insofern hat der Verlag gut daran getan, die Übersichtskarten des Originals nicht zu übernehmen, sie wären ohnehin falsch gewesen.

Der ärgerlichste Punkt an diesem Buch ist jedoch die Übersetzung. Über simple Verschreibungen ("Bartolfus" statt "Bartolus von Sassoferato") oder lächerliche Anglizismen ("John Nider"; Kanton Vaud statt Waadt) sollen nicht viele Worte verloren werden. Schwerer wiegt schon, dass der Übersetzer über die Nuancen des Ausdrucks in einem stilistisch ausgefeilten Buch wie mit dem Rasenmäher hinweggeht. Und indiskutabel wird es, wenn durch Fehlübersetzungen ("In many areas"/"in manchen Gegenden", "elsewhere in Europe"/"überall in Europa"), unmotivierte Auslassungen ("belief system"/"System") oder Ergänzungen ("world of peasant feuds"/"Welt uralter bäuerlicher Fehden") fortwährend unautorisierte Akzentverschiebungen stattfinden. Ins Mark getroffen wird der Originaltext schließlich mit der Missachtung der Fachterminologie, etwa bei der Diskussion von Siedlungsform, Wirtschaftsweise und Erbrecht. "Witch-doctor", der für dieses Buch zentrale Begriff, kann weder mit einem hausbackenen "Zauberdoktor" noch mit einem sensationsheischenden "Hexenjäger" übersetzt werden. "Kurfürstliche Erzbistümer" hat es nie gegeben, da die Grenzen der geistlichen Territorien nie mit denen der Diözesen identisch waren.

Wo der Autor in gelehrter Präzision, wenn auch der Lesbarkeit zuliebe in nonchalanter Beiläufigkeit, methodische Fragen diskutiert, vermag der deutsche Text nur den Eindruck purer Geschwätzigkeit zu erwecken. Aus "popular and elite conceptions of witchcraft", deren Zusammenspiel Briggs in wahrnehmungsgeschichtlicher Absicht untersucht, wird in dieser Übersetzung schlicht "populäre und elitäre Hexenfurcht". Aus dem analytischen Begriff "face-to-face community", hinter dem sich ausgedehnte Diskussionen verbergen, werden hier Gemeinden, "in denen die Leute einander täglich sahen". Aufgrund der endlosen Serie von Missverständnissen und Übersetzungsfehlern müssen Studenten auf das englische Original verwiesen werden, das mit seinem Register ohnehin leichter zu benutzen ist. Der des Englischen nicht mächtige Leser bekommt einen Eindruck, worum es in der Sache gehen sollte, das intellektuelle Vergnügen bleibt jedoch auf der Strecke.

WOLFGANG BEHRINGER

Robin Briggs: "Die Hexenmacher". Geschichte der Hexenverfolgung in Europa und der Neuen Welt. Aus dem Englischen von Dirk Muelder. Argon Verlag, Berlin 1998. 560 S., geb., 58,- DM.

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