Produktdetails
  • Fischer Taschenbücher Bd.9171
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch
  • Deutsch
  • Gewicht: 103g
  • ISBN-13: 9783596291717
  • ISBN-10: 3596291712
  • Artikelnr.: 03191334
Autorenporträt
Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt, seit 1978 als freier Schriftsteller. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet und 2012 mit dem Bremerhavener Jeanette-Schocken-Preis für Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.06.2004

Frei schwebend wie ein heiliger Geist
Der Erzähler-Sohn und seine tote Mutter: Péter Esterházys Roman „Die Hilfsverben des Herzens”
Den Lesern Péter Esterhazys, dem soeben der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2004 zugesprochen wurde, ist noch in lebhafter Erinnerung, wie der Autor seinem Vater in der monumentalen „Harmonia Caelestis” (2000), ein enthusiastisches Denkmal setzte. Kaum hatte er das Werk vollendet, erfuhr er, dass sein Vater während des Kommunismus als Spitzel tätig gewesen war. In der Nachschrift „Verbesserte Ausgabe” (2003) passte er sein Vaterbild den neuen historischen Erkenntnissen an. Die vehement geratene Abrechnung brachte Esterhazy, dem Autor in seiner Heimat den Vorwurf der Nestbeschmutzung ein. Nun, da die Wogen sich geglättet haben, legt der Suhrkamp Verlag „Die Hilfsverben des Herzens” neu auf, mit einem Nachwort von Imre Kertész, das Einblick in die zeitgeschichtlichen Hintergründe des Werkes gibt.
In dem schon 1985 erschienenen Buch, das durch die Debatten um seinen Vater zu Unrecht in den Hintergrund geraten ist, hat Esterházy auf etwa 140 Seiten seiner Mutter ein Grabmal errichtet. Der Roman besticht durch seine emotionale Dichte und mitreißende Sprache, vor allem durch die Diskrepanz zwischen der Schwere des Themas und der Leichtfüßigkeit eines Erzählens, das sogar extrem melancholischen Situationen komische Aspekte abzugewinnen vermag. Esterházy hat, so schreibt er im Vorwort, zwei Wochen nach dem Tod seiner Mutter mit der Niederschrift begonnen: „Ich ging hinter dem mit einem Leichentuch aus weißen Spitzen bedeckten braunen Sarg her... und in der Glasscheibe des Leichenwagens sah ich: das Spiegelbild meines Gesichtes, mein unbedecktes Haupt sich in das weiße Grabtuch verwickeln.”
Der Vater erscheint hier als clownesker Tyrann, der gegen den Willen seiner Kinder eine große Trauerfeier organisiert. „In dem Moment, in diesem für uns bedeutenden und würdevollen Augenblick, zog unser Vater ... mit einer unerwarteten und heftigen Bewegung seine Hose hinunter, er stand da in der Unterhose und teilte uns mit, er müsse sich jetzt sogleich auf den Thron des Hauses setzen, die Sache, die groß sei, dulde keinen Aufschub, aber deshalb könne natürlich unser überaus unfruchtbares...Pourparler als kleine Sache weiterrieseln.” Das Frivole und Obszöne bilden einen Gegenpol zur Schwere des Todes, als sei sie für den Ironiker Esterházy anders nicht zu ertragen.
Als die Krankenschwester die Geschwister wie eine „abgestumpfte Verkäuferin” zur Sterbenden hinführt, ist „das Erschreckendste, dass sich unsere Mutter in nichts von ihren Zimmergenossinnen unterschied”. Zugespitzt formuliert: „Es war nichts an ihr, was wir hätten erkennen können.”
Die Verschwommenheit seines Bildes von der sterbenden Mutter reflektiert Esterházy als literarisches Versagen und Mangel an Begabung - zu Unrecht. Denn gerade in diesem Scheitern gelingt es ihm, die Unfassbarkeit des Todes, das schockierend Maskenhafte des Sterbens sinnfällig einzufangen. Jeder Versuch, die Mutter nach ihrem Tod - auch nur kurzzeitig - in die Gegenwart zurückzuholen, gerät zur theatralischen Farce: Die Trauerrede des Kaplans wird zu einer Abfolge von Allgemeinplätzen über das „Leben unserer Brüder und Schwestern”, die Angehörigen fühlen sich während der Trauerfeier wie Schauspieler mit „Haupt- oder Beinahe-Hauptrollen” und zuletzt formieren sich die Gäste zum Todesreigen, bei dem die Krankenschwestern in Miniröcken tanzen.
Nachruf mit Wortspielen
Der Roman ist in drei Sequenzen gegliedert: in der ersten spiegelt sich der Tod in der Hilflosigkeit der Angehörigen. In der zweiten leiht der Erzähler-Sohn der toten Mutter die Stimme. Sie ergreift das Wort, um ihr Leben zu rekapitulieren, doch auf ihre mehrfach verheißene Beschreibung muss der Leser verzichten. Ihre Figur bleibt gespenstisch unfassbar. In der dritten und letzten Sequenz erinnert sich der Erzähler-Sohn an einen seiner letzten Besuche bei der schon vom Sterben und vom Tod gezeichneten Mutter im Krankenhaus. Sie muss ihn plötzlich bitten, sie auf die Toilette zu begleiten.
Als der Sohn diese Situation mit einem Lachen quittiert und auch die Mutter plötzlich mitlachen muss, klagt sie: „Du hast mich gestört, das kommt jetzt nicht mehr raus.” Es folgt der ironische, die Rhetorik der Nachrufe provozierende Kommentar: „Sie nahm ihr Geheimnis mit ins Grab!” Solche vielfach eingestreuten, graphisch abgesetzten Kommentare beinhalten Zitate aus Werken anderer Autoren sowie gelegentliche Selbstzitate. Nicht zuletzt verbinden sie die drei Abschnitte des Textes zu einem vielstimmigen Ganzen.
Der Roman, der von der Unmöglichkeit handelt, einen geliebten Menschen mit Hilfe der Literatur dem Tod zu entreißen, führt am Ende zu seinen beiden heimlichen Hauptfiguren zurück: „Wenn wir irgendein Werk schreiben, wissen wir zu allerletzt, womit eigentlich beginnen: Im Namen des Vaters und des Sohnes -”. Die Mutter bleibt in diesem Roman so frei schwebend wie ein heiliger Geist, obwohl sie doch, verglichen mit der Doppelbödigkeit des Vaters, eine viel eindeutigere Gestalt zu sein scheint.
Hans-Henning Paetzke hat dieses Buch voller Wortspiele, unmarkierter Zitate, politischer und historischer Anspielungen so übersetzt, als habe es sein Autor gleich auf Deutsch geschrieben.
SUSANNE SIMOR
PÉTER ESTERHÁZY: Die Hilfsverben des Herzens. Roman. Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Mit einem Nachwort von Imre Kertész. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Seiten, Euro.
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"Ein Roman, der durch seine emotionale Dichte und mitreißende Sprache besticht." -- Süddeutsche Zeitung