"Ich sprayte mich stark ein. Erst jetzt wurde mir bewußt, was für ein gefährlicher Tag das war. Wenn am Tag der Beerdigung nur die Beerdigung wäre, dann bestünde noch eine Chance, und es könnte nicht vorkommen, daß jemand mit erhobenem Arm und einer Duftwolke unter seiner Achselhöhle zurückglotzt, beweinend seine Ohnmacht, seine scheußliche Einsamkeit, die Unbarmherzigkeit der Menschen, die Umbarmherzigkeit Gottes, das Nicht-Sein Gottes. Die Ausdrücke sind alle zu milde -" Peter Esterhßzy, der zuletzt für seinen Monumentalroman Harmonia Caelestis gerühmt worden ist, beschreibt in dem bereits…mehr
"Ich sprayte mich stark ein. Erst jetzt wurde mir bewußt, was für ein gefährlicher Tag das war. Wenn am Tag der Beerdigung nur die Beerdigung wäre, dann bestünde noch eine Chance, und es könnte nicht vorkommen, daß jemand mit erhobenem Arm und einer Duftwolke unter seiner Achselhöhle zurückglotzt, beweinend seine Ohnmacht, seine scheußliche Einsamkeit, die Unbarmherzigkeit der Menschen, die Umbarmherzigkeit Gottes, das Nicht-Sein Gottes. Die Ausdrücke sind alle zu milde -" Peter Esterhßzy, der zuletzt für seinen Monumentalroman Harmonia Caelestis gerühmt worden ist, beschreibt in dem bereits 1985 erschienenen Roman Die Hilfsverben des Herzens den Tod der Mutter. In dem erwachsenen Sohn löst er Trauer aus, Trauer, die sich nicht "traurig", sondern in einem Sturm widerstreitender Gefühle Luft macht, die alle Erinnerungen, bis zuletzt an die hinfällige Greisin, erschüttern. Ein bewegendes Buch, kein sentimentales. Esterhßzys Blick, auch auf sich selbst, ist von peinlicher Genauigkeit. Jede Zeile seines Berichts verrät den ebenso sprachbesessenen wie -skeptischen Formulierungskünstler.
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Autorenporträt
Hans-Henning Paetzke, geboren 1943 in Leipzig, absolvierte eine Schauspielausbildung, bevor er in Halle, Budapest und Frankfurt am Main klassische Philologie, Germanistik und Psychologie studierte. Seit 1968 ist er freiberuflich als literarischer Übersetzer, Herausgeber und Autor tätig. Hans-Henning Paetzke lebt in Budapest.
Imre Kertész wurde am 9. November 1929 in Budapest geboren. Er stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde Kertész im Juli 1944 als Fünfzehnjähriger nach Auschwitz deportiert und im April 1945 aus dem KZ Buchenwald befreit. 1948 machte er Abitur und fand eine Anstellung als Journalist bei der Tageszeitung Világosság. Diese wurde alsbald zum Parteiorgan der Kommunisten erklärt und er entlassen. Von 1951 bis 1953 leistete er Militärdienst. 1960 begann er mit der Arbeit an seinem Roman Sorstalanság (dt. Mensch ohne Schicksal, 1990; Roman eines Schicksallosen, 1995). Nach jahrelangen erfolglosen Versuchen konnte das Buch 1975 in Ungarn veröffentlicht werden, erfuhr jedoch erst mit der zweiten Auflage 1985 literarische Beachtung. Seinen Lebensunterhalt verdiente Imre Kertész daher hauptsächlich durch seine Arbeit als Übersetzer. Er übertrug unter anderem Werke von Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal, Elias Canetti, Ludwig Wittgenstein, Joseph Roth, Arthur Schnitzler und Tankred Dorst ins Ungarische. Als Sorstalanság 1995 in einer deutschen Neuübersetzung erschien, wurde es als literarisches Ereignis gefeiert und verhalf Imre Kertész zu seinem internationalen Durchbruch. Im Herbst 2002 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Seit 1953 lebt Kertész als freier Schriftsteller in Budapest.
Rezensionen
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit dem knappen Wort "Kompliment" beschließt Martin Meyer seine Besprechung von Peter Esterhazys "Hilfsverben des Herzens", einem frühen Roman des ungarischen Erzählers, der in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Esterhazy, Jahrgang 1950, schrieb dieses Buch im Jahr 1985, schon damals auf der Höhe der Zeit und "von Poesie und Reflexion", so Meyer begeistert; die deutsche Übersetzung wurde überarbeitet und durch ein knappes aber gutes Nachwort von Imre Kertesz ergänzt. Das Buch hat den Tod der Mutter zum Thema, das Esterhazy, schreibt Meyer, mit dem "Pathos des lakonischen Blicks" orchesteriere. Auch an anderer Stelle bezeichnet der Rezensent den Autor als "musikalischen Choreographen", der, oft sprunghaft, dem Fluss oder Stau der Gedanken und Assoziationen folge. Die Leser dürften keinen konventionell gebauten Roman erwarten, beugt Meyer falschen Hoffnungen vor; im Verlaufe des Romans drehe Esterhazy die Geschichte sogar um, lasse die Mutter ins Leben zurückkehren und diese selbst berichten. Die Erinnerung webt ihre eigene Geschichte; wie es in Wirklichkeit gewesen ist, werden wir nicht mehr erfahren, überlegt der Rezensent laut. Aber die Geschichte sei so stark, dass es gar nicht anders gewesen sein könne.