Produktdetails
- Verlag: KLÖPFER UND MEYER
- 1996.
- Seitenzahl: 244
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 434g
- ISBN-13: 9783931402082
- ISBN-10: 3931402088
- Artikelnr.: 08567381
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.1997Erlöser im Dreieck
Knapp davongekommen: Marco Lalli besteigt die "Himmelsleiter"
In Erstlingsromanen geht es in der Regel nicht um Kleinigkeiten. Die ganze Welt muß gestemmt und in Gänze bezweifelt werden. Da kommt das Sujet der Achtundsechziger-Generation gerade recht. Wie es mit ihr beinahe geradewärts in den Abgrund gegangen wäre, schildert der Heidelberger "Sozial- und Umweltpsychologe" Marco Lalli in seiner "Himmelsleiter". Sie führt zu den Wendemarken unserer jüngsten Geschichte, durchschneidet Pathos und Ulk gleichermaßen und läßt den Faden recht seiden erscheinen, an dem unser aller Leben hing. Denn wäre Thomas Heilant, der besonnene Leiter der "Spiegel"-Wissenschaftsredaktion, nicht zur Stelle gewesen - die Welt hätte 1989 nicht nur den Zusammenbruch des sozialistischen Blocks, sondern ihren kompletten Untergang erlebt.
Der künftige Erlöser Heilant lernt in seiner Heidelberger Studentenzeit 1968 den aus der Schweiz stammenden Massimo Altamonte und die Italienerin Alessandra kennen. Eine der damals beliebten Dreierbeziehungen zeichnet sich ab, zugleich ein politisches Dreieck. Altamontes rebellische Energien fließen in fachliche Bahnen: er begründet die "Jünger des Chaos", entwickelt mit komplizierten Pendel-Experimenten den Lorenz-Attraktor und die Chaos-Theorie. Die Gesellschaft dankt es ihm Jahre später mit dem Nobelpreis. Noch medienwirksamer radikalisiert sich Alessandra. Sie führt den Kampf bewaffnet und lehrt als Terroristin Miraio Italien und Deutschland das Fürchten. Im sogenannten "Deutschen Herbst" 1978 wird sie bei einer Schießerei mit der Polizei getötet.
Das nächste Wendedatum gibt dem Dritten im Wissenschaftlerbunde, Thomas Heilant selbst, die Chance. Er entdeckt in einem geschickt inszenierten Entwirrspiel, daß auch Massimo Altamonte das Weltverbessern in den abgeschotteten Labors des europäischen Kernforschungszentrums in Genf auf die Spitze getrieben hat. Mit einem "Vakuum-Blasen-Instanton" will er durch kurzfristige Zufuhr unvorstellbarer Energien die Welt aus ihrem bloß "suboptimalen" Zustand erretten. Den idealen Status würde sie schon selber einnehmen, befreite man sie nur explosionsartig genug aus ihrem energetischen Verharrungszustand.
Absehbar, daß ein böses Ende naht - finanziert mit Forschungsgeldern der Europäischen Union. Absehbar auch, daß Lallis Versuch, den geistigen Zustand der letzten dreißig Jahre Bundesrepublik durch eine intellektuelle Räuberpistole und Wissenschaftsgroteske zu spiegeln, selbst als Vakuum-Blase enden wird - ob mit oder ohne Instanton. In seiner durchaus eleganten Sprache, die originelle Metaphern für psychische Zustände findet, übernimmt sich Lalli am Vorsatz, die Dialektik von Sensibilität und Terror unter den Achtundsechzigern in Krimiform abzuhandeln. So viel Erlöser spuken durch den Roman, daß man die Not nicht erkennt, von der sie zu erretten glauben.
Die Antriebe für die intellektuelle und moralische Empörung dieser Generation kann Lalli nicht vermitteln. So bleibt für die politische Bedingungslosigkeit nur das Skurrile als ästhetische Qualität übrig. Den Spaß beim Lesen stört die Furcht, der Autor habe dies womöglich alles ernst gemeint, zum Glück nur unwesentlich. Denn bevor der wackere Redakteur seinen früheren Freund mitsamt der "Weltuntergangsmaschine" zur Strecke gebracht hat, werden alle Register der Doktor-No-Tradition gezogen. Der Atomphysiker wird, wie er da mit erhobenen Händen und weißem Kittel seine Anlage bedient und an dem alles entscheidenden Hebel spielt, zum "Hohenpriester bei der Ausübung eines kultischen Rituals". Gerade noch im letzten Augenblick dringt 007-Heilant ins Innere des Wissenschaftsschreins vor und schlägt den Frevler mit seinen eigenen Apparaturen.
Es paßt zu dieser unbekümmert hochfliegenden Schmonzette, die der Verlag als "philosophisch, physikalisch, psychologisch und politisch" anpreist, daß sie am Ende wieder herunterkreiselt: es ist ein erotischer Engel, Altamontes und Alessandras Tochter Chloé, von Heilant miterzogen, der wir das Weiterleben verdanken. Sie ist es, die den gefährlichen Vater durchschaut, die richtige Weltrettungsaktion von langer Hand geplant hat und dem Erlöser die Schritte führt. Um ihn präzise lenken zu können, braucht sie des geistigen Vaters Verliebtheit. Selbstverständlich ist sie, das kühle Waisenkind der Revolte, noch anmutiger als ihre schon unerhört anmutige Mutter.
Kaum jedoch ist die Welt gerettet, läßt sie den Heilant wieder sitzen. Der begibt sich für immer ins Nervensanatorium, wo unerlöst die anderen Erlöser ausharren. HARALD JÄHNER
Marco Lalli: "Die Himmelsleiter". Roman. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 1996. 244 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Knapp davongekommen: Marco Lalli besteigt die "Himmelsleiter"
In Erstlingsromanen geht es in der Regel nicht um Kleinigkeiten. Die ganze Welt muß gestemmt und in Gänze bezweifelt werden. Da kommt das Sujet der Achtundsechziger-Generation gerade recht. Wie es mit ihr beinahe geradewärts in den Abgrund gegangen wäre, schildert der Heidelberger "Sozial- und Umweltpsychologe" Marco Lalli in seiner "Himmelsleiter". Sie führt zu den Wendemarken unserer jüngsten Geschichte, durchschneidet Pathos und Ulk gleichermaßen und läßt den Faden recht seiden erscheinen, an dem unser aller Leben hing. Denn wäre Thomas Heilant, der besonnene Leiter der "Spiegel"-Wissenschaftsredaktion, nicht zur Stelle gewesen - die Welt hätte 1989 nicht nur den Zusammenbruch des sozialistischen Blocks, sondern ihren kompletten Untergang erlebt.
Der künftige Erlöser Heilant lernt in seiner Heidelberger Studentenzeit 1968 den aus der Schweiz stammenden Massimo Altamonte und die Italienerin Alessandra kennen. Eine der damals beliebten Dreierbeziehungen zeichnet sich ab, zugleich ein politisches Dreieck. Altamontes rebellische Energien fließen in fachliche Bahnen: er begründet die "Jünger des Chaos", entwickelt mit komplizierten Pendel-Experimenten den Lorenz-Attraktor und die Chaos-Theorie. Die Gesellschaft dankt es ihm Jahre später mit dem Nobelpreis. Noch medienwirksamer radikalisiert sich Alessandra. Sie führt den Kampf bewaffnet und lehrt als Terroristin Miraio Italien und Deutschland das Fürchten. Im sogenannten "Deutschen Herbst" 1978 wird sie bei einer Schießerei mit der Polizei getötet.
Das nächste Wendedatum gibt dem Dritten im Wissenschaftlerbunde, Thomas Heilant selbst, die Chance. Er entdeckt in einem geschickt inszenierten Entwirrspiel, daß auch Massimo Altamonte das Weltverbessern in den abgeschotteten Labors des europäischen Kernforschungszentrums in Genf auf die Spitze getrieben hat. Mit einem "Vakuum-Blasen-Instanton" will er durch kurzfristige Zufuhr unvorstellbarer Energien die Welt aus ihrem bloß "suboptimalen" Zustand erretten. Den idealen Status würde sie schon selber einnehmen, befreite man sie nur explosionsartig genug aus ihrem energetischen Verharrungszustand.
Absehbar, daß ein böses Ende naht - finanziert mit Forschungsgeldern der Europäischen Union. Absehbar auch, daß Lallis Versuch, den geistigen Zustand der letzten dreißig Jahre Bundesrepublik durch eine intellektuelle Räuberpistole und Wissenschaftsgroteske zu spiegeln, selbst als Vakuum-Blase enden wird - ob mit oder ohne Instanton. In seiner durchaus eleganten Sprache, die originelle Metaphern für psychische Zustände findet, übernimmt sich Lalli am Vorsatz, die Dialektik von Sensibilität und Terror unter den Achtundsechzigern in Krimiform abzuhandeln. So viel Erlöser spuken durch den Roman, daß man die Not nicht erkennt, von der sie zu erretten glauben.
Die Antriebe für die intellektuelle und moralische Empörung dieser Generation kann Lalli nicht vermitteln. So bleibt für die politische Bedingungslosigkeit nur das Skurrile als ästhetische Qualität übrig. Den Spaß beim Lesen stört die Furcht, der Autor habe dies womöglich alles ernst gemeint, zum Glück nur unwesentlich. Denn bevor der wackere Redakteur seinen früheren Freund mitsamt der "Weltuntergangsmaschine" zur Strecke gebracht hat, werden alle Register der Doktor-No-Tradition gezogen. Der Atomphysiker wird, wie er da mit erhobenen Händen und weißem Kittel seine Anlage bedient und an dem alles entscheidenden Hebel spielt, zum "Hohenpriester bei der Ausübung eines kultischen Rituals". Gerade noch im letzten Augenblick dringt 007-Heilant ins Innere des Wissenschaftsschreins vor und schlägt den Frevler mit seinen eigenen Apparaturen.
Es paßt zu dieser unbekümmert hochfliegenden Schmonzette, die der Verlag als "philosophisch, physikalisch, psychologisch und politisch" anpreist, daß sie am Ende wieder herunterkreiselt: es ist ein erotischer Engel, Altamontes und Alessandras Tochter Chloé, von Heilant miterzogen, der wir das Weiterleben verdanken. Sie ist es, die den gefährlichen Vater durchschaut, die richtige Weltrettungsaktion von langer Hand geplant hat und dem Erlöser die Schritte führt. Um ihn präzise lenken zu können, braucht sie des geistigen Vaters Verliebtheit. Selbstverständlich ist sie, das kühle Waisenkind der Revolte, noch anmutiger als ihre schon unerhört anmutige Mutter.
Kaum jedoch ist die Welt gerettet, läßt sie den Heilant wieder sitzen. Der begibt sich für immer ins Nervensanatorium, wo unerlöst die anderen Erlöser ausharren. HARALD JÄHNER
Marco Lalli: "Die Himmelsleiter". Roman. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 1996. 244 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main