Auch wenn über den Verzicht neuerdings wieder viel geredet und vor allem viel gestritten wird: Es ist erstaunlich, dass er einen derart schlechten Ruf genießt. In der Geschichte der Ethik und in der Tradition der Religionen spielt der Verzicht dagegen eine ganz erhebliche Rolle. Otfried Höffe nimmt jene bemerkenswerten Defizite daher zum Anlass für eine Reihe von geistesgeschichtlichen Rückblicken, um uns an die Bedeutsamkeit und die historische Vielfalt von Formen und Verständnissen der Selbstbeschränkung zu erinnern.
Vom Verzichten als Mäßigung der Leidenschaften oder als religiöse Askese über die rechtliche Einschränkung der eigenen Freiheit bis hin zur großen Verzichtsaufgabe, die wir im Angesicht von Klimawandel und Artensterben nicht ignorieren dürfen: Otfried Höffes kurze Geschichte des Verzichts zeigt, dass ein gelingendes Leben ohne die hohe Kunst der freiwilligen Selbstbeschränkung nicht auskommen kann. Die Ausflüge in die Philosophiegeschichte sind daher nicht bloß von historischem Interesse. Höffe geht es vielmehr um begriffliche Aufklärung - und um die Formulierung einer kleinen Philosophie des Verzichts: Lässt sich der Begriff rehabilitieren und für das gegenwärtige Denken wieder fruchtbar machen?
Otfried Höffe führt uns durch die fünf großen Verzichtparadigmen der Geistesgeschichte Wir lernen: Ein gelingendes Leben kommt nicht ohne Selbstbeschränkung aus Und: Verzichten fällt nicht schwer, wenn wir es im richtigen Maße tun
Vom Verzichten als Mäßigung der Leidenschaften oder als religiöse Askese über die rechtliche Einschränkung der eigenen Freiheit bis hin zur großen Verzichtsaufgabe, die wir im Angesicht von Klimawandel und Artensterben nicht ignorieren dürfen: Otfried Höffes kurze Geschichte des Verzichts zeigt, dass ein gelingendes Leben ohne die hohe Kunst der freiwilligen Selbstbeschränkung nicht auskommen kann. Die Ausflüge in die Philosophiegeschichte sind daher nicht bloß von historischem Interesse. Höffe geht es vielmehr um begriffliche Aufklärung - und um die Formulierung einer kleinen Philosophie des Verzichts: Lässt sich der Begriff rehabilitieren und für das gegenwärtige Denken wieder fruchtbar machen?
Otfried Höffe führt uns durch die fünf großen Verzichtparadigmen der Geistesgeschichte Wir lernen: Ein gelingendes Leben kommt nicht ohne Selbstbeschränkung aus Und: Verzichten fällt nicht schwer, wenn wir es im richtigen Maße tun
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit seinem Lob des Verzichts liegt der Philosoph Otfried Höffe im Trend, so Rezensent Gustav Seibt. Das Buch des Philosophen beschäftigt sich mit Kulturanalyse einerseits, mit Gedanken zur Lebensweisheit in humanistischer Tradition andererseits, führt der Rezensent aus. Höffes Begriff des Verzichts wäre vielleicht mit Sublimierung besser beschrieben, findet Seibt, weil der Mensch in vielen Fragen keine andere Wahl hat, als zu verzichten, etwa wenn Affekte der Rache aufs Strafrecht umgeleitet werden. Weiterhin moniert Seibt, dass Norbert Elias nicht vorkommt und auch Goethes Entsagung in dieser sonst so gründlich die Geistesgeschichte durcharbeitenden Studie nicht erwähnt wird. Stattdessen fordert Höffe, lernen wir, unter anderem die Presse zum Meinungsverzicht und den Rundfunk zum Gendersprachenverzicht auf; letzteres leuchtet Seibt nicht ganz ein, denn: Verzicht fordern können in diesem Fall beide Seiten. Manchmal kann Verzicht, lernt der Rezensent vom Autor, ein heimlicher Gewinn sein, zum Beispiel, wenn man erkennt, wie wenig man eigentlich braucht. Wobei Seibt ergänzend anmerkt: Die Lebenszeit ist nun einmal beschränkt, jede Wahl, die wir treffen, bedeutet automatisch Verzicht auf Alternativen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2023Fragen des Verzichts
Eine kurze Geschichte der Selbstbeschränkung
Kaum ein Wort hat einen so negativen Beigeschmack wie der Verzicht. Es klingt passiv, hört sich nach aufgeben, resignieren, entsagen an, nicht nach leisten und vollbringen. Dem schlechten Ruf zum Trotz hat Otfried Höffe den Begriff schon im Titel seines neuen Buches "Die hohe Kunst des Verzichts" nobilitiert. Der emeritierte Philosophie-Professor aus Tübingen nimmt die mangelnde Wertschätzung des Verzichts in unserem Alltag zum Anlass für einen Rückblick auf die Vielfalt historischer Selbstbescheidung. Sein Essay mit Seitenblick zu Kapitalismus, Konsumkritik und Finanzpolitik fragt nach dem anthropologischen Kern von Verzicht im menschlichen Wesen und letztlich nach der aktuellen Bedeutung von Selbstbeschränkung unter heutigen Lebensbedingungen.
Höffes Hardcover mit einem symbolträchtigen Olivenzweig neben dem Schriftzug auf dem zartgrünen Deckblatt wirkt in Titel, Umfang und Design wie ein Zwilling seines Erfolgsbuches "Die hohe Kunst des Alterns" mit Verkaufszahlen im unteren fünfstelligen Bereich. Mit bislang 15 Titeln ab 2000 allein in diesem Verlag gilt der Verfasser auch zahlreicher F.A.Z.-Artikel als auflagenstarker Experte für Lebenskunst und Moral, dem schon 2002 der Bayerische Literaturpreis für wissenschaftliche Darstellung die Lesbarkeit seiner Texte bescheinigt hat.
"Verzicht gehört zum Menschsein", sagt Höffe, und das werde über die Grenzen von Kulturen und Epochen hinweg deutlich. Seine Bestandsaufnahme dazu beginnt mit der Welt des Rechts als Terrain für "Freiheitsverzichte um der Freiheit willen", bei denen kaum jemand an Selbstbeschränkungen denke, obwohl sie dort elementar seien. Höffe diskutiert auch den Verzicht auf Privatjustiz und auf Rache im Strafrecht. Als Verzichtsmuster im individuellen Leben skizziert er anschließend die seit der Antike fortwirkende "Tugendtheorie für das Menschsein". Er ist überzeugt, dass Menschsein nicht möglich ist "ohne tiefgreifende Selbsteinschränkungen, die für Tugenden wie Besonnenheit, Tapferkeit und Klugheit unabdingbar sind." Nicht nur in der christlichen Religion mit ihrer Forderung nach Armut, Demut und Keuschheit findet Höffe "Verzichte, die das Menschsein steigern".
Um aktuelle Probleme wie etwa Finanz-, Umwelt-, Energie-, Covid- und Flüchtlingskrise zu bewältigen oder gar den ganzen Planeten zu retten, dabei den Raubbau an der Natur sowie die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, genügen dem Autor allerdings nicht lediglich von der Einzelperson ausgehende Verzichtsmuster. Denn die Menschheit könne die heutigen globalen Verpflichtungen "nur mittels gewaltiger, geradezu gigantischer Verzichte" bewältigen. Humaner Verzicht verlange dabei gleichermaßen persönliche wie kollektive wirtschaftliche, soziale und politische Selbstbeschränkung: "Die Aufforderung ,Du musst Dein Leben ändern' wird die drängenden Aufgaben der Menschheit nur dann bewältigen, wenn sowohl jeder einzelne und jede Gruppe als auch jeder Staat und schließlich die Staatengemeinschaft willens sind, ihr Leben zu ändern."
Auf dem Weg dorthin appelliert Höffe eindringlich, den Verzicht als Maxime zu rehabilitieren und erheblich aufzuwerten. Denn "Verzichte spielen sowohl bei Grundfragen als auch im gewöhnlichen Alltag, nicht zuletzt in aktuellen Krisen eine so gewichtige Rolle, dass weder das häufige Verdrängen von Selbstbeschränkungen noch ihr schlechter Ruf zu verstehen ist". ULLA FÖLSING
Otfried Höffe: Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung, C. H. Beck, München 2023, 192 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine kurze Geschichte der Selbstbeschränkung
Kaum ein Wort hat einen so negativen Beigeschmack wie der Verzicht. Es klingt passiv, hört sich nach aufgeben, resignieren, entsagen an, nicht nach leisten und vollbringen. Dem schlechten Ruf zum Trotz hat Otfried Höffe den Begriff schon im Titel seines neuen Buches "Die hohe Kunst des Verzichts" nobilitiert. Der emeritierte Philosophie-Professor aus Tübingen nimmt die mangelnde Wertschätzung des Verzichts in unserem Alltag zum Anlass für einen Rückblick auf die Vielfalt historischer Selbstbescheidung. Sein Essay mit Seitenblick zu Kapitalismus, Konsumkritik und Finanzpolitik fragt nach dem anthropologischen Kern von Verzicht im menschlichen Wesen und letztlich nach der aktuellen Bedeutung von Selbstbeschränkung unter heutigen Lebensbedingungen.
Höffes Hardcover mit einem symbolträchtigen Olivenzweig neben dem Schriftzug auf dem zartgrünen Deckblatt wirkt in Titel, Umfang und Design wie ein Zwilling seines Erfolgsbuches "Die hohe Kunst des Alterns" mit Verkaufszahlen im unteren fünfstelligen Bereich. Mit bislang 15 Titeln ab 2000 allein in diesem Verlag gilt der Verfasser auch zahlreicher F.A.Z.-Artikel als auflagenstarker Experte für Lebenskunst und Moral, dem schon 2002 der Bayerische Literaturpreis für wissenschaftliche Darstellung die Lesbarkeit seiner Texte bescheinigt hat.
"Verzicht gehört zum Menschsein", sagt Höffe, und das werde über die Grenzen von Kulturen und Epochen hinweg deutlich. Seine Bestandsaufnahme dazu beginnt mit der Welt des Rechts als Terrain für "Freiheitsverzichte um der Freiheit willen", bei denen kaum jemand an Selbstbeschränkungen denke, obwohl sie dort elementar seien. Höffe diskutiert auch den Verzicht auf Privatjustiz und auf Rache im Strafrecht. Als Verzichtsmuster im individuellen Leben skizziert er anschließend die seit der Antike fortwirkende "Tugendtheorie für das Menschsein". Er ist überzeugt, dass Menschsein nicht möglich ist "ohne tiefgreifende Selbsteinschränkungen, die für Tugenden wie Besonnenheit, Tapferkeit und Klugheit unabdingbar sind." Nicht nur in der christlichen Religion mit ihrer Forderung nach Armut, Demut und Keuschheit findet Höffe "Verzichte, die das Menschsein steigern".
Um aktuelle Probleme wie etwa Finanz-, Umwelt-, Energie-, Covid- und Flüchtlingskrise zu bewältigen oder gar den ganzen Planeten zu retten, dabei den Raubbau an der Natur sowie die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, genügen dem Autor allerdings nicht lediglich von der Einzelperson ausgehende Verzichtsmuster. Denn die Menschheit könne die heutigen globalen Verpflichtungen "nur mittels gewaltiger, geradezu gigantischer Verzichte" bewältigen. Humaner Verzicht verlange dabei gleichermaßen persönliche wie kollektive wirtschaftliche, soziale und politische Selbstbeschränkung: "Die Aufforderung ,Du musst Dein Leben ändern' wird die drängenden Aufgaben der Menschheit nur dann bewältigen, wenn sowohl jeder einzelne und jede Gruppe als auch jeder Staat und schließlich die Staatengemeinschaft willens sind, ihr Leben zu ändern."
Auf dem Weg dorthin appelliert Höffe eindringlich, den Verzicht als Maxime zu rehabilitieren und erheblich aufzuwerten. Denn "Verzichte spielen sowohl bei Grundfragen als auch im gewöhnlichen Alltag, nicht zuletzt in aktuellen Krisen eine so gewichtige Rolle, dass weder das häufige Verdrängen von Selbstbeschränkungen noch ihr schlechter Ruf zu verstehen ist". ULLA FÖLSING
Otfried Höffe: Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung, C. H. Beck, München 2023, 192 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Höffe geht das Thema grundsätzlich an, leitet es philosophiegeschichtlich von den Bedingungen ab, denen das menschliche Leben unterworfen ist, und zeigt: Ohne Verzicht geht nichts. Leben heißt verzichten. ... Nicht das letzte Verdienst dieses Buchs liegt darin, zu zeigen, wie schillernd der Begriff ist. Und wie vielfältig die Konzepte, die dahinterstecken können."
Neue Zürcher Zeitung, Thomas Ribi
"Kaum ein Wort hat einen so negativen Beigeschmack wie der Verzicht. ... Dem schlechten Ruf zum Trotz hat Otfried Höffe den Begriff schon im Titel seines neuen Buches nobilitiert."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ulla Fölsing
"Auf die Lektüre dieses klugen Essays sollte man nicht verzichten."
SWR2 Lesenswert, Wolfgang Schneider
Neue Zürcher Zeitung, Thomas Ribi
"Kaum ein Wort hat einen so negativen Beigeschmack wie der Verzicht. ... Dem schlechten Ruf zum Trotz hat Otfried Höffe den Begriff schon im Titel seines neuen Buches nobilitiert."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ulla Fölsing
"Auf die Lektüre dieses klugen Essays sollte man nicht verzichten."
SWR2 Lesenswert, Wolfgang Schneider