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Eine leere Welt, in der tagein, tagaus der Sturm tost. Manchmal verebbt er zu einem sanften Slamino, selten rast er als verheerender Grimmwind übers Land, doch er weht ohne Unterlass, und stets in dieselbe Richtung: von Fernauf nach Fernab. Immer wieder werden speziell ausgebildete Gruppen - genannt »Horden« - losgeschickt, um stromaufwärts gegen den Wind zu gehen, zu »kontern«, immer weiter, bis zu seinem Ursprung, um die alles überschattende Frage zu beantworten: Woher weht der Wind? Und warum? Was ist da oben, in den unwegsamen Gebieten, die »Fernauf« genannt werden? Dreiunddreißig Horden…mehr

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Produktbeschreibung
Eine leere Welt, in der tagein, tagaus der Sturm tost. Manchmal verebbt er zu einem sanften Slamino, selten rast er als verheerender Grimmwind übers Land, doch er weht ohne Unterlass, und stets in dieselbe Richtung: von Fernauf nach Fernab. Immer wieder werden speziell ausgebildete Gruppen - genannt »Horden« - losgeschickt, um stromaufwärts gegen den Wind zu gehen, zu »kontern«, immer weiter, bis zu seinem Ursprung, um die alles überschattende Frage zu beantworten: Woher weht der Wind? Und warum? Was ist da oben, in den unwegsamen Gebieten, die »Fernauf« genannt werden? Dreiunddreißig Horden sind bislang verschollen, umgekommen oder entmutigt am Wegesrand sesshaft geworden. Doch die vierunddreißigste Horde ist fest entschlossen, die letzte zu sein, die Geschichte vom Wind zu Ende zu schreiben. Ob der wahnhafte Furor ihres Anführers Golgoth ihnen dabei Antrieb oder Verhängnis sein wird, ist genauso ungewiss wie das Ergebnis der Berechnungen von Aeromeisterin Oroshi, die den Wind entschlüsseln will wie eine mathematische Formel. Sicher ist nur, dass Sov, der Schreiber, ihre Erlebnisse und Erkenntnisse in seinem Konterbuch festhält, alle Anfänge und Enden dieser Reise, die für fast alle Mitglieder der Horde ein Leben lang dauern wird. Die Gefahren, denen die Horde begegnet, sind physischer wie metaphysischer Natur, der Wind selbst zerrt an der Erzählung, die diesen einzigartigen Roman ausmacht.
Autorenporträt
Alain Damasio, 1969 in Lyon geboren, ist Romancier, Musiker, Klangartist, Entwickler von Videospielen und noch vieles andere mehr. In seinen Romanen, von der Kritik gefeiert, vom Publikum verschlungen, erforscht Damasio die unerschöpflichen Möglichkeiten polyphoner Narrative in einer geradezu physiologischen Bearbeitung der Sprache, die zum Motor der Emanzipation im weitesten Sinne wird. Sein Roman Die Flüchtigen wurde 2019 mit dem Preis Meilleur Livre der Zeitschrift Lire ausgezeichnet. 2020 erhielt Damasio für seinen Roman den Grand Prix de l'Imaginaire. Milena Adam, 1991 in Hamburg geboren, ist Übersetzerin und Dolmetscherin aus dem Französischen und Englischen. Für Matthes & Seitz Berlin übersetzte sie u. a. Sandra Newman, Eileen Myles, Alain Damasio und Cal Flyn. Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In Frankreich hat dieses Buch schon vor zwanzig Jahren Furore gemacht, jetzt freut sich Rezensent Wolfgang Schneider, diesen Roman von Alain Damasio endlich auch auf Deutsch entdecken zu können. Es geht in erster Linie um den "virtuos beschriebenen Wind": auf die Suche nach dessen Ursprung machen sich etliche Horden, was auf der einen Seite höchst surreal daherkommt, auf der anderen aber auch auf Themen wie Klassenkampf, Mythos und Religion integriert, so Schneider. Ihm zufolge lässt sich die von Milena Adam bravourös übersetzte Geschichte sowohl auf poststrukturalistische Theorie hin lesen als auch als Abenteuerroman. Ein "Meisterwerk der Phantastik", ruft er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2024

Mysteriöses Fernstromauf

Was bläst denn da? Ist es der milde Slamino, der trockene Stesch, der wütende Blaast, der eisig beißende Crivetz oder schon der alles zermalmende, die Haut abschmirgelnde Grimmwind? All diese Bezeichnungen kommen im Wetterbericht nicht vor. Dafür wird man beim Lesen dieses Romans bald vertraut mit ihnen. Es ist ein Buch, das so viel Wind macht wie kein anderes Werk der Literaturgeschichte. In Frankreich hat es vor zwanzig Jahren die Bestsellerlisten gestürmt, eine halbe Million Exemplare haben sich verkauft. In Deutschland ist Alain Damasios Epos "Die Horde im Gegenwind" bisher weitgehend unbekannt geblieben, was auch an den Herausforderungen der Übersetzung gelegen haben mag. Nun aber hat der Verlag Matthes & Seitz nach "Die Flüchtigen", dem jüngsten Roman des 1969 in Lyon geborenen Autors, auch dessen frühes Hauptwerk herausgebracht.

In der postapokalyptisch anmutenden Welt ist der virtuos beschriebene Wind das Maß aller Dinge. Er bläst mächtig und unaufhörlich und immer aus einer Richtung. Den Ursprung dieser ebenso destruktiven wie schöpferischen Kraft zu finden - das ist die Mission der Horde, von der der Roman erzählt. Es ist bereits die 34., alle anderen Horden zuvor sind gescheitert, verschollen oder immer noch unterwegs. Es handelt sich bei der Horde um eine hoch spezialisierte Elitetruppe, die in jahrhundertealter Tradition ihr ganzes Leben dem Kontermarsch gegen den Wind gewidmet hat. Denn er dauert Jahrzehnte, der Weg zum mysteriösen "Fernstromauf" jenseits der erkundeten Welt.

Viele Prüfungen, Abenteuer, Versuchungen sind in dieser widrigen Welt zu bestehen. Es gibt endlose Einöden und verwüstete Dörfer, in denen verängstigte Überlebende in zugewehten Brunnen hocken. Aber auch eine phantastische Luft-Stadt wie Alticcio mit ihren schwebenden Plätzen, Windrädern, Kathedralen und Türmen, zwischen denen Äolikopter, Flugräder und Luftbarken herumschwirren. So surreal das anmutet - Alticcio ist von sehr realen Klassenkämpfen bestimmt. Nebenbei: Alain Damasio hat sich auch als Fürsprecher der Gelbwesten-Bewegung einen Namen gemacht.

Halluzinatorisch wird die Begegnung der Horde mit dem Luftschiff der Freolen ausgemalt, einem gewaltigen fünfmastigen Segler, der auf Windströmen und Luftkissen gleitet. In der Mitte des Romans lauert die "Lapsaner Lache", ein tückisches Meer, das die Horde monatelang durchschwimmen und durchwaten muss. Zu seinen vielfältigen Schrecken gehören die "Siphons" - Monsterstrudel mit kreisförmig rasenden Wasserwänden, die Mensch und Materie einsaugen wie ein schwarzes Loch. Edgar Allan Poes "Maelstrom" hat hier literarisch-hydrologische Spuren hinterlassen.

Ständig wechselt die Erzählperspektive. Jedem der 23 Hordenmitglieder ist ein Symbol zugeordnet, das ihn oder sie als Sprecher eines Abschnitts ausweist. Auch durch den Stil werden die unterschiedlichen Erzähler-Charaktere profiliert. Der gedrungene "Spurter" Golgoth, der Böenbrecher an der Spitze der Horde, bevorzugt ein kraftvolles, grobianisches Idiom. Der Fürst Pietro Della Rocca, das Horden-Oberhaupt, neigt zu einer distinguierteren Ausdrucksweise. Der Hordenschreiber Sov Strochnis versteht sich auf die Philosophie des Windes, und die Aeromeisterin Oroshi Melicerte kann Turbulenzen, Anströmwinkel, Wirbelschleppen und Strömungsabrisse lesen wie niemand sonst. Zum Jägerlatein neigt der Luftfischer Larco, der mit seinen fliegenden Fallen die im Wind schwebenden "Medusen" fängt. Witz und Wortspiele sind die Kennzeichen des Horden-Troubadours Caracole. Bei so vielen Typen und Talenten sind Konflikte und Rivalitäten vorprogrammiert.

Zum Kodex der Horde gehört es, keine Fahrzeuge zu verwenden. Nur eine authentische Horde, die zu Fuß mit dem Körper kontert, kann durch die die jahrelangen Strapazen die mentale Stärke entwickeln, auch die letzten Torturen zu ertragen. Die Festigkeit der Tradition ist allerdings gefährdet. Gerüchte irritieren die Horde. Gibt es womöglich gar kein "Fernstromauf", keinen Ursprung des Windes, keinen Anfang von allem? Es heißt, dass weit hinten in Aberlaas, von wo alle Horden einst aufgebrochen sind, die Glorie der Horden schon verblasst sei und kaum noch ein junger Mensch davon träume, Spurter, Hordenschreiber oder Aeromeisterin zu werden. Nicht nur gegen den Wind muss die Horde kämpfen, sondern auch gegen Intrigen. Offenbar haben nicht alle im "großen Hordnungsrat" von Aberlaas ein Interesse daran, dass die Horde ans Ziel kommt.

"Die Horde im Gegenwind" ist ein phantastischer Abenteuerroman, zugleich aber auch ein Spiel mit mythischen und religiösen Narrativen. Mit seiner eigenwilligen Bildwelt gelingt es Damasio, das allergrößte Menschheitsthema neu zu erzählen: die Suche nach dem Anfang und dem Sinn der Welt als Frage nach dem Woher und Warum des Windes. Im Roman entwickeln Gelehrte dafür verschiedene Erklärungen: Ist der Wind aus einer gewaltigen uranfänglichen Explosion entstanden? Kommt er aus dem abgrundtiefen Rachen eines schnarchenden Gottes? Oder verursachen ihn mythische Elefanten mit ihren Riesenohren?

Zum einen inszeniert Damasio eine Heldenreise im Stil mittelalterlicher Epen, als große "Quest", zum anderen unterfüttert er die Handlung mit Nietzsche und poststrukturalistischer Theorie - für diejenigen, die solche Zeichen lesen wollen. Die tiefere Ebene ist in diesem Roman vorhanden, man muss sie aber nicht zu ernst nehmen. Alain Damasio vergnügt sich mit hybrider Wissenschaft, die mit klangvollen Worten phantastische Phänomene veranschaulicht, wie die "Chronosetasche", in der sich der Fluss der Zeit verändert. Er erfindet windenergetische Windbeuteleien und Neologismen wie die "Hordnung" oder die strafwürdige "Deshordination". Sehr zu loben ist die Übersetzung von Milena Adam, die sich Damasios Sprachspielen gewachsen zeigt. Das beweist insbesondere das komische Kapitel über den Dichterwettstreit vor der "Heul'schen Pforte". Der Exarch von Alticcio will der Horde nur Zugang zu diesem Passdurchgang (der nichts anderes als ein mörderischer Windkanal ist) gewähren, wenn der Troubadour der Truppe zuvor gegen den Superdichter der City antritt, den eingebildeten Säulenheiligen Sélème. Bei der kuriosen Reim-Battle könnte der Witz des Originals leicht auf der Strecke bleiben - umso staunenswerter, wie Milena Adam ihn ins Deutsche transferiert.

Es gibt eine mehrbändige Comic-Adaption des Romans vom Zeichner Eric Henninot (die deutsche Ausgabe ist erschienen im Bielefelder Splitter-Verlag), und fast könnte man sagen, dass Damasio mit der wuchtig-opulenten Bildwelt des Romans bereits nach der Dramaturgie eines Comics erzählt hat. Überhaupt liebt er visuelle Spiele. Mit den Symbolen der 23 Horden-Mitglieder wird gelegentlich deren aktuelle Formation im Windkampf abgebildet, und es gibt eine Art Notation des Windes; eher ein Gag ist die rückwärts laufende Seitenzählung.

Die zunehmend dezimierte Horde erreicht schließlich den Supervulkan Kravla, der nicht Lava ausstößt, sondern Wind von solcher Kraft, dass er Lawinen bergauf bläst. Und dazu messerscharfe Glassplitter, wobei auch das Glas nach den eigens für diesen Roman erfundenen Naturgesetzen nichts als hoch komprimierter, hyperdichter Wind ist. Aber nicht nur eine eigene Physik, auch eine Metaphysik entwickelt Damasio in diesem Werk. Ihr zentraler Begriff ist die "Schift", die sich nur unzulänglich umschreiben lässt mit der Seele, dem "Lebenswind", der "Energie" oder "vitalen Potenz" eines Menschen. Jedenfalls etwas, das nach dem Tod weiterwirkt. Je mehr Opfer die Horde zu beklagen hat, desto mehr Schifte begleiten und unterstützen die Übriggebliebenen auf ihrem immer schwierigeren Weg. Es ist eine weitere Dimension des Phantastischen, die die Handlung überwölbt.

Im Finale kulminieren Spiritualität und Action. Das ist bisweilen nicht leicht zu lesen, aber es gibt keinen Strömungsabriss der Spannung - bis zum kleinen, effektvoll-ironischen Schlussakkord. "Die Horde im Gegenwind" ist ein Meisterwerk der Phantastik, eine Lektüre, die bleibenden Eindruck hinterlässt. WOLFGANG SCHNEIDER

Alain Damasio:

"Die Horde im

Gegenwind". Roman.

Aus dem Französischen von Milena Adam.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2024.

720 S., geb., 34,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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