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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • Seitenzahl: 278
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 511g
  • ISBN-13: 9783421054944
  • ISBN-10: 3421054940
  • Artikelnr.: 09521440
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2001

Arbeiten im Reich der Freiheit
Mit ungeheurem Optimismus setzt ein junger Wirtschaftsjournalist auf die Revolution der Wissenden
DETLEF GÜRTLER: Die humane Revolution; Warum Sie in Zukunft an Ihrem Arbeitsplatz tun können, was Sie wollen, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2001. 320 Seiten, 49,80 Mark.
Nichts ist politisch relevanter als die Art und Weise, wie der Mensch seine Arbeit organisiert. Das ist in diesen Zeiten sehr deutlich erkennbar, da das Entmündigungskartell von Parteien und Verbänden seine liebe Not hat, mit halbherzigen Reformprojekten den Veränderungen in der Arbeitswelt hinterherzuhecheln. Aber es wird wohl noch toller kommen; wir befinden uns erst in einer Art Vormärz der humanen Revolution, die, wenn sie zu voller Blüte gelangt, keinen Stein der Trutzburgen des Ancien Régime mehr auf dem anderen lassen dürfte.
„Was ist die humane Revolution? Die humane Revolution ist der Ausgang des arbeitenden Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.” Mit diesen, vom Aufklärer Immanuel Kant entlehnten Worten beginnt Detlef Gürtler sein Buch, um dessen Lektüre keiner herumkommt, der mitreden will in der Debatte um die Zukunft der Arbeit und das Schicksal der „New Economy”.
Der Begriff New Economy ist wohl fürs erste verbrannt und verbraucht mit dem Dotcom-Sterben, der Börsendämmerung jener Jungunternehmen also, die eigentlich nichts anderes repräsentieren als sozusagen die Eisenbahnschwellen- Bauer für die Wissensgesellschaft. So wie die Eisenbahnen einst die Industriegesellschaft erst richtig unter Dampf gesetzt und die Lohnarbeit zur alles beherrschenden Arbeitsform befördert haben, so werden die Möglichkeiten der Informationstechnologien der Selbstbefreiung des Menschen durch das Wissen erst den richtigen Schwung verleihen.
Gürtler bezeichnet die humane Revolution daher als „Kusine der New Economy”. Zwar hält er das unternehmerische Tohuwabohu in den hyperaktiven Start-ups als Vision für eine zukünftige Wirtschaftsweise für wenig brauchbar: „asozial, elitär, unmenschlich.” Aber solche Etikettierungsfragen sind für ihn eher uninteressant, solange die Richtung der Entwicklung eindeutig feststeht: Das Individuum, glaubt er, wird nicht länger eines Teils seiner Einzigartigkeit beraubt werden können, um es mit den gesellschaftlichen Normen kompatibel zu machen – nicht mehr in der Schule, wo ihm ein fester Kanon abfragbaren Wissens eingebläut wird, nicht mehr am Arbeitsplatz, wo es nichts weiter tun soll als die Anordnungen Vorgesetzter auszuführen, und nicht mehr in der Politik, die stets die „anthropologische Überforderung des Menschen” wittert und aus Zweifel an der Reife der Masse alles vorschreiben und regulieren will.
Gigantische Vergeudung
Aber: Der Aufstand des Individuums ist in vollem Gange, und er beginnt in den letzten Horten der Planwirtschaft und des demokratischen Zentralismus, in den Unternehmen. „Noch leisten wir uns eine gigantische Vergeudung von Humankapital, indem wir den meisten Menschen keine andere Chance lassen, als die Aufgabe zu erledigen, die ihr Vorgesetzter für sie vorgesehen hat”, schreibt Gürtler. Aber die Produktivität der Wissensarbeit kann nur dadurch signifikant und dauerhaft erhöht werden, wenn das Potenzial in den Köpfen entfesselt wird, wenn das Humankapital nicht länger durch kleinmütiges Management by Anweisung und Kontrolle an der vollen Entfaltung gehindert wird. Der Arbeitsplatz als Reich der Freiheit, oder, so Gürtler: „Mit dem Manchester-Kapitalismus begann es vor bald 200 Jahren: Das Unternehmen war alles, der Mensch galt nichts. Mit dem Manchester-United- Kapitalismus wird dieses Bild komplett umgedreht: Der Mensch ist alles, das Unternehmen gilt nichts.”
Manchester United? Man könnte, wie Gürtler es tut, auch den FC Bayern (zurzeit erst recht) hernehmen und zeigen, dass die erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen der Zukunft funktionieren werden wie eine Fußballmannschaft: Die Manager als Trainer und Coachs, die keine Kamin- Karrieren im herkömmlichen Sinne mehr machen und obendrein auch weniger verdienen als ihre professionell und individuell geförderten Leistungsträger. Und wie die Elbers, Bobics und Scholls auch werden Arbeitnehmer der Zukunft nicht nur für eine Firma arbeiten, sondern auch für sich selbst und die Steigerung ihres Marktwerts. Kurz: Ein Großkonzern, der sich nicht so organisieren kann wie der FC Bayern, ist vielleicht die längste Zeit Großkonzern gewesen; wer als Status-quo-Bewahrer immer nur rhetorisch zu neuen Ufern aufbricht, wird mehr und mehr zum Spielfeld für mittelmäßige Talente – was sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik gilt.
Die Wissensgesellschaft transformiert und revolutioniert die Industriegesellschaft. Wenn sich der wichtigste Rohstoff der Zukunft in den Köpfen der Menschen befindet, dann stehen die Zeichen der Zeit selbstverständlich in Richtung humane Revolution. Einen der wichtigsten Motoren des Antriebs dieser Revolution nennt Gürtler im Kapitel mit der Überschrift „Der Aufstand der Wunschkinder”. Der spärliche Nachwuchs einer alternden Gesellschaft besteht im wesentlichen aus Einzelkindern, denen von Geburt an die ungeteilte Aufmerksamkeit zweier Erwachsener zuteil wurde. „Diese Kinder sind ihr Leben lang mit dem Gefühl aufgewachsen, etwas Besonderes zu sein. Und sie werden keine Lust haben, dieses Gefühl bei der Arbeit zu missen.” Eben. Und deswegen werden sie auch gar nicht anders können, als an ihrem Arbeitsplatz genau das zu tun, was sie wollen.
DAGMAR DECKSTEIN
Steht die Selbstbefreiung des Menschen durch die Informationstechnologie bevor? Und der Aufstand gegen den Terror gesellschaftlicher Normen?
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So "ungeheuer", wie der Teaser zur Besprechung von Dagmar Deckstein verspricht, ist der Optimismus des Autors dann wohl doch nicht. Die Rezensentin, sagen wir, überschlägt sich wenigstens nicht vor Staunen. Ein bisschen Kant zum Einstieg ("Was ist die humane Revolution?"), beim Autor wie bei Deckstein, gefolgt von der etwas lustlosen Prophezeiung, um dieses Buch werde niemand herumkommen, der mitreden wolle in der Debatte um die Zukunft der Arbeit und das Schicksal der "New Econ..." (gähn), dann, ach ja, die Richtung: sehr optimistisch, doch: "Das Individuum (glaubt der Autor) wird nicht länger eines Teils seiner Einzigartigkeit beraubt werden können, um es mit den gesellschaftlichen Normen kompatibel zu machen ... Der Aufstand des Individuums ist in vollem Gange."

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