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Eine eindringlich erzählte Familiensaga, die einen weiten Bogen spannt von einer behüteten amerikanischen Kindheit bis in die verlorene Heimat der Armenier in der Türkei. Peter Balakian entwickelt aus der sorglosen Gegenwart eines Heranwachsenden die Geschichte seiner Vorfahren, einer reichen und kultivierten Seidenhändlerfamilie, und erinnert an den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.

Produktbeschreibung
Eine eindringlich erzählte Familiensaga, die einen weiten Bogen spannt von einer behüteten amerikanischen Kindheit bis in die verlorene Heimat der Armenier in der Türkei. Peter Balakian entwickelt aus der sorglosen Gegenwart eines Heranwachsenden die Geschichte seiner Vorfahren, einer reichen und kultivierten Seidenhändlerfamilie, und erinnert an den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2000

Den Tod auf dem Rücken
Bis heute ist der Genozid an den Armeniern nicht aufgearbeitet
PETER BALAKIAN: Die Hunde vom Ararat; Eine armenische Kindheit in Amerika; Zsolnay Verlag, Wien 2000. 374 Seiten, 45 Mark.
Dieses Erinnerungsbuch ist der gelungene Versuch einer Rekonstruktion. Aus Andeutungen, Erzählungen, alten Dokumenten sowie Zeitzeugenberichten fügt der US-armenische Lyriker und Literaturwissenschaftler Peter Balakian die Geschichte seiner Familie zusammen. Es ist die Geschichte der Arusjans aus Diyarbakir – reiche, kultivierte Erzeuger, Veredler und Händler von Seide, sowie der Palakjans aus Konstantinopel, einer Familie von Ärzten, Lehrern und Geistlichen.
Das Massaker überleben
Dabei stößt der Autor auf zahlreiche Verbindungen seiner Verwandten mit der Geschichte der Verfolgung und Vernichtung der Armenier im Zeitraum von 1894 bis 1922: So half Tiran Palakjan, der Großvater des Autors, 1909 als Arzt jenen Opfern, die Massaker an 30 000 Armenier in Kilikien überlebt hatten. Die grauenvollen Episoden, die er in Briefen an seine Familie nach Konstantinopel berichtete, regten den Dichter Siamanto zu seinem Lyrikzyklus „Blutige Nachrichten von meinem Freund” an. Siamanto gehörte zu den geistigen Führern, die bei einer Großrazzia im April 1915 in der osmanischen Hauptstadt Konstantinopel verhaftetet und ermordet wurden.
Doch solche Einzelheiten erfährt der Autor erst als junger Erwachsener. Peter Balakian wuchs behütet in New Jersey auf. Seine Familie gehört zu den nicht nur äußerlich angepassten, alles „ethnische” entschieden ablehnenden US-Armeniern. Das Kind Peter nimmt die Kultur des „alten Landes” nur als elitäre Intellektualität sowie als raffinierte, sich deutlich vom amerikanischen Fast Food unterscheidende, zeitaufwendige Kochkunst wahr. Der Völkermord bildet ein Tabu. „Wir können nicht den Friedhof unserer Vorfahren auf dem Rücken herumschleppen”, zitiert Balakians gelehrte frankophile Tante Anna den surrealistischen Dichter Martinetti. Selbst die dem Enkel Peter besonders nahe stehende Großmutter Nafina durchbricht ihr Schweigen nur, als die Japaner Pearl Harbour angreifen und sie die Rückkehr der Türken als Folge des neuen Weltkrieges befürchtet. Eine Eletroschocktherapie beendet den „paranoiden Anfall”.
Erst wenige Jahre vor ihrem Tod deutet Nafina dem Enkel in märchenhaften Erzählungen und bildhaften Erinnerungsschüben Bruchstücke des für sie Unaussprechlichen und Unvergesslichen an: Sie war erst 25, als sie mit ihrem ersten Ehemann und zwei kleinen Töchtern den Todesmarsch in die mesopotamische Wüste antreten musste. Unterwegs wurde ihr Mann Hakop ermordet, sie selbst vergewaltigt. In Aleppo erkrankte die junge Frau, wie so viele Deportierte, an Cholera. Sie überlebt und beantragt als Witwe eines ermordeten Armeniers mit amerikanischem Pass beim US-Außenministerium eine Unterstützung für ihren Schadensersatzanspruch gegen die türkische Regierung: „... denn ich bin ein Mensch und eine Bürgerin der U.S.A., ich stehe unter dem Schutz des menschlichen und internationalen Rechts”.
Armenische Alpträume währen über Generationen, nicht zuletzt deshalb, weil den Opfern und ihren Nachfahren bis heute keine Anerkennung ihrer Leiden zuteil wurde. Sie erfahren, im Gegenteil, die anhaltende Leugnung des Verbrechens durch die türkische Regierung, die Balakian als letzten Akt des Genozids beschreibt, da sie die Existenz der Toten und das Erinnern an das Töten tötet. „Wenn eine Zivilisation ausradiert wird, gibt es eine neue Dunkelheit auf der Erde”, schreibt der Autor in tiefer armenischer Resignation.
Immerhin überwanden US-armenische Enkel die postgenozidale Betäubung ihrer Eltern und Großeltern. Balakians literarisches Credo, durch Dichtung verlorene Dinge zurück ins Leben zu bringen, ist bereits von der Zuversicht Amerikas geprägt, der Zuflucht und Hoffnung vieler verfolgter und gedemütigter Einwanderer.
In den historisch jungen Vereinigten Staaten kommt der Erinnerungsliteratur und dem Entdecken kultureller Wurzeln eine besondere Bedeutung zu. Es ist darum kein Zufall, dass das PEN-Zentrum der USA 1997 mit dem PEN/Martha Albrand Award „für die Kunst des Gedächtnisses” einen eigenen Preis geschaffen hat. Peter Balakian gewann ihn 1998, neben zahlreichen anderen Auszeichnungen.
TESSA HOFFMANN
Die Rezensentin ist Mitarbeiterin am Osteuropa-Institut der FU Berlin.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2001

Durch die Wüste
Spurensuche: Peter Balakian, seine Großmutter und der Völkermord

Peter Balakian, Dichter und Literaturprofessor an einer kleinen amerikanischen Universität, hat unter dem Titel "Die Hunde vom Ararat" ein Buch geschrieben, das er im Untertitel des Originals "eine Erinnerung" nennt. Doch liegt ihm ein Geschehen zugrunde, das der heute Fünfzigjährige gar nicht selbst erlebt hat: der Genozid seiner armenischen Vorfahren durch die Türken vor 85 Jahren. Mehr als 1,2 Millionen Armenier, fast die Hälfte des gesamten Volkes, fielen damals in nur wenigen Monaten einem systematischen Massaker zum Opfer, das als Vorbote der Vernichtung der Juden im Dritten Reich angesehen wird. Bis heute wird dieser Völkermord von der Türkei abgestritten, bis heute existiert kein einziger Hinweis darauf in türkischen Schulbüchern.

Wie es bei vielen Werken anderer Schriftsteller und Künstler armenischer Herkunft bei diesem Thema der Fall ist, hat auch Balakians Buch eine eindeutige Botschaft. Besonders im letzten Kapitel, das auf die gegenwärtige internationale Auseinandersetzung mit dem Völkermord eingeht, fordert er explizit das Eingeständnis des Genozids durch die türkische Regierung.

Doch handelt es sich bei diesem Buch im Kern nicht um eine Anklage- oder Kampfschrift gegen die Türken. Von der ersten Zeile an ist es eine einzige Liebeserklärung an die Person, die die kindliche Wahrnehmung des Autors wie keine andere geprägt hat und ihm unmerklich und wie nebenbei seine ursprüngliche armenische Herkunft vermittelte: seine Großmutter Nafina Aroosien. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die 1915 den Todesmarsch in die syrische Wüste überlebten und fünf Jahre später von Aleppo aus in die Vereinigten Staaten auswanderten, um ein neues Leben als Amerikanerinnen zu beginnen.

Ihr Enkel gehört zur dritten Generation armenischer Einwanderer und ist in zwei Welten aufgewachsen: im boomenden Amerika der fünfziger und sechziger Jahre mit seinen Sport- und Popmusikidolen und in der Geborgenheit einer Familie, die unauffällig ihre armenischen Riten und Bräuche pflegt. Die fremdartig klingende Sprache seiner Großmutter, ihr "Eench, Eench. Eench-eh: Was ist los, was ist denn, bist du okay" - oder die Düfte der armenischen Küche im Haus der Eltern, das alles fasziniert den Jungen von klein auf.

Das Schicksal der Großmutter erfährt er von ihr allerdings nur in Andeutungen, in Geschichten und Parabeln wie etwa in der vom "schwarzen Hund des Schicksals" - es bleibt lange ein Geheimnis. Im Zusammenprall von amerikanischem Fast food und fremdartigen kulinarischen Genüssen, von Baseballhelden und archaischen Namen, von Trivialmythen und scheinbar undeutbaren Parabeln empfindet sich der junge Balakian immer mehr als ein Außenseiter, ohne allerdings seine wahre Herkunft lokalisieren zu können.

Hinzu kommen seine beiden Tanten väterlicherseits, Nona und Anna Balakian, Frauen, die sich in der Welt der Literatur und Kunstwissenschaft einen Namen gemacht haben und bei denen Peter Schriftstellerinnen wie Anais Nin und Erica Jong, Autoren wie William Saroyan und Kurt Vonnegut kennenlernt. Aber auch in diesem intellektuellen Zweig der Familie gibt es ein Thema, über das mit großer Hartnäckigkeit geschwiegen wird: der Völkermord an den Armeniern.

Erst als Balakian 23 Jahre alt ist und sein Geld als Lehrer verdient, hat er ein Schlüsselerlebnis mit weitreichenden Folgen. Am zehnten Todestag seiner geliebten Großmutter Nafina schlägt er die Bitte seiner Mutter aus, zum Gedenkgottesdienst zu kommen. Er verbringt das Wochenende lieber mit einem Mädchen. Gleichwohl quälen ihn Schuldgefühle, aus denen heraus er ein Gedicht an seine Großmutter schreibt. Dieses Schlüsselgedicht, das ziemlich genau in der Mitte des Buches steht, markiert den Übergang der "Reise" und der "Ausgrabungen", wie der Autor seine Suche nach der Vergangenheit nennt, in ein anderes Material und einen anderen Stil.

An den Platz der bilderreich dargebotenen eigenen Erinnerungen treten nun Dokumente und Zeugnisse, die das Schicksal der Armenier beschreiben und bezeugen. Allen voran folgen wir dem Autor beim Lesen der Memoiren Henry Morgenthaus, der während der Zeit des Massakers amerikanischer Botschafter in der Türkei war. Auf der Suche nach dem Schicksal seiner Vorfahren stößt Balakian auch auf ein bewegendes Dokument, das seine Großmutter hinterlassen hat. 1920, zu einer Zeit, als noch keine internationalen Menschenrechtskonventionen existierten, stellte sie bereits eine Art Wiedergutmachungsantrag gegen die Türkei. Der genauen Aufstellung verlorener Güter folgt eine so nüchterne und präzise Darstellung der Umstände der Vertreibung, daß der Leser der juristisch kargen Worte nur das Grauen erahnen kann, das ihre Grundlage bildet. Wie um diesen Mangel auszugleichen, erzählt der Autor den Bericht seiner Tante Gladys nach über das, was ihre Cousine Dovey auf dem Todesmarsch in die Wüste erfahren mußte. Als die halbverhungerten Kinder und Mütter schließlich nach vielen Tagen den Euphrat erreichten, sah man "Meilen und Meilen nichts als Leichen, . . . halb verwest, ohne Kopf, ohne Gliedmaßen, Körperteile, die einherschwammen. Auf den Schlammbänken, die oft wie Krokodile emporragten, stapelten sich Hunderte verwesender Körper zuhauf, und die Seeschwalben machten sich darüber her. Die Körper vergingen im Schlamm."

Sieben Jahre lang hat Balakian an seinen Erinnerungen und Recherchen geschrieben und gearbeitet, Tausende von Dokumenten gesichtet, Gespräche geführt und so die Zeit seiner Kindheit und Jugend mit bewundernswerter Detailfreudigkeit festgehalten. Die Dichte seiner Darstellung, die Intensität seiner Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema des Holocaust, die Differenziertheit seiner Wahrnehmungen verleihen seinem Buch eine erregende und erschütternde Authentizität.

MARTIN GRZIMEK

Peter Balakian: "Die Hunde vom Ararat. Eine armenische Kindheit in Amerika". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jörg Trobitius. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000. 375 S., geb., 45,- DM.

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