Ein Bundesinnenminister aus Bayern, der menschenfreundlich und pragmatisch handelt. Ein karrieregeiler Staatssekretär, der Küchenkataloge lesen muss und am alljährlichen Sommerloch leidet. Ein Kanzler, der kein Merkel mehr ist. Nie war Deutschland hilfloser. Ausgerechnet in dieser prekären Lage entdeckt eine Trash-TV-Moderatorin ihr Herz für Arme und will die Welt zu einem besseren Ort machen. Und jetzt?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2018„Braun und weiß, so ist es richtig“
Um Migranten geht es in der deutschen Literatur in diesem Herbst. Aber nur am Rande. Die Deutschen sind sich immer noch selbst fremd genug
Es passiert manchmal in Kleinfamilien. Man lebt so nebeneinander her, alles normal. Dann kommt Besuch. Und man fängt an, sich zu fragen, warum Mama immer so laut atmet, wieso der Kleine den albernen Sprachfehler nicht wegkriegt, und Papa steht das Hemd über den Brusthaaren offen, der hält sich wohl für jung. Nur weil einer mit am Tisch sitzt, der anders guckt, sehen plötzlich alle merkwürdig aus.
Etwas Ähnliches geht gerade in der deutschen Gegenwartsliteratur vor sich. In so manchem Roman dieses Herbstes kommen nämlich Flüchtlinge ins Land, vielleicht sogar mehr, als in Wirklichkeit noch kommen. Allerdings treten sie in diesen Geschichten eher gegen Ende oder nebenbei auf. Um sie geht es nicht, vielmehr um die Frage, wohin oder zu wem die Migranten in diesem Deutschland kommen werden. Die Antwort sind Bilder deutscher Zustände, von denen uns die Landsleute ganz schön befremdlich entgegenblicken.
Zum Beispiel in Timur Vermes’ Satire „Die Hungrigen und die Satten“, die jetzt auf den Bestsellerlisten steht – erwartungsgemäß, denn „Er ist wieder da“, der erste Roman des Autors, war bereits ein Riesenerfolg. Darin kam der Besuch, der unserer Gesellschaft den Spiegel vorhielt, in Gestalt eines wiedererweckten Adolf Hitler. Diesmal ist es eine Kolonne von 150 000 Menschen, die sich in einer fiktiven Zukunft aus einem Flüchtlingslager südlich der Sahara zu Fuß Europa nähert.
Das Hauptinteresse des Romans besteht darin auszumalen, wie die Deutschen auf so etwas reagieren würden: Die Bevölkerung, die besorgte, die Manager des Privatsenders, der das Ganze live bringt und Werbeeinnahmen scheffelt, Politiker, die sich profilieren müssen. Vermes füllt viele Kapitel mit deutschen Meetings. Und weil es sich hier um einen satirischen Roman handelt, sind Dialoge und Figuren überscharf gezeichnet.
Offensichtlich ist es die Absicht des Autors, aus Wiedererkennbarem das Szenario einer möglichen Realität zu karikieren. Zu diesem Zweck hat er die Zeitgenossen zur Kenntlichkeit entstellt. Sein Buch enthält viel Nick-Material, jaja, so sinnse, soll man denken: der Staatssekretär ein schwuler Emporkömmling, der Ruhm des rasend dämlichen Fernsehsternchens auf einer „Vergewaltigungsangelegenheit“ gebaut, „Geht nicht gibt’s nicht“ sagen diese Pappkameraden und „geht ja gar nicht“.
Besonders heftig nickten über diesen Roman übrigens zuletzt Autoren zweier rechter Blogs. Die Detailversessenheit kommt ihnen offenbar entgegen, mit der Vermes die Infrastruktur des riesigen Flüchtlingstrecks ausmalt, Wassertanks, rollende Geburtsstationen, Schmiergelder, die ihn über den afrikanischen Kontinent bringen. Darin erkennen die Rechten ihre eigene verzerrte Wirklichkeitsbeschreibung der zäh sich nach Deutschland durchkämpfenden Horden wieder.
Vermes hat dem Applaus von dieser Seite nicht genügend vorgebeugt, wirklich gewollt kann er ihn nicht haben. Sein absolut professionell auf Popularität hin geschriebener Roman kulminiert in einem brutalen Sinnbild, mit dem er seinen Lesern einzuschärfen versucht, dass es keine humane Art gibt, ein Land gegen Migration abzugrenzen. Die „selbsternannten Hilfspolizisten“, die schließlich an einem Grenzzaun stehen und schreien „Verpisst euch! Das ist unser Land!“ gehören zum fratzenhaft verzeichneten Figurenpersonal des Romans, wie andere auch.
Wie es zu dieser aggressiven „Das ist unser Land“-Mentalität kommt, die zuletzt ohne jeden Satire-Hintergrund auf den Straßen von Chemnitz und Köthen zu betrachten war, versucht das Debüt des 1994 geborenen Lukas Rietzschel zu erforschen. Er erzählt in „Mit der Faust in die Welt schlagen“ von der Kindheit und Jugend zweier Brüder in der sächsischen Provinz, die endet, als Flüchtlinge in einer leer stehenden Grundschule untergebracht werden sollen. Das spielt in der Gegend zwischen Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen – der Osten ist eben immer noch das fremdeste Deutschland, könnte man meinen. Aber nicht für diesen Autor, der selbst aus der Gegend kommt. Aus knappen Sätzen, die vielleicht Wortkargheit darstellen sollen, strickt Rietzschel seine engmaschige Beschreibungsprosa. Als könne man, wenn man nur kleinschrittig genug vorgeht, eine plausible Verbindung herstellen zwischen einem Jungen, der Buntstifte aus seiner Schultüte pfriemelt, und dem Moment fünfzehn Jahre später, in dem er sagt: „Wöchentlich landeten neue Untermenschen am Strand von Sizilien.“ Kommt man so dahinter, warum einer Nazi wird?
Rietzschel findet in seinem Roman dann doch eher die üblichen, soziologischen Gründe: die durch die Wiedervereinigung zerrissenen ostdeutschen Biografien der Eltern, „Abschluss aberkannt, Umschulung, Umschulung, Weiterbildung“. Nachbarn beäugen sich misstrauisch, weil die einen es besser gepackt haben als die anderen, und keiner einsieht, warum. Als Sündenböcke halten welche her, die zu noch Fremderen gemacht werden, die sorbische Minderheit, Homosexuelle, dann Ausländer. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum, Bildung wenig, Städte schrumpfen. Aber sind das hinreichende Gründe für die Verrohung der Jungs, die Rietzschel da aufwachsen sieht? Trotz aller Empathie, zu der er sich seinen Figuren gegenüber zwingt, taucht die Gewalt doch unvermittelt in ihren Kinderspielen auf.
Vielleicht ist es so, dass zu große Nähe zum Beschriebenen selbst befremdlich ist: Das Verständliche zerfällt einem vor Augen, wenn man direkt davorsteht. Und es bleibt das factum brutum: Gewalt gibt es. In Rietzschels Roman haben sich am Ende jedenfalls sogar die Nächsten nichts mehr zu sagen, sind sich wahnsinnig fremd, fremd im eigenen Land, ohne dass es dazu eines einzigen Fremden bedürfte.
Ein weiterer Roman erscheint jetzt, der eine ähnliche Beobachtung weniger hilflos betroffen vorbringt, sondern literarisch souverän, in einem sehr eigenen, intensiven Ton. Dabei gibt es in „Nenn mich November“ der 1962 in Köthen geborenen Schriftstellerin Kathrin Gerlof viele motivische Ähnlichkeiten zu Rietzschels Roman: ein sterbender Ort in Ostdeutschland, die Straßenbeleuchtung funktioniert nicht, Mais-Monokultur, wohin das Auge reicht, Geflüster, wer früher für die Stasi gespitzelt hat, unterbrochene Lebensläufe. Gerlofs Hauptfigur ist eine Frau mittleren Alters mit dem sehr deutschen Namen Marthe Lindenblatt. Nach zwei ungelenken Existenzgründungsversuchen gehen ihr Mann und sie bankrott und ziehen aus Berlin in ein geerbtes Haus in der Provinz. In Marthes Kopf herrscht ewig Apokalypse, das kommt von den Online-Nachrichten über Klimawandel, Migration, Konsumverblödung. In den ersten Kapiteln liegt wie eine Prothese ein Arm neben ihr, es ist aber ihr eigener, der ihr wie ein Anhängsel vorkommt: ein psychosomatisches Symptom und eines der vielen Sinnbilder des Sich-selbst-Fremdseins, die Gerlof in diesem Roman findet. Sie kennt geschichtliche, ökonomische und psychologische Gründe für diesen deutschen Zustand und gewinnt ihnen etwas ab für Marthes Geschichte.
Diese Frau kommt nun also als Städterin in ein Kaff, von dem es auf der ersten Seite heißt: „Im Dorf gibt es kein Begehren mehr.“ Gerlof reißt ihre Szenerie zuerst archetypisch auf: das Haus, der Mann, der Hund, der Bürgermeister, der Schulz und der Krüger (die Kapitalisten am Ort). Aber dann windet sich ihre Erzählstimme so genial um die Bilder und Figuren herum, dass sie sich öffnen. Gerlof zerschießt ihre Sätze mit Punkten zu kurzatmigen Fragmenten und wechselt zwischen den Halbsätzen die Perspektive, sodass man Leute und Häuser und Verhältnisse von innen und außen gleichzeitig zu sehen meint.
Mit dieser Technik bringt es Gerlof zu einer kunstvollen Pointe: Ausgerechnet im sterbenden Dorf, das von archaischer Macht und Argwohn beherrscht wird, finden Marthes Ängste einen Grund – und lassen nach, während das Dorf in Bewegung gerät, die Bewohner sich mit den Augen der Neuen selbst anders sehen und auf Ideen kommen. Als einer der örtlichen Geschäftsleute, weil er dafür Subventionen erhält, alte Zwangsarbeiterbaracken zur Flüchtlingsunterkunft ausbaut, tun sich die Dorfbewohner zum ersten Mal zusammen. Wie sich da dann deutsche Menschen mit ihren alten Ressentiments und neuen Ängsten gegenübersitzen und mit Kurzen warmtrinken („Braun und weiß, so ist es richtig“), während alles wartet, ob da wirklich noch Fremdere kommen mögen – das wird ein literarisches Bild des Herbstes 2018 sein, das bleibt.
MARIE SCHMIDT
Timur Vermes: Die
Hungrigen und die
Satten. Roman. Eichborn Verlag, Köln 2018.
512 Seiten, 22 Euro.
Lukas Rietzschel: Mit
der Faust in die Welt schlagen. Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten,
20 Euro.
Kathrin Gerlof: Nenn mich November. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 350 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Um Migranten geht es in der deutschen Literatur in diesem Herbst. Aber nur am Rande. Die Deutschen sind sich immer noch selbst fremd genug
Es passiert manchmal in Kleinfamilien. Man lebt so nebeneinander her, alles normal. Dann kommt Besuch. Und man fängt an, sich zu fragen, warum Mama immer so laut atmet, wieso der Kleine den albernen Sprachfehler nicht wegkriegt, und Papa steht das Hemd über den Brusthaaren offen, der hält sich wohl für jung. Nur weil einer mit am Tisch sitzt, der anders guckt, sehen plötzlich alle merkwürdig aus.
Etwas Ähnliches geht gerade in der deutschen Gegenwartsliteratur vor sich. In so manchem Roman dieses Herbstes kommen nämlich Flüchtlinge ins Land, vielleicht sogar mehr, als in Wirklichkeit noch kommen. Allerdings treten sie in diesen Geschichten eher gegen Ende oder nebenbei auf. Um sie geht es nicht, vielmehr um die Frage, wohin oder zu wem die Migranten in diesem Deutschland kommen werden. Die Antwort sind Bilder deutscher Zustände, von denen uns die Landsleute ganz schön befremdlich entgegenblicken.
Zum Beispiel in Timur Vermes’ Satire „Die Hungrigen und die Satten“, die jetzt auf den Bestsellerlisten steht – erwartungsgemäß, denn „Er ist wieder da“, der erste Roman des Autors, war bereits ein Riesenerfolg. Darin kam der Besuch, der unserer Gesellschaft den Spiegel vorhielt, in Gestalt eines wiedererweckten Adolf Hitler. Diesmal ist es eine Kolonne von 150 000 Menschen, die sich in einer fiktiven Zukunft aus einem Flüchtlingslager südlich der Sahara zu Fuß Europa nähert.
Das Hauptinteresse des Romans besteht darin auszumalen, wie die Deutschen auf so etwas reagieren würden: Die Bevölkerung, die besorgte, die Manager des Privatsenders, der das Ganze live bringt und Werbeeinnahmen scheffelt, Politiker, die sich profilieren müssen. Vermes füllt viele Kapitel mit deutschen Meetings. Und weil es sich hier um einen satirischen Roman handelt, sind Dialoge und Figuren überscharf gezeichnet.
Offensichtlich ist es die Absicht des Autors, aus Wiedererkennbarem das Szenario einer möglichen Realität zu karikieren. Zu diesem Zweck hat er die Zeitgenossen zur Kenntlichkeit entstellt. Sein Buch enthält viel Nick-Material, jaja, so sinnse, soll man denken: der Staatssekretär ein schwuler Emporkömmling, der Ruhm des rasend dämlichen Fernsehsternchens auf einer „Vergewaltigungsangelegenheit“ gebaut, „Geht nicht gibt’s nicht“ sagen diese Pappkameraden und „geht ja gar nicht“.
Besonders heftig nickten über diesen Roman übrigens zuletzt Autoren zweier rechter Blogs. Die Detailversessenheit kommt ihnen offenbar entgegen, mit der Vermes die Infrastruktur des riesigen Flüchtlingstrecks ausmalt, Wassertanks, rollende Geburtsstationen, Schmiergelder, die ihn über den afrikanischen Kontinent bringen. Darin erkennen die Rechten ihre eigene verzerrte Wirklichkeitsbeschreibung der zäh sich nach Deutschland durchkämpfenden Horden wieder.
Vermes hat dem Applaus von dieser Seite nicht genügend vorgebeugt, wirklich gewollt kann er ihn nicht haben. Sein absolut professionell auf Popularität hin geschriebener Roman kulminiert in einem brutalen Sinnbild, mit dem er seinen Lesern einzuschärfen versucht, dass es keine humane Art gibt, ein Land gegen Migration abzugrenzen. Die „selbsternannten Hilfspolizisten“, die schließlich an einem Grenzzaun stehen und schreien „Verpisst euch! Das ist unser Land!“ gehören zum fratzenhaft verzeichneten Figurenpersonal des Romans, wie andere auch.
Wie es zu dieser aggressiven „Das ist unser Land“-Mentalität kommt, die zuletzt ohne jeden Satire-Hintergrund auf den Straßen von Chemnitz und Köthen zu betrachten war, versucht das Debüt des 1994 geborenen Lukas Rietzschel zu erforschen. Er erzählt in „Mit der Faust in die Welt schlagen“ von der Kindheit und Jugend zweier Brüder in der sächsischen Provinz, die endet, als Flüchtlinge in einer leer stehenden Grundschule untergebracht werden sollen. Das spielt in der Gegend zwischen Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen – der Osten ist eben immer noch das fremdeste Deutschland, könnte man meinen. Aber nicht für diesen Autor, der selbst aus der Gegend kommt. Aus knappen Sätzen, die vielleicht Wortkargheit darstellen sollen, strickt Rietzschel seine engmaschige Beschreibungsprosa. Als könne man, wenn man nur kleinschrittig genug vorgeht, eine plausible Verbindung herstellen zwischen einem Jungen, der Buntstifte aus seiner Schultüte pfriemelt, und dem Moment fünfzehn Jahre später, in dem er sagt: „Wöchentlich landeten neue Untermenschen am Strand von Sizilien.“ Kommt man so dahinter, warum einer Nazi wird?
Rietzschel findet in seinem Roman dann doch eher die üblichen, soziologischen Gründe: die durch die Wiedervereinigung zerrissenen ostdeutschen Biografien der Eltern, „Abschluss aberkannt, Umschulung, Umschulung, Weiterbildung“. Nachbarn beäugen sich misstrauisch, weil die einen es besser gepackt haben als die anderen, und keiner einsieht, warum. Als Sündenböcke halten welche her, die zu noch Fremderen gemacht werden, die sorbische Minderheit, Homosexuelle, dann Ausländer. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum, Bildung wenig, Städte schrumpfen. Aber sind das hinreichende Gründe für die Verrohung der Jungs, die Rietzschel da aufwachsen sieht? Trotz aller Empathie, zu der er sich seinen Figuren gegenüber zwingt, taucht die Gewalt doch unvermittelt in ihren Kinderspielen auf.
Vielleicht ist es so, dass zu große Nähe zum Beschriebenen selbst befremdlich ist: Das Verständliche zerfällt einem vor Augen, wenn man direkt davorsteht. Und es bleibt das factum brutum: Gewalt gibt es. In Rietzschels Roman haben sich am Ende jedenfalls sogar die Nächsten nichts mehr zu sagen, sind sich wahnsinnig fremd, fremd im eigenen Land, ohne dass es dazu eines einzigen Fremden bedürfte.
Ein weiterer Roman erscheint jetzt, der eine ähnliche Beobachtung weniger hilflos betroffen vorbringt, sondern literarisch souverän, in einem sehr eigenen, intensiven Ton. Dabei gibt es in „Nenn mich November“ der 1962 in Köthen geborenen Schriftstellerin Kathrin Gerlof viele motivische Ähnlichkeiten zu Rietzschels Roman: ein sterbender Ort in Ostdeutschland, die Straßenbeleuchtung funktioniert nicht, Mais-Monokultur, wohin das Auge reicht, Geflüster, wer früher für die Stasi gespitzelt hat, unterbrochene Lebensläufe. Gerlofs Hauptfigur ist eine Frau mittleren Alters mit dem sehr deutschen Namen Marthe Lindenblatt. Nach zwei ungelenken Existenzgründungsversuchen gehen ihr Mann und sie bankrott und ziehen aus Berlin in ein geerbtes Haus in der Provinz. In Marthes Kopf herrscht ewig Apokalypse, das kommt von den Online-Nachrichten über Klimawandel, Migration, Konsumverblödung. In den ersten Kapiteln liegt wie eine Prothese ein Arm neben ihr, es ist aber ihr eigener, der ihr wie ein Anhängsel vorkommt: ein psychosomatisches Symptom und eines der vielen Sinnbilder des Sich-selbst-Fremdseins, die Gerlof in diesem Roman findet. Sie kennt geschichtliche, ökonomische und psychologische Gründe für diesen deutschen Zustand und gewinnt ihnen etwas ab für Marthes Geschichte.
Diese Frau kommt nun also als Städterin in ein Kaff, von dem es auf der ersten Seite heißt: „Im Dorf gibt es kein Begehren mehr.“ Gerlof reißt ihre Szenerie zuerst archetypisch auf: das Haus, der Mann, der Hund, der Bürgermeister, der Schulz und der Krüger (die Kapitalisten am Ort). Aber dann windet sich ihre Erzählstimme so genial um die Bilder und Figuren herum, dass sie sich öffnen. Gerlof zerschießt ihre Sätze mit Punkten zu kurzatmigen Fragmenten und wechselt zwischen den Halbsätzen die Perspektive, sodass man Leute und Häuser und Verhältnisse von innen und außen gleichzeitig zu sehen meint.
Mit dieser Technik bringt es Gerlof zu einer kunstvollen Pointe: Ausgerechnet im sterbenden Dorf, das von archaischer Macht und Argwohn beherrscht wird, finden Marthes Ängste einen Grund – und lassen nach, während das Dorf in Bewegung gerät, die Bewohner sich mit den Augen der Neuen selbst anders sehen und auf Ideen kommen. Als einer der örtlichen Geschäftsleute, weil er dafür Subventionen erhält, alte Zwangsarbeiterbaracken zur Flüchtlingsunterkunft ausbaut, tun sich die Dorfbewohner zum ersten Mal zusammen. Wie sich da dann deutsche Menschen mit ihren alten Ressentiments und neuen Ängsten gegenübersitzen und mit Kurzen warmtrinken („Braun und weiß, so ist es richtig“), während alles wartet, ob da wirklich noch Fremdere kommen mögen – das wird ein literarisches Bild des Herbstes 2018 sein, das bleibt.
MARIE SCHMIDT
Timur Vermes: Die
Hungrigen und die
Satten. Roman. Eichborn Verlag, Köln 2018.
512 Seiten, 22 Euro.
Lukas Rietzschel: Mit
der Faust in die Welt schlagen. Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten,
20 Euro.
Kathrin Gerlof: Nenn mich November. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 350 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2018Alles soll authentizistisch bleiben
Timur Vermes' Romangroteske "Die Hungrigen und die Satten" will die Migrationsdebatte abbilden, macht es sich dabei allerdings zu leicht
Als der Medienredakteur Kasewalk wegen eines Interviews bei ihm anruft, weiß sich der Privatfernsehproduzent Sensenbrink kaum zu halten vor Glück: Endlich interessiert sich die seriöse Presse für seine Krawallsendung "Auf der Flucht" mit dem Untertitel "Nadeche Hackenbusch ist ein: Engel im Elend". Das Interesse hat mit den exzellenten Quoten zu tun, für das die Starmoderatorin Hackenbusch im mittleren Afrika für einige Wochen das größte Flüchtlingslager der Welt besucht und mit einem Filmteam täglich nach Deutschland berichtet. Die Sendung zeigt Hackenbusch beim Holz- oder Wasserholen, sie besucht das Lazarettzelt oder lässt sich zeigen, wie man aus Bohnen und Maismehl die immer gleiche Mahlzeit zubereitet. Über all das sprechen der Mann von der Qualitätszeitung und der zufriedene Produzent, bis am Ende des Interviews die Frage kommt, auf die der Befragte keine rechte Antwort weiß: "Wie wird die Sendung enden?"
Exakt ein Viertel von Timur Vermes' Roman "Die Hungrigen und die Satten", dem zweiten Buch des Autors nach seinem Bestseller "Er ist wieder da" (2012), hat der Leser an dieser Stelle bewältigt, und so liegt es auf der Hand, dass mit dem baldigen Finale der Fernsehsendung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Angesiedelt ist das Buch in einer nahen Zukunft, in der Deutschland vom Nachfolger der durch einen Putsch gestürzten Angela Merkel regiert wird so wie Europa von einer Kommissionspräsidentin. Maßnahmen zur Verhinderung von Migration sind inzwischen beschlossen worden: Deutschland hat eine "Obergrenze" der jährlichen Zuwanderung verkündet, und die EU bezahlt die nord- und mittelafrikanischen Staaten dafür, dass sie jeden aufhalten, der Richtung Europa reist. Zuwanderung findet zwar nach wie vor statt, ist aber durch die Kontrollen so aufwendig geworden, dass sich nur wenige Flüchtlinge die teuren Schlepper leisten können. Die übrigen landen in überfüllten Lagern südlich der Sahara. Und träumen weiterhin von der Flucht in den Norden.
Die Ankunft des Filmteams bedeutet da zunächst die Hoffnung auf Arbeit und darauf, am Ende vielleicht doch genug Geld für die Schlepper zu verdienen. Das Fernsehteam veranstaltet dafür ein aufwendiges Casting, und ein Flüchtling, den die Deutschen "Lionel" nennen, macht das Rennen: Er führt Nadeche durchs Lager und findet täglich neue telegene Ziele. Die Moderatorin verliebt sich in ihn und will mit ihm im Lager bleiben, um, wie sie sagt, endlich etwas Sinnvolles zu tun. Lionel dagegen will weiterhin nach Deutschland und schlägt Nadeche vor, die 150 000 Bewohner des Lagers einfach mitzunehmen. Dafür tut er sich mit dem Kriminellen Mojo zusammen, der den endlos langen Fußmarsch organisiert und die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sicherstellt. Die Flüchtlinge zahlen einen täglichen kleinen Beitrag, der Mojo in der Summe schwerreich macht. Nadeches Sender ist anfangs überrumpelt von ihrem Plan, dann begeistert dabei.
Der Roman spielt durch, was geschähe, wenn sich tatsächlich alle, die nach Deutschland wollen, zusammenfinden und in den Norden aufbrechen. Dafür wählt Vermes im Wesentlichen drei Perspektiven: Kapitel, die den Treck schildern, wechseln sich ab mit dem Geschehen im Fernsehsender und den Beratungen der deutschen Regierung. Und während Lionel, Nadeche und ihre Begleiter über ein Jahr unterwegs sind, um täglich fünfzehn Kilometer durch Afrika und den Nahen Osten zurückzulegen, sieht man in Berlin wachsend beunruhigt der Erosion aller Vorkehrungen zu, mit denen man die Migranten weit weg halten wollte. Das Mittelmeer wird den Zug aufhalten, hoffen die Strategen des Innenministeriums, aber dann wählen die Flüchtlinge den Weg über den Suezkanal. Der Irak und Jordanien erlauben den Transit und geben dem Zug noch Zehntausende eigene Flüchtlinge mit. Die Türkei fürchtet Fernsehbilder mit schießenden Soldaten auf marschierende Frauen und Kinder, öffnet die Grenzen und sorgt sogar mit Bussen dafür, dass die Reisenden schneller wieder aus dem Land sind. Die Balkan-Staaten halten es ebenso. Und schließlich stehen 400 000 Menschen in Österreich vor der deutschen Grenze.
Vermes ist weit davon entfernt, eine Heldengeschichte zu erzählen. Die Strapazen des langen Marsches bleiben eher blass, dafür ist der Kriminelle Mojo von gleichmütiger Grausamkeit, Lionel würde für ein gutes Angebot der Deutschen zur Einreise sofort den Zug im Stich lassen, Nadeche zumal ist auf gefährliche Weise kurzsichtig, was die Folgen ihres Handelns angeht, und sich zugleich ihrer medialen Wirkung bewusst. Sie stehe für "ehrliches Engagement", bescheinigt sie sich selbst, während die Klatschreporterin, die den Zug im klimatisierten Van begleitet, in ihr gar einen "neuen, weiblichen Moses" sieht. Andere beklagen ihre "umfassende Verlogenheit" und nennen sie "so dumm, dass sie brummt". Dass sie von vielem keine Ahnung hat, schon gar nicht von den Verhältnissen in Afrika, betont der Autor gern. Und ebenso, dass sie eine prätentiöse Sprache verwendet und damit häufig strauchelt. Sie sagt "pyrotaktisch" für "vorbeugend", alles soll "authentizistisch" bleiben, und in den afrikanischen Bäumen sieht sie "Marlboros" landen statt Marabus. Und dann ihr wunderliches Englisch: "I am so up one hundred eighty. We cannot simple homego." Das war schon vor dreißig Jahren, gemünzt auf Helmut Kohl, nicht übermäßig witzig, und überhaupt wird man speziell dieses Distanzierungssignals des Autors rasch müde.
Der ahnungslosen Helferin stehen die zynischen Quotenjäger gegenüber. Ein kleiner Junge stirbt im Lager - am Fieber? "Solche Szenen sind für uns Gold wert", sagt der Fernsehboss Sensenbrink, der nichts von "staatsbürgerlicher Verantwortung" hören möchte: "Wir können nur auf Missstände aufmerksam machen, aber wir können die Probleme nicht lösen." Ob die Berichterstattung allerdings neue Probleme hervorbringt, fragt er nicht. In Deutschland bilden sich derweil sogenannte Bürgerwehren, schwer bewaffnet und "komplett radikalisiert". Je näher die Flüchtlinge kommen, umso stärker wird die rechte Bewegung, und es ist ausgerechnet ein CSU-Innenminister, der einen besonnenen Vorschlag zu einer gesteuerten Migration macht und dafür in der aufgeheizten Lage einen hohen Preis bezahlen muss.
All das kommt als Groteske daher, in der entsetzliche Szenen ebenso ihren Platz finden wie Knallchargengeschichten, und dieses Miteinander überzeugt nicht vollends. Dass es Vermes nicht zuletzt um Sprachkritik geht, wird deutlich, und auch um die Frage, wie effizient ahnungslose Helfer sind, wenn es darum geht, situationsadäquat zu handeln - wobei sich der Autor da ausgesprochen leichte Ziele geschaffen hat. Mit größerem Gewinn aber wird man diejenigen Passagen lesen, die Diskussionen über den grundsätzlichen Umgang mit Migration abbilden. "Der Staat kann sich nicht erpressen lassen", sagt ein Politiker angesichts der heranziehenden Flüchtlinge. Man diskutiert über einen Grenzzaun, gar über Starkstrom und Selbstschussanlagen - also über das, was der Mob will. Und so fragt das Buch, ob eine solche Entwicklung das Land nicht viel stärker veränderte als die Zuwanderung einiger Hunderttausend.
TILMAN SPRECKELSEN.
Timur Vermes: "Die Hungrigen und die Satten". Roman.
Eichborn Verlag, Köln 2018. 509 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Timur Vermes' Romangroteske "Die Hungrigen und die Satten" will die Migrationsdebatte abbilden, macht es sich dabei allerdings zu leicht
Als der Medienredakteur Kasewalk wegen eines Interviews bei ihm anruft, weiß sich der Privatfernsehproduzent Sensenbrink kaum zu halten vor Glück: Endlich interessiert sich die seriöse Presse für seine Krawallsendung "Auf der Flucht" mit dem Untertitel "Nadeche Hackenbusch ist ein: Engel im Elend". Das Interesse hat mit den exzellenten Quoten zu tun, für das die Starmoderatorin Hackenbusch im mittleren Afrika für einige Wochen das größte Flüchtlingslager der Welt besucht und mit einem Filmteam täglich nach Deutschland berichtet. Die Sendung zeigt Hackenbusch beim Holz- oder Wasserholen, sie besucht das Lazarettzelt oder lässt sich zeigen, wie man aus Bohnen und Maismehl die immer gleiche Mahlzeit zubereitet. Über all das sprechen der Mann von der Qualitätszeitung und der zufriedene Produzent, bis am Ende des Interviews die Frage kommt, auf die der Befragte keine rechte Antwort weiß: "Wie wird die Sendung enden?"
Exakt ein Viertel von Timur Vermes' Roman "Die Hungrigen und die Satten", dem zweiten Buch des Autors nach seinem Bestseller "Er ist wieder da" (2012), hat der Leser an dieser Stelle bewältigt, und so liegt es auf der Hand, dass mit dem baldigen Finale der Fernsehsendung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Angesiedelt ist das Buch in einer nahen Zukunft, in der Deutschland vom Nachfolger der durch einen Putsch gestürzten Angela Merkel regiert wird so wie Europa von einer Kommissionspräsidentin. Maßnahmen zur Verhinderung von Migration sind inzwischen beschlossen worden: Deutschland hat eine "Obergrenze" der jährlichen Zuwanderung verkündet, und die EU bezahlt die nord- und mittelafrikanischen Staaten dafür, dass sie jeden aufhalten, der Richtung Europa reist. Zuwanderung findet zwar nach wie vor statt, ist aber durch die Kontrollen so aufwendig geworden, dass sich nur wenige Flüchtlinge die teuren Schlepper leisten können. Die übrigen landen in überfüllten Lagern südlich der Sahara. Und träumen weiterhin von der Flucht in den Norden.
Die Ankunft des Filmteams bedeutet da zunächst die Hoffnung auf Arbeit und darauf, am Ende vielleicht doch genug Geld für die Schlepper zu verdienen. Das Fernsehteam veranstaltet dafür ein aufwendiges Casting, und ein Flüchtling, den die Deutschen "Lionel" nennen, macht das Rennen: Er führt Nadeche durchs Lager und findet täglich neue telegene Ziele. Die Moderatorin verliebt sich in ihn und will mit ihm im Lager bleiben, um, wie sie sagt, endlich etwas Sinnvolles zu tun. Lionel dagegen will weiterhin nach Deutschland und schlägt Nadeche vor, die 150 000 Bewohner des Lagers einfach mitzunehmen. Dafür tut er sich mit dem Kriminellen Mojo zusammen, der den endlos langen Fußmarsch organisiert und die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sicherstellt. Die Flüchtlinge zahlen einen täglichen kleinen Beitrag, der Mojo in der Summe schwerreich macht. Nadeches Sender ist anfangs überrumpelt von ihrem Plan, dann begeistert dabei.
Der Roman spielt durch, was geschähe, wenn sich tatsächlich alle, die nach Deutschland wollen, zusammenfinden und in den Norden aufbrechen. Dafür wählt Vermes im Wesentlichen drei Perspektiven: Kapitel, die den Treck schildern, wechseln sich ab mit dem Geschehen im Fernsehsender und den Beratungen der deutschen Regierung. Und während Lionel, Nadeche und ihre Begleiter über ein Jahr unterwegs sind, um täglich fünfzehn Kilometer durch Afrika und den Nahen Osten zurückzulegen, sieht man in Berlin wachsend beunruhigt der Erosion aller Vorkehrungen zu, mit denen man die Migranten weit weg halten wollte. Das Mittelmeer wird den Zug aufhalten, hoffen die Strategen des Innenministeriums, aber dann wählen die Flüchtlinge den Weg über den Suezkanal. Der Irak und Jordanien erlauben den Transit und geben dem Zug noch Zehntausende eigene Flüchtlinge mit. Die Türkei fürchtet Fernsehbilder mit schießenden Soldaten auf marschierende Frauen und Kinder, öffnet die Grenzen und sorgt sogar mit Bussen dafür, dass die Reisenden schneller wieder aus dem Land sind. Die Balkan-Staaten halten es ebenso. Und schließlich stehen 400 000 Menschen in Österreich vor der deutschen Grenze.
Vermes ist weit davon entfernt, eine Heldengeschichte zu erzählen. Die Strapazen des langen Marsches bleiben eher blass, dafür ist der Kriminelle Mojo von gleichmütiger Grausamkeit, Lionel würde für ein gutes Angebot der Deutschen zur Einreise sofort den Zug im Stich lassen, Nadeche zumal ist auf gefährliche Weise kurzsichtig, was die Folgen ihres Handelns angeht, und sich zugleich ihrer medialen Wirkung bewusst. Sie stehe für "ehrliches Engagement", bescheinigt sie sich selbst, während die Klatschreporterin, die den Zug im klimatisierten Van begleitet, in ihr gar einen "neuen, weiblichen Moses" sieht. Andere beklagen ihre "umfassende Verlogenheit" und nennen sie "so dumm, dass sie brummt". Dass sie von vielem keine Ahnung hat, schon gar nicht von den Verhältnissen in Afrika, betont der Autor gern. Und ebenso, dass sie eine prätentiöse Sprache verwendet und damit häufig strauchelt. Sie sagt "pyrotaktisch" für "vorbeugend", alles soll "authentizistisch" bleiben, und in den afrikanischen Bäumen sieht sie "Marlboros" landen statt Marabus. Und dann ihr wunderliches Englisch: "I am so up one hundred eighty. We cannot simple homego." Das war schon vor dreißig Jahren, gemünzt auf Helmut Kohl, nicht übermäßig witzig, und überhaupt wird man speziell dieses Distanzierungssignals des Autors rasch müde.
Der ahnungslosen Helferin stehen die zynischen Quotenjäger gegenüber. Ein kleiner Junge stirbt im Lager - am Fieber? "Solche Szenen sind für uns Gold wert", sagt der Fernsehboss Sensenbrink, der nichts von "staatsbürgerlicher Verantwortung" hören möchte: "Wir können nur auf Missstände aufmerksam machen, aber wir können die Probleme nicht lösen." Ob die Berichterstattung allerdings neue Probleme hervorbringt, fragt er nicht. In Deutschland bilden sich derweil sogenannte Bürgerwehren, schwer bewaffnet und "komplett radikalisiert". Je näher die Flüchtlinge kommen, umso stärker wird die rechte Bewegung, und es ist ausgerechnet ein CSU-Innenminister, der einen besonnenen Vorschlag zu einer gesteuerten Migration macht und dafür in der aufgeheizten Lage einen hohen Preis bezahlen muss.
All das kommt als Groteske daher, in der entsetzliche Szenen ebenso ihren Platz finden wie Knallchargengeschichten, und dieses Miteinander überzeugt nicht vollends. Dass es Vermes nicht zuletzt um Sprachkritik geht, wird deutlich, und auch um die Frage, wie effizient ahnungslose Helfer sind, wenn es darum geht, situationsadäquat zu handeln - wobei sich der Autor da ausgesprochen leichte Ziele geschaffen hat. Mit größerem Gewinn aber wird man diejenigen Passagen lesen, die Diskussionen über den grundsätzlichen Umgang mit Migration abbilden. "Der Staat kann sich nicht erpressen lassen", sagt ein Politiker angesichts der heranziehenden Flüchtlinge. Man diskutiert über einen Grenzzaun, gar über Starkstrom und Selbstschussanlagen - also über das, was der Mob will. Und so fragt das Buch, ob eine solche Entwicklung das Land nicht viel stärker veränderte als die Zuwanderung einiger Hunderttausend.
TILMAN SPRECKELSEN.
Timur Vermes: "Die Hungrigen und die Satten". Roman.
Eichborn Verlag, Köln 2018. 509 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein großartiges Buch: lustig, böse, traurig!" Kester Schlenz, STERN, 23.08.2018 "Man diskutiert über einen Grenzzaun, gar über Starkstrom und Selbstschussanlagen - also über das, was der Mob will. Und so fragt das Buch, ob eine solche Entwicklung das Land nicht viel stärker veränderte als die Zuwanderung einiger Hunderttausend." Tilman Spreckelsen, FAZ "Nur wenige Deutsche wagen und können Unterhaltung so brisant wie Timur Vermes." Marc Reichwein, DIE WELT