Auch im Nachfolgebuch zu seinem international erfolgreichen und umstrittenen Roman American Psycho bestätigt Ellis einmal mehr seine herausragende Stellung als literarischer Chronist der Gegenwart. In zwölf miteinander verwobenen Geschichten zeichnet der Autor das Bild einer sanften Apokalypse im Los Angeles der 80er Jahre: Braungebrannte Teenagerstudenten kreuzen mit ihren Porsches durch die Straßen zwischen Bel Air und Malibu Beach, immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick, der ihrem kreditkartengesicherten Leben etwas Authentizität verleiht. Ob Drogendealer oder höhere Tochter, alle sind sie Konsumexperten - MTV, In-Restaurants, Drogen und Armani - man trifft sich zum Essen, zur Koksline, zum Sex, und man hat sich doch nichts zu sagen. Ihre Eltern stehen ihnen dabei in nichts nach, frustrierte Ehefrauen aus dem Filmbusiness halten sich Liebhaber im Alter ihrer Söhne, ein Vater nötigt seinen Sohn zum Wochenendtrip nach Hawaii, der sich als Fahrt ins blanke Nichts entpuppt.Ein Rockstar auf Welttournee schändet im Drogenrausch Zimmermädchen und Groupies, um dann von seinem Manager zu verlangen, was der Wunsch all dieser saturierten Upper-Class-Figuren zu sein scheint: "Bring mir meine Träume in Ordnung."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.1995Kein Steptanz im Zoo
Bret Easton Ellis legt einen Vampir auf die Couch / Von Walter Klier
Vor einigen Jahren hat der 1964 geborene amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis mit seinem Roman "American Psycho" auch in Europa einiges Aufsehen erregt. In diesem Roman unternahm er den ernsthaften Versuch, die Schauergeschichte in die Moderne hinüberzuretten, also vom Übersinnlichen zu reinigen und auf eine rein materialistische Basis zu stellen. Wie es sich für Amerika gehört, konnte das Monster in dieser New Yorker Börsenmakler-Geschichte also nur ein Massenmörder sein, der auf mirakulöse Weise unentdeckt bleibt, obwohl er am laufenden Band die abscheulichsten - und bis in abscheulichste Detail geschilderten - Morde begeht. Die unwahrscheinliche Folgenlosigkeit seiner Handlungen hilft mit, eine Spannung aufzubauen, die wiederum dem Leser zur Entschuldigung dient, die widerwärtigsten Passagen zu überblättern.
Dem Helden (und, wie immer bei Ellis, Ich-Erzähler) Patrick Bateman wird der eigene Irrsinn schließlich zuviel. Allem Anschein nach ignoriert die Welt seine Untaten, nicht einmal gerüchteweise scheint jemand davon etwas gehört zu haben, daß hier ständig Leute massakriert werden, und als er gegen Ende des Buches jemandem seine Untaten gesteht - jemandem, der ihn wie üblich mit jemand anderem verwechselt -, ist der nicht beeindruckt, im Gegenteil. Er glaubt es einfach nicht, schlimmer noch, er behauptet, mit dem angeblichen Mordopfer kürzlich noch zu Abend gegessen zu haben - was für das ganze Buch die Variante offenläßt, Batemans Wahnsinn spiele sich allein in dessen Einbildung ab.
"American Psycho" steckt zwar bis obenhin voller kulturpessimistischer Klischees (die Anonymität der modernen Großstadt) und ist hölzern und schematisch erzählt; trotz aller Einwände bleibt es noch ein höchst bemerkenswerter Roman der achtziger Jahre - der einem ziemlich genau im Gedächtnis bleibt, den man aber nicht unbedingt wieder lesen möchte. Eine der Ästhetik der Moderne innewohnende Schwäche wird weniger in als nach diesem Buch offenbar: daß nämlich der allgemeine Überbietungswettbewerb, das kompromißlose Streben nach der krassesten Wirkung relativ rasch an das Ende der Sackgasse führt.
Der Prosaband "Die Informanten", nach "American Psycho" erschienen, nimmt sich nun wie eine etwas bläßliche Aufwärmung zum größeren Werk aus. Wir befinden uns in Los Angeles und Umgebung, in einem Milieu der braungebrannten, von Drogen und Naturkost lebenden jungen Menschen, die meist beim Film arbeiten oder dort arbeiten wollen; manche von ihnen haben sehr reiche Eltern, manche haben selber eine Menge Geld. "So lief das eine Woche lang, sagt Bruce, bis Lauren anfing, mit einem dreiundzwanzigjährigen Immobilientycoon auszugehen, der etwa zwei Milliarden schwer ist. (. . .) Und dann kehrte Marshall nach SoHo ins Loft seines Exfreunds zurück, weil sein Exfreund, ein junger Kunsthändler, der etwa drei Millionen schwer ist, wollte, daß Marshall ihm drei funktionslose Träger in dem Loft in der Grand Street bemalt, in dem sie früher zusammen gewohnt hatten. Marshall ist etwa viertausend Dollar und ein paar Zerquetschte wert."
In der Art eines peniblen epischen Buchhalters registriert Ellis, mit demselben unbewegten Gesicht, das seine Figuren die meiste Zeit haben, was sie essen (Pizza mit Kaviar, Triscuits, "lauwarme Bratkartoffeln und harte, unten angekohlte Pancakes", sirupgetränkten Tofu, Joghurteis . . .), was sie trinken (Perrier, gespritzten Weißwein, Bloody Mary, "ein paar Kirs zuviel", "einen Stoli, pur auf Eis", "einen Wodka mit Eis", Champagner, Cola-Rum, Gin Tonic, Corona, Fruchtsaft, Tee . . .), was sie rauchen (Zigaretten, Joints, Beedies) oder sonstwie zu sich nehmen (Pot, Koks, Heroin, Demerol, Valium . . .).
Die Langeweile, der diese Leute ausgesetzt sind, ist "so monumental, daß man sich klein vorkommt", und der Leser liest in ständiger Furcht, sie könnte auch ihn erfassen. Merkwürdigerweise ist das gar nicht der Fall, man folgt all den Bruces, Lindas, Williams, Cheryls in ihre Bars und Diskotheken, auf ihre Parties, zu ihren vermischten hetero- und homosexuellen Abenteuern, auch sie vermögen die Langeweile nicht wirklich zu mildern, doch als nach einigen Vorwarnungen der schon vom Klappentext avisierte Vampir auftritt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Autor habe nun seine mit Designerinventar ausstaffierte Beckett-Welt selbst sattbekommen und präsentiert nun einen kleinen Aufguß von "American Psycho".
Allerdings fällt er, mit dem Vampir, ins traditionell, fast biedermeierlich Übersinnliche zurück. Zwar bringt es hübsche humoristische Effekte, den Vampir einem kalifornischen Psychiater auf die Couch zu legen und ihn aus einer Zeitung eine Sonnenauf- und -untergangstabelle ausschneiden und an die Wand heften zu lassen, letztlich verstärkt sich aber der Eindruck, hier werde das allgemeinere erzählerische Ziel, eine Welt mehr oder weniger wahrheitsgetreu darzustellen, der Suche nach knalliger Wirkung geopfert. Dabei gibt es schöne Momente, die einen das Scheitern des ganzen Projektes um so mehr bedauern lassen - etwa in der letzten der dreizehn Episoden des Buches, wo wir ein Paar bei einem Zoobesuch begleiten dürfen. "Ich wette, die Tiere da sind nicht besonders glücklich", sage ich, als wir uns einen Eisbär ansehen, der sich mit vom Chlor blau geflecktem Fell auf einen Tümpel mit einem künstlichen Eisberg zuschleppt. "Ach was", widerspricht Bruce. "Klar sind die glücklich." "Davon sehe ich aber nichts", sage ich. "Was erwartest du denn von ihnen? Wunderkerzen? Steptanz? Komplimente über deine schicke Bluse?"
In den selbergesteckten Grenzen seines engen epischen Konzepts ist Bret Easton Ellis von der Perfektion und Kälte eines Fotorealisten - den Leser (diesen Leser) läßt er schließlich kalt. Was bei ihm fehlt, sind emotionale Nuancen, Augenblicke der Rührung, Gedanken, Ausblicke auf eine weitere menschliche Realität, also all das, was etwa aus dem alten "Frankenstein" mehr macht als einen Genreroman.
Bret Easton Ellis: "Die Informanten". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Clara Drechsler. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995. 257 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bret Easton Ellis legt einen Vampir auf die Couch / Von Walter Klier
Vor einigen Jahren hat der 1964 geborene amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis mit seinem Roman "American Psycho" auch in Europa einiges Aufsehen erregt. In diesem Roman unternahm er den ernsthaften Versuch, die Schauergeschichte in die Moderne hinüberzuretten, also vom Übersinnlichen zu reinigen und auf eine rein materialistische Basis zu stellen. Wie es sich für Amerika gehört, konnte das Monster in dieser New Yorker Börsenmakler-Geschichte also nur ein Massenmörder sein, der auf mirakulöse Weise unentdeckt bleibt, obwohl er am laufenden Band die abscheulichsten - und bis in abscheulichste Detail geschilderten - Morde begeht. Die unwahrscheinliche Folgenlosigkeit seiner Handlungen hilft mit, eine Spannung aufzubauen, die wiederum dem Leser zur Entschuldigung dient, die widerwärtigsten Passagen zu überblättern.
Dem Helden (und, wie immer bei Ellis, Ich-Erzähler) Patrick Bateman wird der eigene Irrsinn schließlich zuviel. Allem Anschein nach ignoriert die Welt seine Untaten, nicht einmal gerüchteweise scheint jemand davon etwas gehört zu haben, daß hier ständig Leute massakriert werden, und als er gegen Ende des Buches jemandem seine Untaten gesteht - jemandem, der ihn wie üblich mit jemand anderem verwechselt -, ist der nicht beeindruckt, im Gegenteil. Er glaubt es einfach nicht, schlimmer noch, er behauptet, mit dem angeblichen Mordopfer kürzlich noch zu Abend gegessen zu haben - was für das ganze Buch die Variante offenläßt, Batemans Wahnsinn spiele sich allein in dessen Einbildung ab.
"American Psycho" steckt zwar bis obenhin voller kulturpessimistischer Klischees (die Anonymität der modernen Großstadt) und ist hölzern und schematisch erzählt; trotz aller Einwände bleibt es noch ein höchst bemerkenswerter Roman der achtziger Jahre - der einem ziemlich genau im Gedächtnis bleibt, den man aber nicht unbedingt wieder lesen möchte. Eine der Ästhetik der Moderne innewohnende Schwäche wird weniger in als nach diesem Buch offenbar: daß nämlich der allgemeine Überbietungswettbewerb, das kompromißlose Streben nach der krassesten Wirkung relativ rasch an das Ende der Sackgasse führt.
Der Prosaband "Die Informanten", nach "American Psycho" erschienen, nimmt sich nun wie eine etwas bläßliche Aufwärmung zum größeren Werk aus. Wir befinden uns in Los Angeles und Umgebung, in einem Milieu der braungebrannten, von Drogen und Naturkost lebenden jungen Menschen, die meist beim Film arbeiten oder dort arbeiten wollen; manche von ihnen haben sehr reiche Eltern, manche haben selber eine Menge Geld. "So lief das eine Woche lang, sagt Bruce, bis Lauren anfing, mit einem dreiundzwanzigjährigen Immobilientycoon auszugehen, der etwa zwei Milliarden schwer ist. (. . .) Und dann kehrte Marshall nach SoHo ins Loft seines Exfreunds zurück, weil sein Exfreund, ein junger Kunsthändler, der etwa drei Millionen schwer ist, wollte, daß Marshall ihm drei funktionslose Träger in dem Loft in der Grand Street bemalt, in dem sie früher zusammen gewohnt hatten. Marshall ist etwa viertausend Dollar und ein paar Zerquetschte wert."
In der Art eines peniblen epischen Buchhalters registriert Ellis, mit demselben unbewegten Gesicht, das seine Figuren die meiste Zeit haben, was sie essen (Pizza mit Kaviar, Triscuits, "lauwarme Bratkartoffeln und harte, unten angekohlte Pancakes", sirupgetränkten Tofu, Joghurteis . . .), was sie trinken (Perrier, gespritzten Weißwein, Bloody Mary, "ein paar Kirs zuviel", "einen Stoli, pur auf Eis", "einen Wodka mit Eis", Champagner, Cola-Rum, Gin Tonic, Corona, Fruchtsaft, Tee . . .), was sie rauchen (Zigaretten, Joints, Beedies) oder sonstwie zu sich nehmen (Pot, Koks, Heroin, Demerol, Valium . . .).
Die Langeweile, der diese Leute ausgesetzt sind, ist "so monumental, daß man sich klein vorkommt", und der Leser liest in ständiger Furcht, sie könnte auch ihn erfassen. Merkwürdigerweise ist das gar nicht der Fall, man folgt all den Bruces, Lindas, Williams, Cheryls in ihre Bars und Diskotheken, auf ihre Parties, zu ihren vermischten hetero- und homosexuellen Abenteuern, auch sie vermögen die Langeweile nicht wirklich zu mildern, doch als nach einigen Vorwarnungen der schon vom Klappentext avisierte Vampir auftritt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Autor habe nun seine mit Designerinventar ausstaffierte Beckett-Welt selbst sattbekommen und präsentiert nun einen kleinen Aufguß von "American Psycho".
Allerdings fällt er, mit dem Vampir, ins traditionell, fast biedermeierlich Übersinnliche zurück. Zwar bringt es hübsche humoristische Effekte, den Vampir einem kalifornischen Psychiater auf die Couch zu legen und ihn aus einer Zeitung eine Sonnenauf- und -untergangstabelle ausschneiden und an die Wand heften zu lassen, letztlich verstärkt sich aber der Eindruck, hier werde das allgemeinere erzählerische Ziel, eine Welt mehr oder weniger wahrheitsgetreu darzustellen, der Suche nach knalliger Wirkung geopfert. Dabei gibt es schöne Momente, die einen das Scheitern des ganzen Projektes um so mehr bedauern lassen - etwa in der letzten der dreizehn Episoden des Buches, wo wir ein Paar bei einem Zoobesuch begleiten dürfen. "Ich wette, die Tiere da sind nicht besonders glücklich", sage ich, als wir uns einen Eisbär ansehen, der sich mit vom Chlor blau geflecktem Fell auf einen Tümpel mit einem künstlichen Eisberg zuschleppt. "Ach was", widerspricht Bruce. "Klar sind die glücklich." "Davon sehe ich aber nichts", sage ich. "Was erwartest du denn von ihnen? Wunderkerzen? Steptanz? Komplimente über deine schicke Bluse?"
In den selbergesteckten Grenzen seines engen epischen Konzepts ist Bret Easton Ellis von der Perfektion und Kälte eines Fotorealisten - den Leser (diesen Leser) läßt er schließlich kalt. Was bei ihm fehlt, sind emotionale Nuancen, Augenblicke der Rührung, Gedanken, Ausblicke auf eine weitere menschliche Realität, also all das, was etwa aus dem alten "Frankenstein" mehr macht als einen Genreroman.
Bret Easton Ellis: "Die Informanten". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Clara Drechsler. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995. 257 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2010Süddeutsche Zeitung Bibliothek
Metropolen Band 13
Librium, Valium
und Kokain
„Die Informanten“
von Bret Easton Ellis
„Robert, zweiundzwanzig, ist rund dreihundert Millionen Dollar wert.“ – „Marshall ist etwa viertausend Dollar und ein paar Zerquetschte wert.“
Gleich in der ersten Geschichte werden die Menschen nach ihrem Vermögen taxiert. Wer nicht reich ist in diesem Los Angeles der ersten Hälfte der achtziger Jahre, der ist jung und schön und lässt sich von den Reichen aushalten. Und so sind sie sich am Ende alle gleich: Sie nehmen Librium und Valium und Kokain. Sie sind untreu und oft bisexuell. Sie fahren gerne Porsche und Jaguar. Sie haben Wohlstandskrankheiten wie Anorexie oder Schönheitschirurgie. Sie sind von der kalifornischen Sonne gebräunt, sie hören Prince, Madonna und Boy George, sie schauen sich Breakdancer und MTV an. Sie bekämpfen mit allerlei Cocktails „eine Langeweile, so monumental, dass man sich klein vorkommt“. Sie haben substanzlose oder kaputte Beziehungen und keinen wirklich wiedererkennbaren Charakter. Sie sind Hollywoodproduzenten, geschiedene Ehefrauen, Studenten der USC oder UCLA. Ihre Geistesverfassung: bei höchster psychischer Sensibilität zugleich totale Herzlosigkeit.
„Die Informanten“ („The Informers“) erschien 1994, drei Jahre nach „American Psycho“, Bret Easton Ellis’ Bestseller über einen markengeilen Wallstreet-Investmentbanker und brutalen Serienmörder. „Die Informanten“ ist ein Erzählungsband mit Kapiteln; durch wechselnde Geschlechter, durch die Wiederkehr von Figuren in verschiedenen Perspektiven, durch aufgegriffene Motive fügt sich das Buch aber zum kunstvollen, illusionslosen Roman über die Metropole der Oberflächlichkeit. Mit den so leichten wie schmerzlichen Skizzen dieses Buches kehrte Bret Easton Ellis in die luftig helle, aber auch monströs formlose Unstadt L. A. zurück, seine Geburtsstadt, in der sein Debütroman „Less Than Zero“ von 1985 spielte. Als „The Informers“ übrigens 2009 mit Billy Bob Thornton, Winona Ryder und anderen Stars verfilmt wurde, da war zur moralischen Krise Kaliforniens auch noch die materielle hinzugekommen.
Das dekadente „Paradies“ aus Sonne, Partys, Drogen und emotionaler Leere, das Bret Easton Ellis lakonisch zur Normalität erklärt, verleitet die Protagonisten zum Ekel an dieser Existenz und zugleich zum unentrinnbaren Gefallen daran. Meisterhaft wird dies in einer der Geschichten deutlich, einer Brief-Novelle: Eine Studentin aus New York macht eine Auszeit in Los Angeles, schreibt unbeantwortete Briefe an die Ostküste und wird scheinbar widerwillig in den fremden Lebensstil hineingezogen: „Ich habe es irgendwie satt, Nacht für Nacht in denselben Clubs rumzuhängen und am Pool zu liegen und dieses ganze unglaubliche Koks zu schnupfen. (. . .) Ein Tag gleicht dem anderen.“ Doch sie schreibt auch: „Ich habe das Gefühl, ewig so leben zu wollen.“ Und kurz danach: „Es macht Spaß, mehr aber auch nicht.“ Dieses Buch ist eine diabolische Verführung zum Nichts.
JOHAN SCHLOEMANN
Bret Easton Ellis
Foto: Friedrich/SZ Photo
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Metropolen Band 13
Librium, Valium
und Kokain
„Die Informanten“
von Bret Easton Ellis
„Robert, zweiundzwanzig, ist rund dreihundert Millionen Dollar wert.“ – „Marshall ist etwa viertausend Dollar und ein paar Zerquetschte wert.“
Gleich in der ersten Geschichte werden die Menschen nach ihrem Vermögen taxiert. Wer nicht reich ist in diesem Los Angeles der ersten Hälfte der achtziger Jahre, der ist jung und schön und lässt sich von den Reichen aushalten. Und so sind sie sich am Ende alle gleich: Sie nehmen Librium und Valium und Kokain. Sie sind untreu und oft bisexuell. Sie fahren gerne Porsche und Jaguar. Sie haben Wohlstandskrankheiten wie Anorexie oder Schönheitschirurgie. Sie sind von der kalifornischen Sonne gebräunt, sie hören Prince, Madonna und Boy George, sie schauen sich Breakdancer und MTV an. Sie bekämpfen mit allerlei Cocktails „eine Langeweile, so monumental, dass man sich klein vorkommt“. Sie haben substanzlose oder kaputte Beziehungen und keinen wirklich wiedererkennbaren Charakter. Sie sind Hollywoodproduzenten, geschiedene Ehefrauen, Studenten der USC oder UCLA. Ihre Geistesverfassung: bei höchster psychischer Sensibilität zugleich totale Herzlosigkeit.
„Die Informanten“ („The Informers“) erschien 1994, drei Jahre nach „American Psycho“, Bret Easton Ellis’ Bestseller über einen markengeilen Wallstreet-Investmentbanker und brutalen Serienmörder. „Die Informanten“ ist ein Erzählungsband mit Kapiteln; durch wechselnde Geschlechter, durch die Wiederkehr von Figuren in verschiedenen Perspektiven, durch aufgegriffene Motive fügt sich das Buch aber zum kunstvollen, illusionslosen Roman über die Metropole der Oberflächlichkeit. Mit den so leichten wie schmerzlichen Skizzen dieses Buches kehrte Bret Easton Ellis in die luftig helle, aber auch monströs formlose Unstadt L. A. zurück, seine Geburtsstadt, in der sein Debütroman „Less Than Zero“ von 1985 spielte. Als „The Informers“ übrigens 2009 mit Billy Bob Thornton, Winona Ryder und anderen Stars verfilmt wurde, da war zur moralischen Krise Kaliforniens auch noch die materielle hinzugekommen.
Das dekadente „Paradies“ aus Sonne, Partys, Drogen und emotionaler Leere, das Bret Easton Ellis lakonisch zur Normalität erklärt, verleitet die Protagonisten zum Ekel an dieser Existenz und zugleich zum unentrinnbaren Gefallen daran. Meisterhaft wird dies in einer der Geschichten deutlich, einer Brief-Novelle: Eine Studentin aus New York macht eine Auszeit in Los Angeles, schreibt unbeantwortete Briefe an die Ostküste und wird scheinbar widerwillig in den fremden Lebensstil hineingezogen: „Ich habe es irgendwie satt, Nacht für Nacht in denselben Clubs rumzuhängen und am Pool zu liegen und dieses ganze unglaubliche Koks zu schnupfen. (. . .) Ein Tag gleicht dem anderen.“ Doch sie schreibt auch: „Ich habe das Gefühl, ewig so leben zu wollen.“ Und kurz danach: „Es macht Spaß, mehr aber auch nicht.“ Dieses Buch ist eine diabolische Verführung zum Nichts.
JOHAN SCHLOEMANN
Bret Easton Ellis
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"Die amerikanische Apokalypse hat begonnen." Stuttgarter Zeitung