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Die zionistische Idee ist 100 Jahre alt, der Staat Israel 50 - und mit ihm der Nahostkonflikt. Weder Juden noch Palästinenser wollen den historischen Ausgleich zum gegenwärtigen Zeitpunkt: Die einen scheuen die klare Trennung von Staat und Synagoge, die anderen ziehen Vorteile aus ihrer Opferrolle. Broder spart keines der vielen Tabus aus.

Produktbeschreibung
Die zionistische Idee ist 100 Jahre alt, der Staat Israel 50 - und mit ihm der Nahostkonflikt. Weder Juden noch Palästinenser wollen den historischen Ausgleich zum gegenwärtigen Zeitpunkt: Die einen scheuen die klare Trennung von Staat und Synagoge, die anderen ziehen Vorteile aus ihrer Opferrolle. Broder spart keines der vielen Tabus aus.
Autorenporträt
Henryk M. Broder, geboren 1946 in Katowice, Polen, ist Journalist beim "Spiegel" und lebt in Berlin und Jerusalem. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. 2005 erhielt Henryk M. Broder den traditionsreichen Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen und 2007 den Ludwig-Börne-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.1998

Die Logik der Paranoia
Karikatur als zweischneidiges Schwert

Henryk M. Broder: Die Irren von Zion. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1998. 283 Seiten, 39,80 Mark.

Zum fünfzigjährigen Jubiläum der Staatsgründung Israels legt Henryk M. Broder 27 Reportagen über den Nahost-Konflikt vor. Es ist ein witziges Buch zu einem traurigen Thema geworden. Die Israelis, so schreibt er im einleitenden Kapitel, erkenne man schon im El-Al-Flieger: "Sie laufen erst einmal das ganze Flugzeug auf und ab, um zu sehen, ob Bekannte und Nachbarn an Bord sind, bevor sie sich auf Plätze setzen, für die sie keine Bordkarten haben." Zwei Seiten später, noch immer in der Einleitung, wird diese Karikatur einer Usurpation auf die Politik übertragen: Golda Meir habe weit und breit kein palästinensisches Volk gesehen, Menachem Begin keine Besatzung, und Benjamin Netanjahu sehe keine Möglichkeit für einen palästinensischen Staat. "Dies alles", so resümiert Broder, "ist keine Frage der politischen Taktik oder Strategie, es ist der Autismus als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln."

Broders Diagnose für die "Irren von Zion" lautet auf Paranoia. Im Anflug auf Israel betrachtet er das Land noch aus der Vogelschau, dann nimmt er seine Extremisten ins Visier. Das Anschauungsmaterial holt er sich aus den besetzten Gebieten, zumeist unter den Siedlern, die aus Amerika gekommen sind, um den palästinensischen Indianern wieder ihr Land abzujagen. Manchmal aber sind es auch Deutsche, die zum Judentum übergetreten sind.

Einer dieser Deutschen war schon immer Jude. Als er 1926 in Kiel zur Welt kam, hieß er Georg Bombach, 1938 floh er mit seiner Familie vor Hitler nach Palästina, seit 1968, jetzt unter seinem hebräischen Namen Eljakim Ha'etzni, lebt er bei Hebron. "Hier habe ich eine Mission", verkündet er Henryk Broder. "Jetzt geht es darum, Widerstand im Land zu organisieren gegen eine Räumung der Siedlungen. Ich habe ein Leben voller Inhalt, mit wichtigen Aufgaben." Ein erfülltes Leben macht glücklich, und das war Ha'etzni auch, aber nur bis zum 13. September 1993. Da drückte Rabin die Hand Arafats, und dieser Tag, so Ha'etzni, wird in die jüdische Geschichte eingehen wie der Tag der Zerstörung des Zweiten Tempels. Seither mag er die Israelis nicht mehr. "Im jüdischen Volk haben sie Kräfte, die defekt sind. Die Assimilanten, die Friedensapostel, die Leute mit dem genetischen Defekt, das sind die Israelis; die wollen keine Juden sein. Ich bin zuerst Jude." Wer Jude ist, bestimmt Ha'etzni. Henryk Broder ist selbst Jude. Seit Beginn der achtziger Jahre lebt er nicht nur in Deutschland, er hat als zweiten Wohnsitz Jerusalem gewählt. Es ist der Blick des Insiders, der seinen Bildern ihre Schärfe verleiht; der israelische Leser dieses Buches erkennt sich schnell wieder. Er braucht nur in die linksliberale Zeitung "Ha'aretz" zu schauen oder in die Massenblätter "Ma'ariv" und "Yedioth Acharonoth", um solchen Reportagen von israelischer Doppelbödigkeit zu begegnen.

Was aber erkennt der deutsche Leser, wenn ihm das geboten wird? Ist ihm zum Beispiel bewußt, was der Titel des Buches andeutet? Die Irren von Zion hießen einmal die Weisen von Zion: das antisemitische Konstrukt einer imaginären jüdischen Verschwörung, die die Weltherrschaft anstrebe. Der Paranoia, die Broder hier in klug beobachteten Facetten aufdeckt, stand in Deutschland einmal eine andere Paranoia entgegen. Erinnert sich der deutsche Leser noch an sie, wenn er jetzt seinen Kopf schüttelt und über Broders Witz lächelt? Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Wer einem kritischen Journalisten seine Kritik verbieten wollte, weil sie mißverständlich sei, der hätte nichts erreicht. Zuletzt ist ein Autor wie Broder nur nach ästhetischen Kriterien zu messen. Was, so muß die Frage lauten, macht eine gute Karikatur aus, und wo ist sie ihm gelungen? Gute Karikaturen streichen eine Extremität heraus - zum Beispiel eine lange Nase oder eben die fanatisierten Siedler am Westufer des Jordans -, und sie lassen dabei eine verborgene Bedeutung durchschimmern, die erst in dieser Extremität sichtbar wird. Um festzustellen, wo Broder diesem Anspruch genügt, soll zuerst gesagt werden, wo nicht: bei den Palästinensern.

Weil Broder kein Araber ist, durchschaut er sie nicht wie seine jüdischen Protagonisten, er läßt sie in seinen Interviews nur zu Wort kommen, aber nicht vor unsere Augen. So läßt Broder den Journalisten Jamil Hamad in zwei Gesprächen auf dreißig zu langen Seiten als Stimme der Vernunft auftreten; alles, was er sagt, ist schön und gut und lobenswert, aber eben nicht witzig. In der Irrenanstalt, zu der der Nahe Osten in diesem Buch wird, ist auch die Stimme der Vernunft nur ein Teil der Komödie, aber Broder kann das nicht zeigen, weil er nicht weiß, wie die Pose des ihm Fremden auseinanderzunehmen ist. Ganz anders geht es ihm da mit seinen Juden. Der bombastische Georg Bombach alias Eljakim Ha'etzni wird genau deshalb als traurige Witzfigur sichtbar, weil Broder uns nicht nur an dem Unsinn teilnehmen läßt, den er verzapft, sondern auch an dem Mist, auf dem das gewachsen ist. Den Händedruck mit Arafat stilisiert der selbsternannte Prophet zur neuen Tempelzerstörung, zum Mythos im Taschenformat, und dann beschreibt er die Anhänger des Friedens als genetisch defekt: Wie Adolf Hitler, unter dem er einst seine formativen Jahre verbracht hat, erklärt auch er jetzt die Störenfriede in seiner Weltanschauung zu entarteten Menschen.

Jakob Hessing

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