Die »alternative« als fortlaufender Versuch, mit den Mitteln einer Zeitschrift auf die Verhältnisse ihrer Zeit einzuwirken.In den Jahren um 1968 entwickelte sich aus einem kleinen literarischen Magazin eine der meistgelesenen Theoriezeitschriften der Bundesrepublik. Unter der Herausgeberin Hildegard Brenner wurde die »alternative« zu einem Forum intellektueller Entdeckungen und Wiederentdeckungen. Ideengeschichtliche Traditionen des westlichen Marxismus wurden hier ebenso diskutiert wie der französische Strukturalismus und die feministische Kritik der Psychoanalyse, literaturpolitische Auseinandersetzungen in Ost und West ebenso wie die politischen Bewegungen der Zeit.Einen Leitfaden der »alternative« bildete die fortlaufende Reflexion darüber, wie mit intellektuellen Mitteln gesellschaftliche Wirkung zu erzeugen sei - bis im linken Krisenjahrzehnt der 1970er Jahre vermehrt das Scheitern an diesem Anspruch zum Thema der Zeitschrift wurde. Moritz Neuffer rekonstruiert die Kollektivbiografie der Redakteurinnen, Autoren und Leserinnen und fragt, was das Publizieren in der »journalistischen Form« der Zeitschrift von anderen Formen des Denkens und Schreibens unterscheidet.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jörg Später liest mit den Neuerscheinungen von Moritz Neuffer und David Bebnowski zwei lesenswerte Bücher, die die Zeitschriften der Neuen Linken erforschen. Der Historiker Neuffer widmet sich der Zeitschrift alternative, sein Kollege David Bebnowski analysiert die Zeitschriften Das Argument und Prokla. Beiden Autoren attestiert der Kritiker Umsicht und das Vermögen, ihre Lektüren in "breitere Kontexte" einzubinden, etwa in die bundesrepublikanische Zeitgeschichte. Gerade durch die vergleichende Lektüre erkennt Später die Parallelen der in den Fünfzigern gegründeten Nischen-Zeitschriften alternative und Argument, die anfänglich gar nicht marxistisch ausgelegt waren, sondern zunächst aus dem "Unbehagen" der immer noch gegenwärtigen Nazi-Vergangenheit entstanden. Der Lektüre der beiden Bände verdankt der Kritiker zudem nicht nur Einblicke in die Entwicklungsgeschichte der Zeitungen bis zu deren Ende, sondern erfährt auch von den unterschiedlichen Ideologien einzelner Redakteure. Nicht zuletzt lobt Später die Werke für interessante Antworten auf generelle Fragen wie: "Warum wurde der Marxismus in den Sechzigern relevant und im Laufe der Siebziger uninteressant?"
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2021Auf dem Weg zum Markt für Marx
Nicht ohne einen Vatermord: Zwei aufschlussreiche Bücher widmen sich Zeitschriften der Neuen Linken
Gut fünfzig Jahre nach dem epochalen Jahr 1968 werden die Zeitschriften der Neuen Linken eine nach der anderen erforscht. Zuerst war natürlich das Flaggschiff dran, das legendäre von Hans Magnus Enzensberger geführte Kursbuch. In ihrer Hochzeit stand die Auflage bei fünfzigtausend Exemplaren. Jetzt erscheinen die ersten Arbeiten über andere Theoriezeitschriften aus dem Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), die immerhin beständig eine Auflage zwischen zehntausend und fünfzehntausend Exemplaren hatten und mit einzelnen Ausgaben auch schon mal über die Zwanzigtausend hinausschossen.
Im Blickpunkt stehen Alternative und Das Argument, beide Ende der Fünfzigerjahre gegründet, und Probleme des Klassenkampfes, später: Prokla, die schon zur zweiten Welle neulinker Publikationen gehört und zu Beginn der Siebziger auf den "Markt für Marx" drängte. Was man sich stets vor Augen halten sollte: Selbst wenn solche Zeitschriften zusammen hunderttausend Leser hatten (so es denn keine Doppelleser gab), dann sprechen wir immer noch über einen Nischenmarkt. Hingegen schauten damals 3,5 Millionen Bundesbürger täglich in die Bild-Zeitung. Allerdings entsprangen spätere Kanzler, Minister, Ministerpräsidenten dem Feld des akademischen Marxismus, das diese Hefte bespielten.
Nun sind zeitgleich Moritz Neuffers Studie über "die journalistische Form der Theorie" der Alternative und David Bebnowskis Rekonstruktion der "Kämpfe mit Marx" von Argument und Prokla erschienen. Vorweg: Es sind ausgezeichnete Bücher von begabten Autoren, die in versunkene Theorielandschaften gereist sind, sich dabei aber nicht verlaufen, sondern zurückgefunden, den Kopf gehoben und umsichtig ihre Lektüreerlebnisse analytisch in breitere Kontexte eingewoben haben - sei es in den der Neuen Linken in den westlichen Industrieländern, sei es in den des Zeitschriftenmarkts, sei es in die bundesrepublikanische Zeitgeschichte. Gerade weil sie sich für viel mehr interessieren als "ihre" Zeitschrift, verzetteln sie sich nicht.
Wenn man beide Bücher übereinanderlegt, kommt folgende Story zum Vorschein: Die Gründerjahre liegen 1958/59, der Ort ist Westberlin. Weder Alternative noch Argument sind zu Beginn marxistisch, sondern entstehen aus Angst vor der Atombombe und aus dem Unbehagen über die spürbar gegenwärtige braune Vergangenheit, augenfällig im Antikommunismus. Vor der Hinwendung zu neu entdeckten Traditionen des undogmatischen Marxismus oder der Weimarer Avantgarde stehen der Mauerbau und der Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD gegenüber dem SDS. Im Berliner Treibhaus und in einem leeren Raum links von der SPD entwickeln sich beide Projekte in einer sich immer weiter ausdehnenden Teilöffentlichkeit, die attraktiv ist für aufgeweckte, intelligente und politisierte junge Menschen, deren Bildungs- und Welthunger in Uni-Seminaren allein nicht gestillt wird.
Bei der Alternative übernimmt 1963/64 die Literaturwissenschaftlerin Hildegard Brenner, Jahrgang 1927, die Regie, die einzige Frau in den Sechzigerjahren, die eine solche Zeitschrift führt. Diese steht für die Politisierung von Literatur und deren Reflexion durch Theorie. Ihr Motto: kein Programm, kein Statut, keine Schule. Die Alternative interessiert sich insbesondere für nonkonformistische DDR-Literatur, für den französischen Strukturalismus und natürlich den Marxismus. Sie macht Schlagzeilen, als sie Theodor W. Adorno vorwirft, die marxistischen Elemente von Walter Benjamin zensiert zu haben und seinen Nachlass zu manipulieren. Der beteiligte Helmut Lethen spricht rückblickend von einer "Operation Vatermord".
Beim Argument verläuft der Weg zu Marx nicht gegen, sondern gerade über die Frankfurter Schule. Wolfgang Fritz Haug, Jahrgang 1936, erklärt die Zeitschrift für Sozialforschung, deren Ausgaben von 1932 bis 1941 er zu Beginn der Sechzigerjahre entdeckt, zum Vorbild für die junge Zeitschrift, deren Galionsfigur er von Anfang an ist. Ihm geht es darum, den Marxismus an der Universität zu verankern. Die Hochschulreformen ermöglichen gerade an der Freien Universität solche Nischen einer "kritischen Universität". Haugs Projekt heißt Wissenschaft, auch und gerade als der Aktionismus in der SDS, dem er selbst angehört, dominant wird. Als sich die Deutsche Kommunistische Partei/Sozialistische Einheitspartei Westberlins (DKP/SEW) 1968 neu konstituiert, gerät das Argument in deren Fahrwasser, denn zu ihrem "wissenschaftlichen Sozialismus" gehört es, Kommunisten nicht auszuschließen.
Zwei wichtige Redakteure verlassen daraufhin aus Protest die Zeitschrift, einer von ihnen ist Elmar Altvater, der in der Kollektivredaktion der Probleme des Klassenkampfes federführend sein wird. Die 1971 gegründete Zeitschrift interessiert sich für den Weltmarkt, für global denkende marxistische Sozialwissenschaftler, für den Neoliberalismus, wie er in Chile erprobt wird, für Gewerkschaften und staatsferne sozialistische Ideen, aber auch für monetäre Werttheorien. 1976 werden die Probleme des Klassenkampfes allerdings so bestimmend, dass der Name in Prokla abgeändert wird.
Ein Grund für den Bruch mit dem Argument zuvor ist die Privatisierung beziehungsweise "Expropriation" des Argument-Verlages durch das Ehepaar Wolfgang Fritz und Frigga Haug. Etwas Ähnliches passiert im Zuge der Professionalisierung bei der Alternative. Nachdem das inhaltliche Ziel, einen Gegen-Kanon für "materialistische Literaturtheorie" zur Literaturwissenschaft zu entwickeln, erreicht ist, stellt sich infolge von Professionalisierungsprozessen um 1974 die Frage: Wem gehört die Alternative? Die Machtfrage wird mit juristisch-bürgerlichen Mitteln und zugunsten von Brenner, der "Chefin" (Lethen), geklärt. Nach der politisch-persönlichen Krise folgt die ökonomische. Auch die anderen Zeitschriften verlieren sukzessive an Boden. "Theorie geht nicht mehr", heißt es nicht nur bei Suhrkamp. Ab 1973/74 - zeitgleich mit der allgemeinen Wirtschaftskrise und dem ökonomischen Strukturbruch - sinken nicht nur die Auflagenzahlen, sondern die linke Gegenöffentlichkeit ist mehr und mehr politisch zerrissen. Sie verinselt sozusagen, ohne dass Brücken in diesem Archipel gebaut werden.
Das ist auch die Zeit der "Kapital"-Lektüren mit dem Streit um die wahre Lehre, eine Art Metaphysik des Marxismus. Die Alternative beschäftigt sich mit "ideologischen Staatsapparaten", bis deren Erfinder Louis Althusser 1980 seine Frau tötet und in die Psychiatrie muss. Was für ein Fanal für die Krise des Marxismus! Die anderen diskutieren mit Eifer Abbild- und Widerspiegelungstheorien. 1977 werden alle gemeinsam von der RAF und staatlicher Repression heimgesucht, was solche Differenzen vorübergehend unwichtig macht. Allein die Debatten um den Marxismus-Feminismus sind in dieser Zeit spannend und relevant, denn es gibt eine soziale Bewegung, die ihre Theorie auf gesellschaftliche Erfahrungen stützt, nämlich die Frauenbewegung der Siebzigerjahre.
Die Alternative stellt 1982 die Produktion ein, weil sie keine mehr anzubieten hat und zudem ihr Name von der Partei der Grünen geklaut wurde. Sie stellt fest, dass ihre Überbau-Revolte keine Resonanz mehr findet und die politische Klasse der 1968er an ihr Ende gekommen ist. Das Argument gibt es allerdings noch immer, so wie es ja die DKP auch noch immer gibt. Immerhin haben die Haugs zuweilen interessante Projekte wie die Entdeckung der Gefängnishefte von Gramsci. Die Prokla schließlich ist heute eine "Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft" ohne Bewegung.
Legt man Bebnowski und Neuffer in analytischer Perspektive übereinander, so besteht ihr Forschungsproblem darin, wie das Verhältnis von Neuer Linker und ihren Zeitschriften zu fassen ist, immer mit Blick auf Geschichte und Gesellschaft: Sind die Zeitschriften Seismographen eines Milieus oder seine produktive Keimzelle? Dazu haben die beiden Autoren interessante Ideen. Darüber hinaus stellen sich aber auch allgemeinere Fragen: Was erfährt man eigentlich bei der Lektüre von solchen Zeitschriften? Warum wurde der Marxismus in den Sechzigern relevant und im Laufe der Siebziger uninteressant? Warum überhaupt diese Neigung zur Theorie, die wie der Fetisch einer Generation aussieht? Und was lernen wir dabei über die Geschichte der Bundesrepublik? Die beiden Autoren liefern darauf differenzierte Antworten, die sie aus der Geschichte ihrer jeweiligen Zeitschrift gewonnen haben - so wie es sich für eine reflektierte Forschung gehört. Die Fragen sind damit nicht abgegolten. Aber es gibt ja noch viele Zeitschriften - Neue Kritik, Links, Ästhetik & Kommunikation -, über die gegenwärtig geforscht und nachgedacht wird. JÖRG SPÄTER
Moritz Neuffer: "Die journalistische Form der Theorie". Die Zeitschrift alternative, 1958 -1982.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 415 S., Abb., geb., 36,- Euro.
David Bebnowski: "Kämpfe mit Marx". Neue Linke und akademischer Marxismus in den Zeitschriften Das Argument und Prokla 1959 -1976.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
534 S., geb., 46,- Euro.
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Nicht ohne einen Vatermord: Zwei aufschlussreiche Bücher widmen sich Zeitschriften der Neuen Linken
Gut fünfzig Jahre nach dem epochalen Jahr 1968 werden die Zeitschriften der Neuen Linken eine nach der anderen erforscht. Zuerst war natürlich das Flaggschiff dran, das legendäre von Hans Magnus Enzensberger geführte Kursbuch. In ihrer Hochzeit stand die Auflage bei fünfzigtausend Exemplaren. Jetzt erscheinen die ersten Arbeiten über andere Theoriezeitschriften aus dem Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), die immerhin beständig eine Auflage zwischen zehntausend und fünfzehntausend Exemplaren hatten und mit einzelnen Ausgaben auch schon mal über die Zwanzigtausend hinausschossen.
Im Blickpunkt stehen Alternative und Das Argument, beide Ende der Fünfzigerjahre gegründet, und Probleme des Klassenkampfes, später: Prokla, die schon zur zweiten Welle neulinker Publikationen gehört und zu Beginn der Siebziger auf den "Markt für Marx" drängte. Was man sich stets vor Augen halten sollte: Selbst wenn solche Zeitschriften zusammen hunderttausend Leser hatten (so es denn keine Doppelleser gab), dann sprechen wir immer noch über einen Nischenmarkt. Hingegen schauten damals 3,5 Millionen Bundesbürger täglich in die Bild-Zeitung. Allerdings entsprangen spätere Kanzler, Minister, Ministerpräsidenten dem Feld des akademischen Marxismus, das diese Hefte bespielten.
Nun sind zeitgleich Moritz Neuffers Studie über "die journalistische Form der Theorie" der Alternative und David Bebnowskis Rekonstruktion der "Kämpfe mit Marx" von Argument und Prokla erschienen. Vorweg: Es sind ausgezeichnete Bücher von begabten Autoren, die in versunkene Theorielandschaften gereist sind, sich dabei aber nicht verlaufen, sondern zurückgefunden, den Kopf gehoben und umsichtig ihre Lektüreerlebnisse analytisch in breitere Kontexte eingewoben haben - sei es in den der Neuen Linken in den westlichen Industrieländern, sei es in den des Zeitschriftenmarkts, sei es in die bundesrepublikanische Zeitgeschichte. Gerade weil sie sich für viel mehr interessieren als "ihre" Zeitschrift, verzetteln sie sich nicht.
Wenn man beide Bücher übereinanderlegt, kommt folgende Story zum Vorschein: Die Gründerjahre liegen 1958/59, der Ort ist Westberlin. Weder Alternative noch Argument sind zu Beginn marxistisch, sondern entstehen aus Angst vor der Atombombe und aus dem Unbehagen über die spürbar gegenwärtige braune Vergangenheit, augenfällig im Antikommunismus. Vor der Hinwendung zu neu entdeckten Traditionen des undogmatischen Marxismus oder der Weimarer Avantgarde stehen der Mauerbau und der Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD gegenüber dem SDS. Im Berliner Treibhaus und in einem leeren Raum links von der SPD entwickeln sich beide Projekte in einer sich immer weiter ausdehnenden Teilöffentlichkeit, die attraktiv ist für aufgeweckte, intelligente und politisierte junge Menschen, deren Bildungs- und Welthunger in Uni-Seminaren allein nicht gestillt wird.
Bei der Alternative übernimmt 1963/64 die Literaturwissenschaftlerin Hildegard Brenner, Jahrgang 1927, die Regie, die einzige Frau in den Sechzigerjahren, die eine solche Zeitschrift führt. Diese steht für die Politisierung von Literatur und deren Reflexion durch Theorie. Ihr Motto: kein Programm, kein Statut, keine Schule. Die Alternative interessiert sich insbesondere für nonkonformistische DDR-Literatur, für den französischen Strukturalismus und natürlich den Marxismus. Sie macht Schlagzeilen, als sie Theodor W. Adorno vorwirft, die marxistischen Elemente von Walter Benjamin zensiert zu haben und seinen Nachlass zu manipulieren. Der beteiligte Helmut Lethen spricht rückblickend von einer "Operation Vatermord".
Beim Argument verläuft der Weg zu Marx nicht gegen, sondern gerade über die Frankfurter Schule. Wolfgang Fritz Haug, Jahrgang 1936, erklärt die Zeitschrift für Sozialforschung, deren Ausgaben von 1932 bis 1941 er zu Beginn der Sechzigerjahre entdeckt, zum Vorbild für die junge Zeitschrift, deren Galionsfigur er von Anfang an ist. Ihm geht es darum, den Marxismus an der Universität zu verankern. Die Hochschulreformen ermöglichen gerade an der Freien Universität solche Nischen einer "kritischen Universität". Haugs Projekt heißt Wissenschaft, auch und gerade als der Aktionismus in der SDS, dem er selbst angehört, dominant wird. Als sich die Deutsche Kommunistische Partei/Sozialistische Einheitspartei Westberlins (DKP/SEW) 1968 neu konstituiert, gerät das Argument in deren Fahrwasser, denn zu ihrem "wissenschaftlichen Sozialismus" gehört es, Kommunisten nicht auszuschließen.
Zwei wichtige Redakteure verlassen daraufhin aus Protest die Zeitschrift, einer von ihnen ist Elmar Altvater, der in der Kollektivredaktion der Probleme des Klassenkampfes federführend sein wird. Die 1971 gegründete Zeitschrift interessiert sich für den Weltmarkt, für global denkende marxistische Sozialwissenschaftler, für den Neoliberalismus, wie er in Chile erprobt wird, für Gewerkschaften und staatsferne sozialistische Ideen, aber auch für monetäre Werttheorien. 1976 werden die Probleme des Klassenkampfes allerdings so bestimmend, dass der Name in Prokla abgeändert wird.
Ein Grund für den Bruch mit dem Argument zuvor ist die Privatisierung beziehungsweise "Expropriation" des Argument-Verlages durch das Ehepaar Wolfgang Fritz und Frigga Haug. Etwas Ähnliches passiert im Zuge der Professionalisierung bei der Alternative. Nachdem das inhaltliche Ziel, einen Gegen-Kanon für "materialistische Literaturtheorie" zur Literaturwissenschaft zu entwickeln, erreicht ist, stellt sich infolge von Professionalisierungsprozessen um 1974 die Frage: Wem gehört die Alternative? Die Machtfrage wird mit juristisch-bürgerlichen Mitteln und zugunsten von Brenner, der "Chefin" (Lethen), geklärt. Nach der politisch-persönlichen Krise folgt die ökonomische. Auch die anderen Zeitschriften verlieren sukzessive an Boden. "Theorie geht nicht mehr", heißt es nicht nur bei Suhrkamp. Ab 1973/74 - zeitgleich mit der allgemeinen Wirtschaftskrise und dem ökonomischen Strukturbruch - sinken nicht nur die Auflagenzahlen, sondern die linke Gegenöffentlichkeit ist mehr und mehr politisch zerrissen. Sie verinselt sozusagen, ohne dass Brücken in diesem Archipel gebaut werden.
Das ist auch die Zeit der "Kapital"-Lektüren mit dem Streit um die wahre Lehre, eine Art Metaphysik des Marxismus. Die Alternative beschäftigt sich mit "ideologischen Staatsapparaten", bis deren Erfinder Louis Althusser 1980 seine Frau tötet und in die Psychiatrie muss. Was für ein Fanal für die Krise des Marxismus! Die anderen diskutieren mit Eifer Abbild- und Widerspiegelungstheorien. 1977 werden alle gemeinsam von der RAF und staatlicher Repression heimgesucht, was solche Differenzen vorübergehend unwichtig macht. Allein die Debatten um den Marxismus-Feminismus sind in dieser Zeit spannend und relevant, denn es gibt eine soziale Bewegung, die ihre Theorie auf gesellschaftliche Erfahrungen stützt, nämlich die Frauenbewegung der Siebzigerjahre.
Die Alternative stellt 1982 die Produktion ein, weil sie keine mehr anzubieten hat und zudem ihr Name von der Partei der Grünen geklaut wurde. Sie stellt fest, dass ihre Überbau-Revolte keine Resonanz mehr findet und die politische Klasse der 1968er an ihr Ende gekommen ist. Das Argument gibt es allerdings noch immer, so wie es ja die DKP auch noch immer gibt. Immerhin haben die Haugs zuweilen interessante Projekte wie die Entdeckung der Gefängnishefte von Gramsci. Die Prokla schließlich ist heute eine "Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft" ohne Bewegung.
Legt man Bebnowski und Neuffer in analytischer Perspektive übereinander, so besteht ihr Forschungsproblem darin, wie das Verhältnis von Neuer Linker und ihren Zeitschriften zu fassen ist, immer mit Blick auf Geschichte und Gesellschaft: Sind die Zeitschriften Seismographen eines Milieus oder seine produktive Keimzelle? Dazu haben die beiden Autoren interessante Ideen. Darüber hinaus stellen sich aber auch allgemeinere Fragen: Was erfährt man eigentlich bei der Lektüre von solchen Zeitschriften? Warum wurde der Marxismus in den Sechzigern relevant und im Laufe der Siebziger uninteressant? Warum überhaupt diese Neigung zur Theorie, die wie der Fetisch einer Generation aussieht? Und was lernen wir dabei über die Geschichte der Bundesrepublik? Die beiden Autoren liefern darauf differenzierte Antworten, die sie aus der Geschichte ihrer jeweiligen Zeitschrift gewonnen haben - so wie es sich für eine reflektierte Forschung gehört. Die Fragen sind damit nicht abgegolten. Aber es gibt ja noch viele Zeitschriften - Neue Kritik, Links, Ästhetik & Kommunikation -, über die gegenwärtig geforscht und nachgedacht wird. JÖRG SPÄTER
Moritz Neuffer: "Die journalistische Form der Theorie". Die Zeitschrift alternative, 1958 -1982.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 415 S., Abb., geb., 36,- Euro.
David Bebnowski: "Kämpfe mit Marx". Neue Linke und akademischer Marxismus in den Zeitschriften Das Argument und Prokla 1959 -1976.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
534 S., geb., 46,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Es sind ausgezeichnete Bücher von begabten Autoren, die in versunkene Theorielandschaften gereist sind, (...) und umsichtig ihre Lektüreerlebnisse analytisch in breite Kontexte eingewoben haben.« (Jörg Später, FAZ, 03.12.2021) »ein insgesamt äußerst gelungene(s) Buch« (Tanja Röckemann, Neues Deutschland, 05.02.2022) »(ein) fundierte(s) wie lesenswerte(s) Buch.« (Bernd Hüttner, Contraste, Februar 2022) »eine durchaus lehrreiche und unterhaltsame Lektüre, die Verknüpfung linker Publizistik greifbar macht.« (Allyn Heath, KULT_online. Review Journal fort the Study of Culture, November 2022) »eine äußerst lohnenswerte Lektüre« (Regine Strätling, Komparatistik, 2023)