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Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist polnisches Geschichtsbewusstsein deutlich vom Feindbild der 'Judäo-Kommune' geprägt. Es ist ein antisemitisches Feindbild, das sich auf die Verbindung von Juden und Kommunismus stützt und als Gegenbild zur polnischen Nation erscheint. Im Topos der 'Judäo-Kommune' wird unterstellt, die Juden würden den Kommunismus instrumentalisieren, um mit seiner Hilfe die Weltherrschaft zu errichten. Hiermit werden Antisemitismus und die in Polen durch die Teilungszeit intensivierte Russlandfeindlichkeit mit Antisowjetismus und Antikommunismus verbunden. In dieser…mehr

Produktbeschreibung
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist polnisches Geschichtsbewusstsein deutlich vom Feindbild der 'Judäo-Kommune' geprägt. Es ist ein antisemitisches Feindbild, das sich auf die Verbindung von Juden und Kommunismus stützt und als Gegenbild zur polnischen Nation erscheint. Im Topos der 'Judäo-Kommune' wird unterstellt, die Juden würden den Kommunismus instrumentalisieren, um mit seiner Hilfe die Weltherrschaft zu errichten. Hiermit werden Antisemitismus und die in Polen durch die Teilungszeit intensivierte Russlandfeindlichkeit mit Antisowjetismus und Antikommunismus verbunden. In dieser besonderen historischen Konstellation äußert sich ein strukturelles Ressentiment des modernen polnischen Nationalismus spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die vorliegende Analyse versteht sich als ein Beitrag zur Kritik der polnischen nationalen Selbstidealisierung mittels antisemitischer Feindbilder in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und des Stalinismus. Sie versucht zu zeigen, dass der polnische Nationalismus mit dem Feindbild der Judäo-Kommune ein Integrationssymbol politischer Vergemeinschaftung von hoher Kraft geschaffen hat.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2008

Polen und seine Juden
Geschichte einer Fremd- und Feindgemeinschaft

Warum Polen den ersten Platz in der Hierarchie der Opfer beansprucht und den Juden immer irgendwie eine Mitschuld an ihren Leiden zuweist, macht der Bericht Primo Levis erahnbar: Nach seiner Befreiung aus dem KZ Auschwitz kam er mit Anwohnern ins Gespräch. Sie schienen von der nahen Mordmaschinerie nichts zu wissen. Ein Anwalt gab Levi den Rat, nicht als Jude, sondern als italienischer Kriegsgefangener aufzutreten. Das sei das Beste für ihn, fuhr der Anwalt auf Französisch fort, denn der Krieg sei nicht zu Ende.

Seine Geschichte, Vorgeschichte und Folgen mit dem Holocaust "als Epochenscheide des Antisemitismus" (Herbert Strauss) hat die 1973 geborene Agnieszka Pufelska aus der bleiernen Flut der Verdrängung, aus den Verliesen der Ressentiments ans Licht gehoben. Nicht zuletzt für eine Geschichte Polens aus der Perspektive polnischer Juden. Sie verkörperten für Polen die "Judäo-Kommune", die den polnischen weißen Adler mit Davidstern sowie Hammer und Sichel bedrängte, verhöhnte, befleckte, seit Polens Juden eine hellere Zukunft aus der Strahlkraft der Oktoberrevolution für sich erwarteten - mit entsprechenden Sympathien für Russland, den Unterdrücker Polens seit 1815. In wiederkehrenden Schüben stigmatisierte seit alters her die nationalklerikale Tradition Polens Juden zum "Antichrist", zum "ganz Anderen" im Sinne Carl Schmitts, zur "Internation" ohne Vaterland, ohne Patriotenstolz, aber mit weitvernetzten Geschäftsbeziehungen. Wer sich assimilierte, machte sich besonders verdächtig.

Die Teilungen Polens, vergebliche Aufstände dagegen setzten 1918/19 mit dem Wiedererstehen des polnischen Staates große nationale Begeisterung frei. Im Krieg gegen Russland schien "das Wunder an der Weichsel" (August 1920) und der Frieden von Riga Polens Auserwähltheit zu bekräftigen. Mit den neuen Großmachtvisionen flutete ein Feindbedürfnis auf, das sich wiederum gegen die Juden, nun aber verdoppelt, richtete. Man mied oder bekämpfte sie als heimliche Statthalter Moskaus, als polnische Vertreter des Semitismus, Zionismus und Kommunismus. Pogrome und subtile Niedertracht der Behörden hintertrieben die politische Emanzipation der Juden. Ihre "Unsichtbarkeit" in Entspannungsphasen verwies auf hinterhältige Gefährlichkeit, während Moskau und Berlin die Umklammerung Polens besorgten. So galt der Rapallo-Vertrag als Machwerk der Juden Rathenau und Tschischerin.

Der Widerstand polnischer Patrioten gegen die radikale Umsetzung des Hitler-Stalin-Pakts ab September 1939 bildete sich zugleich zum hagiographischen Mythos. Er deckte vielerorts Gleichgültigkeit gegenüber dem jüdischen Schicksal. "Zu den Schattenseiten der Selbststilisierung gehörte schließlich, dass es den Besatzern oft leicht gemacht wurde, jüdische Bürger zu liquidieren", schreibt Frau Pufelska. Obgleich von drei Millionen Juden 90 Prozent den Krieg nicht überlebt hatten, galten Juden als Kriegsgewinnler aufgrund ihrer exponierten Aktivitäten bei der Sowjetisierung Polens: "Tatsächlich war das Gerede von den an der Macht befindlichen Juden bisweilen schwer zu entkräften, denn der Prozentsatz von Juden in Schlüsselpositionen im Staats- und Sicherheitsapparat lag im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung deutlich über dem der Nichtjuden." De facto wurde das "Zentralkomitee der Juden in Polen" eine Regierungsorganisation. Die Massenrepatriierungen aus Russland verstärkten den Hass, weil Juden die Rückgabe der von Deutschen okkupierten Besitztümer verlangten, die sich zwischenzeitlich polnische Nachbarn angeeignet hatten. Ähnlich eskalierte die Judenfeindschaft in Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Tschechoslowakei. In Lodz streikten 3000 Arbeiter: "Wir wollen keinen Juden als Direktor." Außerordentlich geschmeidig nutzte Stalin den polnischen Nationalismus zur Festigung des kommunistischen Regimes. "Die Massen", so Wladyslaw Gomulka, "sollen uns für eine polnische Partei halten." Juden erhielten Schutz, aber Ministerpräsident Osobka-Morawski machte deutlich, "dass die Regierung nicht beabsichtigt, die Emigration der jüdischen Bevölkerung zu verhindern". Ziel war generell ein Polen ohne nationale Minderheiten.

Das Zentralkomitee der Juden in Polen unterstützte die Linke, da antikommunistische Opposition schwerlich jüdische Interessen vertreten würde. Ihre Dauergefährdung markierten 840 Raubüberfälle auf Juden, 135 Morde an Juden von Juli 1945 bis Februar 1946. Beim Pogrom in Kielce am 4. Juli 1946 fanden 40 Juden den Tod. Oft einfach vom Mob erschlagen. Kardinal Hlond sprach von einem "schmerzlichen Ereignis", tadelte zugleich "die Juden in der Regierung" dafür, dass sie "Animositäten schaffen", die zu derartigen Vorfällen führten. Hlond sah in den Juden die Avantgarde des Bolschewismus, der von drei Viertel der Polen abgelehnt würde. Der spätere Primas von Polen, Stefan Wyszynski, empfahl den Juden die Auswanderung nach Palästina. Früher hatte man den Juden die Migration nach Madagaskar angeraten. Ein Plan übrigens, der zeitweilig Heinrich Himmler und Joachim von Ribbentrop intensiv beschäftigte.

Nach "Kielce" emigrierte die Hälfte von 200 000 Juden in wenigen Monaten. "Judäo-Kommune" blieb aber selbst im inneren Machtkampf der Linken als Waffe fungibel. Nicht unüblich war der Vorwurf, den edlen Kommunismus durch Eigennutz auszubeuten. "Trotzkist", "Kosmopolit", "Titoist" taugten für jegliche parteiinterne Diffamierung. Israels prowestliche Haltung im Korea-Krieg deutete Stalin als amerikanisch-jüdische Verschwörung. Marschall Konstantin Rokossowski, als polnischer Verteidigungsminister seit 1949 amtierend, drohte 1951: "Die Zeiten, als alle Juden für sichere Leute galten, sind vorbei." Juden waren als Werkzeuge der Sowjetisierung Polens für Stalin verbraucht.

Der Schwelbrand des Antisemitismus flammte während des Sechstagekrieges 1967 wieder auf. Zum Brandbeschleuniger wurde die Absetzung des antirussischen Dramas "Die Ahnenfeier" von Adam Mickiewicz. Erzwungen hatten dies namhaft gemachte Studenten aus prominenten jüdischen Familien. Der Gegendruck steigerte die Angst. Von den in Polen lebenden 32 000 Juden wanderten zwischen 1967 und 1971 13 300 aus, nur 28 Prozent davon nach Israel. Von einst drei Millionen Juden in Polen blieben 20 000 übrig.

Frau Pufelskas dröhnende wie wispernde Klopfzeichen-Installationen in den Nationalgalerien der polnischen Zeitgeschichte sind schwerlich über das kurze Richtmikrofon einer Rezension vermittelbar. Doch macht sie vielleicht begreiflich, weshalb der polnisch-britische Historiker Mark Mazower seine Geschichte Europas im 20. Jahrhundert unter den Titel stellte "Der dunkle Kontinent". Nicht alle Polen ließen Juden im Stich. Es gilt zu erproben, ob die Tür zum Dialog verschlossen oder angelehnt ist. Dieses Werk umspannt die Agenda.

MANFRED FUNKE

Agnieszka Pufelska: Die "Judäo-Kommune" - Ein Feindbild in Polen. Das polnische Selbstverständnis im Schatten des Antisemitismus 1939 - 1948. Schöningh Verlag, Paderborn 2007. 284 S., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Augenscheinlich mit großem Gewinn hat der hier rezensieren Historiker Manfred Funke dieses Buch der Kulturwissenschaftlerin Agnieszka Pufelska über den Antisemitismus in Polen gelesen, oder diese Geschichte des Landes aus der Perspektive der polnischen Juden. Ausführlich rekapituliert er, wie sich antisemitische Ressentiments vor allem dadurch verstärkten, dass die Juden emanzipative Kraft aus der Oktoberrevolution zu ziehen versuchten und damit vor, während und nach dem Krieg die Feindschaft der Bevölkerung auf sich zogen. Und er erinnert daran, wie nicht nur die polnische Kirche die wenigen überlebenden Juden immer wieder zur Auswanderung aufforderten und wie vor allem die polnischen Kommunisten gegen die Juden agierten, um sich als "nationale" Kraft im Land zu etablieren. Der Rezensent nennt dies Buch eine "Klopfzeichen-Installation" in der Nationalgalerie der polnischen Zeitgeschichte.

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