Ein neuer Kriminalfall aus Piemont, in dem der schweigsame Bergkauz und heimliche Menschenkenner Corso Bramard ermittelt: Bei dem Bau einer Bahnschnellstrecke zwischen Mailand und Turin werden die Überreste von zwölf Leichen gefunden, und eine Spur führt in die Zeit des italienischen Terrorismus, der Brigate Rosse.
Im Turiner Herbst 1977 hatten ein paar Jugendliche den Parteisitz der rechten MSI in Brand gesetzt. Dabei war ein Mann ums Leben gekommen, der sich nachts in den Räumen aufhielt. Wussten die Jugendlichen, dass ein Mensch im Gebäude war? War alles nur ein Spiel der jungen Leute, in jenen aufgeheizten Zeiten, oder wollten sie wirklich einen Mord begehen? Niemand kennt die Antwort, die Jugendlichen sind seitdem spurlos verschwunden.
Fast vierzig Jahre später suchen zwei Kommissare und ihr ehemaliger Kollege Corso Bramard nach einer Verbindung zu jenem Fall. Die Drei geraten in einen schier unbezwingbaren Strudel aus italienischer omertà und Lüge. Und doch nähernsie sich beharrlich einer Wahrheit, die von der Politik unter den Teppich gekehrt wurde.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Im Turiner Herbst 1977 hatten ein paar Jugendliche den Parteisitz der rechten MSI in Brand gesetzt. Dabei war ein Mann ums Leben gekommen, der sich nachts in den Räumen aufhielt. Wussten die Jugendlichen, dass ein Mensch im Gebäude war? War alles nur ein Spiel der jungen Leute, in jenen aufgeheizten Zeiten, oder wollten sie wirklich einen Mord begehen? Niemand kennt die Antwort, die Jugendlichen sind seitdem spurlos verschwunden.
Fast vierzig Jahre später suchen zwei Kommissare und ihr ehemaliger Kollege Corso Bramard nach einer Verbindung zu jenem Fall. Die Drei geraten in einen schier unbezwingbaren Strudel aus italienischer omertà und Lüge. Und doch nähernsie sich beharrlich einer Wahrheit, die von der Politik unter den Teppich gekehrt wurde.
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Longo ist schon lange kein Geheimtipp mehr, Longo ist ein Unikat, ein literarisches Juwel! Andreas Wallenthin WDR 5 20200425
Lakritzbonbons und Potenzprobleme
Der italienische Schriftsteller Davide Longo legt wieder einen Kriminalroman vor
Es ist immer dasselbe Elend: ein Leichenfund auf unwegsamem Gelände, langwierige Untersuchungen, missmutige Zuständige, chronischer Schlafmangel und dann der Anruf des Polizeipräsidenten, der dem wackeren Commissario Arcadipane signalisiert, besser die Finger von der Sache zu lassen. Vincenzo Arcadipane, ein ebenso anständiger wie knarziger Polizist um die fünfzig, hat es satt.
Er steckt in der Krise, und sein privater Zustand ist für den neuen Roman von Davide Longo „Die jungen Bestien“ mindestens ebenso wichtig wie der Kriminalfall, um den das Ganze rotiert. Longo, Jahrgang 1971, in der piemontesischen Bergwelt verwurzelt und seit vielen Jahren Dozent an der Schreibschule Holden von Alessandro Baricco in Turin, hat seit seinem gelungenen Debüt „Der Steingänger“ (2007), immer wieder mit Strukturelementen des Krimis gearbeitet.
Dieses Mal lässt er sich sogar noch mehr auf das Genre ein und nimmt über seine Figuren einige lose Fäden des Vorgängerromans „Der Fall Bramard“ (2015) wieder auf. Denn Arcadipane war einst der Assistent des durch ein Gewaltverbrechen schwer gebeutelten Ex-Ermittlers Corso Bramard, der mittlerweile aber mit sich im Reinen ist, noch im Pensionsalter als Lehrer arbeitet und ihm schließlich weiterhilft. Dass die Vorgesetzten des Kommissars den grausigen Fund verdächtig schnell auf den Zweiten Weltkrieg und Racheaktionen unter Partisanen und Faschisten zurückführen, lässt Arcadipane misstrauisch werden. Tatsächlich sind ganz andere Verwerfungen der jüngeren Turiner Geschichte im Spiel: erste Aktionen der sich langsam radikalisierenden linksextremistischen Szene gegen Ende der Siebzigerjahre und Vergeltungsaktionen der Neofaschisten.
Hier kommt dem eigenbrötlerischen Polizisten, der sich den Anweisungen von oben stillschweigend widersetzt, der Zufall zu Hilfe: Sein ehemaliger Chef Bramard war zu Beginn seiner Karriere mit einem Brandanschlag auf die Parteizentrale der Neofaschisten 1977 befasst gewesen und erinnert sich an die Täter. Schützenhilfe leistet außerdem eine junge Kollegin mit schlechten Manieren namens Isa, ebenfalls eine alte Bekannte aus „Der Fall Bramard“, die sich auf Computer versteht und wegen ihrer unkonventionellen Methoden strafversetzt worden war. Die Künste der nerdigen Polizistin, die Lisbeth-Salander-mäßig auftritt, sind dieses Mal von besonderem Nutzen: Im Handumdrehen kann sie die Knochenprobe einem Studenten zuordnen, der damals von der Bildfläche verschwand.
Longo operiert mit Realitätspartikeln, am 1. Oktober 1977 war in der Turiner Innenstadt eine Demo der linksextremistischen Lotta Continua und des Potere Operaio tatsächlich vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Aus Rache für den Tod eines Genossen hatte man die Zentrale der neofaschistischen Partei MSI anzünden wollen, und als die Polizei den Demonstrationszug stoppte, setzte eine Splittergruppe die Bar „Angelo Azzurro“ mit Molotowcocktails in Brand, wobei ein unbeteiligter Mann zu Tode kam. In allen seinen Romanen vermittelt Davide Longo nicht nur die Ausläufer jener Kämpfe, sondern zeigt auch, wie tief sich die bürgerkriegsähnliche Situation nach 1943 in die italienische Gesellschaft eingeprägt hat und bis heute untergründig zahlreiche Auseinandersetzungen bestimmt.
Was die Konstruktion des Falles angeht, gibt es nichts zu beanstanden: „Die jungen Bestien“ ist gut aufgebaut, Dialoge treiben die Handlung voran, eine zweite Zeitebene ist geschickt mit den Geschehnissen verfugt, der Rhythmus stimmt, es gibt charakteristische Nebenfiguren, die Verknüpfungen sind überraschend und halten den Leser bei der Stange. Auch Longos Commissario Arcadipane besitzt mit seiner wortkargen Art, dem zwanghaften Rauchen und seiner Vorliebe für Lakritzbonbons genau die richtigen Marotten. Nur seine Lebenskrise nimmt im Gesamtgefüge des Romans zu viel Raum ein und droht mehrfach, ins Melodramatische zu kippen. Es hapert mit der Virilität, was ja an sich – gerade in dieser Berufsgruppe – ein ergiebiges Thema sein könnte. Dass sich Vincenzo Arcadipane ein Herz fasst und eine Psychologin aufsucht, ist also, vom dramaturgischen Standpunkt aus betrachtet, gar keine schlechte Idee, aber muss es sich ausgerechnet um eine neunmalkluge junge Frau mit verstümmelten Beinen handeln, die ihn aus therapeutischen Gründen auch mal beim Sex zuschauen lässt? Versehrte Gliedmaßen, die innere Versehrungen sichtbar machen sollen? Hier gerät „Die jungen Bestien“ in eine Schieflage; beide Figuren werden unglaubwürdig, ebenso wie die Wunderheilung nach fünf Terminen.
Es hapert insgesamt am Literarischen. Einem Genreroman darf man dies eigentlich nicht vorwerfen, aber Davide Longo hatte immer andere Ambitionen. Bei ihm schwangen Cormac McCarthy, Roberto Bolaño und die Piemontesen Beppe Fenoglio und Cesare Pavese mit. Doch dieses Mal gelingen ihm weder so dichte Naturbilder der piemontesischen Landschaft wie in „Der Steingänger“ oder „Der Fall Bramard“, noch besitzt „Die jungen Bestien“ die apokalyptische Kraft, die sein schillernder Science-Fiction Roman „Der aufrechte Mann“ (2012) entfaltet hatte. Wer weiß, vielleicht hat Arcadipane jetzt seine Krise überwunden. Dann bliebe seinem Erfinder Raum für Neues.
MAIKE ALBATH
Davide Longo: Die jungen Bestien. Roman. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. 412 Seiten, Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, 22 Euro.
Es hapert insgesamt am
Literarischen. Dabei hat Longo
eigentlich Ambitionen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der italienische Schriftsteller Davide Longo legt wieder einen Kriminalroman vor
Es ist immer dasselbe Elend: ein Leichenfund auf unwegsamem Gelände, langwierige Untersuchungen, missmutige Zuständige, chronischer Schlafmangel und dann der Anruf des Polizeipräsidenten, der dem wackeren Commissario Arcadipane signalisiert, besser die Finger von der Sache zu lassen. Vincenzo Arcadipane, ein ebenso anständiger wie knarziger Polizist um die fünfzig, hat es satt.
Er steckt in der Krise, und sein privater Zustand ist für den neuen Roman von Davide Longo „Die jungen Bestien“ mindestens ebenso wichtig wie der Kriminalfall, um den das Ganze rotiert. Longo, Jahrgang 1971, in der piemontesischen Bergwelt verwurzelt und seit vielen Jahren Dozent an der Schreibschule Holden von Alessandro Baricco in Turin, hat seit seinem gelungenen Debüt „Der Steingänger“ (2007), immer wieder mit Strukturelementen des Krimis gearbeitet.
Dieses Mal lässt er sich sogar noch mehr auf das Genre ein und nimmt über seine Figuren einige lose Fäden des Vorgängerromans „Der Fall Bramard“ (2015) wieder auf. Denn Arcadipane war einst der Assistent des durch ein Gewaltverbrechen schwer gebeutelten Ex-Ermittlers Corso Bramard, der mittlerweile aber mit sich im Reinen ist, noch im Pensionsalter als Lehrer arbeitet und ihm schließlich weiterhilft. Dass die Vorgesetzten des Kommissars den grausigen Fund verdächtig schnell auf den Zweiten Weltkrieg und Racheaktionen unter Partisanen und Faschisten zurückführen, lässt Arcadipane misstrauisch werden. Tatsächlich sind ganz andere Verwerfungen der jüngeren Turiner Geschichte im Spiel: erste Aktionen der sich langsam radikalisierenden linksextremistischen Szene gegen Ende der Siebzigerjahre und Vergeltungsaktionen der Neofaschisten.
Hier kommt dem eigenbrötlerischen Polizisten, der sich den Anweisungen von oben stillschweigend widersetzt, der Zufall zu Hilfe: Sein ehemaliger Chef Bramard war zu Beginn seiner Karriere mit einem Brandanschlag auf die Parteizentrale der Neofaschisten 1977 befasst gewesen und erinnert sich an die Täter. Schützenhilfe leistet außerdem eine junge Kollegin mit schlechten Manieren namens Isa, ebenfalls eine alte Bekannte aus „Der Fall Bramard“, die sich auf Computer versteht und wegen ihrer unkonventionellen Methoden strafversetzt worden war. Die Künste der nerdigen Polizistin, die Lisbeth-Salander-mäßig auftritt, sind dieses Mal von besonderem Nutzen: Im Handumdrehen kann sie die Knochenprobe einem Studenten zuordnen, der damals von der Bildfläche verschwand.
Longo operiert mit Realitätspartikeln, am 1. Oktober 1977 war in der Turiner Innenstadt eine Demo der linksextremistischen Lotta Continua und des Potere Operaio tatsächlich vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Aus Rache für den Tod eines Genossen hatte man die Zentrale der neofaschistischen Partei MSI anzünden wollen, und als die Polizei den Demonstrationszug stoppte, setzte eine Splittergruppe die Bar „Angelo Azzurro“ mit Molotowcocktails in Brand, wobei ein unbeteiligter Mann zu Tode kam. In allen seinen Romanen vermittelt Davide Longo nicht nur die Ausläufer jener Kämpfe, sondern zeigt auch, wie tief sich die bürgerkriegsähnliche Situation nach 1943 in die italienische Gesellschaft eingeprägt hat und bis heute untergründig zahlreiche Auseinandersetzungen bestimmt.
Was die Konstruktion des Falles angeht, gibt es nichts zu beanstanden: „Die jungen Bestien“ ist gut aufgebaut, Dialoge treiben die Handlung voran, eine zweite Zeitebene ist geschickt mit den Geschehnissen verfugt, der Rhythmus stimmt, es gibt charakteristische Nebenfiguren, die Verknüpfungen sind überraschend und halten den Leser bei der Stange. Auch Longos Commissario Arcadipane besitzt mit seiner wortkargen Art, dem zwanghaften Rauchen und seiner Vorliebe für Lakritzbonbons genau die richtigen Marotten. Nur seine Lebenskrise nimmt im Gesamtgefüge des Romans zu viel Raum ein und droht mehrfach, ins Melodramatische zu kippen. Es hapert mit der Virilität, was ja an sich – gerade in dieser Berufsgruppe – ein ergiebiges Thema sein könnte. Dass sich Vincenzo Arcadipane ein Herz fasst und eine Psychologin aufsucht, ist also, vom dramaturgischen Standpunkt aus betrachtet, gar keine schlechte Idee, aber muss es sich ausgerechnet um eine neunmalkluge junge Frau mit verstümmelten Beinen handeln, die ihn aus therapeutischen Gründen auch mal beim Sex zuschauen lässt? Versehrte Gliedmaßen, die innere Versehrungen sichtbar machen sollen? Hier gerät „Die jungen Bestien“ in eine Schieflage; beide Figuren werden unglaubwürdig, ebenso wie die Wunderheilung nach fünf Terminen.
Es hapert insgesamt am Literarischen. Einem Genreroman darf man dies eigentlich nicht vorwerfen, aber Davide Longo hatte immer andere Ambitionen. Bei ihm schwangen Cormac McCarthy, Roberto Bolaño und die Piemontesen Beppe Fenoglio und Cesare Pavese mit. Doch dieses Mal gelingen ihm weder so dichte Naturbilder der piemontesischen Landschaft wie in „Der Steingänger“ oder „Der Fall Bramard“, noch besitzt „Die jungen Bestien“ die apokalyptische Kraft, die sein schillernder Science-Fiction Roman „Der aufrechte Mann“ (2012) entfaltet hatte. Wer weiß, vielleicht hat Arcadipane jetzt seine Krise überwunden. Dann bliebe seinem Erfinder Raum für Neues.
MAIKE ALBATH
Davide Longo: Die jungen Bestien. Roman. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. 412 Seiten, Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, 22 Euro.
Es hapert insgesamt am
Literarischen. Dabei hat Longo
eigentlich Ambitionen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2020Linker Terror, rechter Terror
Ein Massengrab an der Bahnschnellstrecke Mailand-Turin führt in Davide Longos neuem Roman direkt in die bleiernen Jahre Italiens.
In Italien ende vieles im Lächerlichen, sagt einmal eine Figur in "Die jungen Bestien". Ganz anders sei das als in Spanien, wo es einen Sinn für die Tragödie immer schon gegeben habe, für mit Fassung ertragenen Schmerz. Zumindest auf die Werke italienischer Krimiautoren angewandt, scheint dieser Befund nicht danebenzuliegen: Davide Longo gibt ebenso wie sein Landsmann Paolo Roversi mit offensichtlichem Vergnügen seine Figuren der Lächerlichkeit preis oder kehrt zumindest deren Unzulänglichkeiten mitleidlos hervor. Das Leiden an den eigenen Lastern, am Altern, am Sinn der Arbeit und des Daseins im Allgemeinen, die Krise der individuellen Männlichkeit machen sie zum Teil einer umfassenden gesellschaftlichen Symptomatik. Ein Überbleibsel der mittelalterlichen Burlesken von Dante und Boccaccio?
Vincenzo Arcadipane, der Protagonist von Davide Longos neuem Roman "Die jungen Bestien", ist jedenfalls genau so ein armes Würstchen. Ein im Grunde recht fähiger Kommissar in der Midlife-Crisis, der seine Weinkrämpfe mit Lakritzbonbons bekämpft, Potenzprobleme hat und sich, um stets jemanden in der Nähe zu wissen, der ein noch jämmerlicheres Bild abgibt als er selbst, einen dreibeinigen Köter zulegt. Arcadipane ist ein alter Bekannter, schon in "Der Fall Bramard" ermittelte er an der Seite seines ehemaligen Vorgesetzten Corso Bramard. Bereits seit seinem 2013 erschienenen Debütroman "Der aufrechte Mann" spielt Davide Longo, der in Turin an der Schreibschule Scuola Holden unterrichtet, mit Versatzstücken des Kriminalromans und lässt sich mit jedem neuen Buch mehr auf das Genre ein.
So beginnt "Die jungen Bestien" mit dem Fund eines Massengrabes: Zwölf Skelette liegen auf der Baustelle einer Bahntrasse zwischen Mailand und Turin und werden von den zuständigen Behörden ein wenig zu routiniert als Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg abgestempelt. Arcadipanes eigene Ermittlungen hingegen weisen auf die sogenannten bleiernen Jahre, die siebziger Jahre, als Italien im Zeichen des Terrors lebte. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie viele der Terroranschläge, die man damals linksextremen Gruppierungen wie der Brigate Rosse anhängte, tatsächlich von Neofaschisten und Geheimdiensten begangen wurden, um die Linke zu diskreditieren.
Was die Ermittlungen im Buch zutage bringen werden, kann man sich also schon im Groben ausrechnen - die Frage ist das Wie. Davide Longo erstreckt seine Erzählung über mehrere Zeitebenen: Arcadipane ermittelt in der Jetztzeit, Bramard in den Siebzigern. Dieser zweite Teil beinhaltet die stärksten Passagen des Buches, da ist Longo ganz konzentriert auf die Arbeit des Schnüfflers, der als verdeckter Ermittler in einen Boxclub eintritt und sich dort erst einmal gehörig verdreschen lässt, bis man den Empathieschmerz heftig hinterm linken Auge pochen hört.
Diese körperliche Intensität tut der Geschichte gut, ebenso wie die Angewohnheit des Schriftstellers, das reiche historische Wissen, über das er verfügt, auch bei seinen Lesern vorauszusetzen. Wer, wie vermutlich viele nachgeborene Leserinnen und Leser, dieses Wissen nicht hat, ist gut beraten, diesen Geschichten nachzuspüren - etwa jener Tragödie um den sechsjährigen Alfredo Rampi, der 1981 unter den Augen der Öffentlichkeit in einem Brunnen bei Vermicino starb. Sie schafft ein Gefühl für die Tränenschwere dieser Jahre, die der Roman allein über weite Strecken nicht vermitteln kann.
Obwohl Longos Sprache gewitzt ist und so flott, dass es anfangs schwerfällt in Dialogpassagen den Überblick zu behalten. Immer wieder nutzt er seine sprachliche Gewandtheit, um etwa die Weltwahrnehmung seiner Protagonisten gegeneinander abzugleichen. Sie stehen nicht einfach nur vor einem Schrank, es ist ein Schrank aus Kirschholz für Bramard und aus rötlichem Holz für Arcadipane. Weil nun einmal niemand über die Grenzen seines eigenen Horizontes hinausblicken kann, tut es der Autor mit bisweilen herablassender Geste als Stellvertreter seiner Figuren - und verlegt dadurch den Fokus immer mehr auf das psychologische Drama.
Und das handelt von Arcadipanes im Kern doch ziemlich mittelmäßigem Seelenschmerz, den er in Therapiesitzungen mit einer enigmatischen Therapeutin zu ergründen versucht. Dem piemontesischen Autor kann man natürlich nicht vorwerfen, dass die Lektüre seines 2018 im Original erschienen Romans "Così giocano le bestie giovani" in diesen Tagen unweigerlich an die tatsächlichen Ausmaße der italienischen Tragödie denken lässt. Aber die reale politische Geschichte spielt eben mit hinein: Die desolate Situation in norditalienischen Krankenhäusern ist auch ein Resultat defizitärer Verwaltungsapparate und korrupter Politiker.
Das alles sind Versäumnisse, die eine schärfere Kritik, einen politisch wacheren Kriminalroman nötig hätten als die hier vorliegende halbgare Commedia dell'Arte mit Figurenklischees - ein mittelalter Kommissar, eine Computerkennerin mit Piercings und eine Psychotherapeutin mit Methoden wie aus einer schlüpfrigen Phantasie wirken tatsächlich vor allem lächerlich.
KATRIN DOERKSEN
Davide Longo: "Die jungen Bestien". Bramard. Kriminalroman.
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner und Friederike von Criegern. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020.
416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Massengrab an der Bahnschnellstrecke Mailand-Turin führt in Davide Longos neuem Roman direkt in die bleiernen Jahre Italiens.
In Italien ende vieles im Lächerlichen, sagt einmal eine Figur in "Die jungen Bestien". Ganz anders sei das als in Spanien, wo es einen Sinn für die Tragödie immer schon gegeben habe, für mit Fassung ertragenen Schmerz. Zumindest auf die Werke italienischer Krimiautoren angewandt, scheint dieser Befund nicht danebenzuliegen: Davide Longo gibt ebenso wie sein Landsmann Paolo Roversi mit offensichtlichem Vergnügen seine Figuren der Lächerlichkeit preis oder kehrt zumindest deren Unzulänglichkeiten mitleidlos hervor. Das Leiden an den eigenen Lastern, am Altern, am Sinn der Arbeit und des Daseins im Allgemeinen, die Krise der individuellen Männlichkeit machen sie zum Teil einer umfassenden gesellschaftlichen Symptomatik. Ein Überbleibsel der mittelalterlichen Burlesken von Dante und Boccaccio?
Vincenzo Arcadipane, der Protagonist von Davide Longos neuem Roman "Die jungen Bestien", ist jedenfalls genau so ein armes Würstchen. Ein im Grunde recht fähiger Kommissar in der Midlife-Crisis, der seine Weinkrämpfe mit Lakritzbonbons bekämpft, Potenzprobleme hat und sich, um stets jemanden in der Nähe zu wissen, der ein noch jämmerlicheres Bild abgibt als er selbst, einen dreibeinigen Köter zulegt. Arcadipane ist ein alter Bekannter, schon in "Der Fall Bramard" ermittelte er an der Seite seines ehemaligen Vorgesetzten Corso Bramard. Bereits seit seinem 2013 erschienenen Debütroman "Der aufrechte Mann" spielt Davide Longo, der in Turin an der Schreibschule Scuola Holden unterrichtet, mit Versatzstücken des Kriminalromans und lässt sich mit jedem neuen Buch mehr auf das Genre ein.
So beginnt "Die jungen Bestien" mit dem Fund eines Massengrabes: Zwölf Skelette liegen auf der Baustelle einer Bahntrasse zwischen Mailand und Turin und werden von den zuständigen Behörden ein wenig zu routiniert als Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg abgestempelt. Arcadipanes eigene Ermittlungen hingegen weisen auf die sogenannten bleiernen Jahre, die siebziger Jahre, als Italien im Zeichen des Terrors lebte. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie viele der Terroranschläge, die man damals linksextremen Gruppierungen wie der Brigate Rosse anhängte, tatsächlich von Neofaschisten und Geheimdiensten begangen wurden, um die Linke zu diskreditieren.
Was die Ermittlungen im Buch zutage bringen werden, kann man sich also schon im Groben ausrechnen - die Frage ist das Wie. Davide Longo erstreckt seine Erzählung über mehrere Zeitebenen: Arcadipane ermittelt in der Jetztzeit, Bramard in den Siebzigern. Dieser zweite Teil beinhaltet die stärksten Passagen des Buches, da ist Longo ganz konzentriert auf die Arbeit des Schnüfflers, der als verdeckter Ermittler in einen Boxclub eintritt und sich dort erst einmal gehörig verdreschen lässt, bis man den Empathieschmerz heftig hinterm linken Auge pochen hört.
Diese körperliche Intensität tut der Geschichte gut, ebenso wie die Angewohnheit des Schriftstellers, das reiche historische Wissen, über das er verfügt, auch bei seinen Lesern vorauszusetzen. Wer, wie vermutlich viele nachgeborene Leserinnen und Leser, dieses Wissen nicht hat, ist gut beraten, diesen Geschichten nachzuspüren - etwa jener Tragödie um den sechsjährigen Alfredo Rampi, der 1981 unter den Augen der Öffentlichkeit in einem Brunnen bei Vermicino starb. Sie schafft ein Gefühl für die Tränenschwere dieser Jahre, die der Roman allein über weite Strecken nicht vermitteln kann.
Obwohl Longos Sprache gewitzt ist und so flott, dass es anfangs schwerfällt in Dialogpassagen den Überblick zu behalten. Immer wieder nutzt er seine sprachliche Gewandtheit, um etwa die Weltwahrnehmung seiner Protagonisten gegeneinander abzugleichen. Sie stehen nicht einfach nur vor einem Schrank, es ist ein Schrank aus Kirschholz für Bramard und aus rötlichem Holz für Arcadipane. Weil nun einmal niemand über die Grenzen seines eigenen Horizontes hinausblicken kann, tut es der Autor mit bisweilen herablassender Geste als Stellvertreter seiner Figuren - und verlegt dadurch den Fokus immer mehr auf das psychologische Drama.
Und das handelt von Arcadipanes im Kern doch ziemlich mittelmäßigem Seelenschmerz, den er in Therapiesitzungen mit einer enigmatischen Therapeutin zu ergründen versucht. Dem piemontesischen Autor kann man natürlich nicht vorwerfen, dass die Lektüre seines 2018 im Original erschienen Romans "Così giocano le bestie giovani" in diesen Tagen unweigerlich an die tatsächlichen Ausmaße der italienischen Tragödie denken lässt. Aber die reale politische Geschichte spielt eben mit hinein: Die desolate Situation in norditalienischen Krankenhäusern ist auch ein Resultat defizitärer Verwaltungsapparate und korrupter Politiker.
Das alles sind Versäumnisse, die eine schärfere Kritik, einen politisch wacheren Kriminalroman nötig hätten als die hier vorliegende halbgare Commedia dell'Arte mit Figurenklischees - ein mittelalter Kommissar, eine Computerkennerin mit Piercings und eine Psychotherapeutin mit Methoden wie aus einer schlüpfrigen Phantasie wirken tatsächlich vor allem lächerlich.
KATRIN DOERKSEN
Davide Longo: "Die jungen Bestien". Bramard. Kriminalroman.
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner und Friederike von Criegern. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020.
416 S., geb., 22,- [Euro].
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