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Die jungen Hunde schildert die Unmöglichkeit für »Schwanz Cuéllar«, den sexuell verstümmelten Jugendlichen, sich in die Welt der »normalen« Erwachsenen einzugliedern.

Produktbeschreibung
Die jungen Hunde schildert die Unmöglichkeit für »Schwanz Cuéllar«, den sexuell verstümmelten Jugendlichen, sich in die Welt der »normalen« Erwachsenen einzugliedern.
Autorenporträt
Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, studierte Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid. Bereits während seines Studiums schrieb er für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und veröffentlichte erste Erzählungen, ehe 1963 sein erster Roman Die Stadt und die Hunde erschien. Der peruanische Romanautor und Essayist ist stets als politischer Autor aufgetreten und ist damit auch weit über die Grenzen Perus hinaus sehr erfolgreich. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Das grüne Haus, Das Fest des Ziegenbocks, Tante Julia und der Schreibkünstler und Das böse Mädchen.
Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europäischer Universitäten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard, Princeton und Oxford. 1990 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático (FREDEMO) bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag in der Stichwahl. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück.
Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. 2021 wurde er in die Académie Française aufgenommen. Heute lebt Mario Vargas Llosa in Madrid und Lima.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Das Drama der Adoleszenz

Literatur und Fotografie in sinnvoller Symbiose: Xavier Miserachs hat Mario Vargas Llosas Erzählung "Die jungen Hunde" bebildert. Herausgekommen ist ein Buch wie ein Gewittersturm.

Jakob Strobel y Serra

Gute Sprache muss nicht bebildert werden, weil sie sich ihre eigenen Bilder schafft. Illustrierte man sie trotzdem, wäre das so, als würde man im Projektionsraum der Phantasie das Licht anmachen. Das ist ein Grundgesetz der schönen Literatur. Der Suhrkamp Verlag hat es jetzt gebrochen und Mario Vargas Llosas Erzählung "Die jungen Hunde" mit den Duoton-Schwarzweißaufnahmen des katalanischen Fotografen Xavier Miserachs aus der spanischen Originalausgabe von 1967 neu herausgebracht. Wir schulden Suhrkamp Dank für diese Missetat. Denn der schmale Band beweist, wie sinnvoll Symbiose in der Literatur manchmal doch sein kann: Sprache und Bilder leben beide ihr eigenes Leben und scheinen doch erst durch den jeweils anderen ihr Glück zu finden.

Vargas Llosa erzählt die Geschichte einer Clique von Jungen aus den höheren Ständen der peruanischen Hauptstadt Lima, die bei strengen Fratres zur Schule gehen, langsam älter werden, ihren Platz im Leben zu suchen beginnen und ihn finden oder auch nicht. Nichts Spektakuläres passiert in diesem Kosmos sozialer Sorglosigkeit. Die Burschen treiben sich in ihrem wohlbehüteten Stadtteil Miraflores herum, spielen Fußball, surfen am Strand, gehen auf Partys, lauern den Mädchen vor den Nonnenschulen auf. Dabei geraten sie fast unbemerkt in den Zwitterzustand der Adoleszenz, in diese eigenartige Schwebe ohne Schwerelosigkeit, in der sie nicht mehr Kind und noch nicht Mann, beides gleichzeitig und nichts von beidem sind. Es ist ein heimatloses Alter, in dem man nachmittags der Spielkameradin einen verschämten Kuss gibt und abends einen Gutenachtkuss von der Mutter bekommt. Es sind die Jahre des ersten Besäufnisses, des ersten Katers, der ersten Geburtstagsfeier mit Mädchen. Dann wird es endlich Zeit für ein seriöses Rendezvous in Schlips und Sakko. Autorennen an der Küstenstraße ersetzen allmählich das Fußballspielen, Gel bändigt jetzt das Haar, und die zarte Pflanze des Machismo wird immer kräftiger und borstiger.

Im Grunde ist die Adoleszenz ein zähes Lebensalter, das quälend langsam vorbeigeht. Doch Vargas Llosas Sprache ist in der fabelhaften Neuübersetzung von Susanne Lange das genaue Gegenteil davon: ein einziger atemloser Temporausch, ein Parataxengewittersturm, eine Kaskade aus Wörtern, die kaum zu bändigen sind, so unbändig wie pubertierende Kerle. Es ist keine Zeit für Punkte, höchstens Kommata, und schon gar nicht für Anführungen, und so stürzen direkte und indirekte Rede wild durcheinander, weil es immer weitergeht, nur schnell weiter, immer nach vorn, nie zurück, keine Sekunde Melancholie, denn das Leben wartet, die Zukunft, die für die Jungen noch lange kein leeres Versprechen ist, sondern eine Verheißung - die Zeit der Triumphe, der Traumerfüllung, des ersten Sex, des ersten richtigen Glücksgefühls. Genau den Moment dieser ungeduldigen Ahnung zeigen die Fotografien von Xavier Miserachs, dieses Strahlen in den Augen der Jungen und Mädchen, die unbeholfen Zigaretten rauchen und genauso unbeholfen miteinander tanzen; die Fratzen schneiden und im nächsten Augenblick eine Coolness aufsetzen, die keine Lebenslegitimation hat, sondern reine Willensanstrengung ist; die schließlich heiraten und auf ihrer Hochzeitsparty zweifelnd lachen, als wüssten sie, dass jetzt der Augenblick gekommen ist, um sich wehmütig von ihrer Jugend zu verabschieden.

Einer aus der Gruppe aber, Cuéllar, bleibt durch Zufall ein Außenseiter. Als Kind wird er von einem Hund in den Penis gebissen, bekommt danach den bösen Spitznamen "Schwänzchen", findet keine Freundin, als seine Kumpels längst schon herumknutschen, und belügt sich eine Zeitlang erfolgreich selbst. "Ich liebe meine Freiheit", sagt Cuéllar, ohne auch nur zu ahnen, dass man Freiheit nur lieben kann, wenn man weiß, was Unfreiheit ist. Dann wird er immer seltsamer, rachsüchtiger, unberechenbarer, verliebt sich unglücklich, traut sich nicht, der Angebeteten seine Gefühle zu gestehen. Sie wird ihm ausgespannt, er stürzt ab, säuft, geht zu den Huren, treibt sich mit halbwüchsigen Jungen am Strand herum, wird als Schwuchtel gebrandmarkt, rast wie ein Verrückter mit seinem Wagen durch die Gegend und stirbt bei einem Autounfall, während seine Freunde heiraten, Kinder und Bäuche bekommen - und das alles auf wenigen Seiten mit einem sprachlichen Trommelfeuer erzählt, dass einem lustvoll Hören und Sehen vergeht.

In Peru durften die "Jungen Hunde" nicht erscheinen, die Zensur sah wohl zersetzende Kräfte am Werk. Das wirkt heute allenfalls kurios. Denn jetzt liest man die Erzählung nicht mehr als Pamphlet gegen eine zementierte Gesellschaft, als Anklage gegen bourgeoise Heuchelei. Cuéllar ist für uns weder Konformist noch Rebell, kein gebrochener Idealist, höchstens Opfer seiner selbst. Er ist einfach vergessen worden, als das Schicksal das Glück verteilte, der Tragöde im Dramolett der Adoleszenz - und gerade deswegen eine Figur ohne literarische Halbwertszeit, der Garant für die Frische dieses wunderbaren Buches.

Das letzte Foto von Xavier Miserachs zeigt eine Gruppe von Burschen, die ein Autowrack begutachten, es könnte Cuéllars Wagen sein. Sie schauen nicht traurig aus, eher erstaunt. So ist das Leben eben. Es ist nicht sentimental.

Mario Vargas Llosa: "Die jungen Hunde". Erzählung.

Mit Fotografien von Xavier Miserachs. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 96 S., geb., 24,90 [Euro].

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»Sprache und Bilder leben beide ihr eigenes Leben, ... ein einziger atemloser Temporausch, ein Parataxengewittersturm, eine Kaskade aus Wörtern.« Jakob Strobel y Serra Frankfurter Allgemeine Zeitung 20111126