Zwei Jugendfreundinnen - die eine reich, die andere arm. Nach einem halben Jahrhundert begegnen sie sich wieder. Der neue Roman von Monika Helfer.
Gloria und Moni sind beste Jugendfreundinnen - die eine reich, die andere arm. Ein halbes Jahrhundert später begegnen sich die beiden Frauen wieder und Gloria beichtet ihr Lebensgeheimnis: Nie hat sie mit jemandem geschlafen. Früher kam Gloria immer gut an, war exzentrisch und schön, wollte Schauspielerin werden, war viel unter Menschen. Gloria und Moni wachsen auf im Mief der sechziger Jahre, sind konfrontiert mit Ehe, Enge und Gewalt. Wie wurden die beiden zu denen, die sie sind? Monika Helfer macht aus Lebenserinnerung große Literatur. Nach der Trilogie über ihre Familie und Herkunft ist "Die Jungfrau" ein atemloser Roman über die jahrzehntelange Freundschaft zwischen zwei Frauen.
Gloria und Moni sind beste Jugendfreundinnen - die eine reich, die andere arm. Ein halbes Jahrhundert später begegnen sich die beiden Frauen wieder und Gloria beichtet ihr Lebensgeheimnis: Nie hat sie mit jemandem geschlafen. Früher kam Gloria immer gut an, war exzentrisch und schön, wollte Schauspielerin werden, war viel unter Menschen. Gloria und Moni wachsen auf im Mief der sechziger Jahre, sind konfrontiert mit Ehe, Enge und Gewalt. Wie wurden die beiden zu denen, die sie sind? Monika Helfer macht aus Lebenserinnerung große Literatur. Nach der Trilogie über ihre Familie und Herkunft ist "Die Jungfrau" ein atemloser Roman über die jahrzehntelange Freundschaft zwischen zwei Frauen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wie vorige Bücher der Autorin, so Rezensentin Anna-Louisa Schönfeld, hat auch der neue Roman Monika Helfers einen autobiografischen Kern, wobei die Hauptfigur Gloria laut Autorin aus mehreren realen Vorbildern synthetisiert wurde. In charakteristischer Kürze und Eindrücklichkeit entwirft die Autorin, zeichnet Schönfeld nach, die Geschichte zweier Freundinnen - Gloria und die Erzählerin, Monika -, die sich im Alter wiederbegegnen und auf ihre Lebensläufe zurückblicken. Die Verbindung der beiden war eng, aber nicht konfliktfrei, es gab, lernen wir, immer wieder Episoden der Eifersucht. Die Jungfrau des Titels, erläutert die Rezensentin, ist Gloria, allerdings lediglich in technischer Hinsicht, denn nur weil sie nie mit einem Mann geschlafen hat, war sie keineswegs enthaltsam.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2023Ophelias Chronistin
Monika Helfers neuer Roman "Die Jungfrau"
Mit Büchern über ihre Familie ist Monika Helfer berühmt geworden. Mit "Die Bagage" gelang ihr 2020 der literarische Durchbruch. Geschrieben hat die österreichische Autorin aber schon viel länger. Und ihr neuer Roman, "Die Jungfrau", handelt nun nicht nur über eine inspirierende Frauenfreundschaft, sondern auch über das, was die Jahre überdauert.
Monika Helfer hat zu ihrer Jugendfreundin Gloria seit fast einem halben Jahrhundert kaum Kontakt mehr. Dann, zum siebzigsten Geburtstag, bekommt sie plötzlich einen Brief von ihr. Sie wolle Monika noch einmal sehen, bevor sie sterbe. Die von Krankheit geplagte Gloria bittet die Schriftstellerin, etwas über sie zu verfassen: "Ja, Moni, schreib eine Seite über mich, denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da."
Es geht also um zwei Freundinnen, die sich im Laufe ihres Lebens aus den Augen verloren haben und im Alter wieder zueinanderfinden. Mit 150 Seiten ist das trotz der langen Freundschaft ein sehr kurzer Roman, stilgetreu für Helfer. Auch wenn man durch die lakonischen Erinnerungen fliegt, wirkt die Erzählung noch lange nach. Wie seine drei Vorgängerromane ist "Die Jungfrau" autobiographisch angelegt, und dass ländliche Vorarlberg, wo Monika Helfer mit ihrem Mann lebt, wird auch wieder zum Schauplatz. In diesem Roman spricht die österreichische Autorin von sich als Monika und erzählt über ihr Leben als Schriftstellerin und ihre Ehe mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, mit dem sie seit 1981 verheiratet ist. Trotz dieser autobiographischen Authentizität gibt Monika Helfer in einem Interview mit dem "Stern" aber an, dass nur dreißig Prozent Wahrheit in dem Buch steckten, siebzig Prozent habe sie erfunden: "Ich habe Gloria aus vielen Freundinnen zusammengesetzt. Sie sagt Sätze, die ich mir gemerkt habe."
Die beiden Freundinnen, beide inzwischen jenseits der siebzig, begegnen sich wieder und stellen fest, dass sich zwischen ihnen kaum etwas verändert hat. Dabei hätten ihre Wege nicht unterschiedlicher verlaufen können. Während Monika eine berühmte Autorin geworden ist und eine Familie gegründet hat, scheint sich Glorias vielversprechende Schauspielkarriere verfangen zu haben. Sie verharrt in einem einsamen Dasein im Haus ihrer verstorbenen Mutter. Die einst schillernde, exzentrische Gloria ist nicht mehr da.
Monika und Gloria verbindet eine intensive und doch zuweilen unbehagliche Beziehung. So entstand neben all der Bewunderung, die sie füreinander empfanden, in manchen Situationen ein Konkurrenzdenken, bei dem sich die beiden als junge Frauen miteinander verglichen. So bei einer Theateraufführung in der Schule, bei der Monika unbedingt die Rolle des Hamlet spielen wollte, um im Stück Gloria, die Ophelia darstellte, eines auswischen zu können. Auch bei der eigenen Hochzeit, so verrät die Ich-Erzählerin im Buch, empfand Monika so etwas wie Eifersucht: "Gloria war meine Trauzeugin. Ich fand, sie war schöner als ich." Gloria erging es aber nicht anders. Später, als Monika ihren Sohn zur Welt brachte, empfing sie eine Glückwunschkarte von ihrer Freundin, auf der stand: "Glückwunsch, Du hast gewonnen!"
Bei der Wiederbegegnung gesteht Gloria ihrer Freundin, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie mit einem Mann geschlafen habe. Die abenteuerlustige, schöne Gloria blieb bis zuletzt allein. Dabei spielten Männer durchaus eine Rolle in ihrem Leben. Sie begann mit ihrem Uniprofessor Andrea, der verheiratet war und Kinder hatte, eine Affäre. Verschiedene sexuelle Handlungen blieben dabei nicht aus, doch zum Geschlechtsverkehr kam es zwischen beiden nie - nicht zuletzt aufgrund der strengen katholischen Moralvorstellungen von Andrea.
Es wird klar: Der Begriff der "Jungfrau", der Enthaltsamkeit impliziert, trifft auf Gloria nicht zu; es stecke "viel Widersprüchliches im Begriff der Jungfrau", sagt Helfer in einem Interview. Von ihren Töchtern wisse sie, dass es dabei um viel mehr gehe als um die reine Tatsache, ob man mit einem Mann geschlafen habe. Mit dem Buch gibt sie ihnen recht: "Die Jungfrau", so steht dort zu lesen, sei ein "seltsamer, völlig altmodischer Begriff". ANNA-LOUISA SCHÖNFELD
Monika Helfer: "Die Jungfrau". Roman.
Hanser Verlag, München 2023. 150 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Monika Helfers neuer Roman "Die Jungfrau"
Mit Büchern über ihre Familie ist Monika Helfer berühmt geworden. Mit "Die Bagage" gelang ihr 2020 der literarische Durchbruch. Geschrieben hat die österreichische Autorin aber schon viel länger. Und ihr neuer Roman, "Die Jungfrau", handelt nun nicht nur über eine inspirierende Frauenfreundschaft, sondern auch über das, was die Jahre überdauert.
Monika Helfer hat zu ihrer Jugendfreundin Gloria seit fast einem halben Jahrhundert kaum Kontakt mehr. Dann, zum siebzigsten Geburtstag, bekommt sie plötzlich einen Brief von ihr. Sie wolle Monika noch einmal sehen, bevor sie sterbe. Die von Krankheit geplagte Gloria bittet die Schriftstellerin, etwas über sie zu verfassen: "Ja, Moni, schreib eine Seite über mich, denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da."
Es geht also um zwei Freundinnen, die sich im Laufe ihres Lebens aus den Augen verloren haben und im Alter wieder zueinanderfinden. Mit 150 Seiten ist das trotz der langen Freundschaft ein sehr kurzer Roman, stilgetreu für Helfer. Auch wenn man durch die lakonischen Erinnerungen fliegt, wirkt die Erzählung noch lange nach. Wie seine drei Vorgängerromane ist "Die Jungfrau" autobiographisch angelegt, und dass ländliche Vorarlberg, wo Monika Helfer mit ihrem Mann lebt, wird auch wieder zum Schauplatz. In diesem Roman spricht die österreichische Autorin von sich als Monika und erzählt über ihr Leben als Schriftstellerin und ihre Ehe mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, mit dem sie seit 1981 verheiratet ist. Trotz dieser autobiographischen Authentizität gibt Monika Helfer in einem Interview mit dem "Stern" aber an, dass nur dreißig Prozent Wahrheit in dem Buch steckten, siebzig Prozent habe sie erfunden: "Ich habe Gloria aus vielen Freundinnen zusammengesetzt. Sie sagt Sätze, die ich mir gemerkt habe."
Die beiden Freundinnen, beide inzwischen jenseits der siebzig, begegnen sich wieder und stellen fest, dass sich zwischen ihnen kaum etwas verändert hat. Dabei hätten ihre Wege nicht unterschiedlicher verlaufen können. Während Monika eine berühmte Autorin geworden ist und eine Familie gegründet hat, scheint sich Glorias vielversprechende Schauspielkarriere verfangen zu haben. Sie verharrt in einem einsamen Dasein im Haus ihrer verstorbenen Mutter. Die einst schillernde, exzentrische Gloria ist nicht mehr da.
Monika und Gloria verbindet eine intensive und doch zuweilen unbehagliche Beziehung. So entstand neben all der Bewunderung, die sie füreinander empfanden, in manchen Situationen ein Konkurrenzdenken, bei dem sich die beiden als junge Frauen miteinander verglichen. So bei einer Theateraufführung in der Schule, bei der Monika unbedingt die Rolle des Hamlet spielen wollte, um im Stück Gloria, die Ophelia darstellte, eines auswischen zu können. Auch bei der eigenen Hochzeit, so verrät die Ich-Erzählerin im Buch, empfand Monika so etwas wie Eifersucht: "Gloria war meine Trauzeugin. Ich fand, sie war schöner als ich." Gloria erging es aber nicht anders. Später, als Monika ihren Sohn zur Welt brachte, empfing sie eine Glückwunschkarte von ihrer Freundin, auf der stand: "Glückwunsch, Du hast gewonnen!"
Bei der Wiederbegegnung gesteht Gloria ihrer Freundin, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie mit einem Mann geschlafen habe. Die abenteuerlustige, schöne Gloria blieb bis zuletzt allein. Dabei spielten Männer durchaus eine Rolle in ihrem Leben. Sie begann mit ihrem Uniprofessor Andrea, der verheiratet war und Kinder hatte, eine Affäre. Verschiedene sexuelle Handlungen blieben dabei nicht aus, doch zum Geschlechtsverkehr kam es zwischen beiden nie - nicht zuletzt aufgrund der strengen katholischen Moralvorstellungen von Andrea.
Es wird klar: Der Begriff der "Jungfrau", der Enthaltsamkeit impliziert, trifft auf Gloria nicht zu; es stecke "viel Widersprüchliches im Begriff der Jungfrau", sagt Helfer in einem Interview. Von ihren Töchtern wisse sie, dass es dabei um viel mehr gehe als um die reine Tatsache, ob man mit einem Mann geschlafen habe. Mit dem Buch gibt sie ihnen recht: "Die Jungfrau", so steht dort zu lesen, sei ein "seltsamer, völlig altmodischer Begriff". ANNA-LOUISA SCHÖNFELD
Monika Helfer: "Die Jungfrau". Roman.
Hanser Verlag, München 2023. 150 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2023Ich, ich, ich
Von der inspirierenden Konkurrenz unter Freundinnen erzählt Monika Helfer in „Die Jungfrau“.
Eine hintersinnig schöne Geschichte über versäumte Leben und die Macht des Erzählens.
VON MARIE SCHMIDT
Bei der Schriftstellerin Monika Helfer meldet sich eine Jugendfreundin, die sie seit über vierzig Jahren kaum gesehen hat. „Moni, schreib eine Seite über mich“, verlangt sie, „denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da.“ Es sei ihr 70. Geburtstag gewesen, an dem der Brief der Freundin kam, verrät Helfer in ihrem Buch „Die Jungfrau“. Sie erzählt darin, wie in dreien ihrer Vorgängerromane, mit allen Zeichen autobiografischer Authentizität: Sie spricht von sich als Monika, dem Leben als Schriftstellerin, ihrem Mann „Michael“, in dem der Schriftsteller Michael Köhlmeier zu erkennen ist.
Monika Helfers 70. Geburtstag, das wäre kurz vor dem durchschlagenden Erfolg ihres Buchs „Die Baggage“ von 2020 gewesen. Mit dieser Familiengeschichte fing ihre Karriere spät noch einmal neu an. Sie wurde ein Bestseller, nachdem die vorangegangenen Romane und Erzählungsbände weniger Aufmerksamkeit abbekommen hatten als beispielsweise die von Michael Köhlmeier. Und auch „Vati“ von 2021 und „Löwenherz“ von 2022 sind viel gelesene und geliebte Lebensgeschichten.
Fast alle Zeitungen und Medien im deutschsprachigen Raum schickten seitdem Reporterinnen zu ihr nach Hohenems im Vorarlberg, um das dicht mit Bildern und Erinnerungsstücken besiedelte Wohnzimmer von Helfer und Köhlmeier zu beschreiben und eine harmonische Dichterehe zu bewundern, in der sich die Gewichte verschoben hatten: Jetzt galt das Hauptinteresse Monika Helfer, und ihr Mann stand in der Küche und machte Kaiserschmarrn.
„Ich lese alle deine Interviews“, sagt die Freundin in Helfers neuem Buch: „Ich gebe deinen Namen in den Google ein, drücke auf News und auf die letzten vierundzwanzig Stunden, und dann sehe ich, was es Neues über dich gibt.“ Auf dem Wege hätte sie also in den vergangenen Jahren einiges erfahren können über das liebevolle, sinnliche, erfolgreiche Leben von Monika Helfer. Während die Erzählerin Monika ihre Freundin einsam und verwittert wiederfindet, in genau der Situation, der sie seit Jahrzehnten zu verharren scheint: im Haus ihrer verblichenen Mutter, am schütteren Körper einen Kimono, wie die ihn auch getragen hatte: „Ein ewiges Mädchen“. Sie gibt also kein Bild ab, zu dem ihr glänzender Name „Gloria“ passen würde.
Als Kind hat sich diese Gloria fantasievolle Geschichten ausgedacht, um zu ersetzen, was ihr fehlte: der Vater, über den die Mutter auch nur Widersprüchliches preisgab. Gloria schmückte das aus, überzeugte sich vor allem selbst, bis sie schon halb auf dem Weg war aus Bregenz zu einem imaginären Vater in der 147 Ludlow Street, Manhattan. Schon die junge Monika durchschaut die Selbsttäuschung.
An der Freundin lernt sie einen Charaktertypus kennen, der immer leicht outriert: „Sie flirtete nicht, sie spielte nur Flirten.“ Und doch geht diese bestimmte Energie von ihr aus: „Gloria war immer eine gewesen, die meine Einbildungskraft anzündete, zu schönen Bildern und zu weniger schönen.“ Monika Helfers eigener Text über dieser Freundschaft sendet, von den biografischen Merkmalen bis zu ihrem nüchtern pragmatischen Ton, alle Signale für die Echtheit ihrer Geschichte. In einem Interview mit dem Stern gibt sie aber an: „Es steckt 30 Prozent Wahrheit darin, 70 Prozent sind erfunden. Ich habe Gloria aus vielen Freundinnen zusammengesetzt.“
Sie hat sich damit also eine Gegenfigur erschaffen: Monika kommt aus sehr bescheidenen Verhältnissen in der schlecht beleumundeten Südtiroler Siedlung in Bregenz. Gloria und ihre Mutter leben in mehr Räumen, als sie bewohnen können, und „kauften alles und von allem und immer zu viel“. Monika ist unsicher, von Gloria heißt es: „Es wäre ihr nicht gelungen, sich den anderen gleichgültig zu machen.“ Gloria inszeniert sich als Femme fatale, Monika macht wohl ihre Erfahrungen, redet aber nicht darüber. Gloria geht auf die Schauspielschule nach Wien, beginnt ein Bohème-Leben, Monika bleibt in Bregenz und wird Mutter, ihr erster Mann ist „einer, den Gloria gern besessen hätte. Er war ein Mann, der mich beneidenswerter machte, als ich war“. Die Ehe selbst bringt sie eher in Verlegenheit. Als sie über vierzig sind, hat Monika vier Kinder, die zweite Ehe ist die glückliche Künstlerverbindung. Und Gloria bettelt: „Erzähl mir wenigstens, wie es ist, wenn man ein Kind kriegt, Moni.“ Als sie sich mit über siebzig wiedersehen, gesteht Gloria ihr Geheimnis: „Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen.“
Monika Helfer kommt das Wort „Jungfernschaft“ in den Sinn, als sei es doch eher eine Haltung als etwas, das der Freundin wirklich widerfahren ist. Die beiden Frauen in diesem Buch jedenfalls konkurrieren brutal, sind eng verklammert, spiegeln sich, physisch bis in die Körpergerüche hinein und existenziell: Die eine stellt für die andere das Leben dar, wie es hätte werden können. Dem ersten Eindruck nach ist es so gekommen: All die Geschichten, die Gloria von sich erzählt, haben nicht gehalten, sind nicht wahr geworden, sie ist inmitten ihrer Illusionen vereinsamt, während Monika ein Leben aus dem Vollen führt. In ihre Erzählung über die Freundin fügt sie diesen Disclaimer ein: „In einem Leben, in dem die Wirklichkeit von der Einbildung in die Bedeutungslosigkeit gedrängt ist, muss die Frage nach der Wahrheit merkwürdig klingen. Als ein sprachlicher Störenfried. Darf ein Leben in der Einbildung nicht ebenso als Wirklichkeit bezeichnet werden?“ Sind das nun wirklich Fragen über Gloria, oder nicht vielmehr die eines Schriftstellerlebens, also ihres eigenen?
Auch die Frage des Genres, das Monika Helfer zuletzt so viel Erfolg beschert hat, des Autofiktionalen, schiebt sie der anderen zu: „Wenn einer dauernd ‚Ich‘ sagt, heißt das nicht unbedingt, dass er daran Gefallen hat, wie er ist. Gloria sagt ‚Ich‘ und schaut mich flehentlich an. ‚Ich, ich, ich!‘“
Da steht also das Ich, das zur Literatur werden will, Aug in Auge mit dem erlebenden und erzählenden Ich. An dieser weiblichen Version des Doppelgänger-Motivs spielt Monika Helfer in ihrer amüsanten Art die dringenden Fragen von Kunst und Leben im 21. Jahrhundert durch.
„Erzähl mir wenigstens,
wie es ist, wenn man
ein Kind kriegt, Moni.“
Monika Helfer:
Die Jungfrau.
Roman.
Carl Hanser Verlag,
München 2023.
152 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Von der inspirierenden Konkurrenz unter Freundinnen erzählt Monika Helfer in „Die Jungfrau“.
Eine hintersinnig schöne Geschichte über versäumte Leben und die Macht des Erzählens.
VON MARIE SCHMIDT
Bei der Schriftstellerin Monika Helfer meldet sich eine Jugendfreundin, die sie seit über vierzig Jahren kaum gesehen hat. „Moni, schreib eine Seite über mich“, verlangt sie, „denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da.“ Es sei ihr 70. Geburtstag gewesen, an dem der Brief der Freundin kam, verrät Helfer in ihrem Buch „Die Jungfrau“. Sie erzählt darin, wie in dreien ihrer Vorgängerromane, mit allen Zeichen autobiografischer Authentizität: Sie spricht von sich als Monika, dem Leben als Schriftstellerin, ihrem Mann „Michael“, in dem der Schriftsteller Michael Köhlmeier zu erkennen ist.
Monika Helfers 70. Geburtstag, das wäre kurz vor dem durchschlagenden Erfolg ihres Buchs „Die Baggage“ von 2020 gewesen. Mit dieser Familiengeschichte fing ihre Karriere spät noch einmal neu an. Sie wurde ein Bestseller, nachdem die vorangegangenen Romane und Erzählungsbände weniger Aufmerksamkeit abbekommen hatten als beispielsweise die von Michael Köhlmeier. Und auch „Vati“ von 2021 und „Löwenherz“ von 2022 sind viel gelesene und geliebte Lebensgeschichten.
Fast alle Zeitungen und Medien im deutschsprachigen Raum schickten seitdem Reporterinnen zu ihr nach Hohenems im Vorarlberg, um das dicht mit Bildern und Erinnerungsstücken besiedelte Wohnzimmer von Helfer und Köhlmeier zu beschreiben und eine harmonische Dichterehe zu bewundern, in der sich die Gewichte verschoben hatten: Jetzt galt das Hauptinteresse Monika Helfer, und ihr Mann stand in der Küche und machte Kaiserschmarrn.
„Ich lese alle deine Interviews“, sagt die Freundin in Helfers neuem Buch: „Ich gebe deinen Namen in den Google ein, drücke auf News und auf die letzten vierundzwanzig Stunden, und dann sehe ich, was es Neues über dich gibt.“ Auf dem Wege hätte sie also in den vergangenen Jahren einiges erfahren können über das liebevolle, sinnliche, erfolgreiche Leben von Monika Helfer. Während die Erzählerin Monika ihre Freundin einsam und verwittert wiederfindet, in genau der Situation, der sie seit Jahrzehnten zu verharren scheint: im Haus ihrer verblichenen Mutter, am schütteren Körper einen Kimono, wie die ihn auch getragen hatte: „Ein ewiges Mädchen“. Sie gibt also kein Bild ab, zu dem ihr glänzender Name „Gloria“ passen würde.
Als Kind hat sich diese Gloria fantasievolle Geschichten ausgedacht, um zu ersetzen, was ihr fehlte: der Vater, über den die Mutter auch nur Widersprüchliches preisgab. Gloria schmückte das aus, überzeugte sich vor allem selbst, bis sie schon halb auf dem Weg war aus Bregenz zu einem imaginären Vater in der 147 Ludlow Street, Manhattan. Schon die junge Monika durchschaut die Selbsttäuschung.
An der Freundin lernt sie einen Charaktertypus kennen, der immer leicht outriert: „Sie flirtete nicht, sie spielte nur Flirten.“ Und doch geht diese bestimmte Energie von ihr aus: „Gloria war immer eine gewesen, die meine Einbildungskraft anzündete, zu schönen Bildern und zu weniger schönen.“ Monika Helfers eigener Text über dieser Freundschaft sendet, von den biografischen Merkmalen bis zu ihrem nüchtern pragmatischen Ton, alle Signale für die Echtheit ihrer Geschichte. In einem Interview mit dem Stern gibt sie aber an: „Es steckt 30 Prozent Wahrheit darin, 70 Prozent sind erfunden. Ich habe Gloria aus vielen Freundinnen zusammengesetzt.“
Sie hat sich damit also eine Gegenfigur erschaffen: Monika kommt aus sehr bescheidenen Verhältnissen in der schlecht beleumundeten Südtiroler Siedlung in Bregenz. Gloria und ihre Mutter leben in mehr Räumen, als sie bewohnen können, und „kauften alles und von allem und immer zu viel“. Monika ist unsicher, von Gloria heißt es: „Es wäre ihr nicht gelungen, sich den anderen gleichgültig zu machen.“ Gloria inszeniert sich als Femme fatale, Monika macht wohl ihre Erfahrungen, redet aber nicht darüber. Gloria geht auf die Schauspielschule nach Wien, beginnt ein Bohème-Leben, Monika bleibt in Bregenz und wird Mutter, ihr erster Mann ist „einer, den Gloria gern besessen hätte. Er war ein Mann, der mich beneidenswerter machte, als ich war“. Die Ehe selbst bringt sie eher in Verlegenheit. Als sie über vierzig sind, hat Monika vier Kinder, die zweite Ehe ist die glückliche Künstlerverbindung. Und Gloria bettelt: „Erzähl mir wenigstens, wie es ist, wenn man ein Kind kriegt, Moni.“ Als sie sich mit über siebzig wiedersehen, gesteht Gloria ihr Geheimnis: „Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen.“
Monika Helfer kommt das Wort „Jungfernschaft“ in den Sinn, als sei es doch eher eine Haltung als etwas, das der Freundin wirklich widerfahren ist. Die beiden Frauen in diesem Buch jedenfalls konkurrieren brutal, sind eng verklammert, spiegeln sich, physisch bis in die Körpergerüche hinein und existenziell: Die eine stellt für die andere das Leben dar, wie es hätte werden können. Dem ersten Eindruck nach ist es so gekommen: All die Geschichten, die Gloria von sich erzählt, haben nicht gehalten, sind nicht wahr geworden, sie ist inmitten ihrer Illusionen vereinsamt, während Monika ein Leben aus dem Vollen führt. In ihre Erzählung über die Freundin fügt sie diesen Disclaimer ein: „In einem Leben, in dem die Wirklichkeit von der Einbildung in die Bedeutungslosigkeit gedrängt ist, muss die Frage nach der Wahrheit merkwürdig klingen. Als ein sprachlicher Störenfried. Darf ein Leben in der Einbildung nicht ebenso als Wirklichkeit bezeichnet werden?“ Sind das nun wirklich Fragen über Gloria, oder nicht vielmehr die eines Schriftstellerlebens, also ihres eigenen?
Auch die Frage des Genres, das Monika Helfer zuletzt so viel Erfolg beschert hat, des Autofiktionalen, schiebt sie der anderen zu: „Wenn einer dauernd ‚Ich‘ sagt, heißt das nicht unbedingt, dass er daran Gefallen hat, wie er ist. Gloria sagt ‚Ich‘ und schaut mich flehentlich an. ‚Ich, ich, ich!‘“
Da steht also das Ich, das zur Literatur werden will, Aug in Auge mit dem erlebenden und erzählenden Ich. An dieser weiblichen Version des Doppelgänger-Motivs spielt Monika Helfer in ihrer amüsanten Art die dringenden Fragen von Kunst und Leben im 21. Jahrhundert durch.
„Erzähl mir wenigstens,
wie es ist, wenn man
ein Kind kriegt, Moni.“
Monika Helfer:
Die Jungfrau.
Roman.
Carl Hanser Verlag,
München 2023.
152 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Eine hintersinnig schöne Geschichte über versäumte Leben und die Macht des Erzählens... Monika Helfer spielt in ihrer bescheiden amüsanten Art die dringenden Fragen von Kunst und Leben im 21. Jahrhundert durch." Marie Schmidt, SZ online, 21.11.23
"Und wieder ein Text von Monika Helfer, der einen gefangen nimmt. ... Helfer, eine Meisterin des Dialogs, schreibt in unverwechselbarem Ton und Duktus. Der Text ist so verdichtet, dass er im Kopf des Lesers ausufert. Und er ist gleichzeitig so rücksichtslos gegenüber den eigenen Figuren, dass es einen fröstelt. Das ist, abermals, große Literatur." Peer Teuwsen, NZZ am Sonntag, 24.09.23
"Ein locker schwingender Roman über eine tragische Figur, die keinen roten Faden in ihrem Leben findet. ... Mit großer Virtuosität und vielen Zeitsprüngen zieht Helfer eine Pointe nach der anderen aus dem Ärmel. Mitunter schwingt auch ein untergründiger Humor mit." Franziska Wolffheim, Tagesspiegel, 02.09.2023
"Wie Monika Helfer das gelingt - die Menschen, über die sie schreibt, so nah erscheinen zu lassen, dabei aber auf jede Übertreibung und jedes Pathos zu verzichten, die sich bei solchen Zooms aufs Intimste manchmal einschleichen! Wie wohlwollend und doch auch rücksichtslos sie ihre aus dem Leben gegriffenen Figuren zeichnet ... ein Buch über die Literatur, darüber, was sie vermag und was sie darf, und wie ein Leben selbst zu einem literarischen wird." Ulrich Rüdenauer, SWR2, 27.08.23
"Himmelweit entfernt von Routine und Erfolgsmasche. Neuerlich erweist sich Helfer als Virtuosin des abrupten Wechsels, die ihre Aufmerksamkeit auf das sogenannte Nebensächliche richtet.", Wolfgang Paterno, Profil, 27.08.2023
"In der Kürze, der Lakonie, im leicht Angedeuteten fühlt Monika Helfer sich am wohlsten. Das Seltsame ist nur: An einem kurzen Buch von ihr liest man länger als an jedem Tausend-Seiten-Wälzer. Ganz langsam nur wandert man durch die Sätze, weil sie so kostbar sind, und singt mit." Alexander Solloch, NDR Kultur, 21.08.23
"Sehr raffiniert erzählt Monika Helfer diese Freundinnengeschichte ... Es ist wirklich ein Zauberkunststück, wie sie das macht - am Anfang denkt man, es ist eine kleine Geschichte und dann kommt eine Geschichte nach der anderen aus diesem kleine Schächtelchen und man fragt sich: wie schafft sie dieses Raumwunder? Das ist wirklich großartig." Meike Feßmann, Deutschlandfunk Kultur, 21.08.23
"Geheimnisvoll und stellenweise tragisch-komisch ist die Geschichte dieser jungfräulichen Freundin. Helfers prosaisch-nüchterner, niemals wehleidiger Ton geht auch diesmal direkt ins Herz." Barbara Beer, Kurier, 20.08.23
"Und wieder ein Text von Monika Helfer, der einen gefangen nimmt. ... Helfer, eine Meisterin des Dialogs, schreibt in unverwechselbarem Ton und Duktus. Der Text ist so verdichtet, dass er im Kopf des Lesers ausufert. Und er ist gleichzeitig so rücksichtslos gegenüber den eigenen Figuren, dass es einen fröstelt. Das ist, abermals, große Literatur." Peer Teuwsen, NZZ am Sonntag, 24.09.23
"Ein locker schwingender Roman über eine tragische Figur, die keinen roten Faden in ihrem Leben findet. ... Mit großer Virtuosität und vielen Zeitsprüngen zieht Helfer eine Pointe nach der anderen aus dem Ärmel. Mitunter schwingt auch ein untergründiger Humor mit." Franziska Wolffheim, Tagesspiegel, 02.09.2023
"Wie Monika Helfer das gelingt - die Menschen, über die sie schreibt, so nah erscheinen zu lassen, dabei aber auf jede Übertreibung und jedes Pathos zu verzichten, die sich bei solchen Zooms aufs Intimste manchmal einschleichen! Wie wohlwollend und doch auch rücksichtslos sie ihre aus dem Leben gegriffenen Figuren zeichnet ... ein Buch über die Literatur, darüber, was sie vermag und was sie darf, und wie ein Leben selbst zu einem literarischen wird." Ulrich Rüdenauer, SWR2, 27.08.23
"Himmelweit entfernt von Routine und Erfolgsmasche. Neuerlich erweist sich Helfer als Virtuosin des abrupten Wechsels, die ihre Aufmerksamkeit auf das sogenannte Nebensächliche richtet.", Wolfgang Paterno, Profil, 27.08.2023
"In der Kürze, der Lakonie, im leicht Angedeuteten fühlt Monika Helfer sich am wohlsten. Das Seltsame ist nur: An einem kurzen Buch von ihr liest man länger als an jedem Tausend-Seiten-Wälzer. Ganz langsam nur wandert man durch die Sätze, weil sie so kostbar sind, und singt mit." Alexander Solloch, NDR Kultur, 21.08.23
"Sehr raffiniert erzählt Monika Helfer diese Freundinnengeschichte ... Es ist wirklich ein Zauberkunststück, wie sie das macht - am Anfang denkt man, es ist eine kleine Geschichte und dann kommt eine Geschichte nach der anderen aus diesem kleine Schächtelchen und man fragt sich: wie schafft sie dieses Raumwunder? Das ist wirklich großartig." Meike Feßmann, Deutschlandfunk Kultur, 21.08.23
"Geheimnisvoll und stellenweise tragisch-komisch ist die Geschichte dieser jungfräulichen Freundin. Helfers prosaisch-nüchterner, niemals wehleidiger Ton geht auch diesmal direkt ins Herz." Barbara Beer, Kurier, 20.08.23