In seinen autobiografischen Schriften („Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“ und „Ein Kind“) verarbeitete der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard seine Kindheit und Jugend. Diese Erinnerungen spiegeln seine furchtbaren Erlebnisse im nationalsozialistisch und katholisch
geprägten Österreich wider.
Erschütternd und polemisch schildert er die frühen Verletzungen und das…mehrIn seinen autobiografischen Schriften („Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“ und „Ein Kind“) verarbeitete der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard seine Kindheit und Jugend. Diese Erinnerungen spiegeln seine furchtbaren Erlebnisse im nationalsozialistisch und katholisch geprägten Österreich wider.
Erschütternd und polemisch schildert er die frühen Verletzungen und das Eingesperrtsein in den verschiedenen Institutionen wie Schule, Internat, Erziehungslager, Krankenhaus und Sanatorium. Wer die Welt von Thomas Bernhard verstehen will, findet hier den Schlüssel. Kaum ein Text ist intimer und berührender als diese Erinnerungen. Alle fünf Bände erschienen Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre im Residenz Verlag Pölten und liegen nun aus Anlass des 90. Geburtstags von Thomas Bernhard als Taschenbuchausgaben im Deutschen Taschenbuch Verlag vor.
„Der Kälte - Eine Isolation“ (1981) ist der vierte Band dieser fünfteiligen Autobiografie, der sich nahtlos an den Vorgängerband „Der Atem“ anschließt. Der 18jährige Bernhard wird mit Verdacht auf Tuberkulose (Schatten auf der Lunge) in die streng isolierte Lungenheil-anstalt Grafenhof bei St. Veit eingewiesen. In der Nachkriegszeit sind Medikamente allerdings Mangelware und daher beschränkt sich die Behandlung fast ausschließlich auf ausgiebige Liegekuren auf der windgeschützten Sonnenterrasse der Anstalt.
Der vergleichsweise Gesunde wird vom Personal zunächst argwöhnisch beäugt. Als sich jedoch der Verdacht (wahrscheinlich durch Ansteckung) bewahrheitet, breitet sich unter den Ärzten und Mitpatienten eine Art Befriedigung aus: jetzt ist Bernhard Mitglied dieser entsetzlichen Gemeinschaft der „Todgeweihten“. In monatelanger Isolierung wird er Opfer einer selbstherrlichen Anstaltsleitung. Das Sanatorium ist für Bernhard tatsächlich eine Strafanstalt, gegen deren innere Gesetze er sich auflehnt. Zwei längere Aufenthalte ver-bringt er in Grafenhof: vom Juli 1949 bis zum Februar 1950 und nach einem Rückfall vom Juli 1950 bis zum Januar 1951.
Dazwischen erfährt Bernhard aus der Zeitung vom Tod seiner Mutter. In all der Hoffnungslosigkeit lernt er einen jungen Patienten kennen, der ihm zum lang ersehnten Gesprächspartner für die endlosen Spaziergänge wird. Sein neuer Freund ist ein ungewöhnlich begabter Musiker, „sein Kapellmeister“, wie er ihn später nennt. Bernhard findet wieder Interesse an der Musik und musiziert regelmäßig in der Kirche von St. Veit. Nach der anfänglichen Selbstaufgabe beweist Bernhard Lebenswille: „Der Kranke muss sein Leiden selbst in die Hand und vor allem in den Kopf nehmen gegen die Ärzte.“ An einem kalten Wintertag wird er vorzeitig, auf eigene Gefahr, aus dem Sanatorium entlassen.
Manfred Orlick