Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika wurde 1891 gegründet und bestand mehrheitlich aus afrikanischen Söldnern. Die Autorin untersucht den Einfluss afrikanischer Kriegführung auf die Schutztruppe, die Diskussionen um die globale Interventionsfähigkeit des Kaiserreichs und die Militarisierung der Schutzgebiete. Das konfliktträchtige Verhältnis zwischen ziviler Verwaltung und den Militärs mündete beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in einen Militärputsch gegen die Kolonialregierung. Tanja Bührer erhielt für ihr Werk den Werner-Hahlweg-Preis 2010.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2012Seiner Majestät Verwüster
Koloniale Sicherheitspolitik des kaiserlichen Deutschlands 1885 bis 1918
Die ersten Kriege, die das 1871 gegründete Deutsche Reich führte, waren "Kleine Kriege" - ein Ende des 19. Jahrhunderts aufkommender Begriff, um die Durchsetzung und Sicherung deutscher Kolonialherrschaft in Afrika mit militärischen Mitteln zu beschreiben. In Deutsch-Ostafrika wurden sie von der 1891 ins Leben gerufenen Kaiserlichen Schutztruppe geführt. Angefangen hatte alles nach einem im europäischen Imperialismus gängigen Muster. Von Kolonialgesellschaften organisierte Expeditionen suchten in den 1880er Jahren im Rahmen des allgemeinen Wettlaufs um die Aufteilung Afrikas nach "leeren" Räumen, die wirtschaftlich erschlossen werden sollten. In Ostafrika war es die von Carl Peters geleitete Gesellschaft für deutsche Kolonisation, die 1884 nach Verträgen mit lokalen Autoritäten und Herrschern ein 140 000 Quadratkilometer umfassendes Gebiet beanspruchte. Ein Jahr später erlangte die Gesellschaft, die sich bald Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft nannte, einen Schutzbrief des Deutschen Reichs.
Aus der Sicht des Reichskanzlers Otto von Bismarck handelte es sich nur um eine Maßnahme zur "informellen staatlichen Unterstützung expansiver Wirtschaftsinteressen". Allerdings zeigte sich rasch, dass die Berliner Wahrnehmung von der indigenen Bevölkerung keineswegs geteilt wurde. Sie erhob sich nämlich seit 1888 entlang der Küste, so dass ein überwiegend vor Ort privat organisierter, aber im staatlichen Auftrag durchgeführter militärischer Einsatz unumgänglich wurde. Die damit ausgelöste Dynamik führte, wollte man sich in dem als Kolonie beanspruchten Gebiet behaupten, zwangsläufig zur Schaffung einer eigenen kolonialen Reichstruppe.
Diese neben Heer und Marine "dritte militärische Formation des Reiches" untersucht Tanja Bührer. Neben institutionsgeschichtlichen Aspekten beschreibt sie die Aufgaben der von deutschen Offizieren geführten und aus afrikanischen Söldnern bestehenden Kolonialarmee. Mit zahlreichen über das riesige Territorium verteilten Stützpunkten diente die Truppe dem Schutz der deutschen Administration und der wirtschaftlichen Unternehmungen. Insbesondere kam sie zur Aufrechterhaltung der Ordnung zum Einsatz, vor allem zur Unterdrückung von Unruhen und Aufständen, die sich gegen die Fremdherrschaft richteten, und schließlich im Ersten Weltkrieg zur Abwehr des äußeren Feindes.
Immer wieder erfolgten Zusammenstöße mit lokalen Warlords, aber auch mit größeren autochthonen Herrschaftsverbänden wie dem Wahehe-Reich, das in einem innerafrikanischen Konflikt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts expandiert hatte und erst 1898 zerschlagen wurde. Einen letzten Höhepunkt bildete zwischen 1905 und 1907 die nach dem Maji-Kult genannte Maji-Maji-Widerstandsbewegung. Kampfhandlungen entstanden dann, "wenn die Kolonialherren ihre wirtschaftlichen Interessen oder ihren Anspruch auf das Gewaltmonopol im Grundsatz bedroht sahen". Da es sich um einen Dauerkonflikt von mal geringerer, mal größerer Intensität handelte, hält Frau Bührer es für problematisch, eine "trennscharfe Linie zwischen Kriegs- und Friedenszustand" ausmachen zu wollen.
Hervorzuheben ist der ständige Perspektivenwechsel, mit dem die Auseinandersetzungen aus der Sicht sowohl des Kolonialstaats als auch der zahlreichen "sozio- und ethno-politischen Gruppen" Ostafrikas beschrieben werden. Auf diese Weise wird eine Erklärung dafür versucht, warum extreme Brutalität an der Tagesordnung war. Wenn die Verfasserin von "transkulturell geprägten Gewalthandlungen" spricht, hebt sie auf die Gemengelage ab, die sich aus gewaltbereiter Fremdherrschaft und afrikanischer Gewalttradition ergab. Die deutschen Invasoren sahen sich in eine "afrikanische Gewaltkultur" hineingezogen. Dass es seitens der militärisch überlegenen Kolonialmacht zu Massakern und, wie einer der Gouverneure selbst festhielt, im Krieg gegen die Wahehe zu einem "Vernichtungsfeldzug" kam, sei weniger auf den Rassismus oder den Machtwillen der Deutschen zurückzuführen als auf die in der afrikanischen Kriegspraxis schon immer vorhandene ungehemmte Bereitschaft zum Töten. Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, stellt Tanja Bührer zugleich lapidar fest, das Deutsche Reich habe ja "unter keinerlei Zwang" gestanden, Kolonien zu erwerben. Eindeutig fällt auch ihr Urteil über die "Rücksichtslosigkeit" von Paul von Lettow-Vorbeck aus, der mit seinem "marodierenden Beutezug" gegen Ende des Weltkriegs in Ostafrika eine "Spur der Verwüstung" hinterließ.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er in Berlin triumphal empfangen. Ein Jahr später beteiligte er sich am Kapp-Putsch. Als er 1964 starb, wurde ihm die Ehre einer Totenwache durch Offiziere der Bundeswehr zuteil. Ganz anders - auch das teilt Frau Bührer mit - erging es Hans Paasche, der sich nach seinen Erlebnissen im Maji-Maji-Krieg vom Offizier zum Pazifisten wandelte und seine Kritik an der Art der Kriegführung öffentlich äußerte. Im Mai 1920 haben ihn Freikorpstruppen, die eben noch gegen die Republik geputscht hatten, ermordet.
GOTTFRIED NIEDHART.
Tanja Bührer: Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung 1885 bis 1918. Oldenbourg Verlag, München 2011. 532 S., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Koloniale Sicherheitspolitik des kaiserlichen Deutschlands 1885 bis 1918
Die ersten Kriege, die das 1871 gegründete Deutsche Reich führte, waren "Kleine Kriege" - ein Ende des 19. Jahrhunderts aufkommender Begriff, um die Durchsetzung und Sicherung deutscher Kolonialherrschaft in Afrika mit militärischen Mitteln zu beschreiben. In Deutsch-Ostafrika wurden sie von der 1891 ins Leben gerufenen Kaiserlichen Schutztruppe geführt. Angefangen hatte alles nach einem im europäischen Imperialismus gängigen Muster. Von Kolonialgesellschaften organisierte Expeditionen suchten in den 1880er Jahren im Rahmen des allgemeinen Wettlaufs um die Aufteilung Afrikas nach "leeren" Räumen, die wirtschaftlich erschlossen werden sollten. In Ostafrika war es die von Carl Peters geleitete Gesellschaft für deutsche Kolonisation, die 1884 nach Verträgen mit lokalen Autoritäten und Herrschern ein 140 000 Quadratkilometer umfassendes Gebiet beanspruchte. Ein Jahr später erlangte die Gesellschaft, die sich bald Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft nannte, einen Schutzbrief des Deutschen Reichs.
Aus der Sicht des Reichskanzlers Otto von Bismarck handelte es sich nur um eine Maßnahme zur "informellen staatlichen Unterstützung expansiver Wirtschaftsinteressen". Allerdings zeigte sich rasch, dass die Berliner Wahrnehmung von der indigenen Bevölkerung keineswegs geteilt wurde. Sie erhob sich nämlich seit 1888 entlang der Küste, so dass ein überwiegend vor Ort privat organisierter, aber im staatlichen Auftrag durchgeführter militärischer Einsatz unumgänglich wurde. Die damit ausgelöste Dynamik führte, wollte man sich in dem als Kolonie beanspruchten Gebiet behaupten, zwangsläufig zur Schaffung einer eigenen kolonialen Reichstruppe.
Diese neben Heer und Marine "dritte militärische Formation des Reiches" untersucht Tanja Bührer. Neben institutionsgeschichtlichen Aspekten beschreibt sie die Aufgaben der von deutschen Offizieren geführten und aus afrikanischen Söldnern bestehenden Kolonialarmee. Mit zahlreichen über das riesige Territorium verteilten Stützpunkten diente die Truppe dem Schutz der deutschen Administration und der wirtschaftlichen Unternehmungen. Insbesondere kam sie zur Aufrechterhaltung der Ordnung zum Einsatz, vor allem zur Unterdrückung von Unruhen und Aufständen, die sich gegen die Fremdherrschaft richteten, und schließlich im Ersten Weltkrieg zur Abwehr des äußeren Feindes.
Immer wieder erfolgten Zusammenstöße mit lokalen Warlords, aber auch mit größeren autochthonen Herrschaftsverbänden wie dem Wahehe-Reich, das in einem innerafrikanischen Konflikt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts expandiert hatte und erst 1898 zerschlagen wurde. Einen letzten Höhepunkt bildete zwischen 1905 und 1907 die nach dem Maji-Kult genannte Maji-Maji-Widerstandsbewegung. Kampfhandlungen entstanden dann, "wenn die Kolonialherren ihre wirtschaftlichen Interessen oder ihren Anspruch auf das Gewaltmonopol im Grundsatz bedroht sahen". Da es sich um einen Dauerkonflikt von mal geringerer, mal größerer Intensität handelte, hält Frau Bührer es für problematisch, eine "trennscharfe Linie zwischen Kriegs- und Friedenszustand" ausmachen zu wollen.
Hervorzuheben ist der ständige Perspektivenwechsel, mit dem die Auseinandersetzungen aus der Sicht sowohl des Kolonialstaats als auch der zahlreichen "sozio- und ethno-politischen Gruppen" Ostafrikas beschrieben werden. Auf diese Weise wird eine Erklärung dafür versucht, warum extreme Brutalität an der Tagesordnung war. Wenn die Verfasserin von "transkulturell geprägten Gewalthandlungen" spricht, hebt sie auf die Gemengelage ab, die sich aus gewaltbereiter Fremdherrschaft und afrikanischer Gewalttradition ergab. Die deutschen Invasoren sahen sich in eine "afrikanische Gewaltkultur" hineingezogen. Dass es seitens der militärisch überlegenen Kolonialmacht zu Massakern und, wie einer der Gouverneure selbst festhielt, im Krieg gegen die Wahehe zu einem "Vernichtungsfeldzug" kam, sei weniger auf den Rassismus oder den Machtwillen der Deutschen zurückzuführen als auf die in der afrikanischen Kriegspraxis schon immer vorhandene ungehemmte Bereitschaft zum Töten. Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, stellt Tanja Bührer zugleich lapidar fest, das Deutsche Reich habe ja "unter keinerlei Zwang" gestanden, Kolonien zu erwerben. Eindeutig fällt auch ihr Urteil über die "Rücksichtslosigkeit" von Paul von Lettow-Vorbeck aus, der mit seinem "marodierenden Beutezug" gegen Ende des Weltkriegs in Ostafrika eine "Spur der Verwüstung" hinterließ.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er in Berlin triumphal empfangen. Ein Jahr später beteiligte er sich am Kapp-Putsch. Als er 1964 starb, wurde ihm die Ehre einer Totenwache durch Offiziere der Bundeswehr zuteil. Ganz anders - auch das teilt Frau Bührer mit - erging es Hans Paasche, der sich nach seinen Erlebnissen im Maji-Maji-Krieg vom Offizier zum Pazifisten wandelte und seine Kritik an der Art der Kriegführung öffentlich äußerte. Im Mai 1920 haben ihn Freikorpstruppen, die eben noch gegen die Republik geputscht hatten, ermordet.
GOTTFRIED NIEDHART.
Tanja Bührer: Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung 1885 bis 1918. Oldenbourg Verlag, München 2011. 532 S., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Etwas farblos zeichnet Gottfried Niedhart das von Tanja Bühler in ihrem Buch über die Kaiserliche Schutztruppe entworfene Bild deutscher Kolonialbestrebungen in Afrika nach. Wie wir erfahren, behandelt die Autorin sowohl "institutionsgeschichtliche Aspekte" als auch die Aufgaben der deutschen Kolonialarmee, zu denen schlichtweg, wie Bühler offenbar auch eindeutig erläutert, die brutale Unterdrückung der Bevölkerung zwecks reibungsloser Ausbeutung gehörte. Niedhart schätzt die Multiperspektivik der Studie, die ihm den Konflikt sowohl aus deutscher wie aus afrikanischer Sicht darstellt. Den Umstand, dass die "afrikanische Gewalttradition" zwar durchaus eine Rolle für die Brutalisierung in der Entwicklung der Kriegshandlungen gespielt hat, wie Bühler konstatiert, relativiert die Autorin zugleich mit einer den Rezensenten beeindruckenden Nüchternheit: Das Deutsche Reich sei schließlich nicht gezwungen gewesen, Kolonien zu erwerben. Wie wahr!
© Perlentaucher Medien GmbH
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