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Die Rede vom »Ressentiment« ist im heutigen Gesellschaftsfeuilleton inflationär. Auch Politologie, Literatur- und Kulturwissenschaft nutzen den Begriff gern. Oft ist von Ressentiment die Rede, wo es schlicht Neid, Hass oder Groll heißen könnte. Hat der Begriff mehr zu bieten als das Renommee eines Fremdworts? Ist Ressentiment gar eine kulturelle Schlüsselstimmung, die erschreckende Einsichten über uns bereithält? Jürgen Große stellt sich diesen Fragen auf unkonventionelle Weise. Er forscht der Geschichte des Ressentimentbegriffs nach, aber auch den Bedürfnissen, die dieser bis heute…mehr

Produktbeschreibung
Die Rede vom »Ressentiment« ist im heutigen Gesellschaftsfeuilleton inflationär. Auch Politologie, Literatur- und Kulturwissenschaft nutzen den Begriff gern. Oft ist von Ressentiment die Rede, wo es schlicht Neid, Hass oder Groll heißen könnte. Hat der Begriff mehr zu bieten als das Renommee eines Fremdworts? Ist Ressentiment gar eine kulturelle Schlüsselstimmung, die erschreckende Einsichten über uns bereithält? Jürgen Große stellt sich diesen Fragen auf unkonventionelle Weise. Er forscht der Geschichte des Ressentimentbegriffs nach, aber auch den Bedürfnissen, die dieser bis heute befriedigt. Die Studie ist systematisch und historisch angelegt. Der erste Teil diskutiert die Theorien einiger Ressentiment-Klassiker. Der zweite Teil erkundet die Funktion des Ressentimentgedankens von der frühneuzeitlichen Moralistik bis zur bundesdeutschen Gegenwart. »Ressentiment«, so wird dabei immer klarer, steht für das paradoxe Versprechen einer mehrheitsfähigen, sozial friedfertigen Bürgerlichkeit.
Autorenporträt
Jürgen Große (geb. 1963) ist promovierter Historiker und habilitierter Philosoph; er lebt als freier Publizist in Berlin. Sein Interesse gilt den dunklen Seiten der europäischen Geistesgeschichte, vor allem den Sonderwegen der Deutschen, so in 'Der Tod im Leben. Philosophische Deutungen von der Romantik bis zu den ¿life sciences¿' (2008, 2017), 'Philosophie der Langeweile' (2008), 'Ernstfall Nietzsche. Debatten vor und nach 1989' (2010), 'Fünf Zeitbilder. Geschichtsphilosophische Glossen' (2010), 'Der beglückte Mann. Posterotische Meditationen' (2015, 2022), 'Die Sprache der Einheit. Ein Fremdwörterbuch' (2019), 'Der sterbende Gott. Agnostische Anmerkungen' (2020), 'Der Glaube der anderen. Ein Weltbilderbuch' (2021), 'Die kreative Klasse. Nachrichten aus Winkel, Szene und Betrieb' (2022).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Magnus Klaue liest Jürgen Großes Studie über Theorie und Praxis des Ressentiments. Wenn der Autor von der Schwelle zwischen 19. und 20. Jahrhundert immer wieder in die Frühe Neuzeit zurückschaut, um anhand von Chamfort und Montaigne den Begriff zu bestimmen, folgt Klaue aufmerksam, um sodann den Schwenk in die Gegenwart mitzumachen. Hier geht der Autor laut Klaue auf die Inflation des Ressentiments ein, auf Queer Theory und "Bobo-Kapitalismus". Dass Große sich dabei mitunter "verzettelt", findet Klaue störend, vor allem, da der Rezensent anderes, etwa Gedanken zum Zusammenhang von Ressentiment und Antisemitismus im Band vermisst.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2024

Was hat Statusneid mit Männerhass zu tun?
Entlarvungsfreudige Analysen sind in Mode: Jürgen Große untersucht Theorie und Praxis des Ressentiments

In seinem 1987 erschienenen Essay "Kleine Geschichte des Körpergefühls" geht Jean Starobinski am Beispiel von Gustave Flaubert und Charles Baudelaire dem Zusammenhang zwischen Affektökonomien des Körpers und des Schreibens nach. Besonders interessiert ihn der Widerspruch zwischen dem Habitus der Kälte, der diesen Autoren attestiert wurde, und der in solcher Kälte zum Ausdruck kommenden Hitze.

Dieser Widerspruch, den Starobinski als charakteristisch für die Moderne ansieht, wird auch durch den Titel "Die kalte Wut" evoziert, den der Philosoph Jürgen Große seiner Studie über Theorie und Praxis des Ressentiments gegeben hat. Wer wütend ist, sollte man meinen, der erhitzt sich. Eine kalte Wut dementiert sich selbst, indem sie die ihr zugrunde liegende Hitze verleugnet oder so sehr mit ihr eins wird, dass sie in sich selbst erstarrt. Das Moment der Erstarrung und Verhärtung bezeichnet präzise, was das Ressentiment in den Augen seiner Entlarver gegenüber dem bloßen Vorurteil ausmacht.

Auch Große konzentriert sich historisch auf die Zeit zwischen dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Wenn er immer wieder auch ins achtzehnte Jahrhundert und in die Frühe Neuzeit zurückgreift - auf Nicolas Chamfort, Joseph de Maistre, Michel de Montaigne -, so deshalb, weil der Begriff des Ressentiments eine Form der Vermittlung zwischen Affekt und Erkenntnis bezeichnet, die in der Tradition eines eher anthropologisch als politisch-ökonomisch aufgefassten Materialismus steht, wie sie von den französischen Moralisten und den Denkern der Gegenaufklärung mitgeprägt wurde.

Diese Tradition situiert Große in einer Linie mit Friedrich Nietzsche, Max Scheler, Ludwig Klages und E. M. Cioran, die seine Kronzeugen für eine Ehrenrettung des Ressentiments im zwanzigsten Jahrhundert sind. Im Ressentiment verbinden sich demnach Einsicht und Abwehr, Erkenntnis und Verkennen, wobei es deutlicher als andere Affekte an den Leib als Bedingung allen Denkens und Urteilens erinnert.

Großes Ausgangspunkt ist die gegenwärtige Ressentiment-Inflation: "Kaum eine Woche vergeht, da nicht irgend jemand - ob in Kommentarspalten oder auf Podiumsdiskussionen - an irgend jemandem 'Ressentiment' vermutet und dann in . . . entlarvungsfreudigen Analysen nachweist." Diese Inflationierung deutet er als Symptom einer Logik des Verdachts, in der der Gestus des Entlarvens, der von den Moralisten bis zur Kritischen Theorie der Sphäre der Ideologiekritik zugehörte, sich entgrenzt habe: "Untrennbar von der Ressentimentrede bleibt die Zuschreibung einer Verdecktheit oder Verlarvtheit." Durch ihre Omnipräsenz aber schlägt solche Kritik des Ressentiments selbst in Ressentiment um. Demgegenüber umreißt Große ausgehend von Nietzsche eine "Hermeneutik des Ressentiments", die dieses als Bewegungsgesetz und Gegenstand von Sprache und Erkenntnis ernst nimmt.

Dabei zeigt er, wie der in Nietzsches "expressivem Stil" kristallisierte Zusammenhang von Leiblichkeit, Erkenntnis und Sprache in der späteren Lebensphilosophie, vor allem bei Klages, als Argument gegen den sich im "Lebensneid" verstockenden "Geist" ins Feld geführt wird. Die "singuläre Stellung" des rumänisch-französischen Aphoristikers Cioran, dem Große ein zentrales Kapitel widmet, sieht er darin, dass er die Apologie des Ressentiments durch Distanzierung zugunsten einer "künstlerisch-philosophischen Selbsttherapie" zurücknimmt. Dadurch werde das Ressentiment als somatische Triebkraft des Denkens und Schreibens anerkannt und zugleich als notwendig befangen reflektiert.

Dem versucht auch Große gerecht zu werden, indem er Figurationen des Ressentiments - die sich kosmopolitisch gebende Kritik an der Engstirnigkeit der "Provinz", den sozialkritisch camouflierten "Statusneid", den sich feministisch verkleidenden "Männerhass" - nie einfach nur umkehrt. Vielmehr geht es ihm um "Entsublimierung" als Gegengift gegen eine Rationalisierung des Denkens.

Dass er sich in dem Bemühen, aktuelle Diskussionen (von der Queer Theory bis zum "Bobo-Kapitalismus") aufzugreifen, immer wieder in Einzelbeobachtungen verzettelt, schadet der Argumentation. Umso mehr, als wichtige Aspekte des Ressentiment-Diskurses, insbesondere dessen Konnex mit der Geschichte des Antisemitismus, vernachlässigt werden. Dass auch Jean Améry in der Verteidigung seines gegen den Antisemitismus gehegten "Ressentiments" eine prominente positive Umwertung des Begriffs vornahm, wäre zumindest eine Erwähnung wert gewesen. MAGNUS KLAUE

Jürgen Große: "Die kalte Wut". Theorie und Praxis des Ressentiments.

Büchner Verlag, Marburg 2024. 384 S., geb., 39,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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