Die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) galt in Ost und West lange Zeit als Inkarnation des Antikommunismus und der Feindschaft gegen die DDR. 1948 als Reaktion auf die Entlassungswelle aus den sowjetischen Speziallagern gegründet und 1959 während der zweiten Berlin-Krise aufgelöst, entfaltete die KgU nicht nur humanitäre Aktivitäten, verbreitete Flugblätter oder war nachrichtendienstlich tätig, sondern beförderte - und praktizierte zeitweise auch - Gewalt als Widerstandsmittel gegen die Staatsführung. Enrico Heitzer untersucht die Entstehung, den organisatorischen Aufbau und die Handlungsfelder dieser privat geführten, aber politisch höchst wirkungsvollen Organisation.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2015Lieber tot als rot?
Die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" im Einsatz gegen die DDR
Unter der Schlagzeile "521 Agenten dingfest gemacht" veröffentlichte die im östlichen Stadtteil erscheinende "Berliner Zeitung" am 13. April 1955 eine Erklärung des DDR-Ministerrates mit der Meldung, die Staatssicherheit habe "in den letzten Tagen eine größere Anzahl von Spionage- und Terrorgruppen, die in der DDR volksfeindliche Tätigkeiten ausübten, unschädlich gemacht". Die Erklärung nannte die Zahl von 521 verhafteten "Agenten". Diese "Erfolgsmeldung" markiert einen Höhepunkt des massiven geheimdienstlichen und propagandistischen Feldzuges gegen westliche Nachrichtendienste und antikommunistische Organisationen, den die DDR-Geheimpolizei von Herbst 1953 bis Frühsommer 1955 unter dem Begriff "konzentrierte Schläge" führte.
Eines der Hauptangriffsziele war die im westlichen Teil Berlins ansässige "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), die neben Propagandaaktionen und "administrativen Störungen" auf dem Gebiet der DDR auch militante Operationen durchführte. Daneben hatte die Organisation eine ausgeprägte humanitäre Ausrichtung: Sie unterhielt einen Suchdienst und unterstützte die Familien von politischen Häftlingen. Seit der Zeit ihres Wirkens ist die KgU stark umstritten. Auf der einen Seite stehen ihre Anhänger, unter ihnen ehemalige Protagonisten, die ihre humanitäre Rolle und ihre Verdienste im Kampf gegen das SED-Unrechtsregime betonen. Auf der anderen Seite ist bis heute das Bild von der moralisch verkommenen Terrororganisation wirksam, das von der DDR-Propaganda gezeichnet wurde.
Jüngere Forschungen haben bereits ein differenzierteres Bild der KgU gezeichnet. Eine umfassende, das inzwischen zugängliche Archivmaterial detailliert berücksichtigende monographische Darstellung stand jedoch bisher noch aus. Diese Lücke wird nunmehr durch die Studie von Enrico Heitzer gefüllt, die insbesondere auf der Grundlage von Unterlagen der CIA, des MfS und der KgU selbst die Geschichte der Organisation von ihren Anfängen im Jahr 1948 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1959 nachzeichnet. Heitzer untersucht Genese, organisatorischen Aufbau, Finanzierung, Handlungsfelder, Aktivitäten, Personal sowie die "Wahrnehmung und Bekämpfung dieser Organisation durch politische und geheimdienstlich-geheimpolizeiliche Akteure". Dass er die KgU dabei grundsätzlich als "Akteur in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges" begreift und sein Buch als Beitrag zu der asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte zwischen der Bundesrepublik und der DDR sieht, versteht sich fast von selbst.
Die Ergebnisse, die Heitzer mit seinem empirisch ausgesprochen gut fundierten Buch präsentiert, machen deutlich, dass auch die KgU mit Schwarzweißmalerei nicht zu fassen ist, dass es Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten, ein Sowohl-als-auch gab. So gehörten ehemalige Nationalsozialisten genauso wie "bürgerliche Demokraten", ehemalige NS-Gegner und Sozialdemokraten zum zirka 60 Personen umfassenden hauptamtlichen Personal der KgU. Zwar gelingt es dem Autor, aufgrund der überlieferten Zentralkartei der KgU den Mythos von der Dominanz von NS-Widerstandskämpfern in der Organisation überzeugend zu widerlegen. Dennoch ist gerade dieses Kapitel methodisch etwas problematisch, weil Heitzer sich hier zu grober Kategorien und zum Teil moralisierender Bewertungen bedient, obgleich eine historisierende und stärker kontextualisierende Betrachtung adäquater wäre.
Ein entscheidendes Kriterium für die Rekrutierung von Personal war deren nachrichtendienstliche Erfahrung und Verwendungsmöglichkeit, was auf den primären Zweck der Organisation schließen lässt. Noch heterogener als die hauptamtlich Tätigen war das zeitweise mehrere hundert Personen umfassende V-Leute-Netz in der DDR: Neben Anhängern einer stramm rechtsgerichteten Gesinnung findet man zahlreiche Demokraten. Das verbindende Element war ein ausgeprägter Antikommunismus. Unter den V-Leuten lassen sich auch "Kriminelle und Geschäftemacher" finden, was allerdings für solche konspirativen Strukturen nichts Ungewöhnliches ist.
Bei der Wahl ihrer Aktionsformen auf dem Gebiet der DDR war die KgU, besonders in den Jahren 1950 bis 1953, wenig wählerisch: Politische Propaganda durch eingeschleuste Flugblätter, Zersetzungs- und Sabotagemaßnahmen sowie in einigen Fällen auch Brand- und Sprengstoffanschläge gehörten zum Repertoire der Organisation. Belegt ist auch die Verteilung einer giftigen Substanz (Kathardin) an einige V-Leute, die im Konfliktfall offenbar gegen sowjetische Truppen eingesetzt werden sollte. Außerdem baute die KgU im Auftrag des CIA ein sogenanntes "Stay-Behind-Netz" auf, das im Falle eines Krieges den Guerrilla-Kampf in Ostdeutschland aufnehmen sollte. Dabei - so zeichnet Heitzer detailliert nach - nahm man wenig Rücksicht auf die eigenen Leute, verheizte zeitweise sogar Minderjährige. Hunderte von wirklichen oder vermeintlichen KgU-Leuten gerieten in die Fänge der überlegenen und massiv agierenden Staatssicherheitorgane der DDR und der Sowjetunion. Sie bezahlten ihre Aktivitäten mit hohen Gefängnisstrafen, sibirischer Lagerhaft oder mit dem Tode.
Hinter den Strategien der KgU stand vor allem die CIA, die die Organisation spätestens ab 1952 fast vollständig finanzierte. Dies gilt besonders für die Radikalisierung seit 1951. Heitzer kann jedoch nachweisen, dass es durchaus Handlungsspielräume gab und die CIA keine vollständige Kontrolle über die KgU und ihre Führungsriege hatte: Eine Aufforderung, sich ab 1952 in ihren Aktionen zu mäßigen, überging diese geflissentlich.
Trotz ihrer Militanz war die Organisation für die Existenz der DDR zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Gefahr. Am Ende der fünfziger Jahre hatte sich die KgU dann - wie viele ähnliche Gruppen - vor dem Hintergrund der sich wandelnden deutschland- und weltpolitischen Konstellationen überlebt und wurde auf Druck des Berliner Senats und des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen im März 1959 aufgelöst.
Ein eindeutiges Urteil über die KgU kann auch aus diesem umfänglichen Buch nicht abgeleitet werden. Dazu war die innere Verfassung der Organisation zu widersprüchlich und ihr Tätigkeitsspektrum zu groß. Die Debatte über die richtige Bewertung der Kampfgruppe wird also weitergehen, allerdings wird sie niemand mehr ernsthaft führen können, ohne die Studie von Heitzer gründlich und unvoreingenommen gelesen zu haben.
DANIELA MÜNKEL
Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959. Böhlau Verlag, Köln 2015. 550 S., 64,90 [Euro].
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Die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" im Einsatz gegen die DDR
Unter der Schlagzeile "521 Agenten dingfest gemacht" veröffentlichte die im östlichen Stadtteil erscheinende "Berliner Zeitung" am 13. April 1955 eine Erklärung des DDR-Ministerrates mit der Meldung, die Staatssicherheit habe "in den letzten Tagen eine größere Anzahl von Spionage- und Terrorgruppen, die in der DDR volksfeindliche Tätigkeiten ausübten, unschädlich gemacht". Die Erklärung nannte die Zahl von 521 verhafteten "Agenten". Diese "Erfolgsmeldung" markiert einen Höhepunkt des massiven geheimdienstlichen und propagandistischen Feldzuges gegen westliche Nachrichtendienste und antikommunistische Organisationen, den die DDR-Geheimpolizei von Herbst 1953 bis Frühsommer 1955 unter dem Begriff "konzentrierte Schläge" führte.
Eines der Hauptangriffsziele war die im westlichen Teil Berlins ansässige "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), die neben Propagandaaktionen und "administrativen Störungen" auf dem Gebiet der DDR auch militante Operationen durchführte. Daneben hatte die Organisation eine ausgeprägte humanitäre Ausrichtung: Sie unterhielt einen Suchdienst und unterstützte die Familien von politischen Häftlingen. Seit der Zeit ihres Wirkens ist die KgU stark umstritten. Auf der einen Seite stehen ihre Anhänger, unter ihnen ehemalige Protagonisten, die ihre humanitäre Rolle und ihre Verdienste im Kampf gegen das SED-Unrechtsregime betonen. Auf der anderen Seite ist bis heute das Bild von der moralisch verkommenen Terrororganisation wirksam, das von der DDR-Propaganda gezeichnet wurde.
Jüngere Forschungen haben bereits ein differenzierteres Bild der KgU gezeichnet. Eine umfassende, das inzwischen zugängliche Archivmaterial detailliert berücksichtigende monographische Darstellung stand jedoch bisher noch aus. Diese Lücke wird nunmehr durch die Studie von Enrico Heitzer gefüllt, die insbesondere auf der Grundlage von Unterlagen der CIA, des MfS und der KgU selbst die Geschichte der Organisation von ihren Anfängen im Jahr 1948 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1959 nachzeichnet. Heitzer untersucht Genese, organisatorischen Aufbau, Finanzierung, Handlungsfelder, Aktivitäten, Personal sowie die "Wahrnehmung und Bekämpfung dieser Organisation durch politische und geheimdienstlich-geheimpolizeiliche Akteure". Dass er die KgU dabei grundsätzlich als "Akteur in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges" begreift und sein Buch als Beitrag zu der asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte zwischen der Bundesrepublik und der DDR sieht, versteht sich fast von selbst.
Die Ergebnisse, die Heitzer mit seinem empirisch ausgesprochen gut fundierten Buch präsentiert, machen deutlich, dass auch die KgU mit Schwarzweißmalerei nicht zu fassen ist, dass es Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten, ein Sowohl-als-auch gab. So gehörten ehemalige Nationalsozialisten genauso wie "bürgerliche Demokraten", ehemalige NS-Gegner und Sozialdemokraten zum zirka 60 Personen umfassenden hauptamtlichen Personal der KgU. Zwar gelingt es dem Autor, aufgrund der überlieferten Zentralkartei der KgU den Mythos von der Dominanz von NS-Widerstandskämpfern in der Organisation überzeugend zu widerlegen. Dennoch ist gerade dieses Kapitel methodisch etwas problematisch, weil Heitzer sich hier zu grober Kategorien und zum Teil moralisierender Bewertungen bedient, obgleich eine historisierende und stärker kontextualisierende Betrachtung adäquater wäre.
Ein entscheidendes Kriterium für die Rekrutierung von Personal war deren nachrichtendienstliche Erfahrung und Verwendungsmöglichkeit, was auf den primären Zweck der Organisation schließen lässt. Noch heterogener als die hauptamtlich Tätigen war das zeitweise mehrere hundert Personen umfassende V-Leute-Netz in der DDR: Neben Anhängern einer stramm rechtsgerichteten Gesinnung findet man zahlreiche Demokraten. Das verbindende Element war ein ausgeprägter Antikommunismus. Unter den V-Leuten lassen sich auch "Kriminelle und Geschäftemacher" finden, was allerdings für solche konspirativen Strukturen nichts Ungewöhnliches ist.
Bei der Wahl ihrer Aktionsformen auf dem Gebiet der DDR war die KgU, besonders in den Jahren 1950 bis 1953, wenig wählerisch: Politische Propaganda durch eingeschleuste Flugblätter, Zersetzungs- und Sabotagemaßnahmen sowie in einigen Fällen auch Brand- und Sprengstoffanschläge gehörten zum Repertoire der Organisation. Belegt ist auch die Verteilung einer giftigen Substanz (Kathardin) an einige V-Leute, die im Konfliktfall offenbar gegen sowjetische Truppen eingesetzt werden sollte. Außerdem baute die KgU im Auftrag des CIA ein sogenanntes "Stay-Behind-Netz" auf, das im Falle eines Krieges den Guerrilla-Kampf in Ostdeutschland aufnehmen sollte. Dabei - so zeichnet Heitzer detailliert nach - nahm man wenig Rücksicht auf die eigenen Leute, verheizte zeitweise sogar Minderjährige. Hunderte von wirklichen oder vermeintlichen KgU-Leuten gerieten in die Fänge der überlegenen und massiv agierenden Staatssicherheitorgane der DDR und der Sowjetunion. Sie bezahlten ihre Aktivitäten mit hohen Gefängnisstrafen, sibirischer Lagerhaft oder mit dem Tode.
Hinter den Strategien der KgU stand vor allem die CIA, die die Organisation spätestens ab 1952 fast vollständig finanzierte. Dies gilt besonders für die Radikalisierung seit 1951. Heitzer kann jedoch nachweisen, dass es durchaus Handlungsspielräume gab und die CIA keine vollständige Kontrolle über die KgU und ihre Führungsriege hatte: Eine Aufforderung, sich ab 1952 in ihren Aktionen zu mäßigen, überging diese geflissentlich.
Trotz ihrer Militanz war die Organisation für die Existenz der DDR zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Gefahr. Am Ende der fünfziger Jahre hatte sich die KgU dann - wie viele ähnliche Gruppen - vor dem Hintergrund der sich wandelnden deutschland- und weltpolitischen Konstellationen überlebt und wurde auf Druck des Berliner Senats und des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen im März 1959 aufgelöst.
Ein eindeutiges Urteil über die KgU kann auch aus diesem umfänglichen Buch nicht abgeleitet werden. Dazu war die innere Verfassung der Organisation zu widersprüchlich und ihr Tätigkeitsspektrum zu groß. Die Debatte über die richtige Bewertung der Kampfgruppe wird also weitergehen, allerdings wird sie niemand mehr ernsthaft führen können, ohne die Studie von Heitzer gründlich und unvoreingenommen gelesen zu haben.
DANIELA MÜNKEL
Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959. Böhlau Verlag, Köln 2015. 550 S., 64,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Claudia Kramatschek sieht diesen ambitionierten Roman leuchten in seinen besten Momenten. So passioniert das Erzählen der pakistanischen Schriftstellerin Kamila Shamsie der Rezensentin auch erscheint, so überwältigend kommt ihr das Material vor, das die Autorin zu bändigen versucht: zwei Kontinente und eine Zeitreise vom 5. Jahrhundert bis zur Konfrontation zwischen Briten und Osmanen in Peshawar um 1930. Entsprechend erfreut zeigt sich Kramatschek darüber, dass die Autorin immerhin im zweiten Teil ihres Buches zu einer klaren Struktur findet und mehr Tempo bietet. Das ist nicht immer der Fall. Auch bleibt laut Rezensentin vieles hölzern oder wirkt angelesen. Als überzeugende archäologische Grabung im Sinne eines Verständnisses von Gegenwart erscheint ihr der Text erst, wenn Shamsie im Buch pakistanischen Boden betritt und gegen nationalistisch motivierte Gewalt anschreibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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