Die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) galt in Ost und West lange Zeit als Inkarnation des Antikommunismus und der Feindschaft gegen die DDR. 1948 als Reaktion auf die Entlassungswelle aus den sowjetischen Speziallagern gegründet und 1959 während der zweiten Berlin-Krise aufgelöst, entfaltete die KgU nicht nur humanitäre Aktivitäten, verbreitete Flugblätter oder war nachrichtendienstlich tätig, sondern beförderte - und praktizierte zeitweise auch - Gewalt als Widerstandsmittel gegen die Staatsführung. Enrico Heitzer untersucht die Entstehung, den organisatorischen Aufbau und die Handlungsfelder dieser privat geführten, aber politisch höchst wirkungsvollen Organisation.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2015Lieber tot als rot?
Die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" im Einsatz gegen die DDR
Unter der Schlagzeile "521 Agenten dingfest gemacht" veröffentlichte die im östlichen Stadtteil erscheinende "Berliner Zeitung" am 13. April 1955 eine Erklärung des DDR-Ministerrates mit der Meldung, die Staatssicherheit habe "in den letzten Tagen eine größere Anzahl von Spionage- und Terrorgruppen, die in der DDR volksfeindliche Tätigkeiten ausübten, unschädlich gemacht". Die Erklärung nannte die Zahl von 521 verhafteten "Agenten". Diese "Erfolgsmeldung" markiert einen Höhepunkt des massiven geheimdienstlichen und propagandistischen Feldzuges gegen westliche Nachrichtendienste und antikommunistische Organisationen, den die DDR-Geheimpolizei von Herbst 1953 bis Frühsommer 1955 unter dem Begriff "konzentrierte Schläge" führte.
Eines der Hauptangriffsziele war die im westlichen Teil Berlins ansässige "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), die neben Propagandaaktionen und "administrativen Störungen" auf dem Gebiet der DDR auch militante Operationen durchführte. Daneben hatte die Organisation eine ausgeprägte humanitäre Ausrichtung: Sie unterhielt einen Suchdienst und unterstützte die Familien von politischen Häftlingen. Seit der Zeit ihres Wirkens ist die KgU stark umstritten. Auf der einen Seite stehen ihre Anhänger, unter ihnen ehemalige Protagonisten, die ihre humanitäre Rolle und ihre Verdienste im Kampf gegen das SED-Unrechtsregime betonen. Auf der anderen Seite ist bis heute das Bild von der moralisch verkommenen Terrororganisation wirksam, das von der DDR-Propaganda gezeichnet wurde.
Jüngere Forschungen haben bereits ein differenzierteres Bild der KgU gezeichnet. Eine umfassende, das inzwischen zugängliche Archivmaterial detailliert berücksichtigende monographische Darstellung stand jedoch bisher noch aus. Diese Lücke wird nunmehr durch die Studie von Enrico Heitzer gefüllt, die insbesondere auf der Grundlage von Unterlagen der CIA, des MfS und der KgU selbst die Geschichte der Organisation von ihren Anfängen im Jahr 1948 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1959 nachzeichnet. Heitzer untersucht Genese, organisatorischen Aufbau, Finanzierung, Handlungsfelder, Aktivitäten, Personal sowie die "Wahrnehmung und Bekämpfung dieser Organisation durch politische und geheimdienstlich-geheimpolizeiliche Akteure". Dass er die KgU dabei grundsätzlich als "Akteur in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges" begreift und sein Buch als Beitrag zu der asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte zwischen der Bundesrepublik und der DDR sieht, versteht sich fast von selbst.
Die Ergebnisse, die Heitzer mit seinem empirisch ausgesprochen gut fundierten Buch präsentiert, machen deutlich, dass auch die KgU mit Schwarzweißmalerei nicht zu fassen ist, dass es Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten, ein Sowohl-als-auch gab. So gehörten ehemalige Nationalsozialisten genauso wie "bürgerliche Demokraten", ehemalige NS-Gegner und Sozialdemokraten zum zirka 60 Personen umfassenden hauptamtlichen Personal der KgU. Zwar gelingt es dem Autor, aufgrund der überlieferten Zentralkartei der KgU den Mythos von der Dominanz von NS-Widerstandskämpfern in der Organisation überzeugend zu widerlegen. Dennoch ist gerade dieses Kapitel methodisch etwas problematisch, weil Heitzer sich hier zu grober Kategorien und zum Teil moralisierender Bewertungen bedient, obgleich eine historisierende und stärker kontextualisierende Betrachtung adäquater wäre.
Ein entscheidendes Kriterium für die Rekrutierung von Personal war deren nachrichtendienstliche Erfahrung und Verwendungsmöglichkeit, was auf den primären Zweck der Organisation schließen lässt. Noch heterogener als die hauptamtlich Tätigen war das zeitweise mehrere hundert Personen umfassende V-Leute-Netz in der DDR: Neben Anhängern einer stramm rechtsgerichteten Gesinnung findet man zahlreiche Demokraten. Das verbindende Element war ein ausgeprägter Antikommunismus. Unter den V-Leuten lassen sich auch "Kriminelle und Geschäftemacher" finden, was allerdings für solche konspirativen Strukturen nichts Ungewöhnliches ist.
Bei der Wahl ihrer Aktionsformen auf dem Gebiet der DDR war die KgU, besonders in den Jahren 1950 bis 1953, wenig wählerisch: Politische Propaganda durch eingeschleuste Flugblätter, Zersetzungs- und Sabotagemaßnahmen sowie in einigen Fällen auch Brand- und Sprengstoffanschläge gehörten zum Repertoire der Organisation. Belegt ist auch die Verteilung einer giftigen Substanz (Kathardin) an einige V-Leute, die im Konfliktfall offenbar gegen sowjetische Truppen eingesetzt werden sollte. Außerdem baute die KgU im Auftrag des CIA ein sogenanntes "Stay-Behind-Netz" auf, das im Falle eines Krieges den Guerrilla-Kampf in Ostdeutschland aufnehmen sollte. Dabei - so zeichnet Heitzer detailliert nach - nahm man wenig Rücksicht auf die eigenen Leute, verheizte zeitweise sogar Minderjährige. Hunderte von wirklichen oder vermeintlichen KgU-Leuten gerieten in die Fänge der überlegenen und massiv agierenden Staatssicherheitorgane der DDR und der Sowjetunion. Sie bezahlten ihre Aktivitäten mit hohen Gefängnisstrafen, sibirischer Lagerhaft oder mit dem Tode.
Hinter den Strategien der KgU stand vor allem die CIA, die die Organisation spätestens ab 1952 fast vollständig finanzierte. Dies gilt besonders für die Radikalisierung seit 1951. Heitzer kann jedoch nachweisen, dass es durchaus Handlungsspielräume gab und die CIA keine vollständige Kontrolle über die KgU und ihre Führungsriege hatte: Eine Aufforderung, sich ab 1952 in ihren Aktionen zu mäßigen, überging diese geflissentlich.
Trotz ihrer Militanz war die Organisation für die Existenz der DDR zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Gefahr. Am Ende der fünfziger Jahre hatte sich die KgU dann - wie viele ähnliche Gruppen - vor dem Hintergrund der sich wandelnden deutschland- und weltpolitischen Konstellationen überlebt und wurde auf Druck des Berliner Senats und des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen im März 1959 aufgelöst.
Ein eindeutiges Urteil über die KgU kann auch aus diesem umfänglichen Buch nicht abgeleitet werden. Dazu war die innere Verfassung der Organisation zu widersprüchlich und ihr Tätigkeitsspektrum zu groß. Die Debatte über die richtige Bewertung der Kampfgruppe wird also weitergehen, allerdings wird sie niemand mehr ernsthaft führen können, ohne die Studie von Heitzer gründlich und unvoreingenommen gelesen zu haben.
DANIELA MÜNKEL
Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959. Böhlau Verlag, Köln 2015. 550 S., 64,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" im Einsatz gegen die DDR
Unter der Schlagzeile "521 Agenten dingfest gemacht" veröffentlichte die im östlichen Stadtteil erscheinende "Berliner Zeitung" am 13. April 1955 eine Erklärung des DDR-Ministerrates mit der Meldung, die Staatssicherheit habe "in den letzten Tagen eine größere Anzahl von Spionage- und Terrorgruppen, die in der DDR volksfeindliche Tätigkeiten ausübten, unschädlich gemacht". Die Erklärung nannte die Zahl von 521 verhafteten "Agenten". Diese "Erfolgsmeldung" markiert einen Höhepunkt des massiven geheimdienstlichen und propagandistischen Feldzuges gegen westliche Nachrichtendienste und antikommunistische Organisationen, den die DDR-Geheimpolizei von Herbst 1953 bis Frühsommer 1955 unter dem Begriff "konzentrierte Schläge" führte.
Eines der Hauptangriffsziele war die im westlichen Teil Berlins ansässige "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), die neben Propagandaaktionen und "administrativen Störungen" auf dem Gebiet der DDR auch militante Operationen durchführte. Daneben hatte die Organisation eine ausgeprägte humanitäre Ausrichtung: Sie unterhielt einen Suchdienst und unterstützte die Familien von politischen Häftlingen. Seit der Zeit ihres Wirkens ist die KgU stark umstritten. Auf der einen Seite stehen ihre Anhänger, unter ihnen ehemalige Protagonisten, die ihre humanitäre Rolle und ihre Verdienste im Kampf gegen das SED-Unrechtsregime betonen. Auf der anderen Seite ist bis heute das Bild von der moralisch verkommenen Terrororganisation wirksam, das von der DDR-Propaganda gezeichnet wurde.
Jüngere Forschungen haben bereits ein differenzierteres Bild der KgU gezeichnet. Eine umfassende, das inzwischen zugängliche Archivmaterial detailliert berücksichtigende monographische Darstellung stand jedoch bisher noch aus. Diese Lücke wird nunmehr durch die Studie von Enrico Heitzer gefüllt, die insbesondere auf der Grundlage von Unterlagen der CIA, des MfS und der KgU selbst die Geschichte der Organisation von ihren Anfängen im Jahr 1948 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1959 nachzeichnet. Heitzer untersucht Genese, organisatorischen Aufbau, Finanzierung, Handlungsfelder, Aktivitäten, Personal sowie die "Wahrnehmung und Bekämpfung dieser Organisation durch politische und geheimdienstlich-geheimpolizeiliche Akteure". Dass er die KgU dabei grundsätzlich als "Akteur in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges" begreift und sein Buch als Beitrag zu der asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte zwischen der Bundesrepublik und der DDR sieht, versteht sich fast von selbst.
Die Ergebnisse, die Heitzer mit seinem empirisch ausgesprochen gut fundierten Buch präsentiert, machen deutlich, dass auch die KgU mit Schwarzweißmalerei nicht zu fassen ist, dass es Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten, ein Sowohl-als-auch gab. So gehörten ehemalige Nationalsozialisten genauso wie "bürgerliche Demokraten", ehemalige NS-Gegner und Sozialdemokraten zum zirka 60 Personen umfassenden hauptamtlichen Personal der KgU. Zwar gelingt es dem Autor, aufgrund der überlieferten Zentralkartei der KgU den Mythos von der Dominanz von NS-Widerstandskämpfern in der Organisation überzeugend zu widerlegen. Dennoch ist gerade dieses Kapitel methodisch etwas problematisch, weil Heitzer sich hier zu grober Kategorien und zum Teil moralisierender Bewertungen bedient, obgleich eine historisierende und stärker kontextualisierende Betrachtung adäquater wäre.
Ein entscheidendes Kriterium für die Rekrutierung von Personal war deren nachrichtendienstliche Erfahrung und Verwendungsmöglichkeit, was auf den primären Zweck der Organisation schließen lässt. Noch heterogener als die hauptamtlich Tätigen war das zeitweise mehrere hundert Personen umfassende V-Leute-Netz in der DDR: Neben Anhängern einer stramm rechtsgerichteten Gesinnung findet man zahlreiche Demokraten. Das verbindende Element war ein ausgeprägter Antikommunismus. Unter den V-Leuten lassen sich auch "Kriminelle und Geschäftemacher" finden, was allerdings für solche konspirativen Strukturen nichts Ungewöhnliches ist.
Bei der Wahl ihrer Aktionsformen auf dem Gebiet der DDR war die KgU, besonders in den Jahren 1950 bis 1953, wenig wählerisch: Politische Propaganda durch eingeschleuste Flugblätter, Zersetzungs- und Sabotagemaßnahmen sowie in einigen Fällen auch Brand- und Sprengstoffanschläge gehörten zum Repertoire der Organisation. Belegt ist auch die Verteilung einer giftigen Substanz (Kathardin) an einige V-Leute, die im Konfliktfall offenbar gegen sowjetische Truppen eingesetzt werden sollte. Außerdem baute die KgU im Auftrag des CIA ein sogenanntes "Stay-Behind-Netz" auf, das im Falle eines Krieges den Guerrilla-Kampf in Ostdeutschland aufnehmen sollte. Dabei - so zeichnet Heitzer detailliert nach - nahm man wenig Rücksicht auf die eigenen Leute, verheizte zeitweise sogar Minderjährige. Hunderte von wirklichen oder vermeintlichen KgU-Leuten gerieten in die Fänge der überlegenen und massiv agierenden Staatssicherheitorgane der DDR und der Sowjetunion. Sie bezahlten ihre Aktivitäten mit hohen Gefängnisstrafen, sibirischer Lagerhaft oder mit dem Tode.
Hinter den Strategien der KgU stand vor allem die CIA, die die Organisation spätestens ab 1952 fast vollständig finanzierte. Dies gilt besonders für die Radikalisierung seit 1951. Heitzer kann jedoch nachweisen, dass es durchaus Handlungsspielräume gab und die CIA keine vollständige Kontrolle über die KgU und ihre Führungsriege hatte: Eine Aufforderung, sich ab 1952 in ihren Aktionen zu mäßigen, überging diese geflissentlich.
Trotz ihrer Militanz war die Organisation für die Existenz der DDR zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Gefahr. Am Ende der fünfziger Jahre hatte sich die KgU dann - wie viele ähnliche Gruppen - vor dem Hintergrund der sich wandelnden deutschland- und weltpolitischen Konstellationen überlebt und wurde auf Druck des Berliner Senats und des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen im März 1959 aufgelöst.
Ein eindeutiges Urteil über die KgU kann auch aus diesem umfänglichen Buch nicht abgeleitet werden. Dazu war die innere Verfassung der Organisation zu widersprüchlich und ihr Tätigkeitsspektrum zu groß. Die Debatte über die richtige Bewertung der Kampfgruppe wird also weitergehen, allerdings wird sie niemand mehr ernsthaft führen können, ohne die Studie von Heitzer gründlich und unvoreingenommen gelesen zu haben.
DANIELA MÜNKEL
Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959. Böhlau Verlag, Köln 2015. 550 S., 64,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2015Legenden über
den Krieg im Dunklen
Eine janusköpfige Kampfgruppe, die DDR und die CIA
Wenn das Bemühen gestört wird, eine unangenehme Vergangenheit schönzureden, erhebt sich meist beträchtliches Gezeter. Der Störenfried wird dann schnell zu einem politischen Provokateur oder gar Geschichtsfälscher erklärt. So geschehen bei der Vorstellung der vorliegenden Studie in Berlin. Dabei ging es an diesem tumultuösen Abend nur um die „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit (KgU)“, die zwischen 1948 und 1959 auf dem Feld der deutsch-deutschen Auseinandersetzungen operierte und deren Namen heute kaum noch jemand kennt. Da fielen einige ältere Herren derart unsachlich über den Autor des neuen Standardwerks zur KgU her, dass wieder einmal mit Genugtuung festzuhalten war: Gute Zeitgeschichtsforschung tut manchmal weh.
Das Buch von Enrico Heitzer markiert das unwiderrufliche Ende der schon seit Längerem infrage gestellten Legende von einer Vereinigung, die sich vornehmlich aus ethisch-humanitären Erwägungen heraus um die von den SED-Diktatoren verfolgten und vertriebenen Menschen gekümmert habe. Das war die KgU ganz gewiss. Sie hat große Verdienste, doch hatte sie, wie im Kalten Krieg kaum anders zu erwarten, eben auch eine finstere Rückseite.
Diese „Kämpfer“ waren zugleich Propagandahelfer, Spione, Saboteure, die mitunter auch nicht vor Aktionen zurückschreckten, bei denen Personen zu Schaden kommen konnten. Das zeigt die mit bewundernswerter Akribie vornehmlich aus den Akten des Bundesarchivs gearbeitete Studie zweifelsfrei. Man erkennt: Die aggressive Agitation der SED gegen die KgU kam nicht von ungefähr.
Die Kampfgruppe mit ihren ungefähr 80 hauptamtlichen Mitarbeitern zählte zu den härtesten Widersachern des ostdeutschen Regimes. In ihrer Außendarstellung operierte sie als humanitäre Anlaufstelle für entlassenen Häftlinge und für Angehörige noch immer Vermisster, als Beobachter von Menschenrechtsverletzungen in der DDR oder als Helfer für die von dort Geflohenen. Sie war aber eben auch ein, allerdings fürchterlich dilettantischer, geheimdienstlicher Helfer der CIA.
Der junge amerikanische Nachrichtendienst deckte bald einen immer größer werdenden Anteil des Finanzbedarfs der KgU und unterstrich intern ausdrücklich, es sei gerade die Aufrechterhaltung der humanitären „Fassade“ der Gruppe, welche die Durchführung verdeckter Operationen und Anschläge in der Ostzone ermögliche. Ernst Tillich, Neffe des berühmten Theologen Paul Tillich, während der NS-Zeit wegen seiner Widerstandstätigkeit verfolgt und seit 1951 Leiter der KgU, war seit 1949 „Principal Agent“ der CIA.
In ihrer radikalsten Phase während der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre startete die Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit im Einklang mit der amerikanischen „Politik der Befreiung“ neben ihrer umfangreichen Spionagetätigkeit – sie soll in der DDR über ein Netz von etwa 600 V-Leuten verfügt haben – eine Vielzahl von Sabotageaktionen in der dortigen Industrie, in der Landwirtschaft und im Handel („administrative Störungen“). Mit sogenannten „Einsatzgruppen“ führten ihre Mitarbeiter und Agenten jedoch auch gefährliche, freilich meist kläglich vermurkste Sprengstoff- und Brandanschläge durch, unter anderem gegen Überlandleitungen, Straßen- und Eisenbahnbrücken oder 1951 bei einem glücklicherweise in den Anfängen erstickten Kaufhausbrand in Leipzig.
Darüber hinaus war die Kampfgruppe in Vorbereitung eines möglichen Kriegsfalles auf dem Boden der DDR in Stay-behind-Operationen des Westens eingebunden, und sie unterhielt ein eigenes Laboratorium zur Herstellung von Brandsätzen; ein führendes Mitglied erwähnt die Herstellung von Giftampullen. Am 22. September 1951 etwa setzte die Einsatzgruppe „Ferdinand“ an der Bernauer Straße einen Zeitungsstand in Brand, weil, so ihr seltsamer Bericht, die Inhaberin „eine überzeugte Bolschewistin ist und verschiedentlich den Angehörigen unserer Widerstandsgruppe mit Verschleppung in den Ostsektor gedroht hat“.
Enrico Heitzer führt ganz nüchtern vor Augen, wie der Kalte Krieg nun einmal aussah, auch im geteilten Deutschland. Die Mitwirkung der KgU, die auf einen Zusammenbruch der DDR zielte, ist eigentlich keine große Überraschung. Das Erschütternde an diesem Krieg im Dunkeln ist allerdings die politische Naivität und der Dilettantismus, mit der dieser Kampf aufseiten der Amerikaner und ihrer von antikommunistischem Widerstandsgeist beseelten deutschen Helfer geführt wurde. Beides spielte der SED-Agitation direkt in die Hände. Vor allem und nicht zuletzt wurden in diesem Kampf Hunderte sinnlos den kommunistischen Repressionsorganen ausgeliefert. Allein in den Moskauer Hinrichtungsstätten ließen mehr als hundert Menschen ihr Leben.
Im Klima nachlassender Ost-West-Spannung geriet die janusköpfige KgU rasch ins Abseits. Sie verlor ihre anfangs durchaus vorhandene politische Unterstützung der Westberliner und der Bonner Politik, Martin Niemöller titulierte sie als „Verbrechergruppe“. 1959 war sie endgültig am Ende. Kaum einer ihrer Unterstützer mochte sich noch mit solch einer dubiosen Truppe gemeinmachen. CIA und BND teilten die verwertbaren Reste unter sich auf. Dem Spiegel galt der fundamentalistische Tillich nur noch als „später Werwolf“.
Vielen Mitarbeitern, Unterstützern und Sympathisanten mag die geheime Doppelrolle der KgU damals nicht bewusst gewesen sein. Manche halten diesen Befund weiterhin für böswillige Verleumdung. Müsste es aber nicht möglich sein, dass die noch immer über den einstigen Schlachtfeldern tobenden Geister mithilfe dieses vorzüglichen Buches allmählich zur Ruhe kommen?
KLAUS-DIETMAR HENKE
Klaus-Dietmar Henke lehrte bis 2012 Zeitgeschichte in Dresden. Er ist Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung des Bundesnachrichtendiensts.
Enrico Heitzer,
Die Kampfgruppe gegen
die Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959, Böhlau-Verlag 2014.
550 Seiten, 64,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
den Krieg im Dunklen
Eine janusköpfige Kampfgruppe, die DDR und die CIA
Wenn das Bemühen gestört wird, eine unangenehme Vergangenheit schönzureden, erhebt sich meist beträchtliches Gezeter. Der Störenfried wird dann schnell zu einem politischen Provokateur oder gar Geschichtsfälscher erklärt. So geschehen bei der Vorstellung der vorliegenden Studie in Berlin. Dabei ging es an diesem tumultuösen Abend nur um die „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit (KgU)“, die zwischen 1948 und 1959 auf dem Feld der deutsch-deutschen Auseinandersetzungen operierte und deren Namen heute kaum noch jemand kennt. Da fielen einige ältere Herren derart unsachlich über den Autor des neuen Standardwerks zur KgU her, dass wieder einmal mit Genugtuung festzuhalten war: Gute Zeitgeschichtsforschung tut manchmal weh.
Das Buch von Enrico Heitzer markiert das unwiderrufliche Ende der schon seit Längerem infrage gestellten Legende von einer Vereinigung, die sich vornehmlich aus ethisch-humanitären Erwägungen heraus um die von den SED-Diktatoren verfolgten und vertriebenen Menschen gekümmert habe. Das war die KgU ganz gewiss. Sie hat große Verdienste, doch hatte sie, wie im Kalten Krieg kaum anders zu erwarten, eben auch eine finstere Rückseite.
Diese „Kämpfer“ waren zugleich Propagandahelfer, Spione, Saboteure, die mitunter auch nicht vor Aktionen zurückschreckten, bei denen Personen zu Schaden kommen konnten. Das zeigt die mit bewundernswerter Akribie vornehmlich aus den Akten des Bundesarchivs gearbeitete Studie zweifelsfrei. Man erkennt: Die aggressive Agitation der SED gegen die KgU kam nicht von ungefähr.
Die Kampfgruppe mit ihren ungefähr 80 hauptamtlichen Mitarbeitern zählte zu den härtesten Widersachern des ostdeutschen Regimes. In ihrer Außendarstellung operierte sie als humanitäre Anlaufstelle für entlassenen Häftlinge und für Angehörige noch immer Vermisster, als Beobachter von Menschenrechtsverletzungen in der DDR oder als Helfer für die von dort Geflohenen. Sie war aber eben auch ein, allerdings fürchterlich dilettantischer, geheimdienstlicher Helfer der CIA.
Der junge amerikanische Nachrichtendienst deckte bald einen immer größer werdenden Anteil des Finanzbedarfs der KgU und unterstrich intern ausdrücklich, es sei gerade die Aufrechterhaltung der humanitären „Fassade“ der Gruppe, welche die Durchführung verdeckter Operationen und Anschläge in der Ostzone ermögliche. Ernst Tillich, Neffe des berühmten Theologen Paul Tillich, während der NS-Zeit wegen seiner Widerstandstätigkeit verfolgt und seit 1951 Leiter der KgU, war seit 1949 „Principal Agent“ der CIA.
In ihrer radikalsten Phase während der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre startete die Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit im Einklang mit der amerikanischen „Politik der Befreiung“ neben ihrer umfangreichen Spionagetätigkeit – sie soll in der DDR über ein Netz von etwa 600 V-Leuten verfügt haben – eine Vielzahl von Sabotageaktionen in der dortigen Industrie, in der Landwirtschaft und im Handel („administrative Störungen“). Mit sogenannten „Einsatzgruppen“ führten ihre Mitarbeiter und Agenten jedoch auch gefährliche, freilich meist kläglich vermurkste Sprengstoff- und Brandanschläge durch, unter anderem gegen Überlandleitungen, Straßen- und Eisenbahnbrücken oder 1951 bei einem glücklicherweise in den Anfängen erstickten Kaufhausbrand in Leipzig.
Darüber hinaus war die Kampfgruppe in Vorbereitung eines möglichen Kriegsfalles auf dem Boden der DDR in Stay-behind-Operationen des Westens eingebunden, und sie unterhielt ein eigenes Laboratorium zur Herstellung von Brandsätzen; ein führendes Mitglied erwähnt die Herstellung von Giftampullen. Am 22. September 1951 etwa setzte die Einsatzgruppe „Ferdinand“ an der Bernauer Straße einen Zeitungsstand in Brand, weil, so ihr seltsamer Bericht, die Inhaberin „eine überzeugte Bolschewistin ist und verschiedentlich den Angehörigen unserer Widerstandsgruppe mit Verschleppung in den Ostsektor gedroht hat“.
Enrico Heitzer führt ganz nüchtern vor Augen, wie der Kalte Krieg nun einmal aussah, auch im geteilten Deutschland. Die Mitwirkung der KgU, die auf einen Zusammenbruch der DDR zielte, ist eigentlich keine große Überraschung. Das Erschütternde an diesem Krieg im Dunkeln ist allerdings die politische Naivität und der Dilettantismus, mit der dieser Kampf aufseiten der Amerikaner und ihrer von antikommunistischem Widerstandsgeist beseelten deutschen Helfer geführt wurde. Beides spielte der SED-Agitation direkt in die Hände. Vor allem und nicht zuletzt wurden in diesem Kampf Hunderte sinnlos den kommunistischen Repressionsorganen ausgeliefert. Allein in den Moskauer Hinrichtungsstätten ließen mehr als hundert Menschen ihr Leben.
Im Klima nachlassender Ost-West-Spannung geriet die janusköpfige KgU rasch ins Abseits. Sie verlor ihre anfangs durchaus vorhandene politische Unterstützung der Westberliner und der Bonner Politik, Martin Niemöller titulierte sie als „Verbrechergruppe“. 1959 war sie endgültig am Ende. Kaum einer ihrer Unterstützer mochte sich noch mit solch einer dubiosen Truppe gemeinmachen. CIA und BND teilten die verwertbaren Reste unter sich auf. Dem Spiegel galt der fundamentalistische Tillich nur noch als „später Werwolf“.
Vielen Mitarbeitern, Unterstützern und Sympathisanten mag die geheime Doppelrolle der KgU damals nicht bewusst gewesen sein. Manche halten diesen Befund weiterhin für böswillige Verleumdung. Müsste es aber nicht möglich sein, dass die noch immer über den einstigen Schlachtfeldern tobenden Geister mithilfe dieses vorzüglichen Buches allmählich zur Ruhe kommen?
KLAUS-DIETMAR HENKE
Klaus-Dietmar Henke lehrte bis 2012 Zeitgeschichte in Dresden. Er ist Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung des Bundesnachrichtendiensts.
Enrico Heitzer,
Die Kampfgruppe gegen
die Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959, Böhlau-Verlag 2014.
550 Seiten, 64,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Claudia Kramatschek sieht diesen ambitionierten Roman leuchten in seinen besten Momenten. So passioniert das Erzählen der pakistanischen Schriftstellerin Kamila Shamsie der Rezensentin auch erscheint, so überwältigend kommt ihr das Material vor, das die Autorin zu bändigen versucht: zwei Kontinente und eine Zeitreise vom 5. Jahrhundert bis zur Konfrontation zwischen Briten und Osmanen in Peshawar um 1930. Entsprechend erfreut zeigt sich Kramatschek darüber, dass die Autorin immerhin im zweiten Teil ihres Buches zu einer klaren Struktur findet und mehr Tempo bietet. Das ist nicht immer der Fall. Auch bleibt laut Rezensentin vieles hölzern oder wirkt angelesen. Als überzeugende archäologische Grabung im Sinne eines Verständnisses von Gegenwart erscheint ihr der Text erst, wenn Shamsie im Buch pakistanischen Boden betritt und gegen nationalistisch motivierte Gewalt anschreibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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