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Produktdetails
  • Verlag: Kramer, Berlin
  • Seitenzahl: 231
  • Deutsch
  • Abmessung: 280mm
  • Gewicht: 958g
  • ISBN-13: 9783879562718
  • ISBN-10: 3879562717
  • Artikelnr.: 10099205
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2001

Schuhe? Chemnitz? Karl Marx!
Neuer Bildband über die Geschichte der Neuköllner Einkaufsstraße

Wenn man so will, gehört die Karl-Marx-Straße in Neukölln zu den Verlierern der Wende. Denn wie so viele andere Dinge gab es nach dem Mauerfall plötzlich auch einen Straßenzug mit diesem Namen doppelt, und seither denkt man hauptsächlich an "Allee", wenn man Karl Marx hört. Das ist nicht verwunderlich, wie sollte eine Straße im historischen Gedächtnis bleiben, durch die keine Paraden, sondern immer nur Heerscharen von Schnäppchenjägern gezogen sind? Dabei hat die Magistrale (West), wie sie Cornelia Hüge in dem Bildband "Die Karl-Marx-Straße. Facetten eines Lebens- und Arbeitsraums" dokumentiert, eine durchaus wechselvolle Geschichte vorzuweisen.

Das beginnt bei der Benennung. Ursprünglich war die knapp drei Kilometer lange Straße zweigeteilt. Der nördliche Abschnitt hieß "Berliner Straße", der südliche - abgeleitet von dem eiszeitlichen Höhenzug der Rollberge - ganz einfach "Bergstraße". Erst als nach dem Zweiten Weltkrieg eine sowjetische Kommandantur eingerichtet wurde, erhielt sie 1947 ihren heutigen Namen. Zufrieden war man mit dieser Lösung nicht, und schon Anfang der fünfziger Jahre gab es eine nicht unoriginelle Diskussion über eine Namensänderung. So wurde überlegt, die Straße nach der Stadt Chemnitz zu benennen, die ihrerseits ja in Karl-Marx-Stadt umgetauft worden war. Auch die Idee einer "Schuhstraße" gab es - Schuhgeschäfte waren für die Karl-Marx-Straße einmal das, was heute Läden wie "Saba Telefunken" sind. Dagegen gewehrt haben sich die Geschäftsleute: Eine Umbenennung wäre zu teuer gewesen.

Überhaupt hat das Gewerbe die Straße mehr geprägt, als es ihr Name vermuten ließe. Ende des 19. Jahrhunderts war die Bergstraße das Geschäftszentrum des gründerzeitlichen Rixdorf. Als dann noch die Rollberge abgetragen wurden und Sand und Kies verkauft wurden, prägten Geschäfte und Veranstaltungslokale die Vorstadt. 1900 eröffnete das erste Warenhaus, weitere folgten und machten die Straße zu einer regelrechten Einkaufsmeile, der das 1929 erbaute Karstadt-Gebäude mit seinem Turm wie eine Galionsfigur vorstand. Bis 1989 war die Karl-Marx-Straße mit 260 Geschäften nach dem Kurfürstendamm und der Schloßstraße die wichtigste Einkaufsstraße Berlins. Heute scheint sie nicht nur, was ihren Bekanntheitsgrad betrifft, dem Verfall preisgegeben.

1960 wegen der Laufkundschaft aus dem sowjetischen Sektor noch als "Wandelgang des Ostens" bezeichnet, ging der Umsatz seit 1989 um bis zu 50 Prozent zurück. Neue Einkaufscenter wie in Gropiusstadt haben dazu beigetragen. Solche Entwicklungen werden in dem Bildband ebenso beschrieben wie soziale Veränderungen. Dazu ist, geordnet nach Hausnummern, jedem einzelnen Gebäude ein Beitrag gewidmet - ein einfaches Gestaltungsprinzip, erfreulich wie die Existenz von Antiquariaten, die für jedes Geburtsdatum eine Zeitung parat haben.

So dokumentiert Hüge nicht nur Läden wie "Blumen Jette" oder das Postgebäude, man erfährt auch, daß für die Nummer 66 ein Theater geplant war. Es wurde nicht realisiert, den Entwurf einer klassizistischen Fassade gibt es noch. Und viele Gründerzeithäuser können auch mit der Architektur der Karl-Marx-Allee mithalten. Selbst mit dem Namen haben sich die Bewohner abgefunden: 1986 haben Architekten in die Stuckfassade des Hauses Nummer 1 ein Porträt von Marx eingeschmuggelt.

VERENA MAYER

Buchpräsentation heute, 18 Uhr, Buchhandlung Hugendubel im Forum Neukölln, Karl-Marx-Straße 66, 12043 Berlin.

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