Produktdetails
- Monumenta Germaniae Historica, Schriften
- Verlag: Hiersemann
- Artikelnr. des Verlages: 2107617
- 1953.
- Seitenzahl: 372
- Deutsch
- Abmessung: 240mm x 170mm x 31mm
- Gewicht: 784g
- ISBN-13: 9783777253015
- ISBN-10: 3777253014
- Artikelnr.: 25058770
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2013Die Retourkutsche des Gerhard Rottenwöhrer
Zwischen Verachtung der Welt und vollem Gottvertrauen: Arno Borsts klassische Studie über die Katharer in einer seltsamen neuen Edition.
Es gibt auch Dissertationen, die große Würfe darstellen und zu Klassikern werden. Daher ist es nur zu begrüßen, dass die Doktorarbeit von Arno Borst über die Katharer in einer Neuauflage der breiteren Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht wird. Mit der zu einem Buch umgearbeiteten Dissertation hatte der später berühmte Konstanzer Mittelalter-Historiker, dessen "Lebensformen im Mittelalter" (1973) die mentalitäts- und kulturgeschichtliche Öffnung der deutschen Mediävistik entscheidend förderte, nämlich 1952 eine erste, schon unverwechselbare Visitenkarte abgegeben.
Das Echo der nationalen wie internationalen Forschung auf dieses Buch war von Anfang an lebhaft und positiv. Erstaunlich ist die Zahl der internationalen Koryphäen, die sich zu Stellungnahmen herausgefordert fühlten. Herbert Grundmann, mit seinem Buch über die "Religiöse(n) Bewegungen" damals der führende deutsche Fachmann auf diesem Gebiet, schrieb nicht nur eine ausführliche Rezension in der "Historischen Zeitschrift", sondern holte den jungen Doktor auch als Assistenten nach Münster. Bis heute fehlt die Arbeit in keiner seriösen Abhandlung über religiöse Bewegungen im Hochmittelalter. Im Zugriff, in der Kraft und Sicherheit der Urteile spürt man schon die sprichwörtliche Pranke des Löwen.
Borst selbst verweist in seinem Vorwort zu einer Neuauflage im Jahre 1991 auf eine glückliche Konstellation, der sich der Erfolg der Arbeit verdanke: Erst 1939 war von Antoine Dondaine mit dem "Liber de duobus principiis" das "erste authentische Selbstzeugnis der Katharer", entstanden in der Mitte des 13. Jahrhunderts, in Rom veröffentlicht worden. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die Wirren der Nachkriegszeit hatten eine intensivere internationale Rezeption dieser Arbeit verhindert. Borst wurde in Göttingen von seinen Lehrern, dem Orientalisten und Religionshistoriker Hans Heinrich Schaeder und dem Mittelalter-Historiker Percy Ernst Schramm, auf diese Arbeit aufmerksam gemacht - die dann gemeinsam Borsts Doktorarbeit betreuten.
Das Selbstzeugnis der Katharer schuf erstmals die Möglichkeit, den Zusammenhang der mittelalterlichen Katharer in Oberitalien und Südfrankreich mit religiösen Strömungen im hellenistischen und byzantinistischen Osten zu klären. Es erwies sich darüber hinaus als Basis, die ein neues Verständnis der verstreuten westlichen Quellen ermöglichte, weil es den Zugang zu Wesenszügen des katharischen Glaubens eröffnete, dessen Inhalte ansonsten nur mittels zumeist polemischer Äußerungen seiner Gegner fassbar waren.
Diese Chance hat Borst zu einer systematischen Beschreibung und Deutung der katharischen Bewegung zu nutzen gewusst. Er gab sie in drei Großkapiteln, die die Katharer aus unterschiedlicher Perspektive in den Blick nahmen: Das erste skizziert die Wertungen der mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und modernen Beobachter, das zweite erläutert die mögliche Herkunft katharischer Ideen aus dem Osten und ihre Geschichte im Westen bis zu ihrer Vernichtung, das dritte skizziert Wesenszüge ihrer Glaubensvorstellungen, ihres Kultes und ihrer Hierarchie. In allen drei Kapiteln ist die Spannung zwischen der dualistischen Weltverachtung und dem Christentum der Katharer die Leitthematik. Sie sind weder Christen noch eine nichtchristliche Religion, sondern "der gescheiterte Versuch, das Verwandte, aber Unvereinbare zu vereinbaren". Auch ein weiteres Fazit ist eher distanziert und zugleich pretiös: "Die Wirkung der Katharer auf die mittelalterliche Welt ist gering. Das christliche Abendland hat sich ihrer bedient, um das Zeitalter der Frömmigkeit gegen sie auf den Gipfel zu treiben und um danach das Zeitalter der Freiheit ohne sie einzuleiten." In seinem Band "Barbaren, Ketzer und Artisten" (1988) hat Borst dann seine weitere Beschäftigung mit der Thematik zusammengefasst.
Der vorliegende Band versucht durch zwei "Nachträge" einen Eindruck von der Wirkung der Arbeit zu vermitteln. Abgedruckt ist das 1991 zu einer früheren Neuauflage verfasste Nachwort von Alexander Patschovsky, dem Nachfolger Arno Borsts in Konstanz. Er unterstreicht die überragende Bedeutung der Arbeit und gibt hilfreiche Hinweise auf die Rezeption in den ersten vierzig Jahren. Irritierend ist dagegen ein zweites Nachwort von Gerhard Rottenwöhrer: "Arno Borst und die jüngere Katharerforschung". Im Beitrag des katholischen Dogmatikers, dessen Lebenswerk in der Erforschung der Katharer sein Zentrum hat, fehlt jedes positive oder gar lobende Wort über die Arbeit. Vielmehr bietet er einen größtenteils unwirsch geschriebenen Totalverriss, der in kleinteiliger Argumentation Einzelergebnisse, Formulierungen und Wertungen Borsts abkanzelt: "Was Borst zu ,Staat und Gesellschaft' zu sagen weiß, ist - von den Quellen her gesehen - oberflächlich." Man ist geneigt, den Abdruck dieses Nachworts einen Skandal zu nennen.
Dem Verlag scheint aufgegangen zu sein, dass ein solcher Text des Kommentars bedarf. Geboten wird jedoch lediglich der kryptische Satz: "Seine Kritik (...), die nicht in jedem Fall geteilt werden wird, erweitert die Sicht auf das Buch auf stereoskopische Weise." Eine bessere Deutung dieses verfehlten Textes bietet jedoch eine Selbsteinschätzung Rottenwöhrers, als er "wohl oder übel" auf seinen eigenen Beitrag zur Katharerforschung zu sprechen kommt: "Es ist ein aufschlussreicher Tatbestand, dass meine Arbeiten in der Forschung weitgehend missachtet werden und man es nicht der Mühe für wert hält, sich mit ihren Ergebnissen auseinanderzusetzen, obwohl ich den Gegenstand bislang am ausführlichsten und umfassendsten untersucht und dargeboten habe." Spätestens diese Einschätzung hätte den Verlag davon überzeugen müssen, dass der Autor für eine kritische Würdigung Borsts denkbar ungeeignet war.
GERD ALTHOFF
Arno Borst: "Die Katharer".
Mit Nachträgen von Alexander Patschovsky und Gerhard Rottenwöhrer. Karolinger Verlag, Wien 2012. 304 S., br., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Verachtung der Welt und vollem Gottvertrauen: Arno Borsts klassische Studie über die Katharer in einer seltsamen neuen Edition.
Es gibt auch Dissertationen, die große Würfe darstellen und zu Klassikern werden. Daher ist es nur zu begrüßen, dass die Doktorarbeit von Arno Borst über die Katharer in einer Neuauflage der breiteren Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht wird. Mit der zu einem Buch umgearbeiteten Dissertation hatte der später berühmte Konstanzer Mittelalter-Historiker, dessen "Lebensformen im Mittelalter" (1973) die mentalitäts- und kulturgeschichtliche Öffnung der deutschen Mediävistik entscheidend förderte, nämlich 1952 eine erste, schon unverwechselbare Visitenkarte abgegeben.
Das Echo der nationalen wie internationalen Forschung auf dieses Buch war von Anfang an lebhaft und positiv. Erstaunlich ist die Zahl der internationalen Koryphäen, die sich zu Stellungnahmen herausgefordert fühlten. Herbert Grundmann, mit seinem Buch über die "Religiöse(n) Bewegungen" damals der führende deutsche Fachmann auf diesem Gebiet, schrieb nicht nur eine ausführliche Rezension in der "Historischen Zeitschrift", sondern holte den jungen Doktor auch als Assistenten nach Münster. Bis heute fehlt die Arbeit in keiner seriösen Abhandlung über religiöse Bewegungen im Hochmittelalter. Im Zugriff, in der Kraft und Sicherheit der Urteile spürt man schon die sprichwörtliche Pranke des Löwen.
Borst selbst verweist in seinem Vorwort zu einer Neuauflage im Jahre 1991 auf eine glückliche Konstellation, der sich der Erfolg der Arbeit verdanke: Erst 1939 war von Antoine Dondaine mit dem "Liber de duobus principiis" das "erste authentische Selbstzeugnis der Katharer", entstanden in der Mitte des 13. Jahrhunderts, in Rom veröffentlicht worden. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die Wirren der Nachkriegszeit hatten eine intensivere internationale Rezeption dieser Arbeit verhindert. Borst wurde in Göttingen von seinen Lehrern, dem Orientalisten und Religionshistoriker Hans Heinrich Schaeder und dem Mittelalter-Historiker Percy Ernst Schramm, auf diese Arbeit aufmerksam gemacht - die dann gemeinsam Borsts Doktorarbeit betreuten.
Das Selbstzeugnis der Katharer schuf erstmals die Möglichkeit, den Zusammenhang der mittelalterlichen Katharer in Oberitalien und Südfrankreich mit religiösen Strömungen im hellenistischen und byzantinistischen Osten zu klären. Es erwies sich darüber hinaus als Basis, die ein neues Verständnis der verstreuten westlichen Quellen ermöglichte, weil es den Zugang zu Wesenszügen des katharischen Glaubens eröffnete, dessen Inhalte ansonsten nur mittels zumeist polemischer Äußerungen seiner Gegner fassbar waren.
Diese Chance hat Borst zu einer systematischen Beschreibung und Deutung der katharischen Bewegung zu nutzen gewusst. Er gab sie in drei Großkapiteln, die die Katharer aus unterschiedlicher Perspektive in den Blick nahmen: Das erste skizziert die Wertungen der mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und modernen Beobachter, das zweite erläutert die mögliche Herkunft katharischer Ideen aus dem Osten und ihre Geschichte im Westen bis zu ihrer Vernichtung, das dritte skizziert Wesenszüge ihrer Glaubensvorstellungen, ihres Kultes und ihrer Hierarchie. In allen drei Kapiteln ist die Spannung zwischen der dualistischen Weltverachtung und dem Christentum der Katharer die Leitthematik. Sie sind weder Christen noch eine nichtchristliche Religion, sondern "der gescheiterte Versuch, das Verwandte, aber Unvereinbare zu vereinbaren". Auch ein weiteres Fazit ist eher distanziert und zugleich pretiös: "Die Wirkung der Katharer auf die mittelalterliche Welt ist gering. Das christliche Abendland hat sich ihrer bedient, um das Zeitalter der Frömmigkeit gegen sie auf den Gipfel zu treiben und um danach das Zeitalter der Freiheit ohne sie einzuleiten." In seinem Band "Barbaren, Ketzer und Artisten" (1988) hat Borst dann seine weitere Beschäftigung mit der Thematik zusammengefasst.
Der vorliegende Band versucht durch zwei "Nachträge" einen Eindruck von der Wirkung der Arbeit zu vermitteln. Abgedruckt ist das 1991 zu einer früheren Neuauflage verfasste Nachwort von Alexander Patschovsky, dem Nachfolger Arno Borsts in Konstanz. Er unterstreicht die überragende Bedeutung der Arbeit und gibt hilfreiche Hinweise auf die Rezeption in den ersten vierzig Jahren. Irritierend ist dagegen ein zweites Nachwort von Gerhard Rottenwöhrer: "Arno Borst und die jüngere Katharerforschung". Im Beitrag des katholischen Dogmatikers, dessen Lebenswerk in der Erforschung der Katharer sein Zentrum hat, fehlt jedes positive oder gar lobende Wort über die Arbeit. Vielmehr bietet er einen größtenteils unwirsch geschriebenen Totalverriss, der in kleinteiliger Argumentation Einzelergebnisse, Formulierungen und Wertungen Borsts abkanzelt: "Was Borst zu ,Staat und Gesellschaft' zu sagen weiß, ist - von den Quellen her gesehen - oberflächlich." Man ist geneigt, den Abdruck dieses Nachworts einen Skandal zu nennen.
Dem Verlag scheint aufgegangen zu sein, dass ein solcher Text des Kommentars bedarf. Geboten wird jedoch lediglich der kryptische Satz: "Seine Kritik (...), die nicht in jedem Fall geteilt werden wird, erweitert die Sicht auf das Buch auf stereoskopische Weise." Eine bessere Deutung dieses verfehlten Textes bietet jedoch eine Selbsteinschätzung Rottenwöhrers, als er "wohl oder übel" auf seinen eigenen Beitrag zur Katharerforschung zu sprechen kommt: "Es ist ein aufschlussreicher Tatbestand, dass meine Arbeiten in der Forschung weitgehend missachtet werden und man es nicht der Mühe für wert hält, sich mit ihren Ergebnissen auseinanderzusetzen, obwohl ich den Gegenstand bislang am ausführlichsten und umfassendsten untersucht und dargeboten habe." Spätestens diese Einschätzung hätte den Verlag davon überzeugen müssen, dass der Autor für eine kritische Würdigung Borsts denkbar ungeeignet war.
GERD ALTHOFF
Arno Borst: "Die Katharer".
Mit Nachträgen von Alexander Patschovsky und Gerhard Rottenwöhrer. Karolinger Verlag, Wien 2012. 304 S., br., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main