Ausgerechnet in Punta Gotica, einem Viertel Cienfuegos, in dem nur vergessene Schwarze und arme Weiße wohnen, wird eine neue Kirche errichtet. Das Gotteshaus soll ein Symbol sein, über die Stadt und Kuba hinaus, etwas Aufstrebendes in Zeiten, in denen alles verfällt. Geld und freiwillige Mitarbeiter fließen den Erbauern nur so zu, beständig wird die Kirche erweitert - und gerade deshalb nie fertiggestellt.
Marcial Gala lässt die Menschen zu Wort kommen, die im Schatten des von Tag zu Tag wachsenden Monumentalbaus leben, er zeigt uns Kuba von unten und ein Land, das der US-Luxuskapitalismus vor eine Zerreißprobe stellt - existenziell, roh und mit vielen Zwischentönen.
Marcial Gala lässt die Menschen zu Wort kommen, die im Schatten des von Tag zu Tag wachsenden Monumentalbaus leben, er zeigt uns Kuba von unten und ein Land, das der US-Luxuskapitalismus vor eine Zerreißprobe stellt - existenziell, roh und mit vielen Zwischentönen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2019Hass im Herzen
Kaputtes Kuba: Marcial Galas Roman „Die Kathedrale der Schwarzen“
Punta Gotica ist ein schön gelegenes, auf einer Landzunge errichtetes Viertel in der kubanischen Stadt Cienfuegos, wenngleich dort, wie es bei Marcial Gala heißt, nur vergessene Schwarze und arme Weiße leben, Leute, die zur besten Arbeitszeit auf dem Bordstein hocken, vor halb zerfallenen Häusern, dazu Dreck und dröhnende Musik. Gerade in diesem Viertel will der fanatisch gläubige, mit seiner schwarzen Familie zugezogene Arturo Stuart eine Kathedrale bauen, eine Kirche des Heiligen Sakraments, mit der Absicht, zum byzantinischen Ritus zurückzukehren.
Unterstützt wird er dabei von einer nicht weniger fanatischen Gemeinschaft, den Sacramentistas, vor allem mit Spenden aus den USA. Marcial Galas Roman „Die Kathedrale der Schwarzen“ scheint den sozial Erniedrigten gewidmet zu sein. Aber allmählich dämmert einem, dass dieses unerbittliche Stein-auf-Stein für etwas ganz anderes steht, für die unerbittliche Macht des Bösen.
1965 in Havanna geboren, lebt Marcial Gala heute teils in Cienfuegos, teils in Buenos Aires. Schon seine frühen Kurzgeschichten wurden als außergewöhnlich gewürdigt, ehe er für seinen Roman den Alejo-Carpentier-Preis erhielt sowie den Preis der Kritiker für das beste kubanische Buch 2012. Aber Gala ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Architekt. Und so lässt er den Architekten der Kathedrale zu Wort kommen, anfangs noch voller Illusionen: „Es gibt mehrere Eingänge. Die Idee ist, die Kirche möglichst zugänglich zu gestalten, möglichst offen, die Kirche ist wie eine geöffnete Hand, die jedem gereicht wird.“ Später, ernüchtert, auch weil seine Pläne missachtet werden und der Bau sich größenwahnsinnig aufplustert, verdammt er das ganze Vorhaben. Es sei von und für Menschen erdacht, die „Hass im Herzen“ tragen. Tröstlich ist allein, dass die Kathedrale nie fertig werden wird.
In ihrem diesen Herbst erschienenen Buch „Gelbe Schmetterlinge und die Herren Diktatoren“ erzählt Michi Strausfeld die Geschichte Lateinamerikas anhand der dort geschriebenen Literatur. Im Kapitel über Kuba beleuchtet sie auch die nachwachsende Generation: „Viele Erzählungen der nach 1959 geborenen Autoren beweisen aber, dass sie innerlich frei sind, verrostete Konventionen über Bord werfen und neue ästhetische Formen suchen.“ Das gilt für Ángel Santiesteban und seine großartigen Erzählungen, die unter dem Titel „Wölfe in der Nacht“ auf Deutsch zum Teil erstveröffentlicht wurden, weil er dem offiziellen Kuba nicht geheuer und also mit einem Bann belegt ist. Und das gilt, wenn auch nicht auf derselben literarischen Höhe, für Marcial Gala.
Das offizielle Kuba interessiert ihn nicht. Ihn interessiert, was er hört, auf der Straße, im Bus, in der Bar, das wilde Gewirr der Stimmen am unteren Rand der Gesellschaft. Daraus lässt er nach einem beliebten literarischen Verfahren seinen Roman entstehen; einander abwechselnde Monologe umspielen die Story, indem sie sie erst hervorbringen.
Ganz ohne magischen Realismus geht es nicht, ein ermordeter Toter erscheint und gibt Anweisungen. Ganz ohne Kuba-Klischees geht es auch nicht, echte Kerle treffen auf heiße Frauen. Nicht selten kommt es vor, dass einem Unterlegenen ins Gesicht gepisst wird, einmal auch einer schlafenden Frau, weil sie ihren Liebhaber mit einer anderen Frau betrügt. Immer aber wenn man fürchtet, der Roman könne gänzlich ins B-Genre abrutschen (was ja nicht schlimm wäre, solange er dem Genre treu bleibt), fängt er sich wieder.
Wer sich von Gewalt unterhalten lassen will, wird trotzdem gut bedient, vor allem durch Gringo. Er heißt so, weil er auffallend gut angezogen ist, mit Markenklamotten, wie sie sonst nur Ausländer tragen. So erfährt er Respekt und fühlt sich wie Denzel Washington, wie ein „Schwarzer mit Klasse“. Sein Lebensstil ist kostspielig, weshalb Gringo nicht umhinkommt, ab und zu grausam zu morden, um sein Portemonnaie wieder zu füllen.
Pervers genug ist er, dass er das Fleisch seiner Opfer auch noch verschachert, nicht unter Nachbarn in Punta Gotica, so viel Rücksicht muss sein, sondern unter Wohlhabenden im Nobelviertel Punta Gorda. Weil er es außerdem mit schwarzer Magie hält, wie nicht wenige im Viertel der Kathedrale der Schwarzen, steckt er ein Stück Schädelknochen für sich selbst ein. Nach der Flucht nach Florida und dann weiter durch die Staaten wird er alternden Witwen zum Verhängnis. Irgendwann schnappen sie ihn; zum letzten Termin im Knast wird ihm Gift gespritzt.
Überraschend erfährt man von einer Schreibwerkstatt in der verrufenen Punta Gotica. Der stärkste Dichter soll Prince sein, einer der Söhne des religiösen Eiferers Arturo Stuart; der andere Sohn, ebenso so schön gewachsen wie sein Bruder, gibt derweil Sex-Performances in der Bar eines Russen, alles zum Vergnügen von Touristen. Unter die jungen Dichter mischt sich auch der Erzähler selbst, mit Klarnamen Marcial; er ist jemand, der Fahrrad fährt und eine Dichterin tröstet, wenn Prince in seinen Gedichten Intimitäten verrät, jede Zeile gewürzt mit Hass.
Als der Bruder an Aids erkrankt, holt sich Prince Rat bei einem Paten der schwarzen Magie: Er müsse, damit der Bruder wieder gesund werde, seine nächsten Blutsverwandten opfern. Durch die Gräueltat von Prince gerät der Bau der Kathedrale ins Stocken, ohne dass er je wieder aufgenommen würde. „Was für eine Zukunft hast du schon in diesem Scheißland?“, fragt sich der mörderische Gringo in einem hellen Moment. Dabei hat ihm seine Mutter alles Wesentliche mitgeteilt: „Reden, was wahr ist, essen, was gar ist, trinken, was klar ist, ficken, was da ist.“ Mehr ist für die Leute von Punta Gotica nicht vorgesehen.
RALPH HAMMERTHALER
Marcial Gala:
Die Kathedrale der
Schwarzen. Roman.
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt.
Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2019. 256 Seiten,
22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kaputtes Kuba: Marcial Galas Roman „Die Kathedrale der Schwarzen“
Punta Gotica ist ein schön gelegenes, auf einer Landzunge errichtetes Viertel in der kubanischen Stadt Cienfuegos, wenngleich dort, wie es bei Marcial Gala heißt, nur vergessene Schwarze und arme Weiße leben, Leute, die zur besten Arbeitszeit auf dem Bordstein hocken, vor halb zerfallenen Häusern, dazu Dreck und dröhnende Musik. Gerade in diesem Viertel will der fanatisch gläubige, mit seiner schwarzen Familie zugezogene Arturo Stuart eine Kathedrale bauen, eine Kirche des Heiligen Sakraments, mit der Absicht, zum byzantinischen Ritus zurückzukehren.
Unterstützt wird er dabei von einer nicht weniger fanatischen Gemeinschaft, den Sacramentistas, vor allem mit Spenden aus den USA. Marcial Galas Roman „Die Kathedrale der Schwarzen“ scheint den sozial Erniedrigten gewidmet zu sein. Aber allmählich dämmert einem, dass dieses unerbittliche Stein-auf-Stein für etwas ganz anderes steht, für die unerbittliche Macht des Bösen.
1965 in Havanna geboren, lebt Marcial Gala heute teils in Cienfuegos, teils in Buenos Aires. Schon seine frühen Kurzgeschichten wurden als außergewöhnlich gewürdigt, ehe er für seinen Roman den Alejo-Carpentier-Preis erhielt sowie den Preis der Kritiker für das beste kubanische Buch 2012. Aber Gala ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Architekt. Und so lässt er den Architekten der Kathedrale zu Wort kommen, anfangs noch voller Illusionen: „Es gibt mehrere Eingänge. Die Idee ist, die Kirche möglichst zugänglich zu gestalten, möglichst offen, die Kirche ist wie eine geöffnete Hand, die jedem gereicht wird.“ Später, ernüchtert, auch weil seine Pläne missachtet werden und der Bau sich größenwahnsinnig aufplustert, verdammt er das ganze Vorhaben. Es sei von und für Menschen erdacht, die „Hass im Herzen“ tragen. Tröstlich ist allein, dass die Kathedrale nie fertig werden wird.
In ihrem diesen Herbst erschienenen Buch „Gelbe Schmetterlinge und die Herren Diktatoren“ erzählt Michi Strausfeld die Geschichte Lateinamerikas anhand der dort geschriebenen Literatur. Im Kapitel über Kuba beleuchtet sie auch die nachwachsende Generation: „Viele Erzählungen der nach 1959 geborenen Autoren beweisen aber, dass sie innerlich frei sind, verrostete Konventionen über Bord werfen und neue ästhetische Formen suchen.“ Das gilt für Ángel Santiesteban und seine großartigen Erzählungen, die unter dem Titel „Wölfe in der Nacht“ auf Deutsch zum Teil erstveröffentlicht wurden, weil er dem offiziellen Kuba nicht geheuer und also mit einem Bann belegt ist. Und das gilt, wenn auch nicht auf derselben literarischen Höhe, für Marcial Gala.
Das offizielle Kuba interessiert ihn nicht. Ihn interessiert, was er hört, auf der Straße, im Bus, in der Bar, das wilde Gewirr der Stimmen am unteren Rand der Gesellschaft. Daraus lässt er nach einem beliebten literarischen Verfahren seinen Roman entstehen; einander abwechselnde Monologe umspielen die Story, indem sie sie erst hervorbringen.
Ganz ohne magischen Realismus geht es nicht, ein ermordeter Toter erscheint und gibt Anweisungen. Ganz ohne Kuba-Klischees geht es auch nicht, echte Kerle treffen auf heiße Frauen. Nicht selten kommt es vor, dass einem Unterlegenen ins Gesicht gepisst wird, einmal auch einer schlafenden Frau, weil sie ihren Liebhaber mit einer anderen Frau betrügt. Immer aber wenn man fürchtet, der Roman könne gänzlich ins B-Genre abrutschen (was ja nicht schlimm wäre, solange er dem Genre treu bleibt), fängt er sich wieder.
Wer sich von Gewalt unterhalten lassen will, wird trotzdem gut bedient, vor allem durch Gringo. Er heißt so, weil er auffallend gut angezogen ist, mit Markenklamotten, wie sie sonst nur Ausländer tragen. So erfährt er Respekt und fühlt sich wie Denzel Washington, wie ein „Schwarzer mit Klasse“. Sein Lebensstil ist kostspielig, weshalb Gringo nicht umhinkommt, ab und zu grausam zu morden, um sein Portemonnaie wieder zu füllen.
Pervers genug ist er, dass er das Fleisch seiner Opfer auch noch verschachert, nicht unter Nachbarn in Punta Gotica, so viel Rücksicht muss sein, sondern unter Wohlhabenden im Nobelviertel Punta Gorda. Weil er es außerdem mit schwarzer Magie hält, wie nicht wenige im Viertel der Kathedrale der Schwarzen, steckt er ein Stück Schädelknochen für sich selbst ein. Nach der Flucht nach Florida und dann weiter durch die Staaten wird er alternden Witwen zum Verhängnis. Irgendwann schnappen sie ihn; zum letzten Termin im Knast wird ihm Gift gespritzt.
Überraschend erfährt man von einer Schreibwerkstatt in der verrufenen Punta Gotica. Der stärkste Dichter soll Prince sein, einer der Söhne des religiösen Eiferers Arturo Stuart; der andere Sohn, ebenso so schön gewachsen wie sein Bruder, gibt derweil Sex-Performances in der Bar eines Russen, alles zum Vergnügen von Touristen. Unter die jungen Dichter mischt sich auch der Erzähler selbst, mit Klarnamen Marcial; er ist jemand, der Fahrrad fährt und eine Dichterin tröstet, wenn Prince in seinen Gedichten Intimitäten verrät, jede Zeile gewürzt mit Hass.
Als der Bruder an Aids erkrankt, holt sich Prince Rat bei einem Paten der schwarzen Magie: Er müsse, damit der Bruder wieder gesund werde, seine nächsten Blutsverwandten opfern. Durch die Gräueltat von Prince gerät der Bau der Kathedrale ins Stocken, ohne dass er je wieder aufgenommen würde. „Was für eine Zukunft hast du schon in diesem Scheißland?“, fragt sich der mörderische Gringo in einem hellen Moment. Dabei hat ihm seine Mutter alles Wesentliche mitgeteilt: „Reden, was wahr ist, essen, was gar ist, trinken, was klar ist, ficken, was da ist.“ Mehr ist für die Leute von Punta Gotica nicht vorgesehen.
RALPH HAMMERTHALER
Marcial Gala:
Die Kathedrale der
Schwarzen. Roman.
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt.
Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2019. 256 Seiten,
22 Euro.
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