»Während bei uns der Schnee fällt, fallen woanders Bomben.« (Nino Haratischwili in ihrer Dankesrede bei der Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille 2023)
Alexander Orlow, ein russischer Oligarch und von allen »Der General« genannt, hat ein neues Leben in Berlin begonnen. Doch die Erinnerungen an seinen Einsatz im Ersten Tschetschenienkrieg lassen ihn nicht los. Die dunkelste ist jene an die Nacht, nach der von der jungen Tschetschenin Nura nichts blieb als eine große ungesühnte Schuld. Der Zeitpunkt der Abrechnung ist gekommen, als Orlow in Berlin auf eine exzentrische georgischstämmige Schauspielerin trifft, die der jungen Nura wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Wie in einem Zauberwürfel drehen sich von diesem Moment an die Schicksale der Figuren ineinander, um eine verborgene Achse aus Liebe und Schuld. Sie alle sind Teil eines tödlichen Spiels, in dem sie mit der Wucht einer klassischen Tragödie aufeinanderprallen.
Nino Haratischwili spürt in ihrem Roman denAbgründen nach, die sich zwischen den Trümmern des zerfallenden Sowjetreichs aufgetan haben: »Die Katze und der General« ist ein brandaktueller Roman, der uns den russischen Imperealismus und die nackte Brutalität des Krieges näherbringt. Spannend wie ein Thriller, berührend wie ein Drama erzählt Nino Haratischwilis vierter Roman über den Krieg in Ländern und Köpfen, über die Sehnsucht nach Frieden und Erlösung.
»Nino Haratischwili hat einen ungeheuer fesselnden Roman von geradezu Tolstoi'scher Wucht geschrieben.« Heide Soltau, NDR Kultur
Alexander Orlow, ein russischer Oligarch und von allen »Der General« genannt, hat ein neues Leben in Berlin begonnen. Doch die Erinnerungen an seinen Einsatz im Ersten Tschetschenienkrieg lassen ihn nicht los. Die dunkelste ist jene an die Nacht, nach der von der jungen Tschetschenin Nura nichts blieb als eine große ungesühnte Schuld. Der Zeitpunkt der Abrechnung ist gekommen, als Orlow in Berlin auf eine exzentrische georgischstämmige Schauspielerin trifft, die der jungen Nura wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Wie in einem Zauberwürfel drehen sich von diesem Moment an die Schicksale der Figuren ineinander, um eine verborgene Achse aus Liebe und Schuld. Sie alle sind Teil eines tödlichen Spiels, in dem sie mit der Wucht einer klassischen Tragödie aufeinanderprallen.
Nino Haratischwili spürt in ihrem Roman denAbgründen nach, die sich zwischen den Trümmern des zerfallenden Sowjetreichs aufgetan haben: »Die Katze und der General« ist ein brandaktueller Roman, der uns den russischen Imperealismus und die nackte Brutalität des Krieges näherbringt. Spannend wie ein Thriller, berührend wie ein Drama erzählt Nino Haratischwilis vierter Roman über den Krieg in Ländern und Köpfen, über die Sehnsucht nach Frieden und Erlösung.
»Nino Haratischwili hat einen ungeheuer fesselnden Roman von geradezu Tolstoi'scher Wucht geschrieben.« Heide Soltau, NDR Kultur
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2018Vom Opfer zum Täter?
Premiere: Haratischwilis neuer Roman in Frankfurt
Dass die angenehm unprätentiöse, fast ein wenig unscheinbar wirkende Frau vorne auf dem Podium ein Superstar der Gegenwartsliteratur ist, merkt man vor allem am ausverkauften Saal im Literaturhaus Frankfurt. Für ihr voluminöses Romanwunderwerk "Das achte Leben (für Brilka)" von 2014, in dem sie einen mit allen Wassern der literarischen Moderne gewaschenen, grausam wahrhaftigen Gang durch das blutige 20. Jahrhundert unternahm, hat sie zahlreiche Preise gewonnen. Kein Zweifel, die 1983 im georgischen Tiflis geborene und seit 2003 in Deutschland lebende Nino Haratischwili zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Romanautorinnen.
Dabei arbeitet Haratischwili, die in Hamburg Regie studiert hat und schon als Jugendliche erste Stücke geschrieben hatte, vor allem für das Theater, und ihr Verleger Joachim Unseld, der es sich nicht nehmen ließ, seine Autorin zu Beginn der Buchpremiere zu preisen, korrigierte auch eine Angabe in einem Artikel dieser Zeitung: Nicht 15, schon insgesamt 20 Theaterstücke habe Nino Haratischwili bisher verfasst. Derzeit inszeniert sie am Hessischen Landestheater Marburg ihr Jugendstück "Radio Universe", das am 22. September Premiere hat. Für diese erste Lesung aus dem Roman habe sie ihre "beschauliche Theaterwelt" nur kurz verlassen, so Unseld.
Die gewachsene Bedeutung Nino Haratischwilis lässt sich auch daran ablesen, dass ihr neuer in der vergangenen Woche erschienener Roman "Die Katze und der General" schon vielfach besprochen wurde. Das teils eher durchwachsene Echo lässt sich zweifellos unter anderem auf die hohen Erwartungen zurückführen, Nino Haratischwili indes wirkt nicht wie eine Autorin, die sich davon unter Druck setzen und in ihrem Schaffen irritieren ließe. Der neue Roman wurde durch ein Buch der 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über den russischen Tschetschenien-Krieg ausgelöst.
Im Gespräch mit der HR-Kulturredakteurin Anna Engel erzählte Haratischwili von ihren Reisen nach Tschetschenien, von den traumatisierten Menschen dort und dem Mantel des Schweigens, der über den zwei Kriegen und den ungeheuren Verbrechen, die von einer entfesselten Soldateska begangen wurden, liege. Ein solches nicht gesühntes Kriegsverbrechen, die Vergewaltigung und die Ermordung eines 17 Jahre alten Mädchens, bildet einen der drei Erzählstränge im neuen Roman. Was hat die Tat mit einem der Männer, dem zum Kriegsdienst gezwungenen, später nur noch "der General" genannten Alexander Orlow, gemacht? Dessen Leben zwischen Schuldgefühl und zynischem Machtmissbrauch als skrupelloser Oligarch hat Haratischwili offenbar besonders interessiert. Die entscheidende Frage war: "Wie lebt man damit weiter, wie wird man vom Opfer zum Täter?"
Trotz der genauen Kenntnis der Verhältnisse in Tschetschenien geht es dem Roman aber vordringlich um das Thema Krieg und Gewalt. "Der Roman könnte auch in anderen Krisen- oder Kriegsgebieten spielen", erklärte Nino Haratischwili, nämlich überall dort, wo "komplett rechtsfreie Räume" entstehen. Sie habe versucht, das möglichst nicht moralisierend darzustellen und sich einen "fremden Blick" zu bewahren. Angesichts der vorgelesenen Passagen, in denen die schwer zu ertragende Grausamkeit der Handlung zumindest erahnbar war, stellte Anna Engel die nachvollziehbare Frage, wie man das tägliche Arbeiten an einem solchen Stoff ertrage. Die professionelle automatische Distanz, ihr "Berufsschutz", wie sie es nennt, verhindere, dass sie sich ganz dem Stoff ausliefert, so die Autorin. Aber eine Haltung hat sie doch. Ihrer Liebe zur russischen Kultur und Literatur zum Trotz: "Ich kann keinen versöhnlichen Blick auf die russische Gegenwart haben, es kann aus georgischer Sicht keinen entspannten Umgang mit Russland geben."
MATTHIAS BISCHOFF
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Premiere: Haratischwilis neuer Roman in Frankfurt
Dass die angenehm unprätentiöse, fast ein wenig unscheinbar wirkende Frau vorne auf dem Podium ein Superstar der Gegenwartsliteratur ist, merkt man vor allem am ausverkauften Saal im Literaturhaus Frankfurt. Für ihr voluminöses Romanwunderwerk "Das achte Leben (für Brilka)" von 2014, in dem sie einen mit allen Wassern der literarischen Moderne gewaschenen, grausam wahrhaftigen Gang durch das blutige 20. Jahrhundert unternahm, hat sie zahlreiche Preise gewonnen. Kein Zweifel, die 1983 im georgischen Tiflis geborene und seit 2003 in Deutschland lebende Nino Haratischwili zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Romanautorinnen.
Dabei arbeitet Haratischwili, die in Hamburg Regie studiert hat und schon als Jugendliche erste Stücke geschrieben hatte, vor allem für das Theater, und ihr Verleger Joachim Unseld, der es sich nicht nehmen ließ, seine Autorin zu Beginn der Buchpremiere zu preisen, korrigierte auch eine Angabe in einem Artikel dieser Zeitung: Nicht 15, schon insgesamt 20 Theaterstücke habe Nino Haratischwili bisher verfasst. Derzeit inszeniert sie am Hessischen Landestheater Marburg ihr Jugendstück "Radio Universe", das am 22. September Premiere hat. Für diese erste Lesung aus dem Roman habe sie ihre "beschauliche Theaterwelt" nur kurz verlassen, so Unseld.
Die gewachsene Bedeutung Nino Haratischwilis lässt sich auch daran ablesen, dass ihr neuer in der vergangenen Woche erschienener Roman "Die Katze und der General" schon vielfach besprochen wurde. Das teils eher durchwachsene Echo lässt sich zweifellos unter anderem auf die hohen Erwartungen zurückführen, Nino Haratischwili indes wirkt nicht wie eine Autorin, die sich davon unter Druck setzen und in ihrem Schaffen irritieren ließe. Der neue Roman wurde durch ein Buch der 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über den russischen Tschetschenien-Krieg ausgelöst.
Im Gespräch mit der HR-Kulturredakteurin Anna Engel erzählte Haratischwili von ihren Reisen nach Tschetschenien, von den traumatisierten Menschen dort und dem Mantel des Schweigens, der über den zwei Kriegen und den ungeheuren Verbrechen, die von einer entfesselten Soldateska begangen wurden, liege. Ein solches nicht gesühntes Kriegsverbrechen, die Vergewaltigung und die Ermordung eines 17 Jahre alten Mädchens, bildet einen der drei Erzählstränge im neuen Roman. Was hat die Tat mit einem der Männer, dem zum Kriegsdienst gezwungenen, später nur noch "der General" genannten Alexander Orlow, gemacht? Dessen Leben zwischen Schuldgefühl und zynischem Machtmissbrauch als skrupelloser Oligarch hat Haratischwili offenbar besonders interessiert. Die entscheidende Frage war: "Wie lebt man damit weiter, wie wird man vom Opfer zum Täter?"
Trotz der genauen Kenntnis der Verhältnisse in Tschetschenien geht es dem Roman aber vordringlich um das Thema Krieg und Gewalt. "Der Roman könnte auch in anderen Krisen- oder Kriegsgebieten spielen", erklärte Nino Haratischwili, nämlich überall dort, wo "komplett rechtsfreie Räume" entstehen. Sie habe versucht, das möglichst nicht moralisierend darzustellen und sich einen "fremden Blick" zu bewahren. Angesichts der vorgelesenen Passagen, in denen die schwer zu ertragende Grausamkeit der Handlung zumindest erahnbar war, stellte Anna Engel die nachvollziehbare Frage, wie man das tägliche Arbeiten an einem solchen Stoff ertrage. Die professionelle automatische Distanz, ihr "Berufsschutz", wie sie es nennt, verhindere, dass sie sich ganz dem Stoff ausliefert, so die Autorin. Aber eine Haltung hat sie doch. Ihrer Liebe zur russischen Kultur und Literatur zum Trotz: "Ich kann keinen versöhnlichen Blick auf die russische Gegenwart haben, es kann aus georgischer Sicht keinen entspannten Umgang mit Russland geben."
MATTHIAS BISCHOFF
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2018Nicht weniger als sieben Leben
Nino Haratischwili will in ihrem neuen Roman zeigen, was der Krieg aus den Menschen macht. Eine große Frage – zu groß
Im Theater, das weiß die Autorin und Regisseurin Nino Haratischwili, können Dramaturgen mächtig nerven. Sie stellen unangenehme Fragen, klopfen Regie-Ideen auf Schlüssigkeit ab und fordern schon mal, eine lieb gewonnene Figur oder Szene komplett zu streichen, weil diese das Gesamtvorhaben unnötig beschwert, unlogisch oder einfach nur langweilig ist.
Ein guter Dramaturg macht allerdings ein Stück besser, vor allem für die Zuschauer. Einen richtig strengen Dramaturgen hätte Haratischwili auch durch ihren neuen Roman „Die Katze und der General“ pflügen lassen sollen. Die Geschichte, die sie da auf 760 Seiten ausbreitet, wirkt nämlich mühsam konstruiert, ausufernd, oft unlogisch und leider auch stilistisch nicht ansprechend. Mit dramaturgischer Hilfe wäre der Roman um 300 Seiten leichter und sicher besser geworden.
Was könnte der Plan der Autorin gewesen sein, die erfolgreich Dramen schreibt und 2014 mit „Das achte Leben (Für Brilka)“ sehr viele Menschen für ein georgisches Familienepos begeisterte? Vermutlich hatte sie die Idee, eine Geschichte darüber zu schreiben, wie der Krieg Menschen verändert. Wie er aus sanften harte, aus stillen laute, aus unpolitischen politische Charaktere macht. Wie man zum Täter wird, ohne das je gewollt zu haben. Was Schuld bedeutet. Wie der Krieg allen schadet, auch denen, die gar nicht kämpfen und sogar jenen, die noch nicht geboren sind. „Vielleicht war es einfach das Los des Menschen, niemals ungestraft davon kommen zu können, egal, ob man schuldig war oder nicht“, heißt es in „Die Katze und der General“. Dieses Thema steht also über dem Roman, der zudem als Thriller angelegt ist. Eigentlich ein guter Plan. Nur ist er besser als seine Umsetzung.
Haratischwili erzählt von einem sogenannten russischen „General“, der eigentlich Alexander Orlow heißt. Der möchte ein Verbrechen sühnen, das er mit drei Kameraden während des ersten Tschetschenienkriegs 1995 begangen hat. Nur auf das Drängen seiner Mutter hin hatte er sich überhaupt zu einer Ausbildung an der Moskauer Militärakademie eingelassen. Er sollte damit das Erbe seines Vaters, eines überlebensgroßen sowjetischen Kriegshelden, antreten. Und landete schließlich im tschetschenischen Kaukasus, wo nach Stammesgesetzen gelebt wird und der Westen noch viel weiter weg ist als von Moskau aus gesehen. Er lernt dort Nura kennen, ein Mädchen aus dem Dorf, das ihm Hühner verkauft. Der Handel fliegt auf, Nura wird gefoltert, vergewaltigt. Am Ende ist sie tot.
Orlow möchte sich mit dieser Schuld nicht abfinden, kann das Geschehene nicht als Kollateralschaden einer größeren russischen Mission vor sich und der Welt rechtfertigen. Aber niemand will ihn und seine Kameraden wegen des Vorfalls zur Verantwortung ziehen. „Niemand wurde von der russischen Seite wegen Kriegsverbrechen angeklagt“, schreibt Haratischwili, „und vor allem nicht wegen eines Kriegsverbrechens in Tschetschenien.“ Also knickt auch Orlow in letzter Minute ein, sein Schweigen verschafft ihm eine Stellung im russischen Immobiliengeschäft, er kommt zu Macht und Geld. Von jetzt an heißt er „General“.
Dieser General ist die wichtigeste und schwierigste Figur des Romans. An ihm dekliniert Haratischwili die These des Buches durch. Ein weichherziger Mensch, den der Krieg zum Täter macht. Einer, der danach versucht, weiter zu leben, aber scheitern muss. In Zeiten, in denen Kriege überall auf der Welt genau jetzt jede Menge Generäle produzieren, eine nachdenklich stimmende Ausgangssituation. Im Roman wird jeder, der mit dem General in Kontakt kommt, entweder zum Mitwisser, zu seinem Verteidiger oder zu seinem Gegenspieler. Wie auf dem Reißbrett arrangiert Haratischwili sämtliche Figuren um ihn herum. Da ist der Journalist Onno Bender, der in Ermangelung eigener traumatischer Erlebnisse denen anderer nachspürt. Da ist des Generals engelsgleiche Tochter Ada, die glauben will, dass ihr Vater kein Kriegsverbrecher ist. Und dann ist da Katze, seine Gegenspielerin, die andere Figur aus dem Titel des Buches. Eine junge Schauspielerin, die mit ihrer Familie vor dem Georgienkrieg nach Deutschland geflohen ist. Katze heißt so, weil sie als Kind geschickt Wände hochklettern konnte.
Sie wird als besonders bedeutend für den großen Gerechtigkeits-Feldzug inszeniert, zu dem sich der General zwanzig Jahre nach dem Verbrechen entschließt: „Ja, ich möchte meinen ganz eigenen Gerichtsprozess. Ich werde die Männer ausfindig machen, die beteiligt waren. Ich werde sie zusammenbringen, und ich werde uns allen ein Urteil fällen“, sagt der General. Katze soll, weil sie dem getöteten Mädchen gleicht, ein Video drehen und die Mittäter darin nach Tschetschenien einladen.
So geht das nicht, hätte ein strenger Dramaturg spätestens an dieser Stelle gesagt: Das ist zu unlogisch. Warum wird Katze als so absolut unverzichtbar gezeichnet, obwohl der General sowieso über alle Mittel verfügt, seine drei Mittäter zu erpressen? Und wozu braucht es eigentlich diesen schlaffen Journalisten, der das ganze Unterfangen als Chronist begleitet und als einziger aus der Ich-Perspektive erzählt?
Klar, die Ähnlichkeit zwischen Nura und Katze ist bezeichnend: Dort das tschetschenische Mädchen, das zum Opfer des Krieges wurde, wo es doch raus wollte aus der Enge des Dorfes, Ärztin werden oder Schauspielerin. Hier ein georgisches Mädchen, das dem Krieg entkam und in Deutschland das Leben lebt, das Nura gern gehabt hätte. In Katze (benannt nach einem Tier, dem mehrere Leben nachgesagt werden) wiederholt sich Nuras Schicksal – mit anderem Ausgang. In ihr sieht der General, was Nura genommen wurde. Nur für seinen Vergeltungsfeldzug bräuchte er sie wirklich nicht.
Immer wieder wird bei der Lektüre von „Die Katze und der General“ deutlich, dass sich die Autorin zwar jede Menge Gedanken gemacht, aber die Handlung ziemlich wild darum herum gezimmert hat. Sie weiß viel über die Kriege in Tschetschenien und es gelingt ihr passagenweise, dröge Fakten gut lesbar zu vermitteln, jedoch bleibt die Fleißarbeit dahinter sichtbar. Ausgiebig bastelt sie an den psychologischen Motiven der Figuren und doch agieren sie lediglich als Erfüllungsgehilfen ihrer Versuchsanordnung. Die bemühten Metaphern mit Tieren und Spielen, die Verweise auf antike Dramen liegen schwer auf der Geschichte und den hölzernen Dialogen. Was als Thriller angelegt ist, wird kaum spannender als ein Tatort am Sonntagabend. Nebenbei wimmelt der Roman von Phrasen. Da wird „an die Gurgel gesprungen“, „zur Salzsäule erstarrt“, „brechen Dämme“ und werden „Gelegenheiten beim Schopfe“ gepackt. Auch hier hätte der strenge Dramaturg straffen können. In Verlagen heißen die Dramaturgen bekanntlich Lektoren. Es ist anzunehmen, dass Haratischwili bei der Frankfurter Verlagsanstalt einen hatte. Aber der hatte wohl keine Lust, einzugreifen.
Für „Das achte Leben“ wurde Nino Haratischwili vor vier Jahren mit Isabel Allende verglichen, von vielen Seiten gelobt, ach was, geliebt und ausgezeichnet. Und immerhin, „Die Katze und der General“ hat es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft. Mag sein, dass Haratischwili die Geschichte des Zerfalls der Sowjetunion einfach am Herzen liegt, sie darin ihr Thema gefunden hat. Mag sein, dass ihr das ausgiebige Erschreiben fernster Handlungsufer einfach Freude macht. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie dem sich wohl selbst auferlegten Druck, ihren Erfolg von 2014 zu wiederholen, nicht standhalten konnte.
CHRISTIANE LUTZ
Wozu braucht es diesen schlaffen
Journalisten, der das Unterfangen
als Chronist begleitet?
Nino Haratischwili:
Die Katze und der General. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 2018. 763 Seiten, 30 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nino Haratischwili will in ihrem neuen Roman zeigen, was der Krieg aus den Menschen macht. Eine große Frage – zu groß
Im Theater, das weiß die Autorin und Regisseurin Nino Haratischwili, können Dramaturgen mächtig nerven. Sie stellen unangenehme Fragen, klopfen Regie-Ideen auf Schlüssigkeit ab und fordern schon mal, eine lieb gewonnene Figur oder Szene komplett zu streichen, weil diese das Gesamtvorhaben unnötig beschwert, unlogisch oder einfach nur langweilig ist.
Ein guter Dramaturg macht allerdings ein Stück besser, vor allem für die Zuschauer. Einen richtig strengen Dramaturgen hätte Haratischwili auch durch ihren neuen Roman „Die Katze und der General“ pflügen lassen sollen. Die Geschichte, die sie da auf 760 Seiten ausbreitet, wirkt nämlich mühsam konstruiert, ausufernd, oft unlogisch und leider auch stilistisch nicht ansprechend. Mit dramaturgischer Hilfe wäre der Roman um 300 Seiten leichter und sicher besser geworden.
Was könnte der Plan der Autorin gewesen sein, die erfolgreich Dramen schreibt und 2014 mit „Das achte Leben (Für Brilka)“ sehr viele Menschen für ein georgisches Familienepos begeisterte? Vermutlich hatte sie die Idee, eine Geschichte darüber zu schreiben, wie der Krieg Menschen verändert. Wie er aus sanften harte, aus stillen laute, aus unpolitischen politische Charaktere macht. Wie man zum Täter wird, ohne das je gewollt zu haben. Was Schuld bedeutet. Wie der Krieg allen schadet, auch denen, die gar nicht kämpfen und sogar jenen, die noch nicht geboren sind. „Vielleicht war es einfach das Los des Menschen, niemals ungestraft davon kommen zu können, egal, ob man schuldig war oder nicht“, heißt es in „Die Katze und der General“. Dieses Thema steht also über dem Roman, der zudem als Thriller angelegt ist. Eigentlich ein guter Plan. Nur ist er besser als seine Umsetzung.
Haratischwili erzählt von einem sogenannten russischen „General“, der eigentlich Alexander Orlow heißt. Der möchte ein Verbrechen sühnen, das er mit drei Kameraden während des ersten Tschetschenienkriegs 1995 begangen hat. Nur auf das Drängen seiner Mutter hin hatte er sich überhaupt zu einer Ausbildung an der Moskauer Militärakademie eingelassen. Er sollte damit das Erbe seines Vaters, eines überlebensgroßen sowjetischen Kriegshelden, antreten. Und landete schließlich im tschetschenischen Kaukasus, wo nach Stammesgesetzen gelebt wird und der Westen noch viel weiter weg ist als von Moskau aus gesehen. Er lernt dort Nura kennen, ein Mädchen aus dem Dorf, das ihm Hühner verkauft. Der Handel fliegt auf, Nura wird gefoltert, vergewaltigt. Am Ende ist sie tot.
Orlow möchte sich mit dieser Schuld nicht abfinden, kann das Geschehene nicht als Kollateralschaden einer größeren russischen Mission vor sich und der Welt rechtfertigen. Aber niemand will ihn und seine Kameraden wegen des Vorfalls zur Verantwortung ziehen. „Niemand wurde von der russischen Seite wegen Kriegsverbrechen angeklagt“, schreibt Haratischwili, „und vor allem nicht wegen eines Kriegsverbrechens in Tschetschenien.“ Also knickt auch Orlow in letzter Minute ein, sein Schweigen verschafft ihm eine Stellung im russischen Immobiliengeschäft, er kommt zu Macht und Geld. Von jetzt an heißt er „General“.
Dieser General ist die wichtigeste und schwierigste Figur des Romans. An ihm dekliniert Haratischwili die These des Buches durch. Ein weichherziger Mensch, den der Krieg zum Täter macht. Einer, der danach versucht, weiter zu leben, aber scheitern muss. In Zeiten, in denen Kriege überall auf der Welt genau jetzt jede Menge Generäle produzieren, eine nachdenklich stimmende Ausgangssituation. Im Roman wird jeder, der mit dem General in Kontakt kommt, entweder zum Mitwisser, zu seinem Verteidiger oder zu seinem Gegenspieler. Wie auf dem Reißbrett arrangiert Haratischwili sämtliche Figuren um ihn herum. Da ist der Journalist Onno Bender, der in Ermangelung eigener traumatischer Erlebnisse denen anderer nachspürt. Da ist des Generals engelsgleiche Tochter Ada, die glauben will, dass ihr Vater kein Kriegsverbrecher ist. Und dann ist da Katze, seine Gegenspielerin, die andere Figur aus dem Titel des Buches. Eine junge Schauspielerin, die mit ihrer Familie vor dem Georgienkrieg nach Deutschland geflohen ist. Katze heißt so, weil sie als Kind geschickt Wände hochklettern konnte.
Sie wird als besonders bedeutend für den großen Gerechtigkeits-Feldzug inszeniert, zu dem sich der General zwanzig Jahre nach dem Verbrechen entschließt: „Ja, ich möchte meinen ganz eigenen Gerichtsprozess. Ich werde die Männer ausfindig machen, die beteiligt waren. Ich werde sie zusammenbringen, und ich werde uns allen ein Urteil fällen“, sagt der General. Katze soll, weil sie dem getöteten Mädchen gleicht, ein Video drehen und die Mittäter darin nach Tschetschenien einladen.
So geht das nicht, hätte ein strenger Dramaturg spätestens an dieser Stelle gesagt: Das ist zu unlogisch. Warum wird Katze als so absolut unverzichtbar gezeichnet, obwohl der General sowieso über alle Mittel verfügt, seine drei Mittäter zu erpressen? Und wozu braucht es eigentlich diesen schlaffen Journalisten, der das ganze Unterfangen als Chronist begleitet und als einziger aus der Ich-Perspektive erzählt?
Klar, die Ähnlichkeit zwischen Nura und Katze ist bezeichnend: Dort das tschetschenische Mädchen, das zum Opfer des Krieges wurde, wo es doch raus wollte aus der Enge des Dorfes, Ärztin werden oder Schauspielerin. Hier ein georgisches Mädchen, das dem Krieg entkam und in Deutschland das Leben lebt, das Nura gern gehabt hätte. In Katze (benannt nach einem Tier, dem mehrere Leben nachgesagt werden) wiederholt sich Nuras Schicksal – mit anderem Ausgang. In ihr sieht der General, was Nura genommen wurde. Nur für seinen Vergeltungsfeldzug bräuchte er sie wirklich nicht.
Immer wieder wird bei der Lektüre von „Die Katze und der General“ deutlich, dass sich die Autorin zwar jede Menge Gedanken gemacht, aber die Handlung ziemlich wild darum herum gezimmert hat. Sie weiß viel über die Kriege in Tschetschenien und es gelingt ihr passagenweise, dröge Fakten gut lesbar zu vermitteln, jedoch bleibt die Fleißarbeit dahinter sichtbar. Ausgiebig bastelt sie an den psychologischen Motiven der Figuren und doch agieren sie lediglich als Erfüllungsgehilfen ihrer Versuchsanordnung. Die bemühten Metaphern mit Tieren und Spielen, die Verweise auf antike Dramen liegen schwer auf der Geschichte und den hölzernen Dialogen. Was als Thriller angelegt ist, wird kaum spannender als ein Tatort am Sonntagabend. Nebenbei wimmelt der Roman von Phrasen. Da wird „an die Gurgel gesprungen“, „zur Salzsäule erstarrt“, „brechen Dämme“ und werden „Gelegenheiten beim Schopfe“ gepackt. Auch hier hätte der strenge Dramaturg straffen können. In Verlagen heißen die Dramaturgen bekanntlich Lektoren. Es ist anzunehmen, dass Haratischwili bei der Frankfurter Verlagsanstalt einen hatte. Aber der hatte wohl keine Lust, einzugreifen.
Für „Das achte Leben“ wurde Nino Haratischwili vor vier Jahren mit Isabel Allende verglichen, von vielen Seiten gelobt, ach was, geliebt und ausgezeichnet. Und immerhin, „Die Katze und der General“ hat es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft. Mag sein, dass Haratischwili die Geschichte des Zerfalls der Sowjetunion einfach am Herzen liegt, sie darin ihr Thema gefunden hat. Mag sein, dass ihr das ausgiebige Erschreiben fernster Handlungsufer einfach Freude macht. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie dem sich wohl selbst auferlegten Druck, ihren Erfolg von 2014 zu wiederholen, nicht standhalten konnte.
CHRISTIANE LUTZ
Wozu braucht es diesen schlaffen
Journalisten, der das Unterfangen
als Chronist begleitet?
Nino Haratischwili:
Die Katze und der General. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 2018. 763 Seiten, 30 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Jochen Hieber hätte nichts dagegen, schaffte es der neue Roman von Nino Haratischwili auf die Bestsellerlisten. Für große Literatur hält er den Text aber nicht. Zu wenig wuchtig das Geschehen, zu aufgesetzt und unglaubwürdig die Figurenpsychologie, meint er. Wie Haratischwili das Leben und Sterben ihrer zu Beginn der Handlung im Jahr 1994 17-jährigen Heldin zwischen Nordkaukasus und Berlin erzählt, zeugt für Hieber gleichwohl auch vom Talent der Autorin. Gelesen als "Gesellschafts-Thriller über ein Kriegsverbrechen", erklärt Hieber, funktioniert das Buch gut bis leidlich. Am besten noch in den Kapiteln mit einem allwissenden Erzähler, so der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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