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Ein österreichisches Dorf, die Pension Alpenrose. Unter den Gästen befinden sich zwei Frauen und ein Mann, vor denen "die Hunde nicht anschlagen", die mal zu leben scheinen, mal tot sind: Zombies. Sie schänden Leichname, kastrieren Autofahrer, feiern grausige Orgien - Vampire, die ihr Leben von den Lebenden zurückfordern. - Eine barocke Todesallegorie gegen Geschichtsverdrängung und Todesvergessenheit.

Produktbeschreibung
Ein österreichisches Dorf, die Pension Alpenrose. Unter den Gästen befinden sich zwei Frauen und ein Mann, vor denen "die Hunde nicht anschlagen", die mal zu leben scheinen, mal tot sind: Zombies. Sie schänden Leichname, kastrieren Autofahrer, feiern grausige Orgien - Vampire, die ihr Leben von den Lebenden zurückfordern. - Eine barocke Todesallegorie gegen Geschichtsverdrängung und Todesvergessenheit.
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Autorenporträt
Elfriede Jelinek, geboren 1946 und aufgewachsen in Wien, hat für ihr Werk eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. 2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.1995

Blutalmenrausch
Elfriede Jelinek in der Pension Austria / Von Ulrich Weinzierl

Sechs Jahre ist es her, daß Elfriede Jelinek ihre von der "Lust"-Lektüre gründlich durchgebeutelten Leser mit der Ermahnung entließ: "Aber nun rastet eine Weile!" Jetzt hat sie, nach Ablauf einer ordentlichen Schonfrist, zum nächsten epischen Streich ausgeholt, und abermals ist man davon recht benommen. Der Schädel brummt, als hätte ihn ein schwerer Brocken getroffen. Sechshundertsechsundsechzig paginierte Seiten umfaßt das jüngste Erzählwerk "Die Kinder der Toten" - Kenner raunen erschauernd, die Zahl sei des Teufels. In der Tat bedankt sich die Autorin bei einem "Satanismusforscher" für "wertvolle Anregungen". Über Vor- und Nachteile solcher Verbindung zur infernalischen Gelehrsamkeit und auch des angeblich kabbalistischen Mottos mögen sich Experten den Kopf zerbrechen. Laien registrieren mit freiem Auge etwas anderes: Elfriede Jelinek, die im Grunde immer schon Horror-Romane schrieb, ist nunmehr auch in puncto Genre am Ziel angelangt. Ob es sich dabei um einen Fortschritt handelt, sei vorderhand dahingestellt.

Näher betrachtet, erweist sich die Jelinek als furiose Heimatdichterin, als treue Tochter der Steiermark. Von diesem Landstrich kann und will sie nicht lassen. Die Hölle ist überall, dort jedoch, im Umkreis des Gnadenortes Mariazell, brutzelt's besonders schön. Auch die Pension Alpenrose liegt übrigens unfern von Elfriede Jelineks Geburtsstädtchen Mürzzuschlag. In der Gastwirtschaftsidylle und rundum herrscht wahrhaft gespenstisches Treiben - zumindest die Hauptakteure sind echte Leichen auf Urlaub. Die Philosophiestudentin Gudrun Bichler zum Beispiel hat sich einst aus Angst vor den Abschlußprüfungen die Pulsadern aufgeschlitzt. Die verwitwete Sekretärin Karin Frenzel, allzeit unter der Fuchtel ihrer Mutter, ist - doppelt genäht hält besser - offenbar gleich zweimal gestorben: einerseits bei einem Busunglück, andererseits durch Sturz in einen Wildbach. Und der zum Sportartikelverkäufer degradierte ehemalige Skirennfahrer Edgar Gstranz verendete an einer Mauer, gegen die sein Auto stieß. Gelebt im Wortsinn hat keiner von diesen Wiedergängern.

Praktischerweise gelten für Untote die Gesetze der Zeit nicht, also hüpfen sie munter und zur Verwirrung des Publikums zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Ihre Lieblingsbeschäftigung scheint die wichtigste Nebensache der Welt zu sein: Sex in allen erdenklichen Variationen. Wie in Elfriede Jelineks OEuvre üblich, entpuppt sich die Unzucht auch in jedem Zombie-Fall als trübselige, garantiert unerotische Angelegenheit: Ob nun der verblichene Edgar Gstranz als erbärmliches Pisten-Aas auf einer Bergwiese masturbiert, ob die weiland ältliche Madame Frenzel postum einen Herrenfahrer vergewaltigt, kastriert und ausweidet, oder ob zwei sehr kopflose, weil debile und durch Doppelselbstmord umgekommene Förstersöhne miteinander inzestuöser Nekrophilie frönen - die Erzählerin wirft auf die Unterleibschoreographie ihrer Figuren stets den nüchternen Blick der Geschlechtsstellungskriegsberichterstatterin. Mit kühler Leidenschaft nützt sie sämtliche Ekelmöglichkeiten, die der Verwesungsprozeß bietet, auch den Vorzügen von Vampirismus und Kannibalismus ist sie nicht abhold. Freilich stört daran weniger die sorgsam kalkulierte Unappetitlichkeit - ein robuster Magen kann trotzdem kaum schaden - als die aus dem Gleichgewicht geratene ästhetische Balance. Denn auf diese durchaus dröhnende Weise wird das ursprüngliche, das politische Thema des Totentanzes für großes Sprachorchester in den Hintergrund gedrängt. Dann hilft auch die Gleichung vom Geschichtsraum, "der eigentlich ein Geschlechtsraum ist", fast gar nichts.

Das neue, republikanische Haus Österreich, meint Elfriede Jelinek nämlich, sei auf dem unsicheren Fundament von Millionen verleugneter Ermordeter errichtet worden. Eine gelinde Übertreibung, keine Frage, allein - in ihr steckt das für die dichterische Praxis erforderliche Körnchen Wahrheit. Die verdrängten Nazi-Verbrechen ertönen als Leitmotiv, das schließlich ins Katastrophenfinale mündet. Touristisch geschändete Natur verbündet sich mit den Opfern unter der Erde: Eine riesige Mure zermalmt die Pension Alpenrose. In Schlamm und Geröll tauchen bei den Bergungsarbeiten eine Unmenge Haare auf. Es sind jene der Vergasten.

Sogar eine weit ausführlichere Inhaltsangabe würde dem Band schwerlich gerecht. Nicht was die Jelinek erzählt, sondern wie sie es erzählt, entscheidet über den künstlerischen Rang ihrer Prosa. Dieser sogenannte Roman ist in Wirklichkeit eine gewaltige Textmaschine, die - einmal angeworfen - keinen Stillstand zu kennen scheint. Elfriede Jelinek verfügt über ein unverwechselbares Kunstidiom, mehr als die rationale Konstruktion schätzt sie das ungehemmte Assoziieren von extremen Metaphern. Virtuos verdreht sie Sinn und Laut, sie ist verliebt in Assonanzen, in Stab- und Endreime. Der Tradition bedient sie sich gerne, in teils verkappten, teils direkten Zitaten bezieht sie sich etwa auf Ingeborg Bachmann, Walter Benjamin und Thomas Bernhard, auf Celan und Rilke und Heine, Hofmannsthal, Shakespeare, Qualtinger und Wilhelm Müllers "Winterreise"-Melancholie. Und was täte sie ohne den Fundus von Liturgie und Bibel, ohne das Trampolin aus frommen Liedern und erbaulichen Hymnen! Gleichermaßen vermischt sie ihre Suada mit Schlagerfetzen und Werbesprüchen, den Verblödungsslogans der Warenwelt und der Trivialmythen. Der Zweck liegt auf der Hand: Denk- und Verhaltensklischees höhnisch zu entlarven und zu denunzieren, verhaßter Ideologie an die Gurgel zu springen.

Elfriede Jelinek huldigt einem ebenso heiklen wie fruchtbaren Prinzip, dem des Kalauers. Heikel deshalb, weil sich der Produzent selten von mißratenen Produkten zu trennen vermag. Selbstkritik und daraus folgende Kindesweglegung sind indes hier oberste Pflicht. Wer sie vernachlässigt, sinkt zwangsläufig unter sein Niveau. Die bewußt schiefen Bilder, Stilbrüche und Sinnverrückungen müssen - gleichsam in einem aufblitzenden Erkenntnismoment - ein Quentchen verborgener Realität zum Vorschein bringen, damit die Mechanik nicht klappernd leerläuft und auf Dauer anödet. Lakonie und verbale Strenge gehören heute allerdings keineswegs zu den Stärken der Schriftstellerin Jelinek. Das heißt: Dieses Buch enthält fabelhafte Passagen und ungemein langweilige, geschliffene Formulierungen und taubes Wortgestein, das nichts transportiert als baren Unsinn. Auch "Die Kinder der Toten" zählen daher, wie bei Elfriede Jelinek nachzulesen, zu den "Dichtungen, die leider manchmal undicht werden".

Es ist ein Jammer: Niemand kann wie sie den Troß der feschen österreichischen Rechten um Jörg Haider porträtieren - mit einer analytischen Präzision und poetischen Leichtigkeit, die ihresgleichen suchen. Die Wut ist ihre Muse und macht sie, so es gutgeht, nicht blind, sondern spracherfinderisch und elegant zugleich. Elfriede Jelinek verfügt über bösen Witz und einen aus Trauer geborenen Zynismus. Ihr gelingen beneidenswerte, unvergeßliche Bilder wie das von den apokalyptischen Rössern, die vor einen Wiener Fiaker gespannt sind. Sie ist imstande, in einem einzigen Satz die ganze Hoffnungslosigkeit der Existenz auszudrücken: "Nichts als Essen begrenzt die Zeit der Alternden." Und über die vermarkteten Naturwunder spottet sie trefflich: "die Beginnzeiten entnehmen Sie bitte dem beigelegten Händefaltblatt!"

Dergleichen Rühmliches gibt es bei ihr in Hülle und Fülle. Doch allzu oft erliegt die Jelinek der Verführung zum ärgerlich Wohlfeilen. Was soll man mit läppischen Buchstabengirlanden anfangen? Da rinnt plötzlich "der Estrich, der Anstrich des Lebens", aus Gudrun heraus, da "fährt der Bohrer in das Woher des zahnlosen Mundes". Seltsam, merkt sie den Qualitätsunterschied nicht, oder ist er ihr egal? Der Hang zum Nachlässigen provoziert zuweilen die Frage, ob wir Druckfehler vor uns haben oder bloß mangelnde Logik: Daß Außerkraftsetzen der Physik - wenn "zentripedal herausgeschleudert" wird - müßte Sprachfunken schlagen. Ohne literarischen Mehrwert wirkt es einfach töricht. Kurz um: Der austriakische Spuk-Comic "Die Kinder der Toten" ist ein dickes Requiem voll von glänzenden Stellen und kompositorischen Schwächen, beinahe wär's ein großes geworden.

Elfriede Jelinek: "Die Kinder der Toten". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 666 S., geb., 48,- DM.

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Die Toten erwachen und leben als Untote wieder auf. Sie entsteigen schmatzend der blutsatten, leichenfetten Erde und mischen sich mit den lustigen, den mordlustigen Alpen-Zombies oben zu einem Gespensterreigen ... Daß diese Spukhaftigkeit Österreichs etwas mit seiner verdrängten Vergangenheit zu tun habe, tönt als Cantus firmus durch den ganzen Text. Süddeutsche Zeitung