Produktdetails
- Piper Taschenbuch
- Verlag: Piper
- Gewicht: 178g
- ISBN-13: 9783492006828
- ISBN-10: 3492006825
- Artikelnr.: 24386207
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2008Meridiane der Verzweiflung
Robert Neumann lässt die Kriegskinder sprechen
Robert Neumann (1897 bis 1975) wird heute nur noch wenigen Lesern durch seine genialen Parodienbände "Mit fremden Federn" und "Unter falscher Flagge" bekannt sein, an denen sich nicht nur vor dem Krieg die Geister schieden. Über ihn schrieb der "Völkische Beobachter" 1938, er sei "das typische Beispiel für die semitische Zersetzung", seine Parodien seien Krankheit, "die Achtung vor der ewigen Größe des Schöpferischen ableugnet". Schon 1933 waren seine Werke verboten worden. Im Londoner Exil schrieb er in schlichtem Emigrantenenglisch über einige verwahrloste Kinder im Keller einer Ruine den kleinen Roman "The children of Vienna" (1946), der nichts mehr vom geistreichen Sprachspieler an sich zu haben schien. Es war ein Stück engagierter Literatur, das die Siegermächte an das Schicksal der Kinder der Besiegten erinnern sollte, und tatsächlich erregte das Buch in England und Amerika einiges Aufsehen. 1948 erschien in Amsterdam eine deutsche Übersetzung von Franziska Becker, Neumanns damaliger Ehefrau.
Erst ein Jahr vor seinem Freitod schrieb der an Krebs erkrankte Neumann die eigene deutsche Fassung "Die Kinder von Wien", die nun in der "Anderen Bibliothek" wieder vorliegt. Neumann konzipierte sie als Denkmal der Gestorbenen und ihrer Sprache. Das in der englischen Version schon spärliche Wiener Lokalkolorit nahm er dafür noch weiter zurück: "Es kann jeder Keller gewesen sein überall, damals Anno fünfundvierzig, jenseits von dem Meridian der Verzweiflung." Die Anordnung der Erzählung gleicht eher der eines existentialistischen Bühnenstücks mit wenigen Requisiten. Ein Keller, aber mit funktionierendem Wasserklosett, von draußen der Klang einer Drehorgel. Wenige Personen haben sich hier zu einer Überlebensgemeinschaft gefunden: Jid, ein dem KZ entkommener Schwarzhändler, der blonde Goy, der im Verschickungslager war, Curls, der Erbe der Ruine, Ewa, minderjährige Prostituierte, und Ate, die ehemalige BDM-Führerin, kümmern sich schwatzend um ein halbverhungertes "Kindl" in einem Wagen.
Zu dieser Gemeinschaft stößt der schwarze Reverend Smith, der die Kinder umerziehen, später vor einem Altnazi retten will, der sich der Ruine bemächtigen will. Er wird aber verhaftet, weil er bezichtigt wird, mit Ewa verkehrt zu haben. Die Kinder werden zerstreut, das Klosett fällt an die Siegermächte. Im Keller findet man später einen erschossenen SS-Mann und ein totes Baby. Das ist schon die ganze Handlung. Verstörender ist die Sprache der Kinder: ein Kunstidiom aus Deutsch, Jiddisch, Rotwelsch, Amerikanisch, Polnisch und Russisch, vulgär, obszön und gebrochen. Hier kehrt der Sprachspieler wieder, aber mit ganz anderen Vorzeichen.
Beschädigte Sprache erscheint als Ausdruck der moralischen Katastrophe und des beschädigten Lebens, die gleichwohl dem Überleben jenseits der Moral dient. Das Experiment löste seinerzeit bei der Kritik Beurteilungen zwischen "unerträglich" und "große Literatur" aus, zwiespältige Gefühle erzeugt es noch heute. Die Neuausgabe setzt dem abstrakten Raum der Erzählung kontrapunktisch Fotografien von Ernst Haas (1921 bis 1968) entgegen, die er zwischen 1945 und 1948 im zerstörten Wien aufgenommen hat.
FRIEDMAR APEL
Robert Neumann: "Die Kinder von Wien". Roman. Mit einem Nachwort von Ulrich Weinzierl. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 264 S., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Neumann lässt die Kriegskinder sprechen
Robert Neumann (1897 bis 1975) wird heute nur noch wenigen Lesern durch seine genialen Parodienbände "Mit fremden Federn" und "Unter falscher Flagge" bekannt sein, an denen sich nicht nur vor dem Krieg die Geister schieden. Über ihn schrieb der "Völkische Beobachter" 1938, er sei "das typische Beispiel für die semitische Zersetzung", seine Parodien seien Krankheit, "die Achtung vor der ewigen Größe des Schöpferischen ableugnet". Schon 1933 waren seine Werke verboten worden. Im Londoner Exil schrieb er in schlichtem Emigrantenenglisch über einige verwahrloste Kinder im Keller einer Ruine den kleinen Roman "The children of Vienna" (1946), der nichts mehr vom geistreichen Sprachspieler an sich zu haben schien. Es war ein Stück engagierter Literatur, das die Siegermächte an das Schicksal der Kinder der Besiegten erinnern sollte, und tatsächlich erregte das Buch in England und Amerika einiges Aufsehen. 1948 erschien in Amsterdam eine deutsche Übersetzung von Franziska Becker, Neumanns damaliger Ehefrau.
Erst ein Jahr vor seinem Freitod schrieb der an Krebs erkrankte Neumann die eigene deutsche Fassung "Die Kinder von Wien", die nun in der "Anderen Bibliothek" wieder vorliegt. Neumann konzipierte sie als Denkmal der Gestorbenen und ihrer Sprache. Das in der englischen Version schon spärliche Wiener Lokalkolorit nahm er dafür noch weiter zurück: "Es kann jeder Keller gewesen sein überall, damals Anno fünfundvierzig, jenseits von dem Meridian der Verzweiflung." Die Anordnung der Erzählung gleicht eher der eines existentialistischen Bühnenstücks mit wenigen Requisiten. Ein Keller, aber mit funktionierendem Wasserklosett, von draußen der Klang einer Drehorgel. Wenige Personen haben sich hier zu einer Überlebensgemeinschaft gefunden: Jid, ein dem KZ entkommener Schwarzhändler, der blonde Goy, der im Verschickungslager war, Curls, der Erbe der Ruine, Ewa, minderjährige Prostituierte, und Ate, die ehemalige BDM-Führerin, kümmern sich schwatzend um ein halbverhungertes "Kindl" in einem Wagen.
Zu dieser Gemeinschaft stößt der schwarze Reverend Smith, der die Kinder umerziehen, später vor einem Altnazi retten will, der sich der Ruine bemächtigen will. Er wird aber verhaftet, weil er bezichtigt wird, mit Ewa verkehrt zu haben. Die Kinder werden zerstreut, das Klosett fällt an die Siegermächte. Im Keller findet man später einen erschossenen SS-Mann und ein totes Baby. Das ist schon die ganze Handlung. Verstörender ist die Sprache der Kinder: ein Kunstidiom aus Deutsch, Jiddisch, Rotwelsch, Amerikanisch, Polnisch und Russisch, vulgär, obszön und gebrochen. Hier kehrt der Sprachspieler wieder, aber mit ganz anderen Vorzeichen.
Beschädigte Sprache erscheint als Ausdruck der moralischen Katastrophe und des beschädigten Lebens, die gleichwohl dem Überleben jenseits der Moral dient. Das Experiment löste seinerzeit bei der Kritik Beurteilungen zwischen "unerträglich" und "große Literatur" aus, zwiespältige Gefühle erzeugt es noch heute. Die Neuausgabe setzt dem abstrakten Raum der Erzählung kontrapunktisch Fotografien von Ernst Haas (1921 bis 1968) entgegen, die er zwischen 1945 und 1948 im zerstörten Wien aufgenommen hat.
FRIEDMAR APEL
Robert Neumann: "Die Kinder von Wien". Roman. Mit einem Nachwort von Ulrich Weinzierl. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 264 S., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein glänzender Autor mit genialischen Zügen, (...) ein politischer Publizist und Polemiker von außergewöhnlichem Rang und nicht zuletzt einer der amüsantesten, geistreichsten Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts." Ulrich Weinzierl
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"Ein glänzender Autor mit genialischen Zügen, (...) ein politischer Publizist und Polemiker von außergewöhnlichem Rang und nicht zuletzt einer der amüsantesten, geistreichsten Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts." Ulrich Weinzierl
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"Ein glänzender Autor mit genialischen Zügen, (...) ein politischer Publizist und Polemiker von außergewöhnlichem Rang und nicht zuletzt einer der amüsantesten, geistreichsten Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts." Ulrich Weinzierl
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"Ein glänzender Autor mit genialischen Zügen, (...) ein politischer Publizist und Polemiker von außergewöhnlichem Rang und nicht zuletzt einer der amüsantesten, geistreichsten Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts." Ulrich Weinzierl
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