Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.1997Horrorvisionen vom gesteuerten Menschen
Der Einfluß der SED auf die evangelische Kirche
Martin G. Goerner: Die Kirche als Problem der SED. Strukturen kommunistischer Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945-1958. Akademie Verlag, Berlin 1997. 433 Seiten, 98,- Mark.
Die SED sah in den evangelischen Kirchen eine permanente Bedrohung ihres unbedingten Herrschaftsanspruchs. Bis zum Frühjahr 1953 hatte sie die Kirchen teils brutal bekämpft, teils zu integrieren versucht. Seit dem "Neuen Kurs" Ende Mai 1953 verfolgte die SED eine langfristig angelegte systematische Kirchenpolitik, die auf die Zurückdrängung der Kirchen aus der Öffentlichkeit und die Entkirchlichung der Bevölkerung zielte. Dazu baute sie einen umfangreichen bürokratischen Apparat zur Unterwanderung und Steuerung ihres wichtigsten ideologischen Konkurrenten auf. Mit souveräner Quellenkenntnis zeichnet der Berliner Historiker Goerner nun Ziele und Methoden der SED-Kirchenpolitik in den fünfziger Jahren nach.
Seit 1989 sind vorrangig das Verhältnis der Staatssicherheit zu den evangelischen Kirchen sowie das Handeln der kirchlichen Funktionseliten gegenüber dem Staat untersucht worden. Angesichts der Stasi-Kontakte prominenter Kirchenfunktionäre haben protestantische Ethik und politische Moral im Vordergrund gestanden. Ob die evangelischen Kirchen in der DDR eher einen Weg in die Anpassung gingen oder Kräfte der Resistenz blieben, wird kontrovers diskutiert. Mit Goerners neuer Perspektive auf den DDR-Protestantismus kann diese Frage jetzt präziser beantwortet werden.
Die SED betrieb gegenüber den evangelischen Kirchen einen weltanschaulichen Verdrängungskampf. Ihr Einfluß auf die große Mehrheit der DDR-Bevölkerung sollte unterbunden sowie die Reproduktion eines kirchlichen Milieus verhindert werden. Durch massive Einschränkung der Finanzen, Reglementierung der kirchlichen Bautätigkeit, Aufhebung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen sowie Behinderung kirchlicher Veranstaltungen wurden die Kirchen aus der Öffentlichkeit zu drängen versucht. "Fortschrittliche Kräfte" wie der Pfarrerbund sollten die Kirchen durch "Fraktionierung" von innen heraus schwächen. Einen wirklichen Transmissionsriemen für die Ziele der SED stellten solche Sympathisantenorganisationen nicht dar, weil die Landeskirchen in den fünfziger Jahren die Infiltration von "Spaltern" noch relativ gut verhindern konnten. Erst durch Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit konnte die SED in den sechziger Jahren einen begrenzten Einfluß auf kirchliche Entscheidungsprozesse gewinnen.
Obgleich sie die Methoden zur Kontrolle der evangelischen Kirchen in den späten fünfziger Jahren fortwährend perfektionierte, konnte sie elementare Zielkonflikte ihrer Kirchenpolitik niemals lösen. Sie wollte die evangelischen Kirchen schwächen, brauchte sie aber in internationalen kirchlichen Gremien für eine Anerkennung der DDR. Sie betrieb die Spaltung der gesamtdeutschen EKD und wollte über deutsch-deutsche protestantische Kommunikationsschienen zugleich die bundesdeutsche Öffentlichkeit beeinflussen.
Einerseits konnte die SED Ende der fünfziger Jahre wichtige Erfolge konstatieren. Sie hatte einen umfassenden bürokratischen Kontrollapparat aufgebaut, faktisch die EKD gespalten, eine Loyalitätserklärung der ostdeutschen Landeskirchen bekommen, mit der Jugendweihe ein Ersatzritual für die Konfirmation etabliert, die Kirchen aus dem Bildungswesen herausgedrängt und die Entkirchlichung breiter Bevölkerungsgruppen forciert. Andererseits liefen ihre Herrschaftstechniken häufig ins Leere. Mit ihrem positivistischen Gesellschaftsmodell und ihrem mechanistischen Menschenbild vermochte sie keine realistische Vorstellung der innerkirchlichen Kommunikation zu gewinnen. Der protestantische Pluralismus der Frömmigkeitsstile, Wertorientierungen und politischen Grundhaltungen blieb ihr fremd.
Vor den evangelischen Kirchen hatte die SED deshalb sehr viel mehr Angst als vor der römisch-katholischen Kirche, deren hierarchische Strukturen eine effizientere Steuerung zu ermöglichen schien. Da ihr der Eigensinn der christlichen Symbole verschlossen blieb, produzierte sie das abstruse Feindbild einer evangelischen Kirche, die nur im Dienste imperialistischer Mächte handele. Viele ihrer Steuerungsmaßnahmen blieben deshalb kontraproduktiv. Die kirchenpolitischen Bürokratien von Staat und Partei konnten in vielen Einzelfällen neutralisieren, zersetzen und verhindern, doch niemals die evangelische Kirche insgesamt steuern. Das kirchliche Resistenzpotential wurde über Jahrzehnte hinweg neutralisiert, aber nicht völlig ausgeschaltet. Insofern vermochte die SED ihre in den fünfziger Jahren formulierten kirchenpolitischen Ziele nur eingeschränkt zu erreichen.
Goerners Studie fasziniert durch die präzise Darstellung der theoretischen Grundlagen und den Reichtum der erschlossenen Quellen. Sie bietet, weit über das besondere Gebiet der Kirchenpolitik hinaus, eine Analyse der konspirativen Herrschaftstechniken der SED, die in vielem an George Orwells Horrorvisionen vom total gesteuerten Menschen erinnern. Als die SED 1953 die brutale stalinistische Unterdrückung der Kirchen aufgab und subtilere Instrumente für Einflußnahme und Kontrolle entwickelte, betrieb sie keineswegs eine Liberalisierung ihrer Herrschaft. Mit den verfeinerten Methoden sollte ihre Herrschaft nur perfektioniert werden. FRIEDRICH WILHELM GRAF
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Einfluß der SED auf die evangelische Kirche
Martin G. Goerner: Die Kirche als Problem der SED. Strukturen kommunistischer Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945-1958. Akademie Verlag, Berlin 1997. 433 Seiten, 98,- Mark.
Die SED sah in den evangelischen Kirchen eine permanente Bedrohung ihres unbedingten Herrschaftsanspruchs. Bis zum Frühjahr 1953 hatte sie die Kirchen teils brutal bekämpft, teils zu integrieren versucht. Seit dem "Neuen Kurs" Ende Mai 1953 verfolgte die SED eine langfristig angelegte systematische Kirchenpolitik, die auf die Zurückdrängung der Kirchen aus der Öffentlichkeit und die Entkirchlichung der Bevölkerung zielte. Dazu baute sie einen umfangreichen bürokratischen Apparat zur Unterwanderung und Steuerung ihres wichtigsten ideologischen Konkurrenten auf. Mit souveräner Quellenkenntnis zeichnet der Berliner Historiker Goerner nun Ziele und Methoden der SED-Kirchenpolitik in den fünfziger Jahren nach.
Seit 1989 sind vorrangig das Verhältnis der Staatssicherheit zu den evangelischen Kirchen sowie das Handeln der kirchlichen Funktionseliten gegenüber dem Staat untersucht worden. Angesichts der Stasi-Kontakte prominenter Kirchenfunktionäre haben protestantische Ethik und politische Moral im Vordergrund gestanden. Ob die evangelischen Kirchen in der DDR eher einen Weg in die Anpassung gingen oder Kräfte der Resistenz blieben, wird kontrovers diskutiert. Mit Goerners neuer Perspektive auf den DDR-Protestantismus kann diese Frage jetzt präziser beantwortet werden.
Die SED betrieb gegenüber den evangelischen Kirchen einen weltanschaulichen Verdrängungskampf. Ihr Einfluß auf die große Mehrheit der DDR-Bevölkerung sollte unterbunden sowie die Reproduktion eines kirchlichen Milieus verhindert werden. Durch massive Einschränkung der Finanzen, Reglementierung der kirchlichen Bautätigkeit, Aufhebung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen sowie Behinderung kirchlicher Veranstaltungen wurden die Kirchen aus der Öffentlichkeit zu drängen versucht. "Fortschrittliche Kräfte" wie der Pfarrerbund sollten die Kirchen durch "Fraktionierung" von innen heraus schwächen. Einen wirklichen Transmissionsriemen für die Ziele der SED stellten solche Sympathisantenorganisationen nicht dar, weil die Landeskirchen in den fünfziger Jahren die Infiltration von "Spaltern" noch relativ gut verhindern konnten. Erst durch Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit konnte die SED in den sechziger Jahren einen begrenzten Einfluß auf kirchliche Entscheidungsprozesse gewinnen.
Obgleich sie die Methoden zur Kontrolle der evangelischen Kirchen in den späten fünfziger Jahren fortwährend perfektionierte, konnte sie elementare Zielkonflikte ihrer Kirchenpolitik niemals lösen. Sie wollte die evangelischen Kirchen schwächen, brauchte sie aber in internationalen kirchlichen Gremien für eine Anerkennung der DDR. Sie betrieb die Spaltung der gesamtdeutschen EKD und wollte über deutsch-deutsche protestantische Kommunikationsschienen zugleich die bundesdeutsche Öffentlichkeit beeinflussen.
Einerseits konnte die SED Ende der fünfziger Jahre wichtige Erfolge konstatieren. Sie hatte einen umfassenden bürokratischen Kontrollapparat aufgebaut, faktisch die EKD gespalten, eine Loyalitätserklärung der ostdeutschen Landeskirchen bekommen, mit der Jugendweihe ein Ersatzritual für die Konfirmation etabliert, die Kirchen aus dem Bildungswesen herausgedrängt und die Entkirchlichung breiter Bevölkerungsgruppen forciert. Andererseits liefen ihre Herrschaftstechniken häufig ins Leere. Mit ihrem positivistischen Gesellschaftsmodell und ihrem mechanistischen Menschenbild vermochte sie keine realistische Vorstellung der innerkirchlichen Kommunikation zu gewinnen. Der protestantische Pluralismus der Frömmigkeitsstile, Wertorientierungen und politischen Grundhaltungen blieb ihr fremd.
Vor den evangelischen Kirchen hatte die SED deshalb sehr viel mehr Angst als vor der römisch-katholischen Kirche, deren hierarchische Strukturen eine effizientere Steuerung zu ermöglichen schien. Da ihr der Eigensinn der christlichen Symbole verschlossen blieb, produzierte sie das abstruse Feindbild einer evangelischen Kirche, die nur im Dienste imperialistischer Mächte handele. Viele ihrer Steuerungsmaßnahmen blieben deshalb kontraproduktiv. Die kirchenpolitischen Bürokratien von Staat und Partei konnten in vielen Einzelfällen neutralisieren, zersetzen und verhindern, doch niemals die evangelische Kirche insgesamt steuern. Das kirchliche Resistenzpotential wurde über Jahrzehnte hinweg neutralisiert, aber nicht völlig ausgeschaltet. Insofern vermochte die SED ihre in den fünfziger Jahren formulierten kirchenpolitischen Ziele nur eingeschränkt zu erreichen.
Goerners Studie fasziniert durch die präzise Darstellung der theoretischen Grundlagen und den Reichtum der erschlossenen Quellen. Sie bietet, weit über das besondere Gebiet der Kirchenpolitik hinaus, eine Analyse der konspirativen Herrschaftstechniken der SED, die in vielem an George Orwells Horrorvisionen vom total gesteuerten Menschen erinnern. Als die SED 1953 die brutale stalinistische Unterdrückung der Kirchen aufgab und subtilere Instrumente für Einflußnahme und Kontrolle entwickelte, betrieb sie keineswegs eine Liberalisierung ihrer Herrschaft. Mit den verfeinerten Methoden sollte ihre Herrschaft nur perfektioniert werden. FRIEDRICH WILHELM GRAF
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