Der süddeutsche Barock und dessen späte Sonderspielart, das bayerische Rokoko, waren vor allem im Kirchenbau der glanzvolle Schlussakkord einer langen Tradition, bevor im Klassizismus eine neue Entwicklung einsetzte. Bis heute ist das Land von den Barockkirchen geprägt. Es sind nicht zuletzt diese Kirchen, die das alte Herzogtum Bayern mit der Residenzstadt München, die Oberpfalz sowie Oberschwaben mit den großen Reichsabteien trotz ausgeprägter regionaler Eigenarten zu einer zusammenhängenden Kunstlandschaft machen. Den Reichtum an Kirchenbauten und architektonischen Ideen zu erfassen, zu ordnen und übersichtlich darzustellen ist das Ziel dieses Buches. Nach einer historischen Einleitung, in der auch die Grundlagen des Bauens von den Säulenordnungen bis hin zur Finanzierung behandelt sind, werden die verschiedenen Bautypen vorgestellt und anhand der entscheidenden Prägebauten in ihrer Entwicklung aufgezeigt. Auf diese Weise entsteht ein einprägsames Bild dieser Architekturepoche
in ihren großen Zügen. Zugleich werden bei den Einzelbauten in kurzen, prägnanten Analysen nicht nur die Bauidee, sondern auch der künstlerische Rang bestimmt. Der Leser wird zum angemessenen »Sehen« von Barockarchitektur angeleitet und somit zueinem vertieften Verständnis.
in ihren großen Zügen. Zugleich werden bei den Einzelbauten in kurzen, prägnanten Analysen nicht nur die Bauidee, sondern auch der künstlerische Rang bestimmt. Der Leser wird zum angemessenen »Sehen« von Barockarchitektur angeleitet und somit zueinem vertieften Verständnis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2001Traumpaß in die Tiefe des Sakralraums
Schräge Blicke zum Barock: Bernhard Schütz weist den Kirchen im Südosten Deutschlands ihre Plätze an
Dieses Buch füllt eine seit Generationen bestehende Lücke. Nach Max Hauttmanns 1921 in erster, 1922 in zweiter Auflage erschienenen "Geschichte der kirchlichen Baukunst in Bayern/Schwaben und Franken" ist keine zusammenfassende Entwicklungsgeschichte über eines der nach Qualität und Vielfalt reichsten Kapitel der Architektur in Deutschland mehr geschrieben worden. Seither erschienen zahllose Monographien über herausragende Einzelwerke und zusammenfassende Publikationen, in denen ebenfalls Bauten von zentraler Bedeutung monographisch aneinandergereiht wurden.
Bernhard Schütz, der 1986 die bislang beste Monographie über Balthasar Neumann herausbrachte und 1999 einen vorbildlichen Führer über Neresheim vorlegte, betrachtet in seinem neuen Buch ausschließlich die Architektur unter ausdrücklichem Verzicht auf Deckenmalerei, Skulptur und Ornament. Im Anschluß an kurze einleitende Kapitel über historische Voraussetzungen sowie Baumeister und Baumeistersippen gliedert der Autor die Fälle des Materials in die beiden Hauptteile Longitudinalbau und Zentralbau, denen er eigene Abschnitte über Ottobeuren als Summe aller zwischen 1580 und der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entwickelten gestalterischen Ideen, über Wiblingen als "Schlußpunkt einer großen Tradition" und schließlich die Fassaden folgen läßt.
Der Ansatz von Schütz ist ebenso innovativ wie überzeugend. Endlich erhält die süddeutsche Architektur vor dem Dreißigjährigen Krieg, meist nur kurz gestreift, das gebührende Gewicht. Zu Recht betont der Autor die zukunftsweisende Bedeutung der Studienkirche in Dillingen, die neben der Jesuitenkirche Sankt Michael in München - möglicherweise sogar in noch höherem Grade - erstmals den Rang eines "Gründungsbaues" erhält. Ähnlich wird, nun freilich aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, neben Freystadt die Bedeutung der Pfarrkirche in Murnau für die weitere Entwicklung des Zentralbaues herausgestellt.
Die fast unübersehbare Fülle des Materials ordnet sich durch die Untergliederung des Textes gemäß bestimmter Raumformen, wobei in der Folge der Längsbauten mit dem Abschnitt "über die Bauweise mit geschichteten Reliefwänden" eine besonders glückliche Formulierung gelingt. In dem Geflecht von Entwicklungslinien, Vorbildern, wechselseitigen Beeinflussungen, das der Autor souverän überschaut, erhält das einzelne Werk jeweils die ihm angemessene Würdigung. Aus vielen Beispielen seien die Rauminterpretationen von Steinhausen und von Reisach herausgegriffen, dem hier zum ersten Mal der angemessene Platz zugewiesen wird. Zudem bietet das Buch nahezu Neuentdeckungen wie etwa die ehemalige Stiftskirche in Stuben am Inn.
Es ist Kennzeichen jeder hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit, daß sie nicht nur eine Fülle von neuen Thesen und Perspektiven enthält, sondern zugleich zum Weiterdenken und damit zum Fragen anregt. Läßt nicht möglicherweise die so anfallende Verwendung des "syrischen Bogens" (letztlich ein der Wand plastisch vorgeblendetes Serliana-Motiv) in Murnau, Reisach und Lenggries auf einen wie immer gearteten Werkstattzusammenhang schließen, wenn die Quellenlage sich dem vorläufig auch zu widersetzen scheint? Könnten die Werke der Brüder Johann Baptist und Ignaz Anton Gunetsrhainer auf der Grundlage der zahlreichen gesicherten Werke von Johann Baptist noch klarer gegeneinander abgegrenzt werden? Ist Schäftlarn mit seinem Auseinandertreten von tatsächlichen und optisch erfahrbaren Maßen nicht vorwiegend ein Werk Johann Michael Fischers, der ein Meister in der Umformung von vorgegebenen Maßen und anschaulicher Erscheinung war, wie Schütz das am Beispiel von Zwiefalten selber überzeugend nachweist? Und schließlich: Hatten gotische Strukturprinzipien, von Schütz keineswegs außer acht gelassen, nicht noch größere Bedeutung? Fragen, keine Einwände.
Schütz löst mit seinem Buch in gewisser Weise die Quadratur des Kreises: Er bietet dem Kenner eine Fülle an neuem Material und neuen Einsichten, und zugleich gibt er in seinem anschaulich, ohne überflüssigen Fachjargon geschriebenen Text jedem Interessierten ohne Voraussetzung von Fachwissen ein Handbuch zum richtigen "Lesen" und damit Verstehen barocker Räume - und darüber hinaus von Architektur schlechthin - an die Hand.
Die Ausstattung mit Farb- und Schwarzweißtafeln sowie 168 Grundrissen, Schnitten und Umzeichnungen ist vorbildlich. Schon ein Blick in den Tafelteil, der anstelle der in anderen Publikationen immer wiederkehrenden Axialansichten zahlreiche Schrägblicke und Details zum Vorschein bringt, erweist die Absicht des Verfassers, die Räume verstehen zu lernen. Hier ist ein Standardwerk entstanden, das auf lange Sicht hin nicht übertroffen werden dürfte.
MANFRED WUNDRAM
Bernhard Schütz: "Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780". Aufnahmen von Albert Hirmer. Hirmer Verlag, München 2000. 336 S., 248 Abb. im Text, 144 Farb- und S/W-Tafeln, geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schräge Blicke zum Barock: Bernhard Schütz weist den Kirchen im Südosten Deutschlands ihre Plätze an
Dieses Buch füllt eine seit Generationen bestehende Lücke. Nach Max Hauttmanns 1921 in erster, 1922 in zweiter Auflage erschienenen "Geschichte der kirchlichen Baukunst in Bayern/Schwaben und Franken" ist keine zusammenfassende Entwicklungsgeschichte über eines der nach Qualität und Vielfalt reichsten Kapitel der Architektur in Deutschland mehr geschrieben worden. Seither erschienen zahllose Monographien über herausragende Einzelwerke und zusammenfassende Publikationen, in denen ebenfalls Bauten von zentraler Bedeutung monographisch aneinandergereiht wurden.
Bernhard Schütz, der 1986 die bislang beste Monographie über Balthasar Neumann herausbrachte und 1999 einen vorbildlichen Führer über Neresheim vorlegte, betrachtet in seinem neuen Buch ausschließlich die Architektur unter ausdrücklichem Verzicht auf Deckenmalerei, Skulptur und Ornament. Im Anschluß an kurze einleitende Kapitel über historische Voraussetzungen sowie Baumeister und Baumeistersippen gliedert der Autor die Fälle des Materials in die beiden Hauptteile Longitudinalbau und Zentralbau, denen er eigene Abschnitte über Ottobeuren als Summe aller zwischen 1580 und der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entwickelten gestalterischen Ideen, über Wiblingen als "Schlußpunkt einer großen Tradition" und schließlich die Fassaden folgen läßt.
Der Ansatz von Schütz ist ebenso innovativ wie überzeugend. Endlich erhält die süddeutsche Architektur vor dem Dreißigjährigen Krieg, meist nur kurz gestreift, das gebührende Gewicht. Zu Recht betont der Autor die zukunftsweisende Bedeutung der Studienkirche in Dillingen, die neben der Jesuitenkirche Sankt Michael in München - möglicherweise sogar in noch höherem Grade - erstmals den Rang eines "Gründungsbaues" erhält. Ähnlich wird, nun freilich aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, neben Freystadt die Bedeutung der Pfarrkirche in Murnau für die weitere Entwicklung des Zentralbaues herausgestellt.
Die fast unübersehbare Fülle des Materials ordnet sich durch die Untergliederung des Textes gemäß bestimmter Raumformen, wobei in der Folge der Längsbauten mit dem Abschnitt "über die Bauweise mit geschichteten Reliefwänden" eine besonders glückliche Formulierung gelingt. In dem Geflecht von Entwicklungslinien, Vorbildern, wechselseitigen Beeinflussungen, das der Autor souverän überschaut, erhält das einzelne Werk jeweils die ihm angemessene Würdigung. Aus vielen Beispielen seien die Rauminterpretationen von Steinhausen und von Reisach herausgegriffen, dem hier zum ersten Mal der angemessene Platz zugewiesen wird. Zudem bietet das Buch nahezu Neuentdeckungen wie etwa die ehemalige Stiftskirche in Stuben am Inn.
Es ist Kennzeichen jeder hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit, daß sie nicht nur eine Fülle von neuen Thesen und Perspektiven enthält, sondern zugleich zum Weiterdenken und damit zum Fragen anregt. Läßt nicht möglicherweise die so anfallende Verwendung des "syrischen Bogens" (letztlich ein der Wand plastisch vorgeblendetes Serliana-Motiv) in Murnau, Reisach und Lenggries auf einen wie immer gearteten Werkstattzusammenhang schließen, wenn die Quellenlage sich dem vorläufig auch zu widersetzen scheint? Könnten die Werke der Brüder Johann Baptist und Ignaz Anton Gunetsrhainer auf der Grundlage der zahlreichen gesicherten Werke von Johann Baptist noch klarer gegeneinander abgegrenzt werden? Ist Schäftlarn mit seinem Auseinandertreten von tatsächlichen und optisch erfahrbaren Maßen nicht vorwiegend ein Werk Johann Michael Fischers, der ein Meister in der Umformung von vorgegebenen Maßen und anschaulicher Erscheinung war, wie Schütz das am Beispiel von Zwiefalten selber überzeugend nachweist? Und schließlich: Hatten gotische Strukturprinzipien, von Schütz keineswegs außer acht gelassen, nicht noch größere Bedeutung? Fragen, keine Einwände.
Schütz löst mit seinem Buch in gewisser Weise die Quadratur des Kreises: Er bietet dem Kenner eine Fülle an neuem Material und neuen Einsichten, und zugleich gibt er in seinem anschaulich, ohne überflüssigen Fachjargon geschriebenen Text jedem Interessierten ohne Voraussetzung von Fachwissen ein Handbuch zum richtigen "Lesen" und damit Verstehen barocker Räume - und darüber hinaus von Architektur schlechthin - an die Hand.
Die Ausstattung mit Farb- und Schwarzweißtafeln sowie 168 Grundrissen, Schnitten und Umzeichnungen ist vorbildlich. Schon ein Blick in den Tafelteil, der anstelle der in anderen Publikationen immer wiederkehrenden Axialansichten zahlreiche Schrägblicke und Details zum Vorschein bringt, erweist die Absicht des Verfassers, die Räume verstehen zu lernen. Hier ist ein Standardwerk entstanden, das auf lange Sicht hin nicht übertroffen werden dürfte.
MANFRED WUNDRAM
Bernhard Schütz: "Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780". Aufnahmen von Albert Hirmer. Hirmer Verlag, München 2000. 336 S., 248 Abb. im Text, 144 Farb- und S/W-Tafeln, geb., 148,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach Manfred Wundram ist dies die erste "zusammenfassende Entwicklungsgeschichte" zu diesem Thema seit 80 Jahren und hat gute Aussichten, für lange Zeit ein Standardwerk zu sein. Wundram weist dabei darauf hin, dass Schütz absichtlich nicht auf Deckenmalerei und Ornament eingeht, sondern neben Baumeistern auf "Longitudinalbau und Zentralbau", Einflüsse und den geschichtlichen Rahmen dieser Bauten. Nach Wundram lässt diese Studie keine Wünsche offen: es gibt Neuentdeckungen, anregende Fragestellungen, eine große Materialfülle und richtet sich gleichermaßen an Laien wie Kenner, findet er. Darüber hinaus sei der Band gut lesbar und ohne "überflüssigen Fachjargon" verfasst worden. Auch die Ausstattung mit vielen Bildtafeln, Grundrissen, Schnitten etc. findet Wundram "vorbildlich".
© Perlentaucher Medien GmbH
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