"Die Kirschendiebin" erzählt die Lebensgeschichten von Thomas Falkenhain und Melina Weiss, genannt Mela. Sie lernten sich vor 50 Jahren beim Studium kennen und verliebten sich. Melina, damals schon verheiratet und Mutter eines Kindes, ging wenig später mit ihrem Mann Werner, einem politisch
unbequemen Dokumentarfilmregisseur, nicht ganz freiwillig aus der DDR in den Westen. Thomas blieb im Osten.…mehr"Die Kirschendiebin" erzählt die Lebensgeschichten von Thomas Falkenhain und Melina Weiss, genannt Mela. Sie lernten sich vor 50 Jahren beim Studium kennen und verliebten sich. Melina, damals schon verheiratet und Mutter eines Kindes, ging wenig später mit ihrem Mann Werner, einem politisch unbequemen Dokumentarfilmregisseur, nicht ganz freiwillig aus der DDR in den Westen. Thomas blieb im Osten. Die Liebesbeziehung von Thomas und Melina, über die der Leser beim Lesen erst allmählich mehr und mehr Details erfährt, brach damit jäh ab.
Der Aufbau des Buches folgt der Metapher vom Buchenzwiesel, die für die Lebenswege von Thomas und Melina steht. Wie die zwei Stämme der Buche sich voneinander trennen, nebeneinander her wachsen und sich weiter oben wieder begegnen, verlaufen Thomas' und Melinas Wege durchs Leben: einander räumlich nahe, aber unerreichbar füreinander durch die Teilung Deutschlands.
Im ersten Teil des Buches blickt Thomas Falkenhain auf sein Leben vor und nach der Wende zurück und erinnert sich an Mela. Diese Erinnerungen werden wieder aktuell durch den Einblick in seine Stasi-Akte, in der sich Briefe von Melina befinden, die er nie erhalten hat.
Im zweiten Teil erzählt Melina ihr Leben, in der Ich-Form. Hier werden die Lücken gefüllt, die Melinas Geschichte in Thomas' Erinnerung zwangsläufig aufweist.
Im dritten Teil schließlich begegnen sich die beiden als alte Menschen von bald 80 Jahren in Rom zufällig wieder, wohin es sie beide aufgrund eines Stipendiums verschlagen hat. Sie knüpfen an ihre Liebe von damals an, und auch dieses Kapitel hält noch Entwicklungen und Überraschungen bereit. Alles ist durchzogen von leicht melancholischer Grundstimmung und Traurigkeit, wozu auch beide Grund haben, trotzdem scheinen beide ihren Frieden mit der Vergangenheit gemacht zu haben.
Helga Schütz erzählt in eigenwilliger, poetischer und klarer Sprache, in kurzen und manchmal sehr kargen, aber treffenden Sätzen. Wer die DDR-Zeit nicht erlebt hat, versteht eventuell nicht jeden Bezug und jede Anspielung. Man muss aufmerksam lesen, damit einem keine der manchmal nur knapp erwähnten, aber dennoch wichtigen Einzelheiten entgeht. Ich habe diesen poetischen originellen Stil sehr genossen. Der zeitgeschichtliche Aspekt ist mit der Liebesgeschichte unaufdringlich verknüpft und ist interessant genug, dass dieses Buch durchaus anspruchsvoll und keineswegs ein seichter Liebesroman ist.
Ein Buch, das trotz seiner Kürze nicht schnell gelesen ist, da aus jedem Satz sehr viel herauszuholen ist und in dem man sicher auch beim wiederholten Lesen noch Details findet, die einem bisher entgangen sind.