Der letzte Roman einer der bedeutendsten chinesischen Erzählerinnen der Moderne
Zhao Jue lebt in New York, arbeitet als Dolmetscherin für die UN. In einer Zeitschrift entdeckt sie das Foto einer ehemaligen Mitschülerin. Ihre Freundin lebt inzwischen mit ihrem deutschen Mann in Washington, es ist 1975, China und die USA nähern sich nach dem Besuch von Nixon langsam an. Zhao Jue erinnert sich an die Schulzeit im Schanghai der Dreißigerjahre, an das sexuelle Erwachen der Freundinnen. Wie Eileen Chang überwirft sich Zhao Jue mit der Familie, widersetzt sich deren Heiratsplänen und hält sich während der japanischen Besetzung mit Schmuggel über Wasser. In Amerika begegnet sie Vorurteilen, lernt aber auch die Freiheit kennen.
Eileen Chang ist die bedeutendste chinesische Erzählerin der Moderne. Ende der Siebzigerjahre schrieb sie Die Klassenkameradinnen, verbot jedoch eine Veröffentlichung zu Lebzeiten, da der Text eigene Erlebnisse verarbeitet.
"Sie ist ein gefallener Engel der chinesischen Literatur." Ang Lee
"Ihre Erzählungen präsentieren ein Stück literarischen Existenzialismus." Tilman Spengler
"Die Meisterin der modernen chinesischen Literatur." The New York Times
Zhao Jue lebt in New York, arbeitet als Dolmetscherin für die UN. In einer Zeitschrift entdeckt sie das Foto einer ehemaligen Mitschülerin. Ihre Freundin lebt inzwischen mit ihrem deutschen Mann in Washington, es ist 1975, China und die USA nähern sich nach dem Besuch von Nixon langsam an. Zhao Jue erinnert sich an die Schulzeit im Schanghai der Dreißigerjahre, an das sexuelle Erwachen der Freundinnen. Wie Eileen Chang überwirft sich Zhao Jue mit der Familie, widersetzt sich deren Heiratsplänen und hält sich während der japanischen Besetzung mit Schmuggel über Wasser. In Amerika begegnet sie Vorurteilen, lernt aber auch die Freiheit kennen.
Eileen Chang ist die bedeutendste chinesische Erzählerin der Moderne. Ende der Siebzigerjahre schrieb sie Die Klassenkameradinnen, verbot jedoch eine Veröffentlichung zu Lebzeiten, da der Text eigene Erlebnisse verarbeitet.
"Sie ist ein gefallener Engel der chinesischen Literatur." Ang Lee
"Ihre Erzählungen präsentieren ein Stück literarischen Existenzialismus." Tilman Spengler
"Die Meisterin der modernen chinesischen Literatur." The New York Times
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mark Siemons kann in diesem späten, in den USA entstandenen Text von Eileen Chang kaum Spuren der alten literarischen Größe der Autorin entdecken. Fort die Coolness der Figuren, die "resonanzreiche Verschlingung der Bedeutungsebenen" und der "Sinn für Mode oder sexuelle Ambivalenzen". Für Siemons scheint der Sinn des fiktionalen Rahmens ohnehin eher darin zu bestehen, Autobiografisches darin unterzubringen. Allzu viel Konkretes aus der US-amerikanischen Lebenswelt der Autorin bietet der Text laut Siemons allerdings gar nicht, und was darüber zu lesen ist, ist "fast ausnahmslos bitter" und im Stil "durchweg hölzern".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2020Als sie nach Amerika kam, schwand ihre Faszination für alles Westliche
Das letzte Prosastück der chinesischen Erfolgsschriftstellerin Eileen Chang erscheint nun auf Deutsch - was bleibt darin von ihrem Sinn für Mode und sexuelle Ambivalenz?
Am 30. September wäre Eileen Chang hundert Jahre alt geworden. Sie ist eine der wichtigsten chinesischen Schriftstellerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts, doch den größeren Teil ihres von 1920 bis 1995 währenden Lebens, nämlich vierzig Jahre, verbrachte sie in Amerika. Während dieser Zeit schrieb sie, deren Ruhm sich auf die ebenso gewitzte wie melancholische Beschreibung des modernen chinesisch-westlichen Beziehungslebens gegründet hatte, keine Zeile mehr über die Gegenwart. Chang vergrub sich in die Vergangenheit: in die eigene, indem sie alte Erinnerungen aufschrieb und frühere Texte überarbeitete, und in die Vergangenheit Chinas, indem sie Klassiker wie den "Traum der roten Kammer" ins Englische übersetzte.
Nachdem ihr zweiter Mann, der nicht zuletzt wegen seiner Freundschaften etwa mit Bertolt Brecht und Wallace Stevens bekannte Drehbuchautor Ferdinand Reyher, 1967 nach langer Krankheit gestorben war, zog sie sich immer mehr zurück. 1995 wurde sie in ihrem Appartement in Los Angeles gefunden, nachdem sie schon Tage tot war. Jetzt ist ihr letzter, 1978 geschriebener fiktionaler Text auf Deutsch erschienen, und es ist der einzige, wie dem Nachwort der Übersetzerinnen Susanne Hornfeck und Wang Jue zu entnehmen ist, in dem ihre amerikanischen Erfahrungen überhaupt vorkommen. Geben diese achtzig Seiten nun näheren Aufschluss über das, was mit ihr in den Vereinigten Staaten geschehen ist?
Der Verlag bezeichnet den Text als Novelle, aber das ist er eigentlich nicht, auch kein Roman, keine Erzählung - dazu gibt es darin zu viele lose Enden von Namen und Details, die gar keine Bedeutung für den Fortgang des Erzählten haben. Es ist aber auch kein Memoir: Trotz mancher Parallelen der Hauptperson Zhao Jue zum Leben der Autorin stimmen viele konkrete Umstände nicht überein.
Der fiktionale Rahmen scheint vor allem den Sinn zu haben, einzelne autobiographische Momente in ihm unterzubringen, ohne sie zu einem Ganzen runden zu müssen. Und diese Momente sind fast ausnahmslos bitter. Zwei Klassenkameradinnen aus einem protestantischen Internat im Schanghai der dreißiger Jahre verlieren im Lauf der Zeit ihre ursprüngliche Vertrautheit; beide emigrieren nach dem Sieg der Kommunisten nach Amerika, doch während die eine, nachdem ihr Mann sie verlassen hat, kaum weiß, wie sie mit spärlichen Übersetzungsaufträgen über die Runden kommen soll, wird die andere zur wohlhabenden und respektierten Gattin eines Kabinettsmitglieds und Mutter mehrerer Kinder. Die erste Begegnung der beiden Frauen nach Jahrzehnten ist voller Misstrauen und kalt sezierender Beobachtungen. "Zwischen Enjuan und ihr lag nun ein ganzes Universum", heißt es am Ende, doch mit Wärme wird auch sonst niemand geschildert, erst recht nicht die "Ausländer", womit, auch wenn die Handlung in Amerika spielt, generell Menschen gemeint sind, die keine Chinesen sind. "Viele Westler werden früh kahl", heißt es knapp und kategorisch.
Leider muss man sagen, dass dieses Fragment eher dokumentarischen als literarischen Wert hat. Während Changs Stil in ihren frühen, im Alter von 22 oder 23 Jahren geschriebenen Erzählungen von einer resonanzreichen Verschlingung der Bedeutungsebenen gekennzeichnet ist, zwischen schillernden Oberflächen und psychoanalytischen Tiefen oszilliert, bleibt er hier durchweg hölzern und direkt. Manche der frühen Motive wie der Sinn für Mode oder für sexuelle Ambivalenzen blitzen wieder auf, doch sie haben im Ganzen des Erzählten keine Bedeutung mehr.
Sie geben nur Hinweise darauf, wie sich für Eileen Chang die in Schanghai kultivierte Faszination für alles Westliche in Amerika in ihr Gegenteil verkehrte. Im Internat staunten die Mädchen über die Freizügigkeit von Hollywood-Schauspielerinnen, sie schwärmten für amerikanische Schlager oder irgendeinen Nebendarsteller in einem Laurel-und-Hardy-Film. Als die Hauptperson dann in den sechziger Jahren eines Abends in einer amerikanischen Universitätsstadt eine Gruppe junger Leute nach dem Weg fragt und diese sie keines Blickes würdigen, mutmaßt sie zunächst: "Womöglich hassten sie alle Asiaten, ausgenommen den Vietkong." Doch dann ist sie sich aus nicht ganz plausiblen Gründen sicher: Sie waren unterwegs zum Gruppensex im Wald! Dass ihr chinesischer Mann irgendwann in die Volksrepublik zurückkehren will, interpretiert sie als eine Art Sühne, nachdem er die westliche Libertinage voll ausgekostet hat: "Auf die Übersättigung folgt Ernüchterung, deshalb hat er Amerika auch immer verachtet, dachte sie bei sich." Wegen der Coolness ihrer frühen literarischen Persona hat man Eileen Chang mit Joan Didion verglichen und wegen der stolzen Einsamkeit ihrer späten Jahre die chinesische Greta Garbo genannt. Ein Grund für die Bitterkeit mag der Mangel an Resonanz in ihrer amerikanischen Umgebung gewesen sein, den sie wohl um so stärker empfand, je größer gleichzeitig ihr Ruhm in der chinesischsprachigen Welt wurde. Der Literaturhistoriker C. T. Hsia hat bemerkt, dass das China-Bild des amerikanischen Publikums durch Autoren wie Pearl S. Buck geprägt war, weshalb es mit Eileen Changs schneidendem Sarkasmus und ihrer innerchinesischen Perspektive nichts anfangen konnte.
Von einer Auseinandersetzung mit amerikanischen Verhältnissen ist ihrerseits, wenn man von den oberflächlichen Anspielungen auf die sexuelle Revolution absieht, aber auch wenig zu spüren. "Kennedy ist tot, und ich lebe noch, auch wenn ich nur Schüsseln spüle", geht der Hauptperson bei der Nachricht der Ermordung des Präsidenten bloß durch den Kopf.
Eine Begleiterscheinung der zunehmenden Präsenz Chinas in der westlichen Populärkultur ist, dass auch Eileen Chang nach ihrem Tod am Ende einen Platz darin bekam. Ein Höhepunkt war Ang Lees Verfilmung ihrer Erzählung "Gefahr und Begierde" von 2007, und auf den Filmfestspielen in Venedig wurde jetzt Ann Huis bereits dritte Chang-Verfilmung gezeigt, "Love After Love". Die Lektüre des traurigen späten Texts begleitet so immerhin dieser Trost einer späten Genugtuung.
MARK SIEMONS
Eileen Chang: "Die Klassenkameradinnen". Novelle.
Aus dem Chinesischen von Susanne Hornfeck und Wang Jue. Ullstein Verlag, Berlin 2020. 93 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das letzte Prosastück der chinesischen Erfolgsschriftstellerin Eileen Chang erscheint nun auf Deutsch - was bleibt darin von ihrem Sinn für Mode und sexuelle Ambivalenz?
Am 30. September wäre Eileen Chang hundert Jahre alt geworden. Sie ist eine der wichtigsten chinesischen Schriftstellerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts, doch den größeren Teil ihres von 1920 bis 1995 währenden Lebens, nämlich vierzig Jahre, verbrachte sie in Amerika. Während dieser Zeit schrieb sie, deren Ruhm sich auf die ebenso gewitzte wie melancholische Beschreibung des modernen chinesisch-westlichen Beziehungslebens gegründet hatte, keine Zeile mehr über die Gegenwart. Chang vergrub sich in die Vergangenheit: in die eigene, indem sie alte Erinnerungen aufschrieb und frühere Texte überarbeitete, und in die Vergangenheit Chinas, indem sie Klassiker wie den "Traum der roten Kammer" ins Englische übersetzte.
Nachdem ihr zweiter Mann, der nicht zuletzt wegen seiner Freundschaften etwa mit Bertolt Brecht und Wallace Stevens bekannte Drehbuchautor Ferdinand Reyher, 1967 nach langer Krankheit gestorben war, zog sie sich immer mehr zurück. 1995 wurde sie in ihrem Appartement in Los Angeles gefunden, nachdem sie schon Tage tot war. Jetzt ist ihr letzter, 1978 geschriebener fiktionaler Text auf Deutsch erschienen, und es ist der einzige, wie dem Nachwort der Übersetzerinnen Susanne Hornfeck und Wang Jue zu entnehmen ist, in dem ihre amerikanischen Erfahrungen überhaupt vorkommen. Geben diese achtzig Seiten nun näheren Aufschluss über das, was mit ihr in den Vereinigten Staaten geschehen ist?
Der Verlag bezeichnet den Text als Novelle, aber das ist er eigentlich nicht, auch kein Roman, keine Erzählung - dazu gibt es darin zu viele lose Enden von Namen und Details, die gar keine Bedeutung für den Fortgang des Erzählten haben. Es ist aber auch kein Memoir: Trotz mancher Parallelen der Hauptperson Zhao Jue zum Leben der Autorin stimmen viele konkrete Umstände nicht überein.
Der fiktionale Rahmen scheint vor allem den Sinn zu haben, einzelne autobiographische Momente in ihm unterzubringen, ohne sie zu einem Ganzen runden zu müssen. Und diese Momente sind fast ausnahmslos bitter. Zwei Klassenkameradinnen aus einem protestantischen Internat im Schanghai der dreißiger Jahre verlieren im Lauf der Zeit ihre ursprüngliche Vertrautheit; beide emigrieren nach dem Sieg der Kommunisten nach Amerika, doch während die eine, nachdem ihr Mann sie verlassen hat, kaum weiß, wie sie mit spärlichen Übersetzungsaufträgen über die Runden kommen soll, wird die andere zur wohlhabenden und respektierten Gattin eines Kabinettsmitglieds und Mutter mehrerer Kinder. Die erste Begegnung der beiden Frauen nach Jahrzehnten ist voller Misstrauen und kalt sezierender Beobachtungen. "Zwischen Enjuan und ihr lag nun ein ganzes Universum", heißt es am Ende, doch mit Wärme wird auch sonst niemand geschildert, erst recht nicht die "Ausländer", womit, auch wenn die Handlung in Amerika spielt, generell Menschen gemeint sind, die keine Chinesen sind. "Viele Westler werden früh kahl", heißt es knapp und kategorisch.
Leider muss man sagen, dass dieses Fragment eher dokumentarischen als literarischen Wert hat. Während Changs Stil in ihren frühen, im Alter von 22 oder 23 Jahren geschriebenen Erzählungen von einer resonanzreichen Verschlingung der Bedeutungsebenen gekennzeichnet ist, zwischen schillernden Oberflächen und psychoanalytischen Tiefen oszilliert, bleibt er hier durchweg hölzern und direkt. Manche der frühen Motive wie der Sinn für Mode oder für sexuelle Ambivalenzen blitzen wieder auf, doch sie haben im Ganzen des Erzählten keine Bedeutung mehr.
Sie geben nur Hinweise darauf, wie sich für Eileen Chang die in Schanghai kultivierte Faszination für alles Westliche in Amerika in ihr Gegenteil verkehrte. Im Internat staunten die Mädchen über die Freizügigkeit von Hollywood-Schauspielerinnen, sie schwärmten für amerikanische Schlager oder irgendeinen Nebendarsteller in einem Laurel-und-Hardy-Film. Als die Hauptperson dann in den sechziger Jahren eines Abends in einer amerikanischen Universitätsstadt eine Gruppe junger Leute nach dem Weg fragt und diese sie keines Blickes würdigen, mutmaßt sie zunächst: "Womöglich hassten sie alle Asiaten, ausgenommen den Vietkong." Doch dann ist sie sich aus nicht ganz plausiblen Gründen sicher: Sie waren unterwegs zum Gruppensex im Wald! Dass ihr chinesischer Mann irgendwann in die Volksrepublik zurückkehren will, interpretiert sie als eine Art Sühne, nachdem er die westliche Libertinage voll ausgekostet hat: "Auf die Übersättigung folgt Ernüchterung, deshalb hat er Amerika auch immer verachtet, dachte sie bei sich." Wegen der Coolness ihrer frühen literarischen Persona hat man Eileen Chang mit Joan Didion verglichen und wegen der stolzen Einsamkeit ihrer späten Jahre die chinesische Greta Garbo genannt. Ein Grund für die Bitterkeit mag der Mangel an Resonanz in ihrer amerikanischen Umgebung gewesen sein, den sie wohl um so stärker empfand, je größer gleichzeitig ihr Ruhm in der chinesischsprachigen Welt wurde. Der Literaturhistoriker C. T. Hsia hat bemerkt, dass das China-Bild des amerikanischen Publikums durch Autoren wie Pearl S. Buck geprägt war, weshalb es mit Eileen Changs schneidendem Sarkasmus und ihrer innerchinesischen Perspektive nichts anfangen konnte.
Von einer Auseinandersetzung mit amerikanischen Verhältnissen ist ihrerseits, wenn man von den oberflächlichen Anspielungen auf die sexuelle Revolution absieht, aber auch wenig zu spüren. "Kennedy ist tot, und ich lebe noch, auch wenn ich nur Schüsseln spüle", geht der Hauptperson bei der Nachricht der Ermordung des Präsidenten bloß durch den Kopf.
Eine Begleiterscheinung der zunehmenden Präsenz Chinas in der westlichen Populärkultur ist, dass auch Eileen Chang nach ihrem Tod am Ende einen Platz darin bekam. Ein Höhepunkt war Ang Lees Verfilmung ihrer Erzählung "Gefahr und Begierde" von 2007, und auf den Filmfestspielen in Venedig wurde jetzt Ann Huis bereits dritte Chang-Verfilmung gezeigt, "Love After Love". Die Lektüre des traurigen späten Texts begleitet so immerhin dieser Trost einer späten Genugtuung.
MARK SIEMONS
Eileen Chang: "Die Klassenkameradinnen". Novelle.
Aus dem Chinesischen von Susanne Hornfeck und Wang Jue. Ullstein Verlag, Berlin 2020. 93 S., geb., 18,- [Euro].
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