'Die kleine Stadt' liegt in Italien. Alles beginnt mit dem Erscheinen einer Theatertruppe in der kleinen Stadt. »Unsere Ankunft«, so der jugendliche Held und Liebhaber der Truppe, »hat belebend gewirkt auf die Einwohner dieser Stadt, auf einmal ist ihnen der Mut gekommen, ihre Laster in Freiheit zu setzen«. Es beginnt ein Fastnachtstreiben, ein Liebes- und Rüpelspiel, heiter und böse, zart und leidenschaftlich. In seltsamen, manchmal gespenstischen Reigen verbinden sich die Schicksale der fahrenden Künstler und der Kleinbürger - Kunst und Leben, das große literarische Thema der Jahrhundertwende klingt an. 'Die kleine Stadt' ist ein utopischer Gegenentwurf zur politisch unmündigen Gesellschaft der Wilhelminischen Ära. »Was hier klingt«, schrieb Heinrich Mann zu diesem Roman, »ist das hohe Lied der Demokratie. Es ist da, um zu wirken in einem Deutschland, das ihr endlich zustrebt. Dieser Roman, so weitab er zu spielen scheint, ist im höchsten Sinn aktuell.«
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.19951909
Heinrich Mann "Die kleine Stadt"
"Wer die Sentimentalität fürchtet, den holt der Frost", schreibt Pablo Neruda einmal, und es ist genau diese vor keiner Berührung sich ängstigende, lustvolle Unbedenklichkeit, die aus Heinrich Mann, wo er gut ist, einen so hinreißenden Erzähler macht und - wo er eben deshalb seine Schwächen hat - immer noch einen Romancier, dessen Figuren in uns allzu gern kunstvergessenen Romanliebhabern für ein Weilchen auch einmal ohne seine Hilfe leben können. (Schön ist auch, nebenbei jetzt, wie ihn dieselbe Unbedenklichkeit durch tausend Experimente treibt, bis er sich dann endgültig nirgends mehr festlegen kann.) Hier, in diesem sehr geglückten Roman - seinem neunten nach fünfzehn Jahren, und es sind abenteuerliche Dinger darunter, das ist wahr -, hier kommt in die kleine Stadt Palestrina, wo Bruder Thomas ein paar Jahre vorher große Teile der "Buddenbrooks" geschrieben hatte, eine Operntruppe und bringt, indem sie Spannungen freilegt, die sonst keine Bahnen gefunden oder sich andere hätten suchen müssen, so etwas wie Freiheit ins alte stehngebliebene Leben - Freiheit, oder doch ihren schönen Glanz, ihren süßen Atem. Jeder kann fühlen, daß er lebt, und darf glauben, daß er's in der Hand hat, dem Leben nicht bloß zusehn zu müssen wie einem Stück, das für die anderen geschrieben ist. Auch in die Liebe kommt das Leben, selbst als die Liebende ihren Geliebten (und dann, als sie merkt, daß das alles andere als bloß eine Oper ist, sich selber) umbringt, mit einem Dolch: Noch den verrückten Tod streift aber eine Ahnung vom Glück, das hätte sein können, und wir mitgenommenen Leser, wie so gern bei den Autoren dieser großen Schule von Charles Dickens bis Heinrich Mann, weinen jene wohltuenden Tränen, die den drohenden Frost vertreiben. (Heinrich Mann: "Die kleine Stadt". Mit einem Nachwort von Helmut Koopmann und einem Materialienanhang, zusammengestellt von Peter-Paul Schneider. Heinrich Mann, Studienausgabe in Einzelbänden, herausgegeben von Peter-Paul Schneider. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1986. 494 Seiten, br., 14,80 DM.) R.V.
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Heinrich Mann "Die kleine Stadt"
"Wer die Sentimentalität fürchtet, den holt der Frost", schreibt Pablo Neruda einmal, und es ist genau diese vor keiner Berührung sich ängstigende, lustvolle Unbedenklichkeit, die aus Heinrich Mann, wo er gut ist, einen so hinreißenden Erzähler macht und - wo er eben deshalb seine Schwächen hat - immer noch einen Romancier, dessen Figuren in uns allzu gern kunstvergessenen Romanliebhabern für ein Weilchen auch einmal ohne seine Hilfe leben können. (Schön ist auch, nebenbei jetzt, wie ihn dieselbe Unbedenklichkeit durch tausend Experimente treibt, bis er sich dann endgültig nirgends mehr festlegen kann.) Hier, in diesem sehr geglückten Roman - seinem neunten nach fünfzehn Jahren, und es sind abenteuerliche Dinger darunter, das ist wahr -, hier kommt in die kleine Stadt Palestrina, wo Bruder Thomas ein paar Jahre vorher große Teile der "Buddenbrooks" geschrieben hatte, eine Operntruppe und bringt, indem sie Spannungen freilegt, die sonst keine Bahnen gefunden oder sich andere hätten suchen müssen, so etwas wie Freiheit ins alte stehngebliebene Leben - Freiheit, oder doch ihren schönen Glanz, ihren süßen Atem. Jeder kann fühlen, daß er lebt, und darf glauben, daß er's in der Hand hat, dem Leben nicht bloß zusehn zu müssen wie einem Stück, das für die anderen geschrieben ist. Auch in die Liebe kommt das Leben, selbst als die Liebende ihren Geliebten (und dann, als sie merkt, daß das alles andere als bloß eine Oper ist, sich selber) umbringt, mit einem Dolch: Noch den verrückten Tod streift aber eine Ahnung vom Glück, das hätte sein können, und wir mitgenommenen Leser, wie so gern bei den Autoren dieser großen Schule von Charles Dickens bis Heinrich Mann, weinen jene wohltuenden Tränen, die den drohenden Frost vertreiben. (Heinrich Mann: "Die kleine Stadt". Mit einem Nachwort von Helmut Koopmann und einem Materialienanhang, zusammengestellt von Peter-Paul Schneider. Heinrich Mann, Studienausgabe in Einzelbänden, herausgegeben von Peter-Paul Schneider. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1986. 494 Seiten, br., 14,80 DM.) R.V.
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