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Ein Baum, ein Streichholz, eine Schachtel: Walter Benjamin hatte einen kleinen Baum auf Ibiza, dem er das Erlebnis der "Aura" verdankte. Rudolf Carnap brachte ein verbranntes Streichholz dazu, sich aus dem Schlamassel der dispositionalen Möglichkeiten zu befreien. Und Ludwig Wittgenstein diente ein Käfer in einer Schachtel dazu, sich existentielle Fragen zu stellen. Manfred Geier zeigt, daß nicht selten Alltagsgegenstände am Anfang großer, philosophischer Denkprozesse stehen. Sein Buch bietet die bescheidene Einsicht, daß es letztlich die konkreten Dinge sind, an denen sich das Denken…mehr

Produktbeschreibung
Ein Baum, ein Streichholz, eine Schachtel: Walter Benjamin hatte einen kleinen Baum auf Ibiza, dem er das Erlebnis der "Aura" verdankte. Rudolf Carnap brachte ein verbranntes Streichholz dazu, sich aus dem Schlamassel der dispositionalen Möglichkeiten zu befreien. Und Ludwig Wittgenstein diente ein Käfer in einer Schachtel dazu, sich existentielle Fragen zu stellen. Manfred Geier zeigt, daß nicht selten Alltagsgegenstände am Anfang großer, philosophischer Denkprozesse stehen. Sein Buch bietet die bescheidene Einsicht, daß es letztlich die konkreten Dinge sind, an denen sich das Denken entzündet.
"An Manfred Geiers kleinem, wunderschön ausgestattetem Buch kann man sich wärmen, ohne daß es uns in die Sauna des reinen Denkens einschlösse." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Autorenporträt
Manfred Geier, geboren 1943, lehrte viele Jahre Sprach- und Literaturwissenschaft an den Universitäten Marburg und Hannover. Jetzt lebt er als freier Publizist und Privatdozent in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Zeig mir deinen Käfer
Und Manfred Geier sagt dir, wer du bist / Von Dieter Thomä

Aus dem Blick durchs Schlüsselloch des verführerischen Hauses der Philosophie hat Manfred Geier ein Buch gemacht - ein Schlüssel-Buch über Schlüssel-Erlebnisse. Geier wirft einen Blick in die Wohn- und Werkstätten großer Denker just in dem Moment, da in ihnen philosophische Spreng-Sätze gemischt wurden. Er macht sich zum Zeugen der Geburtsstunden von Gedanken, die die Welt bedeuten. So ist sein Buch eine Sammlung von Miniaturen, in denen sich Erlebnisse und Erfahrungen langsam, aber sicher zu Theorien und Systemen auswachsen. Und da die Philosophen bei ihren Geburtswehen ertappt werden, sind sie in dem Moment, da Geier sie erwischt, tatsächlich einmal ungeschützt und unverstellt zugänglich. Kurz: Man versteht in diesem Buch wirklich, worum es ihnen geht.

September 1786: Johann Wolfgang Goethe entdeckt während der italienischen Reise die Fächerpalme, in der er das "Urphänomen" seiner Naturphilosophie gefunden zu haben meint. Sommer 1849: Zum ersten Mal setzt sich Karl Marx im Britischen Museum an jenen Tisch, jenes "sinnlich übersinnliche Ding", an dem ihm der Unterschied zwischen Gebrauchs- und Tauschwert aufgehen wird. September 1915: Sigmund Freud beobachtet seinen Enkel beim Spiel mit einer Spule, aus dem er die unbewußte Dynamik der Symbolbildung ableitet. Juli 1932: Walter Benjamin wandert über die staubigen Felder Ibizas, um, unter einem Baum ruhend, dessen "Aura" zu erfahren. Manfred Geier erzählt Geschichten von Dingen und Gedanken, genauer: von Palme (Goethe), Tisch (Marx), Käfer (Wittgenstein), Streichholz (Carnap), Glas Wasser (Popper), Baum (Benjamin) und anderem.

All diese Geschichten sind nie - oder nur ganz selten - an den Haaren herbeigezogen, und die Lebenserfahrungen, die Geier den Theorien zur Seite stellt, sind immer weit mehr als nur hübsche Illustration. Letztlich geht es ihm nicht um das lebensgeschichtliche Beiwerk, sondern um die philosophische Zutat; geboten wird ein Plädoyer für die Lebensnähe der Philosophie, bei dem sich weder die Philosophie beim Leben anbiedert (wie dies in jüngerer Zeit bei selbsternannten philosophisch-ethischen Ratgebern der Fall ist) noch das Leben mit aller Gewalt der Philosophie zugeschlagen wird. "Philosophen sind nicht verrückt. Aber in der Philosophie vollzieht sich eine ständige Verrückung der Standorte und der Ebenen . . . Die Verwirrung dessen, was sonst das Vertrauteste ist, eröffnet einen neuen Blick auf die Dinge."

In Hans-Georg Gadamers "Wahrheit und Methode" stolpert man über den Satz: "Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache." Auch wenn Gadamer bei Geier nicht erwähnt wird, gewinnt man den Eindruck, sein Buch sei ein einziger Einspruch gegen diesen Satz, genauer gesagt: gegen dessen Verschwommenheit. Denn was Gadamer mit ihm im Sinn hat, ist einigermaßen undurchsichtig. Welch wundersame Verwandlung von Sein in Sprache schwebt ihm vor? Und wenn - im Sinne einer ganz und gar wohlmeinenden Exegese Gadamers - doch noch irgendein unverstandenes oder gar unverständliches Sein übrigbleiben sollte, das sich zur Sprache querstellt, bliebe in jedem Fall die Frage übrig: Wie hätten wir dann mit ihm zu tun?

Während Gadamer den Mantel der Sprache über dieses Geheimnis ausbreitet, entdeckt Geier an unserem Verhältnis zu den Dingen, zu der sperrigen Welt, in der wir leben, eine Wunde - die Wunde, die wir lecken, wenn wir denken. Weil die Philosophie mit aller Kraft darum bemüht ist, über Gemeinplätze und Gewohnheiten hinauszukommen, betreibt sie eben die "Verrückung" unseres herkömmlichen Selbstverständnisses. Statt sich im Labyrinth einer sprachlichen Ordnung gemütlich einzurichten, bricht Geier zum Erkennen aus, nimmt die "kleinen Dinge" als Herausforderungen für das Denken, welches ihnen doch nie ganz gewachsen ist.

So mischt sich in diesem Buch auf anrührende Weise die Bewunderung für die großen Entwürfe der Philosophie mit der bescheidenen Einsicht, daß die Dinge, an denen das Denken sich entzündet, letztlich doch etwas Fremdes, Unfaßbares behalten. "Die Mauern stehn / Sprachlos und kalt", heißt es bei Hölderlin. An Manfred Geiers kleinem, übrigens wunderschön ausgestatteten Buch kann man sich wärmen, ohne daß es uns in die Sauna des reinen Denkens einschlösse.

Manfred Geier: "Die kleinen Dinge der großen Philosophen". Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2001. 276 S., geb., 39,- DM.

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