So widersprüchlich und inkonsistent die Situation der Werbung (wie die ihrer Beschreibung) Mitte der neunziger Jahre auch sein mag - in einem Befund stimmen alle Beobachter überein: Die Entwicklung der Medien und der Kommunikation seit dem Zwweiten Weltkrieg hat im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu einer "Kommerzialisierung der Kommunikation" geführt, an der Werbung in erheblichem Maße beteiligt gewesen ist. Kommunikationsinhalte und -stile werden in den verschiedenen Medien, die via Werbung längst von der Wirtschaft abhängig geworden sind, primär ökomnomisch evaluiert und erst dann sozial, kulturell oder politisch. Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Wie kann man sie angemessen beobachten und beschreiben?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.1997Die wunderbare Welt der Waschkraft
Siegfried Schmidt und Brigitte Spieß identifizieren in der deutschen Fernsehwerbung die Spiegelbilder des gesellschaftlichen Wandels
Von Männchen, die in die Luft gehen, und von Enten, die im Pril-entspannten Wasser schwimmen, erzählt uns die Werbung in ihren Geschichten. Werbespots schöpfen aus einem Fundus kultureller Tradition und sind Ausdruck kollektiven Lebensgefühls. Ein Blick in die Gesichter der Fernsehwerbung zeigt ihren Wandel analog zur Entwicklung der Bundesrepublik: von der grobschlächtigen (aber feinstfühlig zwischen "sauber" und "rein" differenzierenden) Waschfrau Klementine (1968) über den glatten "Herrn Kaiser" (1972) bis hin zu den jugendlich verbrämten Gesichtszügen der neunziger Jahre.
Werbespots sind aber keine bloßen Abziehbilder ihrer Zeit, sondern wirken auf diskrete Weise sinnstiftend: Im Nachkriegsvakuum etwa wurden Freß-, Konsum- und Reisewellen angeregt. Siegfried J. Schmidt und Brigitte Spieß untersuchen diese "Kommerzialisierung der Kommunikation", die in den Fünfzigern noch in den Kinderschuhen steckte. Die Sprecher redeten wie Märchenonkel von Wirtschaftswunderwerken.
Der Wiederaufbau hatte Vorrang vor der Selbstreflexion, die im Krieg verschüttgegangene Männergesellschaft regenerierte sich: "Siehst' Liesel, das ist eben der Unterschied zwischen Dir und dem Mann", sagte Beppo Brehm in einem der ersten Spots zu Liesel Karlstadt, "du machst gleich ein Trara und ein Theater, wenn bloß so ein kleines Fleckerl auf die Tischdecke kommt. Der gebildete Mensch sagt nur ,Persil - Persil und nichts anderes'."
Die sachlichen Sechziger knüpften mit "Da weiß man, was man hat" (damals noch von Volkswagen) an die behäbigen Fünfziger an. "Was, Olaf hat Husten? Das darf er nicht", heißt es schlicht in einem anderen Spot. Flugs bekommt er ein Heilmittel mit dem schönen Namen "Formel 44" verabreicht, denn das beruhigt die "Hustenzentrale im Gehirn". Die wissenschaftliche Untermauerung beruhigte auch das unschlüssige Käuferherz. Später wurden die Werbestrategien geschmeidiger. Die "Faszination des ersten Mals", die noch die Fünfziger prägte, ging dahin. Der Lebensstandard hieß nun Lifestyle, Produktinformation ging in Imagepflege über. Marlboro und Martini setzten auf Flavour und Ambiente, die Akteure wirkten kühl und beherrscht. Mit dem Babyboom erheischte das "Kindchen-Schema" Sympathie.
Die Sechziger waren auch die Zeit der Markenfiguren: Neben Klementine traten Frau Antje (1961) und Meister Proper (1966) auf den Plan. Diese Saubermänner und -frauen wurden aber schon 1968 der vordergründigen Erfüllung scheinbarer Bedürfnisse verdächtigt. Die linke Kritik löste in den siebziger Jahren einen Kreativitätsschub aus: Bananen legten stripteasetanzend ihre Schalen ab, in Milkas Alpendramaturgie säuselte "die zarteste Versuchung" aus dem Off. Allein der Weiße Riese hielt wenig von Sublimation: Hier wusch man "das größte Wäschestück der Welt" in einem Swimming-pool und hängte es dann in hundert Metern Höhe am Münchener Funkturm auf. Der Produktinszenierung stand das "Advocazy Entertainment" gegenüber: Renault und Mercedes eröffneten den "sachlichen Dialog" mit ihren Kunden, Ölmultis sprachen "offen" über industrielle Probleme. Die Fortschrittsgläubigkeit machte realpolitischer Ernüchterung Platz. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft zwang die Werber, sich auf Zielgruppen zu spezialisieren.
In den Achtzigern hatte sich die Werbung als kreative Kraft in Deutschland endgültig etabliert. Schleichwerbung nannte sich Product Placement, Sponsoring gehörte zum guten Ton. Das Produkt entwickelte sich zum Zeichenträger. Graphiker entdeckten die Trickkiste der Computer-Animation. Es stellte sich aber alsbald die Frage, ob die ganze Ästhetik dem Auftraggeber wirklich nützt. Und die Neunziger? Heute steckt die Werbung nach Ansicht der Autoren in einer Sinnkrise. Die Unterhaltung ist Kontext für Werbeinseln und umgekehrt. Reklame wird im Stil von Nachrichten präsentiert, die "Action News" der Privaten wirken wie billige Werbespots.
Während die Werbung ihre Identität verspielt, verliert der Kunde sein einstmals klar umrissenes Gesicht. Die Marktforschung kommt mit dem heutigen Menschen, der verschiedenste soziale Ebenen in seiner Lebenswelt vereinigt, nicht mehr zurecht. Er kann, wenn es darauf ankommt, auch ohne Deo und Drei-Wetter-Taft überleben. Er muß sich nicht jeden Tag von Slim Fast und Red Bull ernähren. In der Weite unserer Konsumlandschaft, vor den buntsortierten Regalen wird der Kunde zum König. Die Konsumenten gewinnen ihre Souveränität zurück: Sie werfen keine Schokoriegel in Milch und lassen ihr Baby auch nicht in Spülwasser baden. STEFFEN GNAM
Siegfried J. Schmidt, Brigitte Spieß: "Die Kommerzialisierung der Kommunikation". Fernsehwerbung und sozialer Wandel 1956-1989. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 381 S., Abb., br., 27,80 DM.
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Siegfried Schmidt und Brigitte Spieß identifizieren in der deutschen Fernsehwerbung die Spiegelbilder des gesellschaftlichen Wandels
Von Männchen, die in die Luft gehen, und von Enten, die im Pril-entspannten Wasser schwimmen, erzählt uns die Werbung in ihren Geschichten. Werbespots schöpfen aus einem Fundus kultureller Tradition und sind Ausdruck kollektiven Lebensgefühls. Ein Blick in die Gesichter der Fernsehwerbung zeigt ihren Wandel analog zur Entwicklung der Bundesrepublik: von der grobschlächtigen (aber feinstfühlig zwischen "sauber" und "rein" differenzierenden) Waschfrau Klementine (1968) über den glatten "Herrn Kaiser" (1972) bis hin zu den jugendlich verbrämten Gesichtszügen der neunziger Jahre.
Werbespots sind aber keine bloßen Abziehbilder ihrer Zeit, sondern wirken auf diskrete Weise sinnstiftend: Im Nachkriegsvakuum etwa wurden Freß-, Konsum- und Reisewellen angeregt. Siegfried J. Schmidt und Brigitte Spieß untersuchen diese "Kommerzialisierung der Kommunikation", die in den Fünfzigern noch in den Kinderschuhen steckte. Die Sprecher redeten wie Märchenonkel von Wirtschaftswunderwerken.
Der Wiederaufbau hatte Vorrang vor der Selbstreflexion, die im Krieg verschüttgegangene Männergesellschaft regenerierte sich: "Siehst' Liesel, das ist eben der Unterschied zwischen Dir und dem Mann", sagte Beppo Brehm in einem der ersten Spots zu Liesel Karlstadt, "du machst gleich ein Trara und ein Theater, wenn bloß so ein kleines Fleckerl auf die Tischdecke kommt. Der gebildete Mensch sagt nur ,Persil - Persil und nichts anderes'."
Die sachlichen Sechziger knüpften mit "Da weiß man, was man hat" (damals noch von Volkswagen) an die behäbigen Fünfziger an. "Was, Olaf hat Husten? Das darf er nicht", heißt es schlicht in einem anderen Spot. Flugs bekommt er ein Heilmittel mit dem schönen Namen "Formel 44" verabreicht, denn das beruhigt die "Hustenzentrale im Gehirn". Die wissenschaftliche Untermauerung beruhigte auch das unschlüssige Käuferherz. Später wurden die Werbestrategien geschmeidiger. Die "Faszination des ersten Mals", die noch die Fünfziger prägte, ging dahin. Der Lebensstandard hieß nun Lifestyle, Produktinformation ging in Imagepflege über. Marlboro und Martini setzten auf Flavour und Ambiente, die Akteure wirkten kühl und beherrscht. Mit dem Babyboom erheischte das "Kindchen-Schema" Sympathie.
Die Sechziger waren auch die Zeit der Markenfiguren: Neben Klementine traten Frau Antje (1961) und Meister Proper (1966) auf den Plan. Diese Saubermänner und -frauen wurden aber schon 1968 der vordergründigen Erfüllung scheinbarer Bedürfnisse verdächtigt. Die linke Kritik löste in den siebziger Jahren einen Kreativitätsschub aus: Bananen legten stripteasetanzend ihre Schalen ab, in Milkas Alpendramaturgie säuselte "die zarteste Versuchung" aus dem Off. Allein der Weiße Riese hielt wenig von Sublimation: Hier wusch man "das größte Wäschestück der Welt" in einem Swimming-pool und hängte es dann in hundert Metern Höhe am Münchener Funkturm auf. Der Produktinszenierung stand das "Advocazy Entertainment" gegenüber: Renault und Mercedes eröffneten den "sachlichen Dialog" mit ihren Kunden, Ölmultis sprachen "offen" über industrielle Probleme. Die Fortschrittsgläubigkeit machte realpolitischer Ernüchterung Platz. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft zwang die Werber, sich auf Zielgruppen zu spezialisieren.
In den Achtzigern hatte sich die Werbung als kreative Kraft in Deutschland endgültig etabliert. Schleichwerbung nannte sich Product Placement, Sponsoring gehörte zum guten Ton. Das Produkt entwickelte sich zum Zeichenträger. Graphiker entdeckten die Trickkiste der Computer-Animation. Es stellte sich aber alsbald die Frage, ob die ganze Ästhetik dem Auftraggeber wirklich nützt. Und die Neunziger? Heute steckt die Werbung nach Ansicht der Autoren in einer Sinnkrise. Die Unterhaltung ist Kontext für Werbeinseln und umgekehrt. Reklame wird im Stil von Nachrichten präsentiert, die "Action News" der Privaten wirken wie billige Werbespots.
Während die Werbung ihre Identität verspielt, verliert der Kunde sein einstmals klar umrissenes Gesicht. Die Marktforschung kommt mit dem heutigen Menschen, der verschiedenste soziale Ebenen in seiner Lebenswelt vereinigt, nicht mehr zurecht. Er kann, wenn es darauf ankommt, auch ohne Deo und Drei-Wetter-Taft überleben. Er muß sich nicht jeden Tag von Slim Fast und Red Bull ernähren. In der Weite unserer Konsumlandschaft, vor den buntsortierten Regalen wird der Kunde zum König. Die Konsumenten gewinnen ihre Souveränität zurück: Sie werfen keine Schokoriegel in Milch und lassen ihr Baby auch nicht in Spülwasser baden. STEFFEN GNAM
Siegfried J. Schmidt, Brigitte Spieß: "Die Kommerzialisierung der Kommunikation". Fernsehwerbung und sozialer Wandel 1956-1989. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 381 S., Abb., br., 27,80 DM.
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