Politik-Journalist Kersten Knipp hat ein informatives, komplexes und wirklich lesenswertes Buch über Gabriele D`Annunzio und die von ihm ausgerufene Republik von Fiume verfasst.
Im September 1919 errichtete der italienische Dichter und Kriegsheld D`Annunzio in der kroatischen Küstenstadt Fiume (das
heutige Rijeka), eine rückblickend sehr skurril anmutende Gemeinschaft. Autor Knipp schildert…mehrPolitik-Journalist Kersten Knipp hat ein informatives, komplexes und wirklich lesenswertes Buch über Gabriele D`Annunzio und die von ihm ausgerufene Republik von Fiume verfasst.
Im September 1919 errichtete der italienische Dichter und Kriegsheld D`Annunzio in der kroatischen Küstenstadt Fiume (das heutige Rijeka), eine rückblickend sehr skurril anmutende Gemeinschaft. Autor Knipp schildert nachvollziehbar, welche demagogische Macht D`Annunzio als Mann des Wortes, als "Zauberer der Sprache" dabei zukam. Der Poet wird als Egozentriker beschrieben, der stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und der die Massen durch populistische Reden für seine Zwecke zu gewinnen weiß. Er macht einen erstaunlichen Wandel vom empfindsamen Dandy zum Kriegshelden, ja zur nationalen Ikone durch, der von Knipp nachvollziehbar geschildert wird. Eigentlich sollte von Fiume eine panitalienische Revolution ausgehen - da die politische Revolution verpuffte, verlegte sich D`Annunzio auf eine kulturelle Revolution. Sein Experiment nahm in vielen Aspekten spätere alternative Lebensentwürfe wie etwa die der Hippies vorweg: FKK, freie Liebe, Emanzipation der Frau und freier Drogengebrauch waren in Fiume alltäglich. Auch die Verfassung der "Reggenza Italiano del Carnaro" hatte sehr moderne Inhalte, wie etwa garantierten Mindestlohn, Gleichheit der Geschlechter und Pensionsansprüche. Allein es erkannte keine andere Nation die Gründung des Stadtstaates an. Letztlich war die Republik von Fiume nichts weiter als eine fixe Idee D`Annunzios. Die Gruppendynamik, die durch Aufmärsche, Fackelzüge und demagogische Reden erzeugt wurde, nahm die Grundprinzipien des folgenden Faschischmus jedoch bereits vorweg.
Schlussendlich schlägt Knipp noch die Brücke von D`Annunzio zu aktuellen italienischen Populisten wie Silvio Berlusconi und "Beppe" Grillo und dem Movimento 5 Stelle, von den alten "Wutbürgern" Fiumes zu den derzeitigen, die übers Internet zahllose Gleichgesinnte finden. Gemein ist ihnen allen ein verschobener Wahrheitsbegriff: Wahr ist, was gefühlt, was für wahr gehalten wird. Auch auf Parteiebene wiederholt sich die Geschichte, wie Knipp deutlich macht: Hier setzt man statt auf Ideen und Inhalte vermehrt auf Personenkult.
Die Gestaltung des Hardcovers ist sehr ansprechend, zahlreiche Originalfotos veranschaulichen Schlüsselszenen. Umfangreiche Quellenangaben zeigen die intensive zugrunde liegende Recherche. Bemängeln kann ich einzig das Korrektorat, hier wurden leider einige Grammatik- und Rechtschreibfehler übersehen.
Fazit: Das Buch ist sehr anspruchsvoll, und gerade wenn man - wie ich - kein umfangreiches Wissen in der italienischen Geschichte mitbringt, muss man viel nachschlagen, um alle Zusammenhänge zu verstehen. "Die Kommune der Faschisten" ist ein Sachbuch, das oft an der Grenze zum Fachbuch ist. Doch die Lektüre ist unbedingt lohnenswert. Ich habe viel über Massenpsychologie gelernt, und Knipp hat mir außerdem viel über Faschismus und Demagogie beigebracht, das auch zum Verständnis aktueller politischer Entwicklungen beiträgt.