Lebenshunger und Todessehnsucht, patriotische Gefühle und Desillusionierung: Pierre Drieu la Rochelles brillante Erzählungen spiegeln die innere Zerrissenheit des streitbaren Autors wider. Einer, der sich romantisch nach Heldentum sehnte, beschreibt hier die Absurdität des Ersten Weltkriegs und die schmerzliche Orientierungslosigkeit der Heimkehrer.
Madame Pragen, eine ehrgeizzerfressene Pariser Witwe, hat 1914 ihren schmächtigen Sohn in den Krieg geschickt, um einen Helden aus ihm zu machen. Er fiel in den ersten Tagen während eines bedeutungslosen Scharmützels im belgischen Charleroi. Im Jahr 1919 nutzt nun seine Mutter einen Besuch des Schlachtfelds, um sich vor den provinziellen Honoratioren der Stadt als Grande Dame zu inszenieren. In "Der Hund der Heiligen Schrift" brüstet sich ein junger Veteran mit Verdun. Doch in der Kinoreihe vor ihm sitzt ein ehemaliger Kamerad ...
Auf Anhieb fasziniert der irrende Ton des Erzählers. Seine zynische Lässigkeit, sein stetiges Abtasten der Realitäten, die umso drastischer wirkende Überzeichnung einzelner Figuren: Diese Prosastücke bieten einen schillernden Rückblick auf das Schlüsselerlebnis einer irrlichternden Generation.
Madame Pragen, eine ehrgeizzerfressene Pariser Witwe, hat 1914 ihren schmächtigen Sohn in den Krieg geschickt, um einen Helden aus ihm zu machen. Er fiel in den ersten Tagen während eines bedeutungslosen Scharmützels im belgischen Charleroi. Im Jahr 1919 nutzt nun seine Mutter einen Besuch des Schlachtfelds, um sich vor den provinziellen Honoratioren der Stadt als Grande Dame zu inszenieren. In "Der Hund der Heiligen Schrift" brüstet sich ein junger Veteran mit Verdun. Doch in der Kinoreihe vor ihm sitzt ein ehemaliger Kamerad ...
Auf Anhieb fasziniert der irrende Ton des Erzählers. Seine zynische Lässigkeit, sein stetiges Abtasten der Realitäten, die umso drastischer wirkende Überzeichnung einzelner Figuren: Diese Prosastücke bieten einen schillernden Rückblick auf das Schlüsselerlebnis einer irrlichternden Generation.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Robert Miessner empfiehlt die Lektüre von Pierre Drieu la Rochelles "Die Komödie von Charleroi". Zum einen, da er den Autor für einen begnadeten Stilisten hält, der Prosa mit "Drive und Rhythmus" schreibt. Zum anderen, weil dieser Text von Anmaßung und Absturz handelt, von einem Denken im Krieg, am Scheideweg, den der Autor selbst vom Surrealismus in Richtung Faschismus verlässt, wie Miessner im gleichfalls lesenswerten Nachwort erfährt. Das Buch erzählt laut Rezensent von den Möglichkeiten der Wahl, von einem Denken, das problematisch geworden ist, aber noch nicht unausweichlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2016Von der Unmöglichkeit, seinem Mut einen Sinn zu geben
Unverändert zwiespältig, beinahe postmodern: Pierre Drieu la Rochelles "Komödie von Charleroi" erscheint erstmals auf Deutsch
Die Unterhaltung über André Malraux, die Ernst Jünger im Oktober 1941 in seinem Pariser Tagebuch festhält, wird seinem Gesprächspartner keiner Erwähnung wert sein. Pierre Drieu la Rochelle, der im besetzten Frankreich die Leitung des Flaggschiffs der französischen Literaturzeitschriften, der "Nouvelle Revue Française", übernommen hat, ist vor allem von einem eingenommen: sich selbst.
Die Kollaboration mit den deutschen Besatzern hat man dem bekennenden Antisemiten Drieu in Frankreich mit gutem Grund nie verziehen, weswegen seine Aufnahme in die maßgebliche französische Klassikeredition Pléiade im Jahr 2012 von kritischem, ja teils entsetztem Raunen begleitet wurde. Auch im Nachkriegsdeutschland war seinem Werk, das in den sechziger Jahren ausgerechnet von einem ranghohen Mitglied der ehemaligen Militäradministration ins Deutsche übertragen werden sollte, kein großer Erfolg beschieden. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Manesse Verlag sich nun an die deutsche Erstübersetzung eines Bandes herangewagt hat, in dem sich Drieu als intellektuell wie sprachlich sehr facettenreicher Autor zu erkennen gibt.
In der aus sechs Novellen sehr unterschiedlichen Umfangs bestehenden "Komödie von Charleroi" aus dem Jahr 1934 (fünf der sechs Einzeltexte wurden zum Teil deutlich früher an anderen Orten veröffentlicht) verarbeitet Drieu persönliche Fronterfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg. Der Verfechter einer vermeintlich männlichen, auf Behauptung im Kampf beruhenden Lebensweise stellt in diesen Texten vor allem die Sinnlosigkeit und Bestialität des Krieges in den Vordergrund. Der Autor versteht sein Buch immerhin als französische Antwort auf "Im Westen nichts Neues" des von ihm geschätzten Erich Maria Remarque, was im Hinblick auf den oft bemühten Vergleich zwischen Drieu und Jünger oder auch Drieu und Céline zunächst überraschen mag. Ist die Sammlung also ein Friedensmanifest?
Zu diesem Urteil kann man sich freilich nicht durchringen, stellen Tapferkeit, Heldentum und Ruhmsucht doch einige - wenn auch nicht ungebrochene - Leitmotive der Novellen dar. Hingabe an den Krieg und Hingabe an eine Frau gelten dem Erzähler der titelgebenden ersten Geschichte gleich viel. Das Gefecht versetzt ihn nachgerade in einen Rausch der Selbstbejahung, seine Feldlektüre ist Nietzsche. Dennoch wird der (moderne) Krieg wiederholt entromantisiert, indem die blindwütige technisierte Vernichtung von Individuum und Individualität gleichermaßen in eindrucksvolle Bilder gebannt wird. Es finden sich drastische Schilderungen von Verletzungen, Erkrankungen und Tötungen, augenfällig wird aber der Irrsinn des Krieges vor allem an den sehr genauen Beschreibungen sozialer Spannungen in einem französischen Heer, dem alle Gleichheit und Brüderlichkeit abgehen: Man riskiert gemeinschaftlich das Leben für eine Sache, die keine gemeinsame ist. Auf längere Feuerpausen Bezug nehmend, in denen die innere Anspannung der Soldaten kaum nachlässt, spricht der Erzähler von der "Unmöglichkeit, (s)einem Mut einen Sinn zu geben". Mit diesem Wort lässt sich der Themenkreis der sechs Novellen griffig umreißen.
Dass sich kein eindeutiges, harmonisches Bild von ihm zeichnen lässt, zählt im Übrigen zu den attraktivsten Eigenheiten des Autors wie auch des nun vorliegenden Bandes. Über die verschlungenen Wege ideologischer Andockversuche Drieus bei nahezu allen denkbaren Ismen des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts gibt das äußerst kenntnisreich verfasste Nachwort Aufschluss. Gerade darin nämlich besteht die eigentliche Besonderheit Drieus, dass er nie dieses oder jenes, sondern stets alles zugleich vertreten zu haben scheint. Davon legt auch "Die Komödie von Charleroi" als recht frühes Werk Zeugnis ab und präsentiert sich in dieser Hinsicht fast als ein Stück postmoderner Literatur.
Sprachlich bleibt die "Komödie" für deutsche Leser eine Herausforderung. Zwar gilt Drieu in Frankreich gemeinhin als begnadeter Stilist, was ihm nicht zuletzt von seinem langjährigen Freund Aragon bescheinigt wurde, doch wirkt die oft lakonische Ausdrucksweise in verbfreien Sätzen zuweilen befremdlich, woran auch die brillante Übersetzung von Eva Moldenhauer und Andrea Spingler nichts ändert, die im Register eher einmal zu hoch greift. Für solche Sätze, die so plump fallen wie Stein, entschädigen zahlreiche auch im Deutschen durch besonderen Wohlklang berückende Passagen.
Nun kann man versuchen, das enfant terrible der Zwischenkriegsjahre mit bestimmten Zuschreibungen fassbar zu machen. Ist seine Literatur verspätet dekadent, frühexistentialistisch oder einfach faschistisch? Es lassen sich für jedes Urteil eine ganze Reihe von Gründen namhaft machen, insgesamt entziehen sich Autor und Werk, zwischen denen die Grenzen oft verwischen, allerdings einer klaren Zuordnung. "Die Komödie von Charleroi" ist in ihrer Vielstimmigkeit und zynischen Erzählhaltung in jedem Fall ein einzigartiges Beispiel für die Literatur zum Ersten Weltkrieg. In der 2014 ebenfalls bei Manesse erschienenen und mit großer Euphorie aufgenommenen Weltkriegsanthologie "Über den Feldern" fehlte Drieu noch. Diese Lücke hat der Verlag nun dankenswerterweise mit einem mutigen Schritt geschlossen.
ANDREAS HAARMANN
Pierre Drieu la Rochelle: "Die Komödie von
Charleroi".
Aus dem Französischen von Andrea Spingler und Eva Moldenhauer mit einem Nachwort von Thomas Laux. Manesse Verlag, Zürich 2016. 288 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unverändert zwiespältig, beinahe postmodern: Pierre Drieu la Rochelles "Komödie von Charleroi" erscheint erstmals auf Deutsch
Die Unterhaltung über André Malraux, die Ernst Jünger im Oktober 1941 in seinem Pariser Tagebuch festhält, wird seinem Gesprächspartner keiner Erwähnung wert sein. Pierre Drieu la Rochelle, der im besetzten Frankreich die Leitung des Flaggschiffs der französischen Literaturzeitschriften, der "Nouvelle Revue Française", übernommen hat, ist vor allem von einem eingenommen: sich selbst.
Die Kollaboration mit den deutschen Besatzern hat man dem bekennenden Antisemiten Drieu in Frankreich mit gutem Grund nie verziehen, weswegen seine Aufnahme in die maßgebliche französische Klassikeredition Pléiade im Jahr 2012 von kritischem, ja teils entsetztem Raunen begleitet wurde. Auch im Nachkriegsdeutschland war seinem Werk, das in den sechziger Jahren ausgerechnet von einem ranghohen Mitglied der ehemaligen Militäradministration ins Deutsche übertragen werden sollte, kein großer Erfolg beschieden. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Manesse Verlag sich nun an die deutsche Erstübersetzung eines Bandes herangewagt hat, in dem sich Drieu als intellektuell wie sprachlich sehr facettenreicher Autor zu erkennen gibt.
In der aus sechs Novellen sehr unterschiedlichen Umfangs bestehenden "Komödie von Charleroi" aus dem Jahr 1934 (fünf der sechs Einzeltexte wurden zum Teil deutlich früher an anderen Orten veröffentlicht) verarbeitet Drieu persönliche Fronterfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg. Der Verfechter einer vermeintlich männlichen, auf Behauptung im Kampf beruhenden Lebensweise stellt in diesen Texten vor allem die Sinnlosigkeit und Bestialität des Krieges in den Vordergrund. Der Autor versteht sein Buch immerhin als französische Antwort auf "Im Westen nichts Neues" des von ihm geschätzten Erich Maria Remarque, was im Hinblick auf den oft bemühten Vergleich zwischen Drieu und Jünger oder auch Drieu und Céline zunächst überraschen mag. Ist die Sammlung also ein Friedensmanifest?
Zu diesem Urteil kann man sich freilich nicht durchringen, stellen Tapferkeit, Heldentum und Ruhmsucht doch einige - wenn auch nicht ungebrochene - Leitmotive der Novellen dar. Hingabe an den Krieg und Hingabe an eine Frau gelten dem Erzähler der titelgebenden ersten Geschichte gleich viel. Das Gefecht versetzt ihn nachgerade in einen Rausch der Selbstbejahung, seine Feldlektüre ist Nietzsche. Dennoch wird der (moderne) Krieg wiederholt entromantisiert, indem die blindwütige technisierte Vernichtung von Individuum und Individualität gleichermaßen in eindrucksvolle Bilder gebannt wird. Es finden sich drastische Schilderungen von Verletzungen, Erkrankungen und Tötungen, augenfällig wird aber der Irrsinn des Krieges vor allem an den sehr genauen Beschreibungen sozialer Spannungen in einem französischen Heer, dem alle Gleichheit und Brüderlichkeit abgehen: Man riskiert gemeinschaftlich das Leben für eine Sache, die keine gemeinsame ist. Auf längere Feuerpausen Bezug nehmend, in denen die innere Anspannung der Soldaten kaum nachlässt, spricht der Erzähler von der "Unmöglichkeit, (s)einem Mut einen Sinn zu geben". Mit diesem Wort lässt sich der Themenkreis der sechs Novellen griffig umreißen.
Dass sich kein eindeutiges, harmonisches Bild von ihm zeichnen lässt, zählt im Übrigen zu den attraktivsten Eigenheiten des Autors wie auch des nun vorliegenden Bandes. Über die verschlungenen Wege ideologischer Andockversuche Drieus bei nahezu allen denkbaren Ismen des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts gibt das äußerst kenntnisreich verfasste Nachwort Aufschluss. Gerade darin nämlich besteht die eigentliche Besonderheit Drieus, dass er nie dieses oder jenes, sondern stets alles zugleich vertreten zu haben scheint. Davon legt auch "Die Komödie von Charleroi" als recht frühes Werk Zeugnis ab und präsentiert sich in dieser Hinsicht fast als ein Stück postmoderner Literatur.
Sprachlich bleibt die "Komödie" für deutsche Leser eine Herausforderung. Zwar gilt Drieu in Frankreich gemeinhin als begnadeter Stilist, was ihm nicht zuletzt von seinem langjährigen Freund Aragon bescheinigt wurde, doch wirkt die oft lakonische Ausdrucksweise in verbfreien Sätzen zuweilen befremdlich, woran auch die brillante Übersetzung von Eva Moldenhauer und Andrea Spingler nichts ändert, die im Register eher einmal zu hoch greift. Für solche Sätze, die so plump fallen wie Stein, entschädigen zahlreiche auch im Deutschen durch besonderen Wohlklang berückende Passagen.
Nun kann man versuchen, das enfant terrible der Zwischenkriegsjahre mit bestimmten Zuschreibungen fassbar zu machen. Ist seine Literatur verspätet dekadent, frühexistentialistisch oder einfach faschistisch? Es lassen sich für jedes Urteil eine ganze Reihe von Gründen namhaft machen, insgesamt entziehen sich Autor und Werk, zwischen denen die Grenzen oft verwischen, allerdings einer klaren Zuordnung. "Die Komödie von Charleroi" ist in ihrer Vielstimmigkeit und zynischen Erzählhaltung in jedem Fall ein einzigartiges Beispiel für die Literatur zum Ersten Weltkrieg. In der 2014 ebenfalls bei Manesse erschienenen und mit großer Euphorie aufgenommenen Weltkriegsanthologie "Über den Feldern" fehlte Drieu noch. Diese Lücke hat der Verlag nun dankenswerterweise mit einem mutigen Schritt geschlossen.
ANDREAS HAARMANN
Pierre Drieu la Rochelle: "Die Komödie von
Charleroi".
Aus dem Französischen von Andrea Spingler und Eva Moldenhauer mit einem Nachwort von Thomas Laux. Manesse Verlag, Zürich 2016. 288 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die deutsche Erstübersetzung eines Bandes, in dem sich Drieu als intellektuell wie sprachlich sehr facettenreicher Autor zu erkennen gibt. ... Eine brillante Übersetzung." Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Haarmann