Eines Morgens wacht der Dichter Attar aus einem unruhigen Traum auf und stellt fest, dass er sich in einen Wiedehopf verwandelt hat. Er versammelt die Vögel der Welt und eröffnet ihnen, dass in einem fernen Land, auf dem Berg Kaf, ein König lebt, der allein in der Lage ist, die Welt von Anarchie, Armut und Aufruhr zu befreien. Die Vögel folgen ihm auf eine beschwerliche Reise und müssen die Sieben Täler durchfliegen und Stürmen, Regengüssen, Eis und glühender Hitze trotzen. Als die dreißig kräftigsten und tapfersten schließlich den Berg Kaf erreichen, abgekämpft und zerschunden, finden sie dort nicht den König, nach dem sie gesucht haben - sondern erkennen, dass der König in jedem von ihnen steckt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2013Erkenntnis ist gelb, Liebe rot
Tausend Vögel fliegen los, um die Welt zu retten: Aus dem altpersischen Epos "Mantiq Ut-tair" schuf Peter Sís einen großen Bilderreigen.
Von Susanne Klingenstein
Zuerst das Positive: Es gibt einen neuen Kinderbuchverlag mit dem Zaubernamen Aladin. In der Tat ist es dem Verlagsgründer Klaus Humann schon im ersten Programm gelungen, einen Schatz von vierzig Titeln anzuhäufen, der ihn und sein Team als Aficionados der illustrierten Kinderbuchliteratur ausweist. Man hatte schon vor einem Jahr gehört, dass Humann die Rechte an zwanzig Titeln des abgründigen Maurice Sendak er-werben wollte. Und nun erscheinen tatsächlich nebeneinander das träumerische erste Buch, "Kennys Fenster" (1956) und das so aufrührerische wie unerbittliche letzte Buch Sendaks, "Bumble-Ardy" (2011), von einem armen Schwein, das in seinem neunten Jahr einmal Geburtstag feiern will und über die Stränge schlägt.
Zu den Diamanten in Aladins Schatz gehören auch Shaun Tan, David Wiesner, Helen Oxenbury und Kveta Pacovská. Doch das Besondere an Aladins Programm ist, dass die Neulinge darin so hochkarätig sind, dass sie neben den Altmeistern bestehen können - "Oliver" von Birgitta Sif und "Als der Bär aus dem Baum fiel" von Sara Roloff, um nur zwei zu nennen.
Unter den Kronjuwelieren des Bilderbuchwesens ist auch der 1949 in Brünn geborene Peter Sís, der seit 1984 in New York lebt. Im letzten Jahr erhielt er wie Pacovská und die von ihm verehrten Meister Sendak und Tomi Ungerer den Hans Christian Andersen Preis. Sein Werk umfasst zehn illustrierte und vierundzwanzig eigene Kinderbücher, für die er schon viele Male zu Recht ausgezeichnet wurde. Aladin bringt nun Sís' jüngstes Werk "Die Konferenz der Vögel" heraus und richtet es an Kinder ab sechs Jahren. Es kann schon sein, dass es Sechsjährige gibt, die mit dem Satz "Werft ab eure Zwänge, eure Macht und alles, was euch wert" oder mit dem Satz "Die Liebe liebt das Schwierige" etwas anfangen können. In Amerika gilt "Konferenz der Vögel" als Sís' erstes Werk für Erwachsene.
Zugrunde liegt dem Buch das persische Epos "Mantiq Ut-tair" ("Die Vogelgespräche"), das der muslimische Mystiker Farid ud-Din Attar 1177 verfasste und das in einer Theaterfassung von Jean-Claude Carrière und Peter Brook als "Die Konferenz der Vögel" bekannt wurde. Tausend Vögel brechen auf. Sie durchfliegen die Täler der Leiden und Leidenschaften: Begierde, Liebe, Wissen, Enthaltsamkeit, Einheit, Bestürzung, Auflösung (persisch "fani" was auch Endlichkeit, also Tod, bedeutet). Nur dreißig Vögel schaffen es, das die Welt umgebende Ringgebirge Kuh-e-Kaf zu erreichen, wo der Vogelkönig Simurgh sein Nest hat. Dahinter beginnt das Nichts. Dass nur dreißig Vögel es zu Simurgh schaffen, ist die Pointe des sufischen Dichters. Denn "si murgh" bedeutet "dreißig Vögel." Am Ziel angekommen, erkennen die Vögel, dass sie sich selbst gesucht (und gefunden) haben. Die Botschaft lautet also: Selbsterkenntnis ist jedem gegeben, der sich darum bemüht.
Vögel sind wichtige Symbole für Sís, sagt er, denn sie überschreiten Grenzen nach Belieben. Am Ende seines großen Buches "Die Mauer" über seine Kindheit im kommunistischen Prag, sehen wir Sís auf einem Fahrrad mit Flügeln aus Papier die Mauer in Richtung Freiheit überfliegen. Seine Version des persischen Epos der Selbsterkenntnis beginnt Sís dann auch mit einer Verbeugung vor dem Altmeister der Selbstsuche, dem Prager Franz Kafka: "Als der Dichter Attar eines Morgens aus einem unruhigen Traum erwachte, stellt er fest, dass er ein Wiedehopf war." In einer Sequenz von sechs mikroskopisch feingetüpfelten Bildern führt er die Verwandlung vor. Der Wiedehopf gilt den Persern als der weiseste Vogel. Er beruft eine Konferenz der Vögel ein und beschwört sie: "Seht euch den Unfrieden in der Welt an! Anarchie - Unmut - Aufruhr! Wir müssen etwas tun. Ich kenne einen König, der uns helfen kann." Die Replik der Vögel ist der amerikanischen Revolution geschuldet: "Einen König? Wir hatten genug Könige! Was sollen wir noch mit einem König?" So ist die Botschaft, als sich die Vögel am Ende in Simurgh selbst erkennen, die erzdemokratische Lehre, dass die Verbesserung der Welt vom Volk ausgeht und von allen getragen werden muss.
In eklatantem Kontrast zur süßlich altruistischen Umorientierung des radikal egozentrischen Originaltextes stehen die asketischen Illustrationen von Sís, die Konzentration und Versenkung verlangen, um der Verrätselung des mystischen Textes in ihnen auf die Schliche zu kommen. Die präzise Tüpfeltechnik, die Vorliebe für Aussparungen und leere Räume, die Zurückhaltung beim Kolorieren schaffen Bilder, in denen Platz zum Denken ist. Wir verlassen die farbige Überfülle der Vogelkonferenz und fliegen über sieben schaurig-einsame Täler. Jedes Tal hat seine Farbe (Erkenntnis ist gelb, Einheit grün, Genügsamkeit eisig-blau, Liebe rot) und sein eigenes Labyrinth, das ihm wie ein Stempel aufgedrückt ist. Schließlich kommen wir zum tiefblauen Kuh-e-Kaf und fliegen durch duftige Lüfte der Selbsterkenntnis, in denen weiße Vogelkörper sich in fedriges Himmelblau auflösen, zurück in die pulsierende Farbwelt warmer Vogelkörper in Rot, Orange und Goldbraun. Aus den dreißig ist ein einziger geworden (die lateinische Übersetzung "e pluribus unum" steht auf jeder Dollarnote). Daraus löst sich der Wiedhopf und verwandelt sich zurück in Attar, der in die Ferne davongeht.
Eine harte Nuss, nicht nur für Sechsjährige. Das Aladin-Team tat gut daran, sie uns vorzulegen.
Peter Sís: "Die Konferenz der Vögel".
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Aladin Verlag, Hamburg 2013. 160 S., geb., 24,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tausend Vögel fliegen los, um die Welt zu retten: Aus dem altpersischen Epos "Mantiq Ut-tair" schuf Peter Sís einen großen Bilderreigen.
Von Susanne Klingenstein
Zuerst das Positive: Es gibt einen neuen Kinderbuchverlag mit dem Zaubernamen Aladin. In der Tat ist es dem Verlagsgründer Klaus Humann schon im ersten Programm gelungen, einen Schatz von vierzig Titeln anzuhäufen, der ihn und sein Team als Aficionados der illustrierten Kinderbuchliteratur ausweist. Man hatte schon vor einem Jahr gehört, dass Humann die Rechte an zwanzig Titeln des abgründigen Maurice Sendak er-werben wollte. Und nun erscheinen tatsächlich nebeneinander das träumerische erste Buch, "Kennys Fenster" (1956) und das so aufrührerische wie unerbittliche letzte Buch Sendaks, "Bumble-Ardy" (2011), von einem armen Schwein, das in seinem neunten Jahr einmal Geburtstag feiern will und über die Stränge schlägt.
Zu den Diamanten in Aladins Schatz gehören auch Shaun Tan, David Wiesner, Helen Oxenbury und Kveta Pacovská. Doch das Besondere an Aladins Programm ist, dass die Neulinge darin so hochkarätig sind, dass sie neben den Altmeistern bestehen können - "Oliver" von Birgitta Sif und "Als der Bär aus dem Baum fiel" von Sara Roloff, um nur zwei zu nennen.
Unter den Kronjuwelieren des Bilderbuchwesens ist auch der 1949 in Brünn geborene Peter Sís, der seit 1984 in New York lebt. Im letzten Jahr erhielt er wie Pacovská und die von ihm verehrten Meister Sendak und Tomi Ungerer den Hans Christian Andersen Preis. Sein Werk umfasst zehn illustrierte und vierundzwanzig eigene Kinderbücher, für die er schon viele Male zu Recht ausgezeichnet wurde. Aladin bringt nun Sís' jüngstes Werk "Die Konferenz der Vögel" heraus und richtet es an Kinder ab sechs Jahren. Es kann schon sein, dass es Sechsjährige gibt, die mit dem Satz "Werft ab eure Zwänge, eure Macht und alles, was euch wert" oder mit dem Satz "Die Liebe liebt das Schwierige" etwas anfangen können. In Amerika gilt "Konferenz der Vögel" als Sís' erstes Werk für Erwachsene.
Zugrunde liegt dem Buch das persische Epos "Mantiq Ut-tair" ("Die Vogelgespräche"), das der muslimische Mystiker Farid ud-Din Attar 1177 verfasste und das in einer Theaterfassung von Jean-Claude Carrière und Peter Brook als "Die Konferenz der Vögel" bekannt wurde. Tausend Vögel brechen auf. Sie durchfliegen die Täler der Leiden und Leidenschaften: Begierde, Liebe, Wissen, Enthaltsamkeit, Einheit, Bestürzung, Auflösung (persisch "fani" was auch Endlichkeit, also Tod, bedeutet). Nur dreißig Vögel schaffen es, das die Welt umgebende Ringgebirge Kuh-e-Kaf zu erreichen, wo der Vogelkönig Simurgh sein Nest hat. Dahinter beginnt das Nichts. Dass nur dreißig Vögel es zu Simurgh schaffen, ist die Pointe des sufischen Dichters. Denn "si murgh" bedeutet "dreißig Vögel." Am Ziel angekommen, erkennen die Vögel, dass sie sich selbst gesucht (und gefunden) haben. Die Botschaft lautet also: Selbsterkenntnis ist jedem gegeben, der sich darum bemüht.
Vögel sind wichtige Symbole für Sís, sagt er, denn sie überschreiten Grenzen nach Belieben. Am Ende seines großen Buches "Die Mauer" über seine Kindheit im kommunistischen Prag, sehen wir Sís auf einem Fahrrad mit Flügeln aus Papier die Mauer in Richtung Freiheit überfliegen. Seine Version des persischen Epos der Selbsterkenntnis beginnt Sís dann auch mit einer Verbeugung vor dem Altmeister der Selbstsuche, dem Prager Franz Kafka: "Als der Dichter Attar eines Morgens aus einem unruhigen Traum erwachte, stellt er fest, dass er ein Wiedehopf war." In einer Sequenz von sechs mikroskopisch feingetüpfelten Bildern führt er die Verwandlung vor. Der Wiedehopf gilt den Persern als der weiseste Vogel. Er beruft eine Konferenz der Vögel ein und beschwört sie: "Seht euch den Unfrieden in der Welt an! Anarchie - Unmut - Aufruhr! Wir müssen etwas tun. Ich kenne einen König, der uns helfen kann." Die Replik der Vögel ist der amerikanischen Revolution geschuldet: "Einen König? Wir hatten genug Könige! Was sollen wir noch mit einem König?" So ist die Botschaft, als sich die Vögel am Ende in Simurgh selbst erkennen, die erzdemokratische Lehre, dass die Verbesserung der Welt vom Volk ausgeht und von allen getragen werden muss.
In eklatantem Kontrast zur süßlich altruistischen Umorientierung des radikal egozentrischen Originaltextes stehen die asketischen Illustrationen von Sís, die Konzentration und Versenkung verlangen, um der Verrätselung des mystischen Textes in ihnen auf die Schliche zu kommen. Die präzise Tüpfeltechnik, die Vorliebe für Aussparungen und leere Räume, die Zurückhaltung beim Kolorieren schaffen Bilder, in denen Platz zum Denken ist. Wir verlassen die farbige Überfülle der Vogelkonferenz und fliegen über sieben schaurig-einsame Täler. Jedes Tal hat seine Farbe (Erkenntnis ist gelb, Einheit grün, Genügsamkeit eisig-blau, Liebe rot) und sein eigenes Labyrinth, das ihm wie ein Stempel aufgedrückt ist. Schließlich kommen wir zum tiefblauen Kuh-e-Kaf und fliegen durch duftige Lüfte der Selbsterkenntnis, in denen weiße Vogelkörper sich in fedriges Himmelblau auflösen, zurück in die pulsierende Farbwelt warmer Vogelkörper in Rot, Orange und Goldbraun. Aus den dreißig ist ein einziger geworden (die lateinische Übersetzung "e pluribus unum" steht auf jeder Dollarnote). Daraus löst sich der Wiedhopf und verwandelt sich zurück in Attar, der in die Ferne davongeht.
Eine harte Nuss, nicht nur für Sechsjährige. Das Aladin-Team tat gut daran, sie uns vorzulegen.
Peter Sís: "Die Konferenz der Vögel".
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Aladin Verlag, Hamburg 2013. 160 S., geb., 24,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Susanne Klingenstein freut sich darüber, dass es einen neuen Kinderbuchverlag gibt, der schon in seinem ersten Programm neben bewährten Autoren auch überzeugende Neulinge versammelt. Das neueste Werk des vielfach preisgekrönten Peter Sis, das in Amerika als sein erstes Erwachsenenwerk gilt, vom Aladin Verlag aber als Kinderbuch ab sechs herausgegeben wird, weckt in ihr gemischte Gefühle. Der in Brünn geborene und seit 1984 in den USA lebende Autor hat auf der Grundlage eines persischen Epos aus dem 12. Jahrhundert seine "Konferenz der Vögel" von einer Fabel der Selbstfindung zu einer "süßlich altruistischen" Geschichte um die Rettung der Menschheit gemacht, so die Rezensentin etwas irritiert. Sie kann sich nicht wirklich vorstellen, dass Sechsjährige mit allen Sätzen dieses Buches etwas anfangen können. Dafür findet sie aber, dass die wundervollen Illustrationen in ihrer konzentrierten und zurückhaltenden Form viel Raum für eigene Gedanken und Assoziationen lassen, und damit dann auch kleineren Kindern etwas zu bieten haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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