Überall auf der Welt nehmen Ungleichheit und Armut zu, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Doch haben sie deswegen keine Bedeutung mehr? Oder muss man sie nur neu und frisch denken, um ihr transformatives Potenzial zu entfalten?
Wolfgang Kaleck ist nicht nur der Anwalt von Edward Snowden, sondern war an zahlreichen Strafverfahren u.a. gegen Donald Rumsfeld oder gegen die argentinischen Militärdiktatoren beteiligt. Als Praktiker in weltweiten Kämpfen, auch gegen transnationale Unternehmen, entwirft er jetzt eine neue, eine konkrete Utopie. Er kritisiert den derzeit geläufigen, zu eng gefassten Menschenrechtsbegriff und weitet die Perspektive: durch einen Blick in die Geschichte und durch einen Blick auf verwandte Kämpfe weltweit. Damit nicht immer alles gleich bleibt und sich wirklich etwas ändert.
Die internationale Revolution der Menschenrechte beginnt jetzt!
»Ein überfälliger, kritischer Blick auf die Menschenrechtsbewegung von gestern und heute - und derAufruf zu neuen Allianzen für die Menschenrechtsidee.«
Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland
»Eine kämpferische Ode an eine konkrete Utopie. Wolfgang Kaleck zeigt eindringlich: Wenn wir die Verteidigung der Menschenrechte aufgeben, verabschieden wir uns von der wichtigsten Ausformulierung unserer Menschlichkeit.«
Ilija Trojanow
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Wolfgang Kaleck ist nicht nur der Anwalt von Edward Snowden, sondern war an zahlreichen Strafverfahren u.a. gegen Donald Rumsfeld oder gegen die argentinischen Militärdiktatoren beteiligt. Als Praktiker in weltweiten Kämpfen, auch gegen transnationale Unternehmen, entwirft er jetzt eine neue, eine konkrete Utopie. Er kritisiert den derzeit geläufigen, zu eng gefassten Menschenrechtsbegriff und weitet die Perspektive: durch einen Blick in die Geschichte und durch einen Blick auf verwandte Kämpfe weltweit. Damit nicht immer alles gleich bleibt und sich wirklich etwas ändert.
Die internationale Revolution der Menschenrechte beginnt jetzt!
»Ein überfälliger, kritischer Blick auf die Menschenrechtsbewegung von gestern und heute - und derAufruf zu neuen Allianzen für die Menschenrechtsidee.«
Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland
»Eine kämpferische Ode an eine konkrete Utopie. Wolfgang Kaleck zeigt eindringlich: Wenn wir die Verteidigung der Menschenrechte aufgeben, verabschieden wir uns von der wichtigsten Ausformulierung unserer Menschlichkeit.«
Ilija Trojanow
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In kleinen Schritten
zu einer fairen Welt
Wolfgang Kalecks Blick auf die Menschenrechtslage
Der deutsche Jurist Wolfgang Kaleck engagiert sich seit vielen Jahren auf internationaler Ebene dafür, dass Menschenrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. So reichte er 2006 im Namen von ehemaligen Gefangenen der US-Armee im Irak-Krieg Klage beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein. Die ehemaligen Sträflinge waren im Gefängnis von Abu Ghraib misshandelt worden und warfen den US-Streitkräften Menschenrechtsverbrechen vor. Außerdem ist Kaleck einer der Anwälte des Whistleblower Edward Snowden, der die Überwachungspraktiken westlicher Geheimdienste aufdeckte und nun in Russland im Exil lebt.
In seinem jüngsten Buch „Die konkrete Utopie der Menschenrechte“ denkt Kaleck darüber nach, wie der Erfolg von Menschenrechtsarbeit zu messen sei. Ihn stört, dass jene, die den Kampf für Gerechtigkeit verloren sehen, „wie beim Fußball“ vorgingen, nur „Sieg oder Niederlage“ zählten für sie. „Die Realität wird mit Idealzuständen verglichen, das Ausbleiben Letzterer als Endzeit der Menschenrechte konstatiert“, moniert Kaleck.
Aus Sicht des Autors erfordert es einen langen Atem, bis sich die Welt in kleinen Schritten zum Besseren wendet. Er skizziert zunächst die Ereignisse, die das weltweite Engagement für Menschenrechte beeinflusst haben, wie etwa die Französische und die Haitianische Revolution oder auch die Nürnberger Prozesse und selbstredend die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von 1948.
Kaleck, ein Vertreter des linkspolitischen Lagers, bemängelt, dass in der Menschenrechtsbewegung oft ein paternalistischer, eurozentrischer Blick vorherrsche. Er zitiert Kritiker aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie werfen westlichen Organisationen vor, dass sie viel zu lange vor allem politische und bürgerliche Rechte im Blick hatten, etwa das Recht auf Freiheit oder Eigentum. Wirtschaftliche und soziale Rechte, wie das Recht auf soziale Sicherheit oder das Recht auf Nahrung, seien zu kurz gekommen. Auch gingen die Errungenschaften von Juristen und Aktivisten der südlichen Hemisphäre in der Öffentlichkeit oft unter, schon allein weil Amnesty International und Human Rights Watch viel leichter Zugang zu finanziellen Mitteln bekommen und quasi als Duopol die öffentliche Wahrnehmung dominieren.
Mit dem Titel „konkrete Utopie“ bezieht sich Kaleck auf den deutschen Philosophen Ernst Bloch. Dabei geht es dem Autor um die reale Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, um eine „in die Zukunft weisende Denkstruktur, geschichtliche Erfahrung nutzend“. In diesem Sinn ist für Kaleck zum Beispiel die Verhaftung von Augusto Pinochet 1998 in London ein Erfolg, auch wenn der chilenische Ex-Diktator später freigelassen wurde, weil er bei schlechter Gesundheit war. Denn die Verhaftung beruhte auf Beweisen, die Aktivisten während der Diktatur gesammelt hatten, zu einer Zeit, als eine Verfolgung Pinochets unmöglich erschien. Später konnten diese Beweise genutzt werden.
Manche juristische Schritte werden deshalb auch aus strategischen Gründen angestrengt. Die Klage gegen Rumsfeld wurde zwar abgewiesen, lenkte aber die Aufmerksamkeit auf die Misshandlungen in Abu Ghraib. Ein anderes Beispiel ist die „Black Lives Matter“-Bewegung. Die globale Kampagne gegen Rassismus entstand, nachdem 2020 der weiße Polizist Derek Chauvin den Afroamerikaner George Floyd getötet hatte. Sie brachte weltweit Demonstranten auf die Straße und motivierte Aktivisten, weiter für Menschenrechte einzustehen.
Der 60-jährige Kaleck fordert, auch Unternehmen mehr in die Pflicht zu nehmen, da viele Menschenrechtsverbrechen wirtschaftliche Ursachen haben. Als Beispiel nennt er unter anderem die gewaltsamen Konflikte um Rohstoffe im Ostkongo. „Es wäre rechtlich möglich, die Manager*innen der beteiligten ausländischen Wirtschaftsunternehmen wegen Kriegsverbrechen zu verfolgen, weil der Abbau von Rohstoffen in Konfliktregionen als Plünderung und damit als eigenes Kriegsverbrechen gefasst wird“, schreibt der Jurist. Über die Verantwortung der Konsumenten, die die Produkte dieser Unternehmen kaufen, sagt er allerdings nichts.
Nach Auffassung Kalecks kann die Welt menschengerechter werden, wenn Aktivisten aus dem Norden und dem Süden gleichermaßen ernst genommen werden und alle Beteiligten zusammenarbeiten: Juristen, Aktivisten und auch Künstler. Ihnen schreibt Kaleck eine besondere Rolle zu, weil sie das kreative und emotionale Potenzial haben aufzurütteln. Ein Prozess vor Gericht bewirke in jedem Fall mehr, wenn er von Kampagnen begleitet werde.
Es ist dem Autor zugute zu halten, dass er den Blick für die Realität behält. Er räumt selbst ein, dass Kampagnen oder strategische juristische Prozesse allein keine Gewähr dafür sind, dass sich Menschenrechte durchsetzen lassen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen seien „systemisch bedingt“, also verursacht durch die „politischen und ökonomischen Machtverhältnisse“, die es zu ändern gelte. Dazu brauche es den politischen Willen und internationale Solidarität.
Man mag vielleicht nicht alles, was Kaleck als Erfolg darstellt, ebenso rosig sehen. Aber sein Buch ruft in Erinnerung, dass es in Sachen Menschenrechte Fortschritte gibt, wie etwa die Abschaffung der Sklaverei. Das Werk gibt zudem interessante Denkanstöße, wie noch mehr erreicht werden kann. Und es ist eine Warnung. So schließt das Buch mit einem Zitat des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman (1925 – 2017) : „Entweder wir reichen einander die Hände – oder wir schaufeln einander Gräber.“
JUDITH RAUPP
Errungenschaften in der
südlichen Hemisphäre gehen
in der Öffentlichkeit oft unter
Wolfgang Kaleck:
Die konkrete Utopie der Menschenrechte. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2021.
176 Seiten, 21 Euro.
E-Book: 18,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
zu einer fairen Welt
Wolfgang Kalecks Blick auf die Menschenrechtslage
Der deutsche Jurist Wolfgang Kaleck engagiert sich seit vielen Jahren auf internationaler Ebene dafür, dass Menschenrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. So reichte er 2006 im Namen von ehemaligen Gefangenen der US-Armee im Irak-Krieg Klage beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein. Die ehemaligen Sträflinge waren im Gefängnis von Abu Ghraib misshandelt worden und warfen den US-Streitkräften Menschenrechtsverbrechen vor. Außerdem ist Kaleck einer der Anwälte des Whistleblower Edward Snowden, der die Überwachungspraktiken westlicher Geheimdienste aufdeckte und nun in Russland im Exil lebt.
In seinem jüngsten Buch „Die konkrete Utopie der Menschenrechte“ denkt Kaleck darüber nach, wie der Erfolg von Menschenrechtsarbeit zu messen sei. Ihn stört, dass jene, die den Kampf für Gerechtigkeit verloren sehen, „wie beim Fußball“ vorgingen, nur „Sieg oder Niederlage“ zählten für sie. „Die Realität wird mit Idealzuständen verglichen, das Ausbleiben Letzterer als Endzeit der Menschenrechte konstatiert“, moniert Kaleck.
Aus Sicht des Autors erfordert es einen langen Atem, bis sich die Welt in kleinen Schritten zum Besseren wendet. Er skizziert zunächst die Ereignisse, die das weltweite Engagement für Menschenrechte beeinflusst haben, wie etwa die Französische und die Haitianische Revolution oder auch die Nürnberger Prozesse und selbstredend die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von 1948.
Kaleck, ein Vertreter des linkspolitischen Lagers, bemängelt, dass in der Menschenrechtsbewegung oft ein paternalistischer, eurozentrischer Blick vorherrsche. Er zitiert Kritiker aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie werfen westlichen Organisationen vor, dass sie viel zu lange vor allem politische und bürgerliche Rechte im Blick hatten, etwa das Recht auf Freiheit oder Eigentum. Wirtschaftliche und soziale Rechte, wie das Recht auf soziale Sicherheit oder das Recht auf Nahrung, seien zu kurz gekommen. Auch gingen die Errungenschaften von Juristen und Aktivisten der südlichen Hemisphäre in der Öffentlichkeit oft unter, schon allein weil Amnesty International und Human Rights Watch viel leichter Zugang zu finanziellen Mitteln bekommen und quasi als Duopol die öffentliche Wahrnehmung dominieren.
Mit dem Titel „konkrete Utopie“ bezieht sich Kaleck auf den deutschen Philosophen Ernst Bloch. Dabei geht es dem Autor um die reale Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, um eine „in die Zukunft weisende Denkstruktur, geschichtliche Erfahrung nutzend“. In diesem Sinn ist für Kaleck zum Beispiel die Verhaftung von Augusto Pinochet 1998 in London ein Erfolg, auch wenn der chilenische Ex-Diktator später freigelassen wurde, weil er bei schlechter Gesundheit war. Denn die Verhaftung beruhte auf Beweisen, die Aktivisten während der Diktatur gesammelt hatten, zu einer Zeit, als eine Verfolgung Pinochets unmöglich erschien. Später konnten diese Beweise genutzt werden.
Manche juristische Schritte werden deshalb auch aus strategischen Gründen angestrengt. Die Klage gegen Rumsfeld wurde zwar abgewiesen, lenkte aber die Aufmerksamkeit auf die Misshandlungen in Abu Ghraib. Ein anderes Beispiel ist die „Black Lives Matter“-Bewegung. Die globale Kampagne gegen Rassismus entstand, nachdem 2020 der weiße Polizist Derek Chauvin den Afroamerikaner George Floyd getötet hatte. Sie brachte weltweit Demonstranten auf die Straße und motivierte Aktivisten, weiter für Menschenrechte einzustehen.
Der 60-jährige Kaleck fordert, auch Unternehmen mehr in die Pflicht zu nehmen, da viele Menschenrechtsverbrechen wirtschaftliche Ursachen haben. Als Beispiel nennt er unter anderem die gewaltsamen Konflikte um Rohstoffe im Ostkongo. „Es wäre rechtlich möglich, die Manager*innen der beteiligten ausländischen Wirtschaftsunternehmen wegen Kriegsverbrechen zu verfolgen, weil der Abbau von Rohstoffen in Konfliktregionen als Plünderung und damit als eigenes Kriegsverbrechen gefasst wird“, schreibt der Jurist. Über die Verantwortung der Konsumenten, die die Produkte dieser Unternehmen kaufen, sagt er allerdings nichts.
Nach Auffassung Kalecks kann die Welt menschengerechter werden, wenn Aktivisten aus dem Norden und dem Süden gleichermaßen ernst genommen werden und alle Beteiligten zusammenarbeiten: Juristen, Aktivisten und auch Künstler. Ihnen schreibt Kaleck eine besondere Rolle zu, weil sie das kreative und emotionale Potenzial haben aufzurütteln. Ein Prozess vor Gericht bewirke in jedem Fall mehr, wenn er von Kampagnen begleitet werde.
Es ist dem Autor zugute zu halten, dass er den Blick für die Realität behält. Er räumt selbst ein, dass Kampagnen oder strategische juristische Prozesse allein keine Gewähr dafür sind, dass sich Menschenrechte durchsetzen lassen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen seien „systemisch bedingt“, also verursacht durch die „politischen und ökonomischen Machtverhältnisse“, die es zu ändern gelte. Dazu brauche es den politischen Willen und internationale Solidarität.
Man mag vielleicht nicht alles, was Kaleck als Erfolg darstellt, ebenso rosig sehen. Aber sein Buch ruft in Erinnerung, dass es in Sachen Menschenrechte Fortschritte gibt, wie etwa die Abschaffung der Sklaverei. Das Werk gibt zudem interessante Denkanstöße, wie noch mehr erreicht werden kann. Und es ist eine Warnung. So schließt das Buch mit einem Zitat des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman (1925 – 2017) : „Entweder wir reichen einander die Hände – oder wir schaufeln einander Gräber.“
JUDITH RAUPP
Errungenschaften in der
südlichen Hemisphäre gehen
in der Öffentlichkeit oft unter
Wolfgang Kaleck:
Die konkrete Utopie der Menschenrechte. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2021.
176 Seiten, 21 Euro.
E-Book: 18,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zunächst klärt Rezensentin Judith Raupp darüber auf, wer der Autor ist und preist seine international engagierte Haltung, zu der auch gehöre, wie man hier erfährt, Menschenrechtsprozesse manchmal auch aus strategischen Gründen anzustrengen. Die Kritikerin zeigt die Argumentationslinien auf, die am Ende beweisen sollen: Erstens gibt es Erfolge im Bereich der Menschenrechtsentwicklung und zweitens könnte es noch mehr geben, wenn Forderungen und Erkenntnisse der "Juristen und Aktivisten aus der südlichen Hemisphäre" stärker zur Kenntnis genommen und einbezogen würden. Auch die wirtschaftlichen Ursachen für Menschenrechtsverletzungen könnten, wenn es nach Kaleck ginge, wesentlich stärker in den Blick kommen, führt die Kritikerin aus. Nicht ganz so überzeugt wie der Autor ist sie von einer insgesamt positiven Entwicklung der Menschenrechte, aber sie findet doch, das Buch enthalte "interessante Denkanstöße".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.05.2021In kleinen Schritten
zu einer fairen Welt
Wolfgang Kalecks Blick auf die Menschenrechtslage
Der deutsche Jurist Wolfgang Kaleck engagiert sich seit vielen Jahren auf internationaler Ebene dafür, dass Menschenrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. So reichte er 2006 im Namen von ehemaligen Gefangenen der US-Armee im Irak-Krieg Klage beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein. Die ehemaligen Sträflinge waren im Gefängnis von Abu Ghraib misshandelt worden und warfen den US-Streitkräften Menschenrechtsverbrechen vor. Außerdem ist Kaleck einer der Anwälte des Whistleblower Edward Snowden, der die Überwachungspraktiken westlicher Geheimdienste aufdeckte und nun in Russland im Exil lebt.
In seinem jüngsten Buch „Die konkrete Utopie der Menschenrechte“ denkt Kaleck darüber nach, wie der Erfolg von Menschenrechtsarbeit zu messen sei. Ihn stört, dass jene, die den Kampf für Gerechtigkeit verloren sehen, „wie beim Fußball“ vorgingen, nur „Sieg oder Niederlage“ zählten für sie. „Die Realität wird mit Idealzuständen verglichen, das Ausbleiben Letzterer als Endzeit der Menschenrechte konstatiert“, moniert Kaleck.
Aus Sicht des Autors erfordert es einen langen Atem, bis sich die Welt in kleinen Schritten zum Besseren wendet. Er skizziert zunächst die Ereignisse, die das weltweite Engagement für Menschenrechte beeinflusst haben, wie etwa die Französische und die Haitianische Revolution oder auch die Nürnberger Prozesse und selbstredend die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von 1948.
Kaleck, ein Vertreter des linkspolitischen Lagers, bemängelt, dass in der Menschenrechtsbewegung oft ein paternalistischer, eurozentrischer Blick vorherrsche. Er zitiert Kritiker aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie werfen westlichen Organisationen vor, dass sie viel zu lange vor allem politische und bürgerliche Rechte im Blick hatten, etwa das Recht auf Freiheit oder Eigentum. Wirtschaftliche und soziale Rechte, wie das Recht auf soziale Sicherheit oder das Recht auf Nahrung, seien zu kurz gekommen. Auch gingen die Errungenschaften von Juristen und Aktivisten der südlichen Hemisphäre in der Öffentlichkeit oft unter, schon allein weil Amnesty International und Human Rights Watch viel leichter Zugang zu finanziellen Mitteln bekommen und quasi als Duopol die öffentliche Wahrnehmung dominieren.
Mit dem Titel „konkrete Utopie“ bezieht sich Kaleck auf den deutschen Philosophen Ernst Bloch. Dabei geht es dem Autor um die reale Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, um eine „in die Zukunft weisende Denkstruktur, geschichtliche Erfahrung nutzend“. In diesem Sinn ist für Kaleck zum Beispiel die Verhaftung von Augusto Pinochet 1998 in London ein Erfolg, auch wenn der chilenische Ex-Diktator später freigelassen wurde, weil er bei schlechter Gesundheit war. Denn die Verhaftung beruhte auf Beweisen, die Aktivisten während der Diktatur gesammelt hatten, zu einer Zeit, als eine Verfolgung Pinochets unmöglich erschien. Später konnten diese Beweise genutzt werden.
Manche juristische Schritte werden deshalb auch aus strategischen Gründen angestrengt. Die Klage gegen Rumsfeld wurde zwar abgewiesen, lenkte aber die Aufmerksamkeit auf die Misshandlungen in Abu Ghraib. Ein anderes Beispiel ist die „Black Lives Matter“-Bewegung. Die globale Kampagne gegen Rassismus entstand, nachdem 2020 der weiße Polizist Derek Chauvin den Afroamerikaner George Floyd getötet hatte. Sie brachte weltweit Demonstranten auf die Straße und motivierte Aktivisten, weiter für Menschenrechte einzustehen.
Der 60-jährige Kaleck fordert, auch Unternehmen mehr in die Pflicht zu nehmen, da viele Menschenrechtsverbrechen wirtschaftliche Ursachen haben. Als Beispiel nennt er unter anderem die gewaltsamen Konflikte um Rohstoffe im Ostkongo. „Es wäre rechtlich möglich, die Manager*innen der beteiligten ausländischen Wirtschaftsunternehmen wegen Kriegsverbrechen zu verfolgen, weil der Abbau von Rohstoffen in Konfliktregionen als Plünderung und damit als eigenes Kriegsverbrechen gefasst wird“, schreibt der Jurist. Über die Verantwortung der Konsumenten, die die Produkte dieser Unternehmen kaufen, sagt er allerdings nichts.
Nach Auffassung Kalecks kann die Welt menschengerechter werden, wenn Aktivisten aus dem Norden und dem Süden gleichermaßen ernst genommen werden und alle Beteiligten zusammenarbeiten: Juristen, Aktivisten und auch Künstler. Ihnen schreibt Kaleck eine besondere Rolle zu, weil sie das kreative und emotionale Potenzial haben aufzurütteln. Ein Prozess vor Gericht bewirke in jedem Fall mehr, wenn er von Kampagnen begleitet werde.
Es ist dem Autor zugute zu halten, dass er den Blick für die Realität behält. Er räumt selbst ein, dass Kampagnen oder strategische juristische Prozesse allein keine Gewähr dafür sind, dass sich Menschenrechte durchsetzen lassen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen seien „systemisch bedingt“, also verursacht durch die „politischen und ökonomischen Machtverhältnisse“, die es zu ändern gelte. Dazu brauche es den politischen Willen und internationale Solidarität.
Man mag vielleicht nicht alles, was Kaleck als Erfolg darstellt, ebenso rosig sehen. Aber sein Buch ruft in Erinnerung, dass es in Sachen Menschenrechte Fortschritte gibt, wie etwa die Abschaffung der Sklaverei. Das Werk gibt zudem interessante Denkanstöße, wie noch mehr erreicht werden kann. Und es ist eine Warnung. So schließt das Buch mit einem Zitat des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman (1925 – 2017) : „Entweder wir reichen einander die Hände – oder wir schaufeln einander Gräber.“
JUDITH RAUPP
Errungenschaften in der
südlichen Hemisphäre gehen
in der Öffentlichkeit oft unter
Wolfgang Kaleck:
Die konkrete Utopie der Menschenrechte. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2021.
176 Seiten, 21 Euro.
E-Book: 18,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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zu einer fairen Welt
Wolfgang Kalecks Blick auf die Menschenrechtslage
Der deutsche Jurist Wolfgang Kaleck engagiert sich seit vielen Jahren auf internationaler Ebene dafür, dass Menschenrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. So reichte er 2006 im Namen von ehemaligen Gefangenen der US-Armee im Irak-Krieg Klage beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein. Die ehemaligen Sträflinge waren im Gefängnis von Abu Ghraib misshandelt worden und warfen den US-Streitkräften Menschenrechtsverbrechen vor. Außerdem ist Kaleck einer der Anwälte des Whistleblower Edward Snowden, der die Überwachungspraktiken westlicher Geheimdienste aufdeckte und nun in Russland im Exil lebt.
In seinem jüngsten Buch „Die konkrete Utopie der Menschenrechte“ denkt Kaleck darüber nach, wie der Erfolg von Menschenrechtsarbeit zu messen sei. Ihn stört, dass jene, die den Kampf für Gerechtigkeit verloren sehen, „wie beim Fußball“ vorgingen, nur „Sieg oder Niederlage“ zählten für sie. „Die Realität wird mit Idealzuständen verglichen, das Ausbleiben Letzterer als Endzeit der Menschenrechte konstatiert“, moniert Kaleck.
Aus Sicht des Autors erfordert es einen langen Atem, bis sich die Welt in kleinen Schritten zum Besseren wendet. Er skizziert zunächst die Ereignisse, die das weltweite Engagement für Menschenrechte beeinflusst haben, wie etwa die Französische und die Haitianische Revolution oder auch die Nürnberger Prozesse und selbstredend die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von 1948.
Kaleck, ein Vertreter des linkspolitischen Lagers, bemängelt, dass in der Menschenrechtsbewegung oft ein paternalistischer, eurozentrischer Blick vorherrsche. Er zitiert Kritiker aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie werfen westlichen Organisationen vor, dass sie viel zu lange vor allem politische und bürgerliche Rechte im Blick hatten, etwa das Recht auf Freiheit oder Eigentum. Wirtschaftliche und soziale Rechte, wie das Recht auf soziale Sicherheit oder das Recht auf Nahrung, seien zu kurz gekommen. Auch gingen die Errungenschaften von Juristen und Aktivisten der südlichen Hemisphäre in der Öffentlichkeit oft unter, schon allein weil Amnesty International und Human Rights Watch viel leichter Zugang zu finanziellen Mitteln bekommen und quasi als Duopol die öffentliche Wahrnehmung dominieren.
Mit dem Titel „konkrete Utopie“ bezieht sich Kaleck auf den deutschen Philosophen Ernst Bloch. Dabei geht es dem Autor um die reale Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, um eine „in die Zukunft weisende Denkstruktur, geschichtliche Erfahrung nutzend“. In diesem Sinn ist für Kaleck zum Beispiel die Verhaftung von Augusto Pinochet 1998 in London ein Erfolg, auch wenn der chilenische Ex-Diktator später freigelassen wurde, weil er bei schlechter Gesundheit war. Denn die Verhaftung beruhte auf Beweisen, die Aktivisten während der Diktatur gesammelt hatten, zu einer Zeit, als eine Verfolgung Pinochets unmöglich erschien. Später konnten diese Beweise genutzt werden.
Manche juristische Schritte werden deshalb auch aus strategischen Gründen angestrengt. Die Klage gegen Rumsfeld wurde zwar abgewiesen, lenkte aber die Aufmerksamkeit auf die Misshandlungen in Abu Ghraib. Ein anderes Beispiel ist die „Black Lives Matter“-Bewegung. Die globale Kampagne gegen Rassismus entstand, nachdem 2020 der weiße Polizist Derek Chauvin den Afroamerikaner George Floyd getötet hatte. Sie brachte weltweit Demonstranten auf die Straße und motivierte Aktivisten, weiter für Menschenrechte einzustehen.
Der 60-jährige Kaleck fordert, auch Unternehmen mehr in die Pflicht zu nehmen, da viele Menschenrechtsverbrechen wirtschaftliche Ursachen haben. Als Beispiel nennt er unter anderem die gewaltsamen Konflikte um Rohstoffe im Ostkongo. „Es wäre rechtlich möglich, die Manager*innen der beteiligten ausländischen Wirtschaftsunternehmen wegen Kriegsverbrechen zu verfolgen, weil der Abbau von Rohstoffen in Konfliktregionen als Plünderung und damit als eigenes Kriegsverbrechen gefasst wird“, schreibt der Jurist. Über die Verantwortung der Konsumenten, die die Produkte dieser Unternehmen kaufen, sagt er allerdings nichts.
Nach Auffassung Kalecks kann die Welt menschengerechter werden, wenn Aktivisten aus dem Norden und dem Süden gleichermaßen ernst genommen werden und alle Beteiligten zusammenarbeiten: Juristen, Aktivisten und auch Künstler. Ihnen schreibt Kaleck eine besondere Rolle zu, weil sie das kreative und emotionale Potenzial haben aufzurütteln. Ein Prozess vor Gericht bewirke in jedem Fall mehr, wenn er von Kampagnen begleitet werde.
Es ist dem Autor zugute zu halten, dass er den Blick für die Realität behält. Er räumt selbst ein, dass Kampagnen oder strategische juristische Prozesse allein keine Gewähr dafür sind, dass sich Menschenrechte durchsetzen lassen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen seien „systemisch bedingt“, also verursacht durch die „politischen und ökonomischen Machtverhältnisse“, die es zu ändern gelte. Dazu brauche es den politischen Willen und internationale Solidarität.
Man mag vielleicht nicht alles, was Kaleck als Erfolg darstellt, ebenso rosig sehen. Aber sein Buch ruft in Erinnerung, dass es in Sachen Menschenrechte Fortschritte gibt, wie etwa die Abschaffung der Sklaverei. Das Werk gibt zudem interessante Denkanstöße, wie noch mehr erreicht werden kann. Und es ist eine Warnung. So schließt das Buch mit einem Zitat des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman (1925 – 2017) : „Entweder wir reichen einander die Hände – oder wir schaufeln einander Gräber.“
JUDITH RAUPP
Errungenschaften in der
südlichen Hemisphäre gehen
in der Öffentlichkeit oft unter
Wolfgang Kaleck:
Die konkrete Utopie der Menschenrechte. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2021.
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Ein lesenswertes Buch, das man nicht so schnell aus der Hand legt. Herta Däubler-Gmelin fachbuchjournal 20210812