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Über die diskursive Beherrschung fremder Wirklichkeit Foucaultsche Diskursanalyse, seit langem Gegenstand theoretischer Diskussionen und Debatten, wird in dieser Studie methodologisch und methodisch an konkretem Textmaterial erprobt - an Missionarsrelationen, Kolonialchroniken, Gesetzestexten, Wörterbüchern und Grammatiken aus dem frühen 17. Jahrhundert, die im Rahmen der französischen Kolonisierung der Antillen entstanden. In zweierlei Hinsicht lassen sich diese Texte als Konstruktionen einer kolonialen Wirklichkeit lesen. Die Texte entwerfen einerseits - im Sinne des linguistic turn - die…mehr

Produktbeschreibung
Über die diskursive Beherrschung fremder Wirklichkeit Foucaultsche Diskursanalyse, seit langem Gegenstand theoretischer Diskussionen und Debatten, wird in dieser Studie methodologisch und methodisch an konkretem Textmaterial erprobt - an Missionarsrelationen, Kolonialchroniken, Gesetzestexten, Wörterbüchern und Grammatiken aus dem frühen 17. Jahrhundert, die im Rahmen der französischen Kolonisierung der Antillen entstanden. In zweierlei Hinsicht lassen sich diese Texte als Konstruktionen einer kolonialen Wirklichkeit lesen. Die Texte entwerfen einerseits - im Sinne des linguistic turn - die Wirklichkeit, die sie zu repräsentieren vorgeben. "Neger", "Wilde", die fremde Natur oder auch die fremde Sprache sind Produkte einer diskursiven Praxis, deren Regelhaftigkeiten die Autorin beschreibt. Andererseits gestalten Texte eine soziale Wirklichkeit in entscheidender Weise mit: Die Missionarsrelationen und Historien informieren, rechtfertigen, liefern Handlungsanweisungen, pr oduzieren und verbreiten legitimes Wissen. Im Rückgriff auf Foucault und seine Diskurstheorie zeigt die Autorin, wie in den behandelten Texten epistemische Konstellationen, Diskursgegenstände und partikularen Strategien, die ihrerseits durch Auseinanderssetzungen zwischen den Kolonialmächten, durch Erfordernisse des kolonialen Projekts oder auch durch Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen an der Besiedlung beteiligten Gruppen motiviert sind, miteinander verzahnt sind.
Autorenporträt
Sabine Hofmann, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Universität Frankfurt/Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2001

Verstehen Sie meinen Verrat bitte nicht falsch
Europas Austausch mit der Neuen Welt: Zwei originelle Studien legen die Rolle des "Wilden" frei

Warum eigentlich Glasperlen? Wann immer Europäer im Zeitalter der Entdeckungsfahrten mit den Wilden einer fremden Welt in Austausch treten, kommen Kleinigkeiten dieser Art ins Spiel. Als Geschenke oder Tauschobjekte leiten sie den ersten Kontakt ein und helfen, die höchst prekäre Situation wechselseitigen Erkundens zu bewältigen, oftmals vor jeder Möglichkeit zu sprachlicher Verständigung. Glasperlen, Kämme, Taschenspiegel und dergleichen können dabei Wunder wirken, wenn wir den Berichten der Entdecker folgen, denn sie werden gern gesehen, freudig angenommen und sogleich mit attraktiven Gegengaben abgegolten: echten Perlen oder sogar Gold oder auch Früchten der exotischen Vegetation.

So beginnt die folgenreiche Kolonialgeschichte mit der vielfach wiederholten Vorstellung einer reziproken Tauschbeziehung, bei der zivilisatorische Produkte für Gaben der Natur gegeben werden. Allerdings mag der Triumph, kostbare Güter mit glitzerndem Tand erbeutet zu haben, den Europäern doch auf dem Gewissen lasten. Wie Stephen Greenblatt vor zehn Jahren in "Marvelous Possessions" darlegte, war den Reisenden der Frühen Neuzeit das Konzept vom relativen Marktwert, nach Seltenheit und Nachfrage bemessen, fremd. Im Glauben an natürliche und inhärente Werte tauschte, wer echte Perlen für Glaskugeln annahm, daher leere für volle Zeichen ein. Daß dieser profitable Tausch bloß Täuschung sei, wie manche Zeitgenossen meinten, brachte die christliche Legitimierung der Entdecker in Bedrängnis.

Der Verdacht ließ sich erst dadurch tilgen, daß den Wilden etwas anderes zugesprochen wurde. Als Dreingabe im Kolonialwarenhandel erhielten sie Teilhabe an der Kultur und konnten durch religiöse Konversion ein viel höheres Gut empfangen. Doch selbst indem die Missionare ein derart großes Geschenk darbrachten, läßt sich der Eindruck kaum vermeiden, wie Greenblatt in schönem understatement schrieb, daß auch diese Gabe eine Art Besitzergreifung war. Das koloniale Machtinteresse im Kulturkontakt verdrängt den Sinn des Wunderbaren aus der wechselseitigen Beschenkung. Dieses Problem steht nun im Zentrum von zwei aufschlußreichen Studien, die Europas Austausch mit der Neuen Welt in romanistischer und amerikanistischer Sicht neuerlich befragen.

Kämme gegen Ananas

Sabine Hofmann untersucht französische Karibiktexte aus dem siebzehnten Jahrhundert wie etwa Charles de Rocheforts "Histoire naturelle et morale des Isles Antilles de l'Amérique" (1658) und Jean-Baptiste Du Tertres "Histoire générale des Antilles habitées par les François" (1667), Geschichtsbücher aus einer Zeit, da Frankreichs Herrschaft auf den Antillen sich konsolidierte und durch die Bestandsaufnahme der dort vorfindlichen Pflanzen, Tiere sowie Einwohner bekräftigt werden sollte. Das Frontispiz von Du Tertres umfangreichem Werk kündigt dazu allegorisch an, wie die Expansion zu deuten sei. In klarer Symmetrie stehen sich hier Franzosen und Kariben gegenüber; im Zentrum thront Fortuna und teilt aus ihren Füllhörnern zu beiden Seiten Begehrenswertes aus: Die nackten Ureinwohner empfangen Kämme, Scheren, Bücher, die Franzosen Ananas, Papayas, Tabakblätter. Jede Seite gibt, worüber sie im Überfluß verfügt; das Kolonialprojekt wird so als Gabentausch in gutem Einvernehmen inszeniert.

Wenn die folgende historische Darstellung dennoch nicht umhinkommt, auch von den Gewaltakten der Kolonialpioniere zu sprechen, dann begründet sie dies stets mit dem "Verrat" der Wilden, sich nicht an getroffene "Vereinbarungen" zu halten und daher zu militärischer Landnahme zu nötigen. Mit solchen Strategien nehmen die Geschichtsbücher wichtige politische Funktionen wahr und werden Teil der Herrschaftspraxis, von der sie erzählen. Sie konstruieren die koloniale Wirklichkeit, aus der sie selbst hervorgegangen sind. Auf diese doppelte Beziehung weist schon der Genitiv in Hofmanns Titel hin. "Die Konstruktion kolonialer Wirklichkeit" läßt sich zweifach lesen: Die untersuchten Texte sind diskursive Produkte wie Produzenten der französischen Antillen. Auch Ulla Haselsteins Untersuchung zur literarischen Textpraxis in Nordamerika führt einen Genitiv im Titel, der bereits eine entscheidende Pointe setzt: "Die Gabe der Zivilisation" zeigt an, daß den Wilden mit jeder noch so wertlosen Spiegelscherbe die Zivilisation selbst gegeben werden soll - eine brauchbare Rechtfertigung der kolonialistischen Urszene.

Doch Haselsteins Interesse, das hier direkt an Greenblatt anschließt, geht weit darüber hinaus. Dieselben Darstellungen lassen sich zugleich als Zeugnis des Betrugs an unschuldigen Naturmenschen lesen und eröffnen so die Möglichkeit zur Kritik an europäischen Ordnungssystemen. Damit aber wird die Gabe der Wilden "zur kontroversen Figur, die das Gegebene der eigenen Kultur in Frage stellt". Dem Konzept von Marcel Mauß ebenso wie Derrida verpflichtet, werden unter dieser doppelten Perspektive drei Fallstudien durchgeführt: Mary Rowlandsons "Captivity Narrative" von 1682, James Fenimore Coopers historischer Roman "The Wept of Wish-Ton-Wish" (1829) und "Incidents in the Life of a Slave Girl" (1861), der autobiographische Leidens- und Emanzipationsweg von Harriet Jacobs.

So unterschiedlich das jeweilige Genre und so weitgespannt der historische Bogen auch ist, alle drei Texte kreisen um historische Mittlerfiguren, die als Gefangene, Geflohene oder Gefundene die kolonialen Grenzen überschreiten und dabei kulturelle Tauschszenarien durchkreuzen. Nach dem Muster biblischer Exils- und Heilsgeschichte erzählt der puritanische Bericht aus dem siebzehnten Jahrhundert von der Entführung einer Siedlerin durch die Indianer. Den Wilden ausgeliefert, gerät Rowlandson in eine prekäre Position: Standhaft die göttliche Prüfung erduldend, paßt sie sich fürs Überleben gleichwohl der Lebensweise ihrer Peiniger strategisch an.

Doch solche mimetische Leistungen finden sich auch auf der anderen Seite. Vom Kontakt mit Europäern nachhaltig geprägt, haben etliche Indianer den christlichen Glauben angenommen - wie Rowlandson allerdings annimmt, ihrerseits nur in strategischer Absicht. Die unterstellte Hinterhältigkeit der sogenannten "Praying Indians", welche die Gabe der Religion nur zum Schein akzeptieren, ist das inverse Spiegelbild der Geisel, die zur Überläuferin zu werden droht. Ihr Text, allen Täuschungsversuchen vergeblich trotzend, zeigt jedenfalls den problematischen Ort des Sprechens zwischen den Kulturen. Unter anderem politischen Problemdruck unternehmen auch die Texte aus dem neunzehnten Jahrhundert solche ungesicherten Experimente in Akkulturation durch Grenzgängerfiguren.

Coopers romantische Reinszenierung der frühen Siedlungsgeschichte erhebt die Indianer genau zu jener Zeit zu Edlen Wilden, als ihre verbliebenen Nachfahren in Reservate abgeschoben werden, während die Republik sich anschickt, den nationalen Aufstieg reziprok zum schicksalhaften Niedergang der "Naturvölker" elegisch zu deuten. Im späteren Lebensbericht der Sklavin, die ihrem Peiniger entflieht, wird das Muster der klassischen "Captivity Narratives" umbesetzt. Mit der Selbstverschriftlichung hat sich diese Autorin widerrechtlich eine Kulturtechnik angeeignet, um sich im Verkaufserlös des Buchs selbst freizukaufen und ihre Aufnahme in die Gesellschaft zu autorisieren. Dafür erzählt Jacobs auch vom illegitimen Verhältnis zu einem weißen Mann, denn paradoxerweise nur indem sie sich hingibt, kann eine Sklavin sich besitzen. Die Gabe des Selbst ist ihr erster Akt der Selbstbestimmung. Gegenüber Haselsteins ebenso komplexen wie konzisen Ausführungen zum amerikanischen Kulturaustausch ist Hofmanns Inventarisierung der französischen Karibiktexte sehr viel weniger ergiebig. Die aufschlußreichsten Passagen gelten hier den Strategien, mit denen die Gelehrten des siebzehnten Jahrhunderts, um dem Missionsprojekt vorzuarbeiten, die Sprache der Antillen zu beschreiben suchen und dabei durch semantische Verschiebungen gefährlichen Bedeutungsmanipulationen Vorschub leisten. Wenn "Gott" auf karibisch "Ichéiri" heißen soll, kann kein Europäer je mit Gewißheit sagen, zu wem die bekehrten Insulaner nach solcher Übersetzung beten.

Poesie als Mittel der Politik

Zumeist folgt Hofmanns Analyse allerdings einem Verfahren, das sie selbst in den untersuchten Texten ausmacht, und ordnet ihre Entdeckungen sorgsam in ein mitgebrachtes Muster ein: Statt Plinius gilt ihr Foucault als die zentrale Autorität, die für die Ordnung aller Dinge bürgt. So lesen wir wieder einmal viel von alten Epistemen und erfahren wenig Neues von den tiefgreifenden Irritationen und Unsicherheiten, die in der kolonialen Kontaktzone bewältigt werden müssen. Damit jedoch stehen die beiden Bücher auch in der Tradition ihrer jeweiligen Fächer. Mit Studien zum Amerikadiskurs kann man heute - um selbst eine koloniale Grundfigur zu nutzen - kein Neuland mehr betreten oder gar ganz neue Welten für die Wissenschaft entdecken. Seit zwei Jahrzehnten zunehmend erschlossen, stellt dieses Terrain ein Feld der Wissenschaft, auf dem frankophone und anglophone Deutungsansprüche rivalisieren. Nach wichtigen Pionierleistungen seitens französischer Autoren (namentlich Todorovs Darstellung von 1982, obwohl viel gescholten, hat entscheidende Anstöße geliefert) gelingt es seither eher englischen oder amerikanischen Untersuchungen, Diskursanalyse mit Kulturanthropologie und dekonstruktiven Ansätzen so produktiv zusammenzuführen, daß zwischen vermeintlich klaren Fronten ein ganzes Spektrum kultureller Grenzpraktiken kenntlich wird.

Insbesondere scheint im frankophonen Kontext die Rezeption von Greenblatts New Historicism nicht so weit zu gehen, daß seine spannungsvolle Rückbeziehung poetischer Verfahren auf politische Verhandlungen greift. Haselsteins Untersuchung bietet dafür nicht nur ein bravouröses Beispiel, sondern erfüllt zugleich ein Desiderat, das einzulösen Greenblatt selbst beharrlich mied: die luzide Herleitung seines Programms als poststrukturalistische Revision der strukturalen Anthropologie. Auch wer bei den Fallstudien der Autorin nicht jede dekonstruktive Drehung mitvollziehen mag, wird ihren Lektüren daher mit Spannung folgen. Sie verfügt über die Gabe, sehr weitreichende und verzweigte Argumentationen an Beispieltexten so zu konkretisieren, daß die Literaturwissenschaft, statt Glasperlenspiele zu treiben, sich dabei zur Kulturwissenschaft vertieft.

TOBIAS DÖRING

Ulla Haselstein: "Die Gabe der Zivilisation". Kultureller Austausch und literarische Textpraxis in Amerika 1682-1861. Wilhelm Fink Verlag, München 2000. 189 S., br., 58,- DM.

Sabine Hofmann: "Die Konstruktion kolonialer Wirklichkeit". Eine diskursanalytische Untersuchung französischer Karibiktexte des frühen 17. Jahrhunderts. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2001. 263 S., br., 68,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Tobias Döring stellt zwei aufschlussreiche Studien über "die Rolle des Wilden" vor: "Die Gabe der Zivilisation" von Ulla Haselstein und "Die Konstruktion kolonialer Wirklichkeit" von Sabine Hofmann. Diese Studie handelt vom Tausch "zivilisatorischer Produkte" gegen "Gaben der Natur", berichtet der Rezensent Tobias Döring. Die Autorin nahm sich "französische Karibiktexte" aus dem 17. Jahrhundert vor, was dem Rezensenten "wenig ergiebig" erscheint. Der kulturelle Austausch werde nach Darstellung der Autorin als Gabentisch dargestellt. Jede Seite gibt, wovon sie im Überfluss hat. Fanden Gewaltakte der "Kolonialpioniere" statt, so werden diese in den Texten mit "Verrat der Wilden" erklärt: Die hätten sich nicht an getroffene Vereinbarungen gehalten. Die Deutung dieser Art nehme in den Büchern "wichtige politische Funktionen" wahr, so der Rezensent: Die koloniale Wirklichkeit würde so konstruiert, wie es die Gelehrten gern hätten. Der Leser erfährt nach Ansicht des Rezensenten "wenig Neues über tiefgreifende Irritationen und Unsicherheiten des kolonialen Kontakts".

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