Die Briten halfen 1945 maßgeblich dabei, in Deutschland einen neuen, demokratischen Journalismus aufzubauen. Ist die englische Presse auch heute noch ein Vorbild? Das Buch bietet einen systematischen Vergleich des britischen und deutschen Journalismus - von seinen historischen Wurzeln bis zu seinen aktuellen Problemen. Die Arbeit verfolgt drei Ziele: Erstens das komplexe Handlungsfeld der britischen und deutschen Journalisten mit ihren relevanten Einflussbereichen (u.a. Pressetradition, Marktdynamik, Presserecht, Medienpolitik, Berufsethik, Selbstverständnis, Standesorganisationen, Nachwuchsausbildung, Redaktionsabläufe und -zwänge) zu beschreiben und vergleichend zu analysieren. Zweitens darzustellen, was der Journalismus des einen Landes vom anderen lernen kann, vor allem in redaktionsorganisatorischer Hinsicht. Drittens diejenigen Einflusskräfte herauszuarbeiten, die dem britischen und deutschen Journalismus seine spezifisch nationale und kulturelle Identität verleihen. Dazu gehören das Verhältnis der Presse zum Staat und zu absoluten Werten sowie das Verständnis von Öffentlichkeit, Parteilichkeit, Meinung und von journalistischer Freiheit. Erst das strikt international vergleichende Vorgehen verhilft zu spannenden, häufig überraschenden Erkenntnissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.1998An der Grenze
Presse- und Persönlichkeitsrecht in Deutschland und England
Frank Esser: Die Kräfte hinter den Schlagzeilen. Englischer und deutscher Journalismus im Vergleich. Verlag Karl Alber, Freiburg und München 1998. 528 Seiten, 68,- Mark.
Die englische Presse wirkt oft aggressiv, respekt- und schonungslos. Auf der Jagd nach der Story zählt allein die Enthüllung, die dem Leser dann in klarer bis kraftstrotzender Sprache unterbreitet wird. Doch dieser Eindruck trügt. Wie Frank Esser in seiner vergleichenden Darstellung des englischen und des deutschen Journalismus ausarbeitet, ist die britische Rechtslage gespalten: Es gibt praktisch keinen Informationsanspruch der Medien gegenüber Behörden, weshalb diese als "die verschlossensten der westlichen Welt gelten". Die Journalisten genießen kein Zeugnisverweigerungsrecht wie in Deutschland. Auch gibt es nichts, was mit dem amerikanischen "Whistleblowers Act" zu vergleichen wäre, der Beamte vor Disziplinarstrafen schützt, wenn sie der Presse illegale, inkompetente oder gefährliche Handlungen ihrer Behörde mitteilen. Andererseits ist der britische Persönlichkeitsschutz für all jene unterentwickelt, die sich keinen Verleumdungsprozeß leisten können (Prozeßkostenhilfe gibt es nicht). Wer sich eine Klage leisten kann, darf allerdings auf saftige Schmerzensgeldzahlungen hoffen, denn die meisten Prozesse unterliegen dem Urteil einer Jury, die den Medien nach aller Erfahrung gerne einen Denkzettel verpaßt. Nicht umsonst reisen Prominente aus aller Welt gerne nach London - in "die Weltmetropole für Beleidigungsprozesse", wie Esser schreibt.
Die widersprüchliche Rechtslage führte beispielsweise dazu, daß kaum ein Presseorgan es wagte, kritisch über den Verleger Robert Maxwell zu berichten. Dieser beging, wie erst nach seinem Tod herauskam, allerlei Betrügereien bis hin zur Plünderung der Pensionskasse seiner Mitarbeiter. Maxwell verklagte jeden, der auch nur leise Kritik in seiner Berichterstattung durchblicken ließ. Etliche Journalisten, die Informationen über seine schiefen Geschäfte hatten, wurden von ihren Chefredakteuren daher zurückgepfiffen. Das Gegenbeispiel ist Rupert Murdoch. Er klagt nicht, daher nehmen ihn jene britischen Zeitungen, die ihm nicht gehören, unablässig aufs Korn.
Die Darstellung der rechtlichen Hintergründe ist die Stärke des Buches von Esser, einem Medienwissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Interessant fallen auch die Einblicke aus, die Esser während Praktika in englischen Zeitungen gewonnen hat. Die Organisationsabläufe und die Arbeitsweise unterscheiden sich stark von Deutschland, was auch die andere Gewichtung im Stil und in den Inhalten erklärt. Ein Artikel in einer britischen Zeitung durchläuft in der Regel eine Vielzahl von Stationen, wird mehrfach gegengelesen und dabei häufig stark verändert. Die Reporter müssen sich über das Resultat ihrer Arbeit anderntags in der Zeitung oft wundern. Anders als in Deutschland würde ein Reporter auch nie einen Kommentar schreiben. Meinungsaussagen und Informationsbeschaffung sind personell strikt getrennt, obgleich die Grenzen durch die starke Zunahme von sogenannten Features in den britischen Zeitungen immer durchlässiger wird. Seine Schwäche offenbart Essers Journalismus-Vergleich dagegen in der mageren Beschreibung der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Ein Buch, das den Anspruch erhebt, "die Kräfte hinter den Schlagzeilen" aufzudecken, dürfte sich das nicht leisten. Kein anderer Zeitungsmarkt der Welt ist so stark vom wirtschaftlichen Wettbewerb getrieben wie der von England, wo sich, abgesehen von der Boulevardpresse und der Financial Times, vier allgemeine Qualitätszeitungen bekämpfen. Über Auf- und Abstieg einzelner Blätter und der Konzerne dahinter erfährt der Leser aber nur wenig. Gerne hätte man sich auch betriebswirtschaftliche Informationen über das Abschneiden der Zeitungen gewünscht, auch wenn diese zugegebenermaßen nur schwer zu bekommen sind. Zum Beispiel heißt es unter Londoner Journalisten, daß die "Times" noch nie in ihrer über hundertjährigen Geschichte einen Gewinn erzielt hat - Rupert Mudoch behauptet freilich, im vergangenen Jahr erstmals einen Profit erwirtschaftet zu haben. Hier hätte sich eine tiefer gehende Recherche sicher gelohnt. Ansonsten ist die ausführliche Abhandlung nur im journalismustheoretischen Kapitel zu lang und zu schwerfällig geraten.
CHRISTIAN SCHUBERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Presse- und Persönlichkeitsrecht in Deutschland und England
Frank Esser: Die Kräfte hinter den Schlagzeilen. Englischer und deutscher Journalismus im Vergleich. Verlag Karl Alber, Freiburg und München 1998. 528 Seiten, 68,- Mark.
Die englische Presse wirkt oft aggressiv, respekt- und schonungslos. Auf der Jagd nach der Story zählt allein die Enthüllung, die dem Leser dann in klarer bis kraftstrotzender Sprache unterbreitet wird. Doch dieser Eindruck trügt. Wie Frank Esser in seiner vergleichenden Darstellung des englischen und des deutschen Journalismus ausarbeitet, ist die britische Rechtslage gespalten: Es gibt praktisch keinen Informationsanspruch der Medien gegenüber Behörden, weshalb diese als "die verschlossensten der westlichen Welt gelten". Die Journalisten genießen kein Zeugnisverweigerungsrecht wie in Deutschland. Auch gibt es nichts, was mit dem amerikanischen "Whistleblowers Act" zu vergleichen wäre, der Beamte vor Disziplinarstrafen schützt, wenn sie der Presse illegale, inkompetente oder gefährliche Handlungen ihrer Behörde mitteilen. Andererseits ist der britische Persönlichkeitsschutz für all jene unterentwickelt, die sich keinen Verleumdungsprozeß leisten können (Prozeßkostenhilfe gibt es nicht). Wer sich eine Klage leisten kann, darf allerdings auf saftige Schmerzensgeldzahlungen hoffen, denn die meisten Prozesse unterliegen dem Urteil einer Jury, die den Medien nach aller Erfahrung gerne einen Denkzettel verpaßt. Nicht umsonst reisen Prominente aus aller Welt gerne nach London - in "die Weltmetropole für Beleidigungsprozesse", wie Esser schreibt.
Die widersprüchliche Rechtslage führte beispielsweise dazu, daß kaum ein Presseorgan es wagte, kritisch über den Verleger Robert Maxwell zu berichten. Dieser beging, wie erst nach seinem Tod herauskam, allerlei Betrügereien bis hin zur Plünderung der Pensionskasse seiner Mitarbeiter. Maxwell verklagte jeden, der auch nur leise Kritik in seiner Berichterstattung durchblicken ließ. Etliche Journalisten, die Informationen über seine schiefen Geschäfte hatten, wurden von ihren Chefredakteuren daher zurückgepfiffen. Das Gegenbeispiel ist Rupert Murdoch. Er klagt nicht, daher nehmen ihn jene britischen Zeitungen, die ihm nicht gehören, unablässig aufs Korn.
Die Darstellung der rechtlichen Hintergründe ist die Stärke des Buches von Esser, einem Medienwissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Interessant fallen auch die Einblicke aus, die Esser während Praktika in englischen Zeitungen gewonnen hat. Die Organisationsabläufe und die Arbeitsweise unterscheiden sich stark von Deutschland, was auch die andere Gewichtung im Stil und in den Inhalten erklärt. Ein Artikel in einer britischen Zeitung durchläuft in der Regel eine Vielzahl von Stationen, wird mehrfach gegengelesen und dabei häufig stark verändert. Die Reporter müssen sich über das Resultat ihrer Arbeit anderntags in der Zeitung oft wundern. Anders als in Deutschland würde ein Reporter auch nie einen Kommentar schreiben. Meinungsaussagen und Informationsbeschaffung sind personell strikt getrennt, obgleich die Grenzen durch die starke Zunahme von sogenannten Features in den britischen Zeitungen immer durchlässiger wird. Seine Schwäche offenbart Essers Journalismus-Vergleich dagegen in der mageren Beschreibung der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Ein Buch, das den Anspruch erhebt, "die Kräfte hinter den Schlagzeilen" aufzudecken, dürfte sich das nicht leisten. Kein anderer Zeitungsmarkt der Welt ist so stark vom wirtschaftlichen Wettbewerb getrieben wie der von England, wo sich, abgesehen von der Boulevardpresse und der Financial Times, vier allgemeine Qualitätszeitungen bekämpfen. Über Auf- und Abstieg einzelner Blätter und der Konzerne dahinter erfährt der Leser aber nur wenig. Gerne hätte man sich auch betriebswirtschaftliche Informationen über das Abschneiden der Zeitungen gewünscht, auch wenn diese zugegebenermaßen nur schwer zu bekommen sind. Zum Beispiel heißt es unter Londoner Journalisten, daß die "Times" noch nie in ihrer über hundertjährigen Geschichte einen Gewinn erzielt hat - Rupert Mudoch behauptet freilich, im vergangenen Jahr erstmals einen Profit erwirtschaftet zu haben. Hier hätte sich eine tiefer gehende Recherche sicher gelohnt. Ansonsten ist die ausführliche Abhandlung nur im journalismustheoretischen Kapitel zu lang und zu schwerfällig geraten.
CHRISTIAN SCHUBERT
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