'Die Krähe ist eine Zeugin. Sie hat alles gesehen, was im vergangenen Jahrhundert in Amsterdam geschah.'
In Kader Abdolahs Geschichte über das Schicksal eines iranischen Flüchtlings
begleitet die Krähe den Schriftsteller Refiq Foad, der als politisch Verfolgter seine iranische Heimat verlassen muss und in Amsterdam um Asyl bittet. Sie sitzt auf einem Baum im Garten des Hauses von Anne Frank und sieht, wie der Fremde Gedichte
und Romane liest, um die niederländische Sprache zu lernen. Wie er in einer Kaffeefabrik am Fließband steht und sich stets danach sehnt, als Schriftsteller Erfolg
zu haben. Sie beobachtet, wie Refiq es schafft, einen eigenen Kaffeeladen aufzumachen und seine Familie aus dem Iran zu holen. Und nur sie weiß von seinem großen Traum: dass irgendwann die niederländische Königin zu ihm kommt und sagt: 'Ich habe Ihr Buch gelesen.'
In Kader Abdolahs Geschichte über das Schicksal eines iranischen Flüchtlings
begleitet die Krähe den Schriftsteller Refiq Foad, der als politisch Verfolgter seine iranische Heimat verlassen muss und in Amsterdam um Asyl bittet. Sie sitzt auf einem Baum im Garten des Hauses von Anne Frank und sieht, wie der Fremde Gedichte
und Romane liest, um die niederländische Sprache zu lernen. Wie er in einer Kaffeefabrik am Fließband steht und sich stets danach sehnt, als Schriftsteller Erfolg
zu haben. Sie beobachtet, wie Refiq es schafft, einen eigenen Kaffeeladen aufzumachen und seine Familie aus dem Iran zu holen. Und nur sie weiß von seinem großen Traum: dass irgendwann die niederländische Königin zu ihm kommt und sagt: 'Ich habe Ihr Buch gelesen.'
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Anja Hirsch liest mit großer Bewunderung diese Novelle, in der Kader Abdolah sehr persönlich, jedoch aus der Sicht einer Krähe seine Geschichte erzählt: Die Geschichte eines aus dem Iran geflohenes Mannes, der in den Niederlanden zum Schriftsteller wird. Unglaublich kraftvoll findet sie Abdolahs Erzählen, das ebenso aus dem eigenen Leben wie der Poesie des Orients schöpft. Schon den ersten Satz voll "bescheidener Entschiedenheit" schlägt sie in den Bann: "Leser! Ich bin Kaffeemakler und wohne an der Lauriergracht 37." So verschafft man sich Gehör!
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2016Auf Krähenfittichen sicher geführet
Kader Abdolah macht sein eigenes Flüchtlingsschicksal zur Novelle
Die Krähe wohnt schon lange und inzwischen fast überall auf der Erde. Sie ist mit den Menschen gezogen; wo immer die hingingen, war sie bald auch. Das macht sie zum Archiv für alle Kulturen: Was hätte die Krähe nicht alles zu erzählen! Für den iranischen Autor Kader Abdolah, der 1988 seine Heimat verlassen musste und heute in den Niederlanden bei Amsterdam lebt und schreibt, ist die Krähe eine weise Beobachterin. In entscheidenden Momenten sitzt sie auf einem Baum, neugierig, bisweilen tratschsüchtig oder gekränkt.
Sicherlich ist es immer eine andere Krähe. Aber es wäre eine schöne Vorstellung, eine literarische Vorstellung, wenn es immer dieselbe wäre. Sie würde nie weitschweifig erzählen, sondern pointiert und leicht, so wie es Kader Abdolah in seiner Novelle "Die Krähe" tut. Nach Romanen wie "Die geheime Schrift" (deutsch 2003), "Das Haus an der Moschee" (2005) oder "Der König" (2013) ist diese Novelle sein persönlichstes Buch. Die Geschichte ihrer Hauptfigur Refiq Foad überschneidet sich an vielen Stellen mit Kader Abdolahs eigener Biographie. Figur und Autor teilen sogar die Entscheidung, ein Pseudonym zu führen. Kader Abdolah bildete seines aus den Namen zweier ermordeter Freunde.
Die erzählerische Kraft der Novelle strömt aus zwei Quellen. Zum einen aus der reichhaltigen Literatur des Orients mit ihren traditionellen Motiven, die der 1954 geborene Autor selbst ein Leben lang lustvoll gelesen hat. Zum anderen wirkt das Flüchtlingsleben in dieses anschaulich-poetische Erzählen hinein. Sprache und Ortswechsel bilden eine Beziehung mit unverrückbaren Folgen, wie sie sicherlich für viele gilt, die im neuen Lebensraum schreiben: "Wer nie mehr in seine Heimat zurückkann, ist in der Welt der Fantasie zu Hause."
Refiq Foad, der Erzähler, verkauft in einem kleinen Laden in Amsterdam Kaffeebohnen, obwohl er selbst nur Tee trinkt. Das sichert ihm Einkommen und vielfältige Kundenkontakte, etwa zu jenem syrischen Schriftsteller, der den Staatenwechsel schlechter verkraftet und von dem es einmal heißt, er "war aus seiner Sprache gefallen". Foad hätte das auch passieren können, doch bei ihm klappt es mit der Veröffentlichung des ersten Buchs in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache ist. Auch Kader Abdolah ist zum erfolgreichen Autor der Niederlande geworden. Von einer solchen Verwandlung handelt "Die Krähe".
Eine versagte Liebe hat Refiq Foad noch in Iran zum ersten Text angeregt, einer kleinen Geschichte, die sogar veröffentlicht wird, in Teheran, der Stadt der purpurroten Tauben. Die nächste unerreichbare Frau betet er in Isfahan an, der Stadt der blauen Moschee. Die vielen unabgeschickten Briefe ergeben zusammen schon ein Buch. Der Trennungsschmerz wird zum Schreibimpuls, ein beliebtes literarisches Motiv. Mit dem Selbstbewusstsein als Autor wächst aber auch der Riss in der Biographie dieses jungen Iraners, der wie sein Autor politisch aktiv ist und deshalb die Heimat verlassen muss.
Die Veränderung seiner Persönlichkeit spiegelt sich nicht zuletzt in den Lektüren. Foad liest erst alles, was die Bibliothek seiner Stadt hergibt, vor allem persische Klassiker, die er dann später vor sich hin murmelt, was Niederländer fälschlich als Koranrezitation deuten. Noch in Iran findet er das erste amerikanische Buch, das er mit einem Wörterbuch zu entziffern versucht. Das Land wird ihm zur Gefahr. Doch die Literatur bietet ihm Schutz.
Foad lässt nach einer Scheinscheidung Frau und Kind zunächst zurück und gelangt über Afghanistan und die Türkei in die Niederlande. Wie in seiner Heimatstadt entdeckt er dort die Stadtbibliothek. Mit Hilfe von Miranda, einer Studentin, die täglich ins Asylbewerberheim kommt und ihm auch die Texte durchsieht, liest und schreibt er nun auf Holländisch: Zum zweiten Mal wird er als Autor geboren. Er hat Glück, denn Miranda belässt ihm seinen eigenen Stil, die prägnanten, bildstarken Sätze, die auch Kader Abdolahs Schreiben ausmachen. Typisch etwa ist, dass er in poetische Wendungen abbiegt, bevor die Realität zu mächtig wird und die Verzweiflung überhandnimmt. Gerade dadurch macht er sie spürbar: "Als ich wieder draußen auf der Straße stand, ging ich, nein, ich erhob mich in die blauen Lüfte und schwebte dahin."
In der Stille eines Bauernhofs, den er schließlich bewohnt, gerät Foad aus dem Gleichgewicht: Ihm fehlt ein Feind, gegen den anzukämpfen er gewohnt ist. Auch hier retten ihn die Buchstaben. Und die Krähe, als einzig verlässliche Begleiterin in der Fremde. Sie steigt auf, überblickt alles und macht diesen unglaublich packenden Text erst dicht. In der kurdischen Mythologie steht sie für Erinnerung.
Kader Abdolah beweist ein feines Gespür für Dosierung und treffende Wortwahl und bleibt trotzdem als Erzähler würdevoll schlicht. Schon der Anfang seiner Novelle signalisiert eine bescheidene Entschiedenheit: "Leser! Ich bin Kaffeemakler und wohne an der Lauriergracht 37. Ich hatte nie den Wunsch, Kaffee zu verkaufen, doch das Leben hat es so gewollt." Der erste Schritt zur eigenen Stimme verdichtet sich in dem Ausrufezeichen.
ANJA HIRSCH
Kader Abdolah: "Die Krähe". Novelle.
Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby und Herbert Post. Arche Literaturverlag, München 2015. 128 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kader Abdolah macht sein eigenes Flüchtlingsschicksal zur Novelle
Die Krähe wohnt schon lange und inzwischen fast überall auf der Erde. Sie ist mit den Menschen gezogen; wo immer die hingingen, war sie bald auch. Das macht sie zum Archiv für alle Kulturen: Was hätte die Krähe nicht alles zu erzählen! Für den iranischen Autor Kader Abdolah, der 1988 seine Heimat verlassen musste und heute in den Niederlanden bei Amsterdam lebt und schreibt, ist die Krähe eine weise Beobachterin. In entscheidenden Momenten sitzt sie auf einem Baum, neugierig, bisweilen tratschsüchtig oder gekränkt.
Sicherlich ist es immer eine andere Krähe. Aber es wäre eine schöne Vorstellung, eine literarische Vorstellung, wenn es immer dieselbe wäre. Sie würde nie weitschweifig erzählen, sondern pointiert und leicht, so wie es Kader Abdolah in seiner Novelle "Die Krähe" tut. Nach Romanen wie "Die geheime Schrift" (deutsch 2003), "Das Haus an der Moschee" (2005) oder "Der König" (2013) ist diese Novelle sein persönlichstes Buch. Die Geschichte ihrer Hauptfigur Refiq Foad überschneidet sich an vielen Stellen mit Kader Abdolahs eigener Biographie. Figur und Autor teilen sogar die Entscheidung, ein Pseudonym zu führen. Kader Abdolah bildete seines aus den Namen zweier ermordeter Freunde.
Die erzählerische Kraft der Novelle strömt aus zwei Quellen. Zum einen aus der reichhaltigen Literatur des Orients mit ihren traditionellen Motiven, die der 1954 geborene Autor selbst ein Leben lang lustvoll gelesen hat. Zum anderen wirkt das Flüchtlingsleben in dieses anschaulich-poetische Erzählen hinein. Sprache und Ortswechsel bilden eine Beziehung mit unverrückbaren Folgen, wie sie sicherlich für viele gilt, die im neuen Lebensraum schreiben: "Wer nie mehr in seine Heimat zurückkann, ist in der Welt der Fantasie zu Hause."
Refiq Foad, der Erzähler, verkauft in einem kleinen Laden in Amsterdam Kaffeebohnen, obwohl er selbst nur Tee trinkt. Das sichert ihm Einkommen und vielfältige Kundenkontakte, etwa zu jenem syrischen Schriftsteller, der den Staatenwechsel schlechter verkraftet und von dem es einmal heißt, er "war aus seiner Sprache gefallen". Foad hätte das auch passieren können, doch bei ihm klappt es mit der Veröffentlichung des ersten Buchs in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache ist. Auch Kader Abdolah ist zum erfolgreichen Autor der Niederlande geworden. Von einer solchen Verwandlung handelt "Die Krähe".
Eine versagte Liebe hat Refiq Foad noch in Iran zum ersten Text angeregt, einer kleinen Geschichte, die sogar veröffentlicht wird, in Teheran, der Stadt der purpurroten Tauben. Die nächste unerreichbare Frau betet er in Isfahan an, der Stadt der blauen Moschee. Die vielen unabgeschickten Briefe ergeben zusammen schon ein Buch. Der Trennungsschmerz wird zum Schreibimpuls, ein beliebtes literarisches Motiv. Mit dem Selbstbewusstsein als Autor wächst aber auch der Riss in der Biographie dieses jungen Iraners, der wie sein Autor politisch aktiv ist und deshalb die Heimat verlassen muss.
Die Veränderung seiner Persönlichkeit spiegelt sich nicht zuletzt in den Lektüren. Foad liest erst alles, was die Bibliothek seiner Stadt hergibt, vor allem persische Klassiker, die er dann später vor sich hin murmelt, was Niederländer fälschlich als Koranrezitation deuten. Noch in Iran findet er das erste amerikanische Buch, das er mit einem Wörterbuch zu entziffern versucht. Das Land wird ihm zur Gefahr. Doch die Literatur bietet ihm Schutz.
Foad lässt nach einer Scheinscheidung Frau und Kind zunächst zurück und gelangt über Afghanistan und die Türkei in die Niederlande. Wie in seiner Heimatstadt entdeckt er dort die Stadtbibliothek. Mit Hilfe von Miranda, einer Studentin, die täglich ins Asylbewerberheim kommt und ihm auch die Texte durchsieht, liest und schreibt er nun auf Holländisch: Zum zweiten Mal wird er als Autor geboren. Er hat Glück, denn Miranda belässt ihm seinen eigenen Stil, die prägnanten, bildstarken Sätze, die auch Kader Abdolahs Schreiben ausmachen. Typisch etwa ist, dass er in poetische Wendungen abbiegt, bevor die Realität zu mächtig wird und die Verzweiflung überhandnimmt. Gerade dadurch macht er sie spürbar: "Als ich wieder draußen auf der Straße stand, ging ich, nein, ich erhob mich in die blauen Lüfte und schwebte dahin."
In der Stille eines Bauernhofs, den er schließlich bewohnt, gerät Foad aus dem Gleichgewicht: Ihm fehlt ein Feind, gegen den anzukämpfen er gewohnt ist. Auch hier retten ihn die Buchstaben. Und die Krähe, als einzig verlässliche Begleiterin in der Fremde. Sie steigt auf, überblickt alles und macht diesen unglaublich packenden Text erst dicht. In der kurdischen Mythologie steht sie für Erinnerung.
Kader Abdolah beweist ein feines Gespür für Dosierung und treffende Wortwahl und bleibt trotzdem als Erzähler würdevoll schlicht. Schon der Anfang seiner Novelle signalisiert eine bescheidene Entschiedenheit: "Leser! Ich bin Kaffeemakler und wohne an der Lauriergracht 37. Ich hatte nie den Wunsch, Kaffee zu verkaufen, doch das Leben hat es so gewollt." Der erste Schritt zur eigenen Stimme verdichtet sich in dem Ausrufezeichen.
ANJA HIRSCH
Kader Abdolah: "Die Krähe". Novelle.
Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby und Herbert Post. Arche Literaturverlag, München 2015. 128 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main