Marcin Dougal Smite kniete vor den Statuen des Allvaters und seiner göttlichen Gattin, der Allmutter, und hielt die Finger so fest ineinander verschränkt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Es musste wehtun, denn in seiner Vorstellung erhörten die Götter nur jene, die bereit waren, Opfer zu bringen. Die Stimmen aller anderen, aller, die zu schwach waren, gingen im allgemeinen Wehklagen der Bittsteller unter. Der Father hielt seine Hände mit festem Griff, um ihm Beistand zu leisten."Father, ich bin ein frommer Mann. Warum wird meine Gattin nicht schwanger?""Sie ist jenseits der Fünfzig und bekommt ihr Blut schon lange nicht mehr."Dougal konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. "Ist es eine Strafe der Götter?""Wenn Ihr gesündigt habt, müsst Ihr Abbitte leisten."Nicht zum ersten Mal fragte sich Dougal, was er getan haben könnte, um den Zorn der Götter auf sich zu ziehen.Stets achtete er die göttlichen Gesetze und er war ehrlich, großzügig, ehrte seine Gattin und war ein gerechter Herr, der gerechteste gar, den dieses Land seit Generationen gesehen hatte.Sein Volk aber liebte ihn nicht, weil er es für seinen Ungehorsam strafte, so wie der Allvater es verlangte.Er war nicht wie die Vorgänger seines Namens, die dabei zugesehen hatten, wie das Volk den Bernstein von der Küste raubte, dem Mond huldigte und heimlich seine finsteren Blutrituale praktizierte. Er setzte den Willen des Allvaters durch, so wie einst die Ritter vom Orden der Knochenbrecher, die edelsten Streiter des Wahren Glaubens, die je unter der Sonne gewandelt waren."Alles muss seine rechte Ordnung haben, nicht wahr, Father?""So ist es, mein Marcin.""Das Recht des Allvaters kennt keine Gnade.""Auch das ist wahr. Gnade schenkt nur die gütige Allmutter."Dougal Smite erhob sich und blickte dem Father in die Augen. "Bin ich ungerecht?""Ihr seid ein strenger, aber gerechter Herr, mein Marcin.""Für heute bedarf ich Eurer Dienste nicht mehr, Father."Der Priester in seiner Gewandung, blau wie der Himmel des Allvaters, bernsteingelb wie die Sonne der Allmutter, verneigte sich und durchquerte den Altarraum, der abwechselnd im Schatten und dem einfallenden goldenen Licht lag.Dougal wartete, bis die Tür hinter ihm zugefallen war.Die überlebensgroße Statue des Allvaters schaute auf ihn herab. Ehrfürchtig studierte er das von einem prächtigen Bart umrahmte, makellose Gesicht, das so voller Ernst, Weisheit und Würde war, dass er das Echo der Erhabenheit in seinem Herzen spüren konnte. Die steinerne Tunika bedeckte den Oberkörper des Gottes nur zum Teil und gewährte so den Blick auf seine imposante Statur.Genauso sollte ein richtiger Mann aussehen.Vor ihm stand die in Stein gemeißelte, perfekte Verkörperung des gerechten, starken und weisen Anführers, jenes Ideals, das Ritter, Väter und Herrscher gleichermaßen dazu inspirierte, besser zu werden.Für einen Sterblichen gab es keine größere Ehre, als diesem Gott zu dienen.Wie nur konnte das Volk ihn schmähen? Wie nur konnte es dem finsteren Knochenkönig huldigen, dessen Joch der Allvater von den Menschen fernhielt?Dougal schaute hinauf zur Statue der Allmutter.Eine Hand lag an ihrem vorgewölbten Bauch, die andere hielt sie zum Zeichen des Friedens erhoben. Ihr Lächeln war mild, ihre Gesichtszüge weich, ihr ganzer Körper rundlich und schwach.Wut keimte in ihm auf."Warum sollte ich gnädig sein, wenn du es nicht bist, Mutter? In den Windy Fields winseln die Weiber um Gnade, weil meine Soldaten ihre Söhne holen! Wie gefällt dir das?"Mit energischen Handgriffen öffnete er die Knöpfe seines Gehrocks, riss ihn sich vom Leib und warf ihn auf den Altar, zog dann sein Hemd aus und schleuderte es der marmornen Göttin ins Gesicht."Einige deiner Kinder sind ungehorsam! Sie stehlen Bernstein! Sie verehren Knochen und Blut und den Mond! Sie rennen Aufrührern hinterher und verstecken sie vor der Hand der Gerechtigkeit!"Dougal Smite, Marcin von Goldhome, stellte sich vor die Allmutter, atmete ein und spannte Brust und Arme an."Sie sind wirklich sehr ungehorsam! Sag es: Warum sollte ich gnadenvoll sein, wenn du es nicht bist?"Seine Muskeln zitterten und er grollte und schnaufte, während die Wut weiter in ihm hochkochte. Als die Anstrengung nicht mehr auszuhalten war, ließ er mit einem Keuchen alle Anspannung von sich abfallen. Er atmete ein paarmal durch, bis sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte.Nun war er bereit.Aus seinem Hosenbund zog er eine Peitsche mit acht Schwänzen, einen für jede Tugend, und küsste sie mit geschlossenen Augen.Sie roch nach Leder und Blut.Für einen Moment musste er daran denken, dass die Commoners ihn als einen Selbstgeißler verspotteten und nur der verfluchte Knochenkönig wusste, wer aus seinen Reihen das ausgeplaudert hatte. Gewiss machte sich auch Wicked Cass über ihn lustig und sich vorzustellen, wie dieser dreckige Räuber grinste, fachte seine Wut wieder an."Keine Gnade für niemanden!"Mit Wucht schlug er sich auf den Rücken.Der Schmerz jagte ihm einen kalten Schauer in die Glieder und ließ ihn aufstöhnen.Er biss die Zähne aufeinander.Der zweite Schlag war der schwierigste. Danach wurde es leichter."No rest for the wicked! Keine ... Gnade! Auch nicht ... für mich!"Wieder und wieder schlug er zu und bald triefte die Peitsche von seinem Blut.Heute Nacht würde er Thelmas Gesicht in die Kissen drücken und sie von hinten besteigen."Wie gefällt ... dir das ... Mutter?"Mit jedem Schlag wuchsen sein Schmerz und seine Rechtschaffenheit.Wer solche Opfer auf sich nahm, war ein richtiger Mann und hatte alles Recht, gnadenlos zu sein."Allvater, schau auf deinen Diener! Schau nur! Ich tue, was du verlangst! Es gibt keine Gnade für die Ruchlosen!"Für den letzten Schlag nahm er alle Kraft zusammen und als die Achtschwänzige auf seinen Rücken peitschte, brüllte er der Allmutter seine Wut und seinen Triumph entgegen.Gemessenen Schrittes stieg Dougal die Stufen zur Tribüne hinauf.Jubel konnte er von den Commoners nicht erwarten, darum drehte er sich auch nicht zum Volk, sondern setzte sich gleich auf seinen Platz neben Marcin Liora, vermied es aber, sich anzulehnen. Sein Rücken war noch wund von der Geißelung und die verschorfende Haut riss bei jeder unbedachten Bewegung wieder auf. Keine Salbe seines Gelehrten, dem Wissenden Wespian, könnte das verhindern, und er begrüßte den Schmerz sogar, zeugte er doch von seinem Opfer.Liora bedachte ihn mit kaum mehr als einem Seitenblick und schaute dann wieder auf den Platz vor der Tribüne, auf dem sich das Volk versammelte. Sie standen um ein Schafott, auf dem der Henker bereits wartete.Dougals Blick blieb an seiner Mitregentin haften.Sie trug ein Kleid aus weißer Seide mit aufgestickten schwarzen Rosen, eine wundervolles Schneiderwerk, aber selbst darin sah sie hässlich aus.Ihre abnorm hohe Stirn und ihr viel zu langes Kinn, ihr hohlwangiges, bleiches Gesicht unter dessen Haut sich spitze Knochen abzeichneten, all das widerte ihn an. Dazu hatte sie breitere Schultern als mancher Mann und war groß und grätig. Ihr weißblonder Haaransatz, der sich in den letzten Tagen gezeigt hatte, war verschwunden. Offenbar hatte sie wieder ihr Haar gefärbt, als ob das irgendwen ihre Herkunft vergessen machen könnte. Ihre tiefe Stimme taugte weder zum Befehlen noch zum Singen und der Blick ihrer schwarzen Augen war kalt wie der einer Echse.Seit nunmehr zwanzig Jahren war Liora seine Mitregentin, aber bis heute hatte er sich nicht an ihren Anblick gewöhnen können. Dougal schnaubte verächtlich."Was amüsiert Euch?", fragte sie, ohne zu ihm aufzuschauen."Die schwarzen Rosen schmeicheln Euch. Sie lenken von Eurem Gesicht ab.""Warum habt Ihr mich herbestellt? Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als mir eine öffentliche Bestrafung anzusehen.""Hinrichtung, meine Liebe, Hinrichtung. Wir haben härtere Strafen für Bernsteindiebe beschlossen. Habt Ihr das etwa vergessen?""Ich vergesse niemals, was ich unterschrieben habe."Dougal strich über seinen Bart und dachte daran, dass die Bernsteinabgaben an König Firnaq schon in drei Wochen fällig waren. Es war absurd: Zwei Hundertschaften würden den Zug nach Worthington begleiten, und das alles nur wegen einer dreisten Räuberbande, der ein paar Ritter nachliefen, und die in jedem Dorf der Windy Fields in Deckung gehen konnte.Die Fielder genannten Bewohner dieses Landstrichs waren Nachkommen der Heruwid, jenes Volks, das vor der Ankunft der Comemen in diesem Land gelebt hatte.Bis heute blieben sie unter sich, deswegen gab es dort Rotschöpfe und Krähenköpfe zuhauf, ihre Haut so blass, dass sie unter der kraftvollen Sonne Twiflotens sommersprossig und faltig wurde.Nach außen gaben sie sich fromm und fleißig, im Verborgenen aber sprachen sie noch immer Widri und huldigten dem Alten Weg.Viel zu lange hatte Goldhome sie gewähren lassen. Diese Nachsicht hatte Wicked Cass Crawford hervorgebracht, jenen dreisten Räuber, der gegen Smite and Stride wetterte und sogar Kriegsvolk um sich scharte.Auf die Ergreifung von Wicked Cass und seiner Brüder standen hohe Kopfgelder, aber kein Fielder würde jemals einen der seinen verraten, geschweige denn einen Crawford.Es hatte Dougal Jahre gekostet, diese Lektion zu lernen.Heute war er klüger.Heute schickte er seine Soldaten in die Dörfer und ließ alle zur Rechenschaft ziehen, die den Namen Wicked Cass nur gehört hatten. Schuldig waren sie alle, das wusste er, darum hatten seine Männer Weisung, nicht zimperlich zu sein, am wenigsten mit denen, die Widerworte gaben. Wer auch nur ein Bröckchen Bernstein bei sich trug, kam an den Galgen."Wissender Wespian fand eine äußerst interessante Passage in einem Buch über die ersten Heruwid-Kriege. Dort stand, dass es in Wahrheit Königin Vagyra war, die König Isqorun dazu brachte, die Wälder von Widenwid niederzubrennen, um den Widerstand der Blodsleut zu brechen. Ich wusste nicht, wie rigoros gylqarische Frauen sein können.""Ihr begeht gleich zwei Fehler, Doug.""Und welche wären das Eurer geschätzten Meinung nach?""Ihr verallgemeinert und Ihr blickt zurück.""Sind es nicht gerade die Gylqar, die uns lehren, aus der Vergangenheit zu lernen?""Was geschehen ist, ist geschehen, und wer zurückschaut, kann nicht nach vorn blicken. Alles ist im Wandel, darum gibt es keine Wiederholungen, bloß Ähnlichkeiten.""Wer im Sumpf der Vergangenheit steht, marschiert mit dreckigen Stiefeln in die Zukunft."Nun drehte Liora ihm doch ihr Gesicht zu. "Von wem stammt das?""Von mir." Er lächelte und deutete zum Schafott. "Seht nur, es beginnt."Unter den Rufen des Volks wurden die Verurteilten aufs Schafott geführt. Er meinte, sogar ein paar Buhrufe zu hören und an einigen Stellen schoben die Soldaten die Commoners mit ihren Hellebarden zurück.Der Herold im Rot und Schwarz von Smite and Stride verkündete die Anklage gegen fünf Fielder von der Bernsteinküste, drei junge Männer, ein altes Mütterchen und einen Burschen von vielleicht zehn Jahren. "Ketzer sind sie! Dies Weib hat sich der Knochenwerferei schuldig gemacht, des Amulettewickelns und der Opferung von Hähnen.Aufrührer sind sie!Diese Männer verleumdeten unsere ehrenwerten Marcins und die Priester des Wahren Glaubens!Diebe sind sie auch!In ihren Taschen fand sich Bernstein, der dem großen König Firnaq gehört! Sie sind Verräter an Smite and Stride, denn sie haben Wicked Cass Crawford und seiner Bande Unterschlupf und Verpflegung gewährt und geleugnet, sie jemals auch nur gesehen zu haben!"Die Verurteilten zu sehen, die Anklagen zu hören und die Erwartung, dass der Gerechtigkeit gleich Genüge getan würde, trieb seinen Puls in die Höhe."Das hier bringt nichts", hörte er Liora sagen. "Und das wisst Ihr. Wicked Cass und seine Bande haben sich längst von unseren Äckern gemacht.""Wer nicht gehorcht, muss bestraft werden", murmelte Dougal. Er hatte nur noch Augen für das Geschehen auf dem Schafott.Gerade schleiften Gardisten das alte Mütterchen zum Galgen, wo der Henker den Verurteilten die Schlingen umlegte. Vor lauter Vorfreude wurden seine Finger feucht und sein Puls beschleunigte sich."Ich habe bloß ein kleines Stück Bernstein genommen!", flehte das Mütterchen. "Für Brot!"Den Henker kümmerte ihr Jammern nicht und Dougal lächelte, als er ihr endlich die Schlinge umlegte."Lasst den Jungen leben! Gnädige Allmutter, lasst wenigstens den Jungen!"Dougal schnaubte.Was erdreistete sich diese Ungläubige nach der Allmutter zu rufen?Unruhe kam auf. Die Soldaten schlugen mit den Stangen ihrer Hellebarden auf die Leute ein. Es floss Blut, Männer und Frauen gingen zu Boden. Dann war wieder Ruhe.Das alte Weib keifte auf Widri.Er verstand genug der alten Sprache, um zu wissen, dass sie ihm den Tod an den Hals wünschte.Der Henker stopfte ihr das Maul.Dougal erhob sich und streckte die Hand aus. Er zögerte den Moment hinaus, dann riss er die Hand nach unten.Der Henker zog an einem Hebel und unter den Verurteilten öffnete sich der Boden.Mit einem Rucken fielen sie in die Seile.Die Vettel und die drei Männer waren sofort tot, aber der Junge zappelte und wand sich wie ein Fisch am Haken. Ein Raunen ging durch die Menge. Jemand flehte um Gnade für das Bürschchen.Der Henker schaute hinauf zur Tribüne und wartete auf seinen Befehl und auch Liora sah ihn aus ihren kalten Augen an.No rest for the wicked.Dougal machte eine abschneidende Handbewegung und beobachtete dann mit Genugtuung, wie der Henker die Beine des Jungen packte und sie nach unten zog.
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