Was kann ich im Krankheitsfall selbst tun, statt mich nur auf die Interventionen des Arztes zu verlassen und "brav" die verschriebenen Medikamente einzunehmen? Die Dringlichkeit dieser Frage steigt mit dem Schweregrad der Erkrankung, etwa bei Krebsleiden oder chronischen Schmerzen, aber auch im Fall von Übergewicht. Nichts ist dem Heilungserfolg abträglicher, als in solchen Fällen in Passivität zu verfallen. Professor Papenfuß, ehemaliger Chefarzt einer Reha- Klinik, gibt dem Leser ein wissenschaftlich fundiertes und therapeutisch erprobtes Instrumentarium an die Hand, um bei einer Erkrankung die dem Organismus innewohnenden Kräfte zu aktivieren. Wir wissen heute: Über Vorstellungen, Sinneseindrücke, Emotionen und Gefühle lassen sich bestimmte körperliche Reaktionen auslösen, die Krankheiten und gesundheitlichen Störungen entgegentreten, aber auch die Gesundheit festigen können. In diesem Sinne ist das hier anschaulich dargestellte mentaltherapeutische Programm nicht nur für Kranke, sondern ebenso für Gesunde von eminenter Bedeutung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2012Wollen allein genügt nicht, es muss schon das richtige Gefühl sein
Und außerdem muss der Patient bereit sein mitzumachen: Winfried Papenfuß versammelt Forschungsergebnisse und gibt Handreichungen zur Selbstheilung
Selbstheilung ist ein Zauberwort, das die Kassen der Buchhändler klingeln lässt. Die Methoden zur Selbstheilung aber unterliegen wechselnden Moden. War es im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert die Naturheilkunde, welche an die schon von Hippokrates beschworene vis medicatrix naturae, die Heilkräfte, die in der menschlichen Natur liegen, appellierte, so sind es in jüngster Zeit die Psychowissenschaften, die sich dieses Phänomens annehmen. Titel wie "Selbstheilung durch Suggestion", "Selbstheilung durch mentale Radionik", "Prana-Selbstheilung" oder "Selbstheilung durch Entspannung" stellen nur eine kleine Auswahl aus einer bunten Angebotspalette dar, wobei die Grenzen zwischen seriöser Wissenschaft und Esoterik häufig auf dem ersten Blick nicht klar erkennbar sind.
Bei den Büchern aus dem Verlag C.H. Beck kann man sicher sein, dass man nicht in die Grenzgebiete der Psychologie geführt wird, sondern solide Populärwissenschaft geboten bekommt. In dem hier anzuzeigenden Fall von einem ehemaligen Chefarzt einer Reha-Klinik. Warum man allerdings mit dem Professorentitel des Autors werben muss, bleibt ein Verlagsgeheimnis. Offensichtlich möchte man sich von esoterischen Konkurrenzprodukten abgrenzen, indem man die wissenschaftliche Autorität des Autors auf diese Weise unterstreicht. Doch messen wir das kleine Büchlein, das in der wohlfeilen Beckschen Reihe erschienen ist, nicht an Äußerlichkeiten, sondern an seinem Inhalt und fragen: Löst der Band ein, was der Titel verspricht - dass nämlich der Leser erfährt, wie Kranke (vor allem solche, die an Krebs, chronischen Schmerzen oder Übergewicht leiden) Heilungsprozesse anstoßen und unterstützen können?
Bevor der Leser praktische Handlungsanleitungen bekommt, muss er sich in den theoretischen Ansatz von Professor Papenfuß einarbeiten. Der einleitende Exkurs über Gesundheit und Krankheit bringt keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse für den Leser. Eher sind es Binsenweisen wie die, dass man sich trotz Krankheit nicht unbedingt krank fühlen muss oder dass ein passives Verhalten des Patienten weder der Gesundheit zuträglich ist noch hilft, "Krankheiten in die Schranken zu weisen". Ein Selbstheilungskonzept kann also nur funktionieren, wenn der Patient mitmacht. So einfach und doch so kompliziert zugleich ist das.
Warum, das erfährt man in den folgenden Kapiteln, in denen neurowissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden, so zum Beispiel, wie man Körperfunktionen unbewusst beeinflussen kann. Hier finden sich Flussdiagramme und Schaubilder, die dem Laien erläutern, wie wir uns das autonome Nervensystem vorstellen müssen und welche Rolle beispielsweise das limbische System spielt. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff "2. Signalsystem" eingeführt, womit Funktionen des zentralen Nervensystems gemeint sind, die es ermöglichen, sprachliche Äußerungen als konditionierten Reiz auf den Körper wirken zu lassen. Als Beispiel für mögliche Steuerungsmechanismen wird das autogene Training erwähnt. Wie sich dieses aber in der Praxis gestaltet, das setzt der Autor als Wissen voraus. Dafür gibt es halt wieder einen anderen Ratgeber.
Immerhin wird beschrieben, wie die Klassische Konditionierung nach Pawlow funktioniert und welche Lehren beispielsweise die Placeboforschung daraus zieht. So werden jene Experimente geschildert, die gezeigt haben, dass man Medikamente zur Stärkung des Immunsystems nach einer gewissen Zeit absetzen kann, wenn man deren Verabreichung zuvor mit einem indifferenten Reiz verbunden hat. Dieser reicht dann später aus, um die gleiche Wirkung wie das Arzneimittel auszulösen. Selbstheilungskräfte können, so Papenfuß, durch Konditionierung gestärkt und beeinflusst werden: Es gilt lediglich, "die Kombination ,wirksames Medikament - Placebo' durch das Paar ,Wirksames Medikament - mentale psychische Einwirkung' zu ersetzen".
Wie dieses Prinzip in der Praxis zur Förderung der Selbstheilungskräfte angewandt werden kann, zeigt der Autor im zweiten Teil, der den Leser, der sich Anregungen und Hilfe erhofft, naheliegenderweise am meisten interessieren dürfte. Was kann man im Falle einer Krebserkrankung tun, um den Heilungsprozess zu unterstützen - nicht zu bewirken wohlgemerkt, denn dafür gibt es nach Professor Papenfuß die Schulmedizin, die auf dem Gebiet der Krebsforschung große Fortschritte gemacht habe. Um dieses erstrebenswerte Ziel zu erreichen, bedürfe es zweier Waffen: "Wissen und Aktivität".
In der Tat hat die Psychoonkologie gezeigt, wie wichtig das aktive Mitwirken des Patienten ist, wenn ein Behandlungserfolg eintreten soll. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, wird ein Trainingsprogramm präsentiert, das mit konditionierten Reizen arbeitet, die aus bestimmten Sprachformeln und Denkmustern bestehen. So lautet ein solches Mantra beispielsweise "Ich bin körperlich und psychisch stark genug, um die Abwehrkräfte zu unterstützen". Dazu kommt noch ein zeitaufwendiges Rahmenprogramm, das aus Entspannungstechniken und sportlichen Aktivitäten besteht. Leider versäumt es der Autor, sein durchaus sinnvolles mentales Training durch Erkenntnisse der Neuropädagogik zu untermauern.
So untersucht man zum Beispiel an der FU Berlin, wie unbewusste Gefühlsaktivierung durch ausgewählte Sprachmusterkoppelung zu erreichen ist. Diese Arbeitsgruppe hat auch Wege aufgezeigt, wie man Übergewicht erfolgreich bekämpfen kann. Dies ist auch ein wichtiges Thema zum Schluss dieses Selbstheilungsbuches: Durch eine spezielle Wortwahl - positive Sprachmusterkoppelungen -, die unterhalb der Bewusstseinsschwelle auf die Aktivierung emotionaler menschlicher Ressourcen abzielt, soll eine Änderung ungesunden Ernährungsverhaltens erreicht werden. Hatte man lange geglaubt, dass man nur etwas "wollen" muss, um eine Verhaltungsänderung zu erzielen, so hat uns die moderne Hirnforschung eines Besseren belehrt. Zu mehr als neunzig Prozent sind es Gefühle und unbewusste Prozesse, die unseren Körper steuern.
Das ahnte bereits der Arzt, Naturphilosoph und Maler Carl Gustav Carus, ein Freund Goethes, als er in seinem Standardwerk über die Psyche des Menschen schrieb, "daß eigentlich die höchste Aufgabe des Wissens nur sein könne mit Bewußtsein in die Tiefen des unbewußten Seelenlebens der Welt einzudringen, so ist es insbesondre die Aufgabe des ärztlichen Wissens, diesen unbewußt heilkünstlerischen Regungen nachzugehen und sie zum Behuf ihrer möglichsten absichtlichen Förderung, oft auch um sie in geeigneten Fällen möglichst nachzuahmen und insbesondre zu veranlassen, zur klarsten Kenntniss zu bringen". Die neurowissenschaftlich basierte Kommunikation zur Gesundheitsförderung arbeitet an der Umsetzung dieser Einsicht in die Praxis.
ROBERT JÜTTE
Winfried Papenfuß: "Die Kraft der Selbstheilung". Wie wir Heilungsprozesse anstoßen und unterstützen können. Verlag C.H. Beck, München 2011. 191 S., Abb., br., 12,95 [Euro].
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Und außerdem muss der Patient bereit sein mitzumachen: Winfried Papenfuß versammelt Forschungsergebnisse und gibt Handreichungen zur Selbstheilung
Selbstheilung ist ein Zauberwort, das die Kassen der Buchhändler klingeln lässt. Die Methoden zur Selbstheilung aber unterliegen wechselnden Moden. War es im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert die Naturheilkunde, welche an die schon von Hippokrates beschworene vis medicatrix naturae, die Heilkräfte, die in der menschlichen Natur liegen, appellierte, so sind es in jüngster Zeit die Psychowissenschaften, die sich dieses Phänomens annehmen. Titel wie "Selbstheilung durch Suggestion", "Selbstheilung durch mentale Radionik", "Prana-Selbstheilung" oder "Selbstheilung durch Entspannung" stellen nur eine kleine Auswahl aus einer bunten Angebotspalette dar, wobei die Grenzen zwischen seriöser Wissenschaft und Esoterik häufig auf dem ersten Blick nicht klar erkennbar sind.
Bei den Büchern aus dem Verlag C.H. Beck kann man sicher sein, dass man nicht in die Grenzgebiete der Psychologie geführt wird, sondern solide Populärwissenschaft geboten bekommt. In dem hier anzuzeigenden Fall von einem ehemaligen Chefarzt einer Reha-Klinik. Warum man allerdings mit dem Professorentitel des Autors werben muss, bleibt ein Verlagsgeheimnis. Offensichtlich möchte man sich von esoterischen Konkurrenzprodukten abgrenzen, indem man die wissenschaftliche Autorität des Autors auf diese Weise unterstreicht. Doch messen wir das kleine Büchlein, das in der wohlfeilen Beckschen Reihe erschienen ist, nicht an Äußerlichkeiten, sondern an seinem Inhalt und fragen: Löst der Band ein, was der Titel verspricht - dass nämlich der Leser erfährt, wie Kranke (vor allem solche, die an Krebs, chronischen Schmerzen oder Übergewicht leiden) Heilungsprozesse anstoßen und unterstützen können?
Bevor der Leser praktische Handlungsanleitungen bekommt, muss er sich in den theoretischen Ansatz von Professor Papenfuß einarbeiten. Der einleitende Exkurs über Gesundheit und Krankheit bringt keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse für den Leser. Eher sind es Binsenweisen wie die, dass man sich trotz Krankheit nicht unbedingt krank fühlen muss oder dass ein passives Verhalten des Patienten weder der Gesundheit zuträglich ist noch hilft, "Krankheiten in die Schranken zu weisen". Ein Selbstheilungskonzept kann also nur funktionieren, wenn der Patient mitmacht. So einfach und doch so kompliziert zugleich ist das.
Warum, das erfährt man in den folgenden Kapiteln, in denen neurowissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden, so zum Beispiel, wie man Körperfunktionen unbewusst beeinflussen kann. Hier finden sich Flussdiagramme und Schaubilder, die dem Laien erläutern, wie wir uns das autonome Nervensystem vorstellen müssen und welche Rolle beispielsweise das limbische System spielt. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff "2. Signalsystem" eingeführt, womit Funktionen des zentralen Nervensystems gemeint sind, die es ermöglichen, sprachliche Äußerungen als konditionierten Reiz auf den Körper wirken zu lassen. Als Beispiel für mögliche Steuerungsmechanismen wird das autogene Training erwähnt. Wie sich dieses aber in der Praxis gestaltet, das setzt der Autor als Wissen voraus. Dafür gibt es halt wieder einen anderen Ratgeber.
Immerhin wird beschrieben, wie die Klassische Konditionierung nach Pawlow funktioniert und welche Lehren beispielsweise die Placeboforschung daraus zieht. So werden jene Experimente geschildert, die gezeigt haben, dass man Medikamente zur Stärkung des Immunsystems nach einer gewissen Zeit absetzen kann, wenn man deren Verabreichung zuvor mit einem indifferenten Reiz verbunden hat. Dieser reicht dann später aus, um die gleiche Wirkung wie das Arzneimittel auszulösen. Selbstheilungskräfte können, so Papenfuß, durch Konditionierung gestärkt und beeinflusst werden: Es gilt lediglich, "die Kombination ,wirksames Medikament - Placebo' durch das Paar ,Wirksames Medikament - mentale psychische Einwirkung' zu ersetzen".
Wie dieses Prinzip in der Praxis zur Förderung der Selbstheilungskräfte angewandt werden kann, zeigt der Autor im zweiten Teil, der den Leser, der sich Anregungen und Hilfe erhofft, naheliegenderweise am meisten interessieren dürfte. Was kann man im Falle einer Krebserkrankung tun, um den Heilungsprozess zu unterstützen - nicht zu bewirken wohlgemerkt, denn dafür gibt es nach Professor Papenfuß die Schulmedizin, die auf dem Gebiet der Krebsforschung große Fortschritte gemacht habe. Um dieses erstrebenswerte Ziel zu erreichen, bedürfe es zweier Waffen: "Wissen und Aktivität".
In der Tat hat die Psychoonkologie gezeigt, wie wichtig das aktive Mitwirken des Patienten ist, wenn ein Behandlungserfolg eintreten soll. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, wird ein Trainingsprogramm präsentiert, das mit konditionierten Reizen arbeitet, die aus bestimmten Sprachformeln und Denkmustern bestehen. So lautet ein solches Mantra beispielsweise "Ich bin körperlich und psychisch stark genug, um die Abwehrkräfte zu unterstützen". Dazu kommt noch ein zeitaufwendiges Rahmenprogramm, das aus Entspannungstechniken und sportlichen Aktivitäten besteht. Leider versäumt es der Autor, sein durchaus sinnvolles mentales Training durch Erkenntnisse der Neuropädagogik zu untermauern.
So untersucht man zum Beispiel an der FU Berlin, wie unbewusste Gefühlsaktivierung durch ausgewählte Sprachmusterkoppelung zu erreichen ist. Diese Arbeitsgruppe hat auch Wege aufgezeigt, wie man Übergewicht erfolgreich bekämpfen kann. Dies ist auch ein wichtiges Thema zum Schluss dieses Selbstheilungsbuches: Durch eine spezielle Wortwahl - positive Sprachmusterkoppelungen -, die unterhalb der Bewusstseinsschwelle auf die Aktivierung emotionaler menschlicher Ressourcen abzielt, soll eine Änderung ungesunden Ernährungsverhaltens erreicht werden. Hatte man lange geglaubt, dass man nur etwas "wollen" muss, um eine Verhaltungsänderung zu erzielen, so hat uns die moderne Hirnforschung eines Besseren belehrt. Zu mehr als neunzig Prozent sind es Gefühle und unbewusste Prozesse, die unseren Körper steuern.
Das ahnte bereits der Arzt, Naturphilosoph und Maler Carl Gustav Carus, ein Freund Goethes, als er in seinem Standardwerk über die Psyche des Menschen schrieb, "daß eigentlich die höchste Aufgabe des Wissens nur sein könne mit Bewußtsein in die Tiefen des unbewußten Seelenlebens der Welt einzudringen, so ist es insbesondre die Aufgabe des ärztlichen Wissens, diesen unbewußt heilkünstlerischen Regungen nachzugehen und sie zum Behuf ihrer möglichsten absichtlichen Förderung, oft auch um sie in geeigneten Fällen möglichst nachzuahmen und insbesondre zu veranlassen, zur klarsten Kenntniss zu bringen". Die neurowissenschaftlich basierte Kommunikation zur Gesundheitsförderung arbeitet an der Umsetzung dieser Einsicht in die Praxis.
ROBERT JÜTTE
Winfried Papenfuß: "Die Kraft der Selbstheilung". Wie wir Heilungsprozesse anstoßen und unterstützen können. Verlag C.H. Beck, München 2011. 191 S., Abb., br., 12,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gespannt, wie er sich selbst heilen kann, schlägt Rezensent Robert Jütte das Buch des Professors und ehemaligen Chefarztes einer Rhehaklinik Winfried Papenfuß auf. Vorher hat er sich mit einem Blick auf den Verlag versichert, dass er solide Populärwissenschaft geboten bekommt und keine Esoterik. Ernüchterung zunächst, da der Professor dem Rezensenten einige Binsenweisheiten präsentiert a la: Selbstheilung muss man wollen. Dann aber legt der Professor los und bringt neurowissenschaftliche Erkenntnisse ins Spiel, limbisches System, Flussdiagramme, Schaubilder, Pawlowsche Konditionierung. Über die Praxis des bei alldem hilfreichen autogenen Trainings dann wieder nüscht. Aber dafür kennt Jütte andere Bücher. Zum Trost beglückt der Autor den Rezensenten schließlich mit einem Trainingsprogramm zur Selbstheilung. Das ist Jütte nun wieder zu wenig theoretisch, für ein komplettes Bild fehlen ihm Erkentnisse der Neuropädagogik.
© Perlentaucher Medien GmbH
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